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Gehängt

In diesem Moment kapitulierte die Halle des Falken vor dem Feuer. Das Dach stürzte vollkommen ein und die hölzerne Stützkonstruktion brach krachend auseinander.

Moriko hatte keine Chance.

Eine ganze Wand klappte plötzlich zur Seite und begrub sie unter einer Lawine aus brennendem Holz und glühender Asche. Jack sah ihr weißes, angstverzerrtes Gesicht, ihre brennenden Haare und den schwarzen Mund, der sich zu einem Schrei öffnete, den er nicht hörte. Dann verschwand sie mit Pfeil und Bogen in den Händen unter den rauchenden Trümmern.

Von der anderen Seite starrte Kazuki wie gelähmt auf die Stelle, an der Moriko verschwunden war. Durch den Rauch und die Flammen fiel sein Blick auf Jack. Mit hassverzerrtem Gesicht stürmte er in Richtung des Butokuden.

Diesmal wollte Jack ihn nicht entkommen lassen. Er ließ Yori und Kiku bei Saburo zurück und lief um die Trümmer der Halle herum und an kämpfenden Samurai vorbei zum Hintereingang des Butokuden.

Vorsichtig spähte er hinein. Gespenstisch leer lag die Übungshalle vor ihm. Die Flammen draußen warfen unstete Schatten auf die Pfeiler und Wände und der Kampflärm hallte von der hohen Decke zurück wie das Geschrei längst gefallener Krieger.

Kazuki stand in der Nische und spritzte Lampenöl über die Wände. Offenbar wollte er nun die ganze Schule niederbrennen.

Jack zog seine Schwerter und schlich hinein. Vorsichtig stieg er über einige am Boden liegende Waffen, die Schüler weggeworfen hatten, die sich an der Waffenwand bedient hatten, und näherte sich Kazuki von hinten.

Jetzt konnte er Kazuki endlich für die vielen Schikanen und Bosheiten der vergangenen drei Jahre büßen lassen. Noch einige wenige Schritte und er würde ihn mit seinem Schwert durchbohren.

Doch da fielen ihm Masamotos Begrüßungsworte am ersten Schultag ein und er hielt inne.

Der Weg des Kriegers bedeutet, zu allen Zeiten nach dem Ehrenkodex der Samurai, dem Bushido, zu leben. Ihr sollt bei allem, was ihr tut, mutig und aufrichtig sein.

Es war falsch, Kazuki jetzt aus persönlichen Rachegelüsten zu töten. Er musste den Verräter seiner gerechten Strafe zuführen. Bestimmt wollte Masamoto darüber selbst entscheiden.

»Ergib dich, Kazuki«, sagte er und drückte Kazuki die Spitze seines Langschwerts in den Rücken.

Kazuki drehte sich langsam um und hob die Hände über den Kopf.

Jack hatte nicht damit gerechnet, dass Kazuki sich kampflos ergeben würde.

Ein hämisches Grinsen breitete sich auf Kazukis Gesicht aus.

Wie aus dem Nichts flog eine Kette durch die Luft und schlang sich um Jacks Hals. Er wurde nach hinten gerissen, seine beiden Schwerter fielen klappernd zu Boden. Hiroto, der sich hinter einem Pfeiler versteckt hatte, hielt das andere Ende der Kette und zog Jack daran über den Boden zu sich.

»Komm nur her, Gaijin, sei ein braver kleiner Hund!«, höhnte er.

Jack würgte und zwängte seine Finger zwischen die Kette und seinen Hals. Er konnte sie ein wenig lockern und kniete sich hin. Sofort zog Hiroto sie wieder straff und Jack fiel mit dem Gesicht voraus auf den Boden.

Hiroto zerrte ihn zu einem tiefen Balken und Jack begriff, dass er daran aufgehängt werden sollte. Er wehrte sich verzweifelt und krallte sich mit den Fingern an den Holzblöcken des Bodens fest, doch vergeblich.

Da stieß er mit der Hand gegen ein Messer, das jemand fallen gelassen hatte. Instinktiv nahm er es an sich. Wenigstens würde er nicht kampflos sterben.

Er hörte, wie die Kette klappernd über den Balken geworfen wurde. Sein Kopf wurde plötzlich nach oben gezerrt. Er würgte und musste sich auf die Zehen stellen, damit die Kette sich nicht ganz zuzog. Hiroto stemmte sich gegen einen Pfeiler und riss Jack von den Füßen.

Jack berührte den Boden nicht mehr. Krampfhaft mit den Beinen strampelnd hing er in der Luft. Hiroto lachte nur über seine Qualen.

Jack drohte ohnmächtig zu werden. Er sah das grinsende Gesicht Hirotos abwechselnd scharf und unscharf. Mit letzter Kraft warf er das Messer auf Hiroto. Es traf ihn in den Bauch.

Schreiend ließ Hiroto die Kette los. Die Schlinge um Jacks Hals lockerte sich und Jack fiel gleichzeitig mit Hiroto zu Boden. Keuchend saugte er Luft in seine Lunge. Hiroto starrte entsetzt auf das aus seiner Bauchwunde sprudelnde Blut und hörte nicht auf zu schreien.

Jack kroch über den Boden. Er musste seine Schwerter an sich nehmen, bevor Kazuki merkte, was passiert war, und ihn angriff. Er hörte schwere Schritte näher kommen. Erst im letzten Augenblick sah er aus den Augenwinkeln die mit Eisen besetzte Keule auf seinen Kopf zusausen. Er rollte weg und die Keule schlug krachend in den Boden. Holzsplitter flogen in alle Richtungen.

Dann stand Nobu über ihm und hob die Keule erneut.

»Jetzt werde ich dich endlich zerschmettern, Gaijin!«, schnarrte er.

Jack warf sich zur Seite und die Keule verfehlte ihn um Haaresbreite. Er brauchte unbedingt eine Waffe. In seiner Nähe sah er nur einen abgelegten, eisenverstärkten Fächer. Er nahm ihn und stand auf.

Nobu betrachtete den kleinen Fächer und dann die schwere Keule in seiner Hand.

»Was willst du? Mich zu Tode fächeln?« Er lachte, dass sein gewaltiger Bauch wackelte.

Wieder hob er die Keule. Jack klappte mit einem Ruck den Fächer zu und rammte ihn Nobu in den Bauch. Erschrocken ließ Nobu die Keule fallen. Sie krachte zu Boden. Blitzschnell schlug Jack Nobu mit dem Fächer auf die Schläfe. Ächzend sackte Nobu zusammen.

Jack trat keuchend zurück. Sein Hals pochte, sein Kopf dröhnte und alle Glieder taten ihm weh.

Doch der Kampf war noch lange nicht vorbei.