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Göttliche Gerechtigkeit

Jack schlich zu Pater Bobadillos Zimmer. Draußen tobte die Schlacht, der Korridor dagegen war gespenstisch leer. Die meisten Wachen kämpften auf den Mauern. Jack trat seitlich an die Tür und spähte hinein. Sofort zog er den Kopf wieder zurück.

Pater Bobadillo stand im Zimmer.

Er hatte den Rücken der Tür zugekehrt.

Jack riskierte einen zweiten Blick. Der Priester war damit beschäftigt, einige Gegenstände aus der Truhe in einer Tasche zu verstauen. Er trat an die Nische, nahm die Bücher vom Regal und öffnete ein verstecktes Wandfach.

Jack hätte fast laut nach Luft geschnappt. Bestimmt lag der Portolan in diesem Fach.

Doch Pater Bobadillo schob nur weiteren Schmuck und Silbermünzen in seine Tasche. Dann schulterte er sie und eilte zur Tür des Gebetsraums.

Jack wollte ihm schon folgen, da blieb der Pater plötzlich stehen, als habe er etwas vergessen. Er drehte sich um und betrachtete das Ölbild des heiligen Ignatius.

Das will er bestimmt nicht mitnehmen, dachte Jack.

Doch der Priester ging tatsächlich zurück und nahm das Gemälde von der Wand ab. Er stellte es aber neben sich auf den Boden und drückte auf eine hölzerne Tafel. Ein leises Klicken ertönte.

Hinter dem Bild befand sich ein weiteres Geheimfach.

Pater Bobadillo griff hinein und holte den Portolan heraus. Er war immer noch in das schützende Öltuch eingewickelt.

Wie betäubt starrte Jack darauf. Dann konnte er seine Wut nicht mehr bezähmen.

»Also waren Sie es doch!«, rief er, trat in das Zimmer und zog sein Schwert. »Sie haben den Portolan gestohlen und meinen Vater ermordet!«

Pater Bobadillo fuhr herum, doch sein Schrecken wich rasch einem höhnischen Lächeln.

»Ich habe nichts gestohlen«, erwiderte er, ohne das auf ihn gerichtete Schwert zu beachten. »Ich habe mir nur zurückgeholt, was rechtmäßig uns gehört.«

Er setzte sich seelenruhig in seinen Lehnstuhl und musterte Jack.

»Denn dieser Portolan gehört Portugal.« Er legte das Logbuch auf den Tisch. »Bevor dein Vater ihn auf krummen Wegen an sich brachte, gehörte er einem portugiesischen Steuermann. Dein Vater war nicht nur ein protestantischer Ketzer, sondern auch ein Dieb.«

»Sie lügen!«, rief Jack. Die ausgestreckte Klinge in seiner Hand zitterte vor Empörung.

»Hast du dich nie gefragt, warum dein Vater sich so gut auf den Weltmeeren auskannte?« Pater Bobadillo legte die Hände in den Schoß.

Jack überlegte, wusste aber keine Antwort.

»Dann will ich dich aufklären. Dein Vater war Pirat. Er raubte fremde Schiffe aus und hat auch unseren Portolan gestohlen. Ich habe deinen Vater nicht getötet. Er hat sich seinen Tod selbst zuzuschreiben. Ich habe lediglich im Namen meines Landes für Gerechtigkeit gesorgt. Da er so dreist war, nach Japan zu kommen, hielt ich es für angemessen, dass ein Ninja ihn tötete.«

Jack wusste nicht, was er von den Worten des Paters halten sollte. Der Priester log sicherlich. Doch Jack war verunsichert. Sein Vater hatte nie erzählt, wie er an den Portolan gekommen war. Er hatte nur gesagt, sein Erwerb sei mit großen Kosten an Leib und Leben verbunden gewesen. Jack hatte immer angenommen, dass damit gefährliche Entdeckungsreisen gemeint waren, nicht die Raubzüge von Piraten. Er konnte sich sowieso nicht an eine Zeit erinnern, in der sein Vater den Portolan nicht besessen hatte. Das Buch gehörte ganz bestimmt seinem Vater.

Zugleich wusste er, dass es mehr Informationen enthielt, als ein einzelner Mensch während eines Lebens auf See sammeln konnte. Das Logbuch verzeichnete Daten zu Meeren, die sein Vater nie befahren hatte. Je länger Jack darüber nachdachte, desto mehr Fragen kamen ihm.

»Was willst du tun? Mich in zwei Hälften spalten?« Pater Bobadillo schien den Zweifel auf Jacks Gesicht zu genießen.

Jack senkte das Schwert und der Pater lächelte grausam.

»Vielleicht sollte ich dich des Verrats anklagen. Anklage: versuchter Mord, Urteil: schuldig, Strafe: Tod.«

Pater Bobadillo stand auf. Er hielt eine Radschlosspistole in der Hand und zielte damit auf Jacks Herz.

»Sogar ein Samurai ist gegen eine Kugel machtlos.«