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Die roten Teufel

Doch im Osten bot sich ihnen ein schrecklicher Anblick.

Es war, als ob der Horizont blutete. Eine ganz in Rot gekleidete Armee marschierte auf das Schlachtfeld. Nicht nur die sashimono der Soldaten leuchteten rot, auch die Helme, Brustpanzer und sogar das Zaumzeug der Reiter hatten die Farbe des Blutes. Daimyo Kamakura warf aus Angst vor der drohenden Niederlage seine Reservearmee, seine Geheimwaffe, nach vorn.

»Die Roten Teufel der Li«, flüsterte Taro und wurde kreidebleich.

Jack sah ihn fragend an, doch das Aussehen der Höllenarmee ließ ihn unwillkürlich erschauern.

»Das sind die grausamsten und blutrünstigsten Samurai von ganz Japan. Sie werden uns gnadenlos niedermetzeln, bis keiner mehr steht.«

Die Roten Teufel hatten das Kampfgeschehen erreicht. Sie begannen einen mörderischen Gegenangriff und schlugen vor sich alles kurz und klein. Als habe sich eine Schleuse geöffnet, wurden die schwarz-weißen Banner Satoshis von einer roten Flut hinweggespült.

Das Blatt hatte sich gewendet und wie zum Zeichen, dass der Kriegsgott Hachiman jetzt auf der Seite der Roten Teufel stand, hörte es auf zu regnen und der Kanonendonner und das Knattern der Arkebusen setzten erneut ein.

»Samurai der Niten Ichi Ryu!«, schrie Masamoto und ritt an ihnen entlang. »Fertig machen zum Kampf!«

Die Schüler wechselten nervöse Blicke und zogen ihre Schwerter. Auch Jack packte den Griff seines Langschwerts. Auf einmal hatte er Angst, er könnte alles vergessen haben, was er gelernt hatte. Er spürte eine Hand auf der Schulter und drehte sich um. Vor ihm stand Yamato. Seinen Stock hatte er fest auf den Boden gestützt.

»Vor fünf Jahren habe ich einen Bruder verloren«, sagte er und blickte Jack ernst an. »Ich will nicht noch einen verlieren.«

Die Bedeutung dieser Worte ergriff Jack zutiefst und er umarmte Yamato.

»Ich habe meinen Bruder erst in Japan gefunden«, antwortete er und ließ Yamato wieder los. »Und ich bin jederzeit bereit, mein Leben für dich zu opfern.«

»Hoffentlich kommt es nicht dazu«, meinte Akiko.

Sie stand mit ihrem Bogen in der Hand neben ihnen. In der anderen Hand hielt sie drei Pfeile. Yamato und Jack ergriffen die Pfeilschäfte.

»Nur gemeinsam sind wir stark«, sagte Akiko in Erinnerung an Sensei Yamadas Worte.

Für einen Moment hatte Jack das Gefühl, niemand könne sie besiegen und das Band zwischen ihnen durchtrennen. Yamato ließ seinen Pfeil los, doch Jack wollte den Griff noch nicht lösen. Vielleicht waren sie zum letzten Mal zu dritt zusammen. Er erwiderte Akikos Blick. Das Band zwischen ihnen schien stärker als je zuvor und die Mitwisserschaft um ihr Ninja-Geheimnis hatte ihm Akiko noch nähergebracht.

»Auf ewig miteinander verbunden«, flüsterte sie und lächelte ihn an.

»Auf ewig verbunden«, wiederholte Jack. Er meinte jedes Wort ernst.

Jemand zog an seiner Rüstung. Vor ihm stand Yori mit rot geweinten Augen.

»Ich habe solche Angst, Jack«, schluchzte er. »Ich weiß, ich bin ein Samurai, aber wir sind doch noch zu jung zum Sterben.«

Jack wollte ihn trösten. Wieder fielen ihm die Worte seiner Mutter ein. »Denk dran: Wo Freunde sind, da ist auch Hoffnung.«

Angesichts der bevorstehenden Schlacht klang das freilich wie eine leere Floskel. In Wirklichkeit war Jack selbst einer Panik nah. Die Roten Teufel rückten unaufhaltsam vor und hinterließen eine blutige Schneise. Yori begann unbeherrscht zu zittern, ließ sein Schwert fallen und sah so aus, als wollte er gleich fliehen.

»Yori-kun!«, sagte Sensei Yamada und kam zu ihnen. »Hast du mein Koan schon gelöst?«

Yori starrte den Sensei verwirrt an. Mit dieser Frage hatte er am allerwenigsten gerechnet.

»Was ist das wahre Gesicht, das du hattest, noch bevor deine Eltern geboren waren?«

Yori schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, nein.«

»Aber du trägst es jetzt«, sagte Sensei Yamada und lächelte seinen Schützling gütig an. »Das wahre Gesicht des Samurai zeigt sich im Angesicht des Todes. Ich sehe in dir Kraft, Mut und Treue. Mit diesen Tugenden des Bushido wirst du den Kampf überstehen, genauso wie du den Überfall auf unsere Schule überlebt hast. Wie ich höre, beherrschst du inzwischen das kiaijutsu.«

Yori nickte.

»Dann verstehst du, was ich meinte, als ich sagte, der kleinste Luftzug könne auf dem größten Ozean Wellen schlagen.«

Sensei Yamada ging weiter, um in den letzten Augenblicken vor der Schlacht noch anderen Schülern Mut zuzusprechen.

Yori hob sein Schwert auf. Er spürte neue Kraft in sich.