Einunddreißigstes Kapitel

Die Nacht senkte sich über Whiteland. McCrackens langer Tag der Indoktrination in seiner neuen Heimat war beendet, und die Belohnung stellte eine harte Pritsche in einem Schlafsaal mit sechsunddreißig Betten dar. Er lag unter einem offenen Fenster, durch das das harte Licht von Scheinwerfern fiel. Blaine hatte diese Sicherheitsvorkehrungen schon längst zuvor bemerkt, und auch einige andere, die er überwinden mußte.

Obwohl die Mitglieder der AWB bei ihren Paraden zumeist auf Pferderücken zu sehen waren, benutzten sie Jeeps, um des Nachts Streife zu fahren. Jedes Fahrzeug war mit zwei Mann besetzt. Außerdem gab es auf dem Gelände eine Reihe von Überwachungskameras; den Bewohnern hatte man zweifellos gesagt, sie wären zu deren eigenem Schutz angebracht worden.

Es würde kein Problem sein, sich aus dem Schlafsaal zu schleichen. Danach jedoch mußte er bis zur Kommandozentrale fast zwei Kilometer zurücklegen. Die Überwachungsmonitore waren auf die Türen gerichtet, also kletterte Blaine leise aus einem Fenster, wobei er darauf achtete, seine ›Kameraden‹ nicht zu wecken. Der feine Nebel, der vor den Lampen hing, würde das seine dazu beitragen, ihn vor den Insassen der vorbeifahrenden Jeeps zu verbergen. Kurze, dunkle Strecken legte er mit schnellen Sprints zurück, während er gut beleuchtete Abschnitte kriechend überwand. Als einmal ein Jeep bedrohlich nahe kam, konnte er sich hinter einem gerade gepflanzten Busch verstecken.

Er erreichte den Rand des Kommandozentrums, ohne daß es zu einem Zwischenfall gekommen war, und streckte sich in der Dunkelheit auf dem Gras aus. Die Kommandozentrale wurde lediglich hinten von einem Zaun gesichert, doch die auf dem Gebäude angebrachten Scheinwerfer verbreiteten eine solche Helligkeit, daß er gezwungen war, einen großen Umweg einzulegen. Blaine blieb in den Schatten und benutzte den Schutz von Büschen, um eine Entdeckung durch die zehn oder zwölf Wachen zu vermeiden, die darauf trainiert waren, den Angriff einer Eliteeinheit abzuwehren, aber nicht mit einer Erkundungsmission durch einen einzelnen Mann rechneten.

McCracken erreichte unbeschadet die Rückseite der Kommandozentrale. Er schlich an mehreren Pferden vorbei, die an einem Pfosten an der rechten Ecke des Gebäudes angebunden waren, und streichelte ein unruhig gewordenes Tier, um es zu beruhigen, als er das lange Seil bemerkte, das an seinem Sattel befestigt war. Er löste das Tau und nahm es mit.

Vier Meter trennten ihn von dem Zaun, der die hintere Seite des Gebäudes sicherte. Dort waren keine Fenster in die Wände eingelassen, und nur eine einzige Tür, die aber verschlossen war. Aus genau diesem Grund hatte McCracken das Seil mitgenommen. Nach dem Studium der Pläne an diesem Morgen wußte er genau, wie das Dach des Gebäudes beschaffen war. Der Schornstein befand sich genau dort, wo er es erwartet hatte, auch wenn er in der Dunkelheit nur undeutlich auszumachen war. Blaine verknüpfte ein Ende des Taus zu einem Lasso und trat so weit zurück, wie der Zaun es ihm ermöglichte. Dann warf er das Lasso.

Es prallte gegen das Dach der Kommandozentrale und fiel wieder zurück.

Beim zweiten Versuch blieb das Lasso auf dem Dach liegen, und beim dritten streifte es den Schornstein. Beim vierten senkte es sich darüber. Blaine zog das Seil stramm, und als er überzeugt war, daß es halten würde, umklammerte er es mit beiden Händen und kletterte an der Wand der Kommandozentrale hinauf.

Samuel Jackson Dodd stand unbehaglich vor der kleinen Sichtluke, die sich direkt hinter dem schieferschwarzen Schreibtisch in seinen Privatgemächern an Bord der Raumstation Olympus befand. Eine etwas größere Luke befand sich in dem winzigen Beobachtungsdeck der Station, und eine dritte, die kleinste von allen, in der Hauptzentrale. Ursprünglich hatte er vorgesehen, eine gesamte Wand dieses Quartiers, das einzig und allein ihm und seinen persönlichen Gästen vorbehalten war, aus einem durchsichtigen Material erbauen zu lassen, doch die Ingenieure hatten nur darüber gelacht und das Vorhaben als technisch undurchführbar bezeichnet. Doch was wußten sie schon? Glaubten sie etwa, indem sie seinen Ausblick auf eine kleine Luke beschränkten, könnten sie auch seine große Vision beschränken?

Dodd drehte sich wieder zu seinem Schreibtisch um, auf dem die computerisierte Signalweiche mit dem eingebauten Stimmregler ruhte, die die sichere Kommunikation zwischen den internationalen Repräsentanten Delphis ermöglichte. Sämtliche LED-Anzeigen bis auf die von Johannesburg blitzten auf. Dodd verspürte eine zunehmende Ungeduld. Er hatte lange darüber gegrübelt, wie er die nötig gewordene drastische Veränderung ihrer Strategie am besten erklären konnte. Obwohl er nicht auf diese Männer verzichten konnte, wollte Delphi seine Pläne verwirklichen, ließen sie manchmal nur schwer mit sich reden und verhielten sich überaus störrisch.

Das Gerät auf dem Schreibtisch zeigte an, daß Johannesburg sich noch immer nicht gemeldet hatte.

Der Bau der Raumstation Olympus war das riskanteste Unternehmen gewesen, an das Dodd sich in seiner Karriere jemals gewagt hatte. Auch wenn man die Garantieleistungen der NASA einrechnete, würden die Kosten sich auf über vierzig Milliarden Dollar belaufen. Hinzu kamen noch weitere geschätzte einhundert Milliarden, um den Betrieb der Station auf ihre berechnete Lebensdauer von dreißig Jahren zu gewährleisten. Sollte etwas schiefgehen – was zahlreiche Gutachter vorausgesagt hatten –, würde der finanzielle Verlust vielleicht sogar ihn ruinieren.

Doch Sam Jackson Dodd hatte schon vor langer Zeit gelernt, nicht auf andere zu hören.

Olympus verkörperte seinen Glauben an die Ehe zwischen Geschäftswelt und Regierung, aber noch mehr seine Fähigkeit zu schaffen, was er sich in den Kopf gesetzt hatte. Bei den derzeitigen Budgetbeschränkungen hätte die NASA das Projekt niemals allein bewältigen können. Genausogut verfügte die Privatwirtschaft nicht über die finanziellen oder technischen Möglichkeiten, das Unternehmen allein durchzuführen. Die Antwort darauf lag – wie bei allem – in einer gemeinsamen Anstrengung. Als Vergütung für ihre Unterstützung würden in den ersten drei Jahren ausschließlich Wissenschaftler und Astronauten der NASA die Raumstation nutzen können. Danach würde eine Unterabteilung der Dodd Industries damit beginnen, Privatleuten zu – natürlich – exorbitanten Preisen Reisen ins All anzubieten. Sam Jack Dodd machte sich keine Sorgen; seine Marktuntersuchungen hatten ergeben, daß sich schnell eine Warteliste von fünf Jahren bilden und dieses Projekt innerhalb von zehn Jahren in den schwarzen Zahlen sein würde. Die Versicherungskosten, die das Projekt ursprünglich zum Scheitern gebracht hätten, waren nun zu vernachlässigen, da die NASA sie in ihr Budget aufgenommen hatte.

Dodd drehte sich wieder zu der kleinen Luke um und blickte in den beschränkten Teil des Alls hinaus, den er einsehen konnte. Von diesem Standort aus war nur ein kleiner Teil der Station selbst zu sehen. Doch selbst in der Totalen bot Olympus alles andere als einen atemberaubenden Anblick. Bei einer Raumstation konnte die Form nur einen elenden zweiten Platz hinter der Funktion einnehmen. Demzufolge war die Station gedrungen und röhrenförmig und sah fast aus wie eine übergewichtige Spinne. Der Hauptteil von Olympus bestand lediglich aus einem massiven Gestell aus Stahlträgern, an denen die fünf kugelförmigen Module befestigt waren, die das Herz der Station darstellten. Das mittlere und größte Modul beherbergte die Laboratorien, die Cafeteria und den Tagungsraum sowie Dodds Privatquartiere. Drei der kleineren Module enthielten die Unterkünfte für die Mannschaft und Gäste, während im vierten die Kommandozentrale untergebracht war.

Die symmetrischen Tragbalken und ordentlich angebrachten gerüstähnlichen Träger wurden von etwas verunstaltet, das wie hartnäckiger Raummüll aussah; dabei handelte es sich allerdings um Wärmeumwandler, Sonnenzellen und wichtige Maschinenteile. Olympus war in der Tat kaum mehr als ein kompliziertes und klobiges Raumschiff, das gleichzeitig als großes Orbitallabor diente. Dicke, röhrenförmige Verbindungsgänge führten von drei verschiedenen Andockstationen, von denen derzeit nur eine in Betrieb war, zum Zentralmodul. Später würden alle drei Docks den Shuttles zur Verfügung stehen, und die Passagiere würden ihren ersten Eindruck von Olympus bekommen, indem sie sich schwerelos durch die Röhren zum Zentralmodul begaben, in dem die Schwerkraft ausgeglichen war.

Die Station selbst rotierte um ihre Achse und befand sich in einer geosynchronen Umlaufbahn etwa fünfunddreißigtausend Kilometer über dem Mittelpunkt der Vereinigten Staaten. Die Luft wurde von solarbetriebenen Maschinen gefiltert und auf angenehme fünfundzwanzig Grad erhitzt. Dodd mußte sich bei diesem seinem ersten Besuch ständig daran erinnern, daß er sich tatsächlich im Weltall aufhielt und nicht in einem High-Tech-Büro oder Luxushotel. Er hatte sich mit einem einwöchigen Intensivkurs auf die Reise vorbereitet. Zukünftige Besucher würden zweiwöchige Kurse absolvieren müssen, wodurch die hohen Kosten ferner gerechtfertigt wurden und die Gewinnspanne der Station zusätzlich stieg. Die ersten zahlenden Weltraumreisenden konnten das gesamte Paket zum Einführungspreis von fünfundzwanzigtausend Dollar erwerben, doch schon im ersten Jahr würde der Preis auf fünfzigtausend erhöht werden. Es war noch nicht entschieden, ob in dem fünftägigen Aufenthalt ein Weltraumspaziergang eingeschlossen oder nur gegen einen Aufpreis erhältlich war.

Dodd kniff die Augen zusammen und schaute durch das kleine Acrylportal. Fünfunddreißigtausend Kilometer unter ihm konnte er den kleinen Fleck ausmachen, bei dem es sich um die USA handelte.

Wie hatten die Dinge nur so schiefgehen können? Wie war es einem einzelnen Mann nur gelungen, sein gesamtes Werk in Gefahr zu bringen?

Wegen Blaine McCracken waren die ursprünglichen Mitglieder von Delphi auf der Flucht. Da sie rechtzeitig gewarnt worden waren, hatten sich alle ungefährdet absetzen können, doch nun waren sie nicht mehr besonders nützlich für ihn. Einige Mitglieder waren in Panik geraten. Sie hatten ihr eigentliches Leben in den Schatten verbracht und konnten es nicht ertragen, daß sie plötzlich im Licht standen. Ein paar hatten ihm geraten, die Operation abzubrechen oder wenigstens zu verschieben. Dodd wußte, daß sowohl das eine als auch das andere den ängstlichen Mitgliedern lediglich mehr Zeit verschaffen würde, ihre gemeinsame Sache zu verraten. Einige würden sich entschließen, sich zu stellen und gegen die Zusicherung von Straffreiheit auszupacken. Die Loyalität schwand.

Sam Jack Dodd war klar, daß er eine Möglichkeit finden mußte, diese Situation zu seinem Vorteil zu nutzen und gleichzeitig Delphi und die internationalen Repräsentanten der Gruppe zu beschwichtigen. Es kam lediglich darauf an umzusetzen, was die Umstände bereitstellten, und das war in diesem Fall nicht wenig. Die Umformung der Strategie brachte sogar einige beträchtliche Vorteile mit sich. Die Probleme, die es zu bewältigen galt, fielen in den Bereich der Logistik und des Timings. Doch das Delphi-Mitglied im Inneren Zirkel des Präsidenten hatte ihm versichert, man könne es schaffen. Dodd hatte keine andere Wahl, als darauf zu hören und zu hoffen, daß die internationalen Repräsentanten, die für seinen Plan so wichtig waren, ebenfalls darauf hören würden.

Auf dem Kommunikationssystem auf seinem Schreibtisch flammte endlich das Flämmchen von Johannesburg auf.

McCracken hatte an diesem Morgen in seinem Zimmer im Carlton ausführlich das System der Luftschächte im Kommandozentrum von Whiteland studiert. Da sowohl die vier unter- wie auch die drei überirdischen Stockwerke mit Frischluft versorgt werden mußten, konnte er davon ausgehen, daß das System über große Kondensatoren, Ventilatoren und Rohre verfügte, durch die ausreichende Mengen bewegt werden konnten. Den Plänen zufolge befanden die riesigen Kondensatoren sich auf dem Dach, und entsprechend mußte man dort auch eine Einstiegsmöglichkeit in das labyrinthähnliche Netzwerk der Rohre finden können. Die Pläne hatten Blaine verraten, wo sich Travis Dreyers Büro befand. Der Inhalt von dessen Aktenschränken hatte Blaine hierher gelockt. Nun wollte er sich Zugang zu diesem Büro im obersten Stock verschaffen, indem er sich durch die Luftschächte hinabließ.

Das Problem dabei war, daß man in der Kommandozentrale bald ein Versagen der Klimaanlage bemerken würde. Doch die Zeit arbeitete für ihn; es würde eine Weile dauern, bis man Techniker herbeirufen konnte, die dann seine Manipulationen auf dem Dach bemerken würden.

McCracken huschte zu dem großen Kondensator. Da er keinen Hebel fand, mit dem er das Gerät ausschalten konnte, zerrte er schnell alle freiliegenden Drähte heraus, bis das Ding erzitterte und seine Funktion einstellte. Dann folgte er Rohren zu einem Gebilde, das er zuerst für eine große Dachluke gehalten hatte, stellte dort aber fest, daß es sich um die Ansaugöffnung für die Frischluft handelte. Auf den Plänen war die Größe dieses Schachts viel zu klein wiedergegeben worden. Das rechteckige Abdeckblech war einen Meter mal einen Meter und zwanzig groß und leichter zu handhaben, als er gehofft hatte. Innerhalb von dreißig Sekunden hatte er es gelöst. Er atmete auf, als er sah, daß der darunterliegende Schacht knieförmig gebogen war und er sich nicht senkrecht hinablassen mußte.

Er glitt mit den Füßen zuerst in das Rohr aus galvanisiertem Stahl und machte sich unverzüglich auf den Weg zum Büro von Travis Dreyer.

»Meine Herren«, eröffnete Samuel Jackson Dodd die Konferenz, nachdem die Überprüfung der Verbindung zufriedenstellend verlaufen war, »dieses Gespräch wurde einberufen, um Sie zu informieren, daß die Umstände uns zu einer ziemlich drastischen Änderung unserer Pläne zwingen. Der Zeitplan wird vorgezogen. Wir schlagen nicht am nächsten Dienstag zu, sondern in achtundvierzig Stunden. Am Samstag um neunzehn Uhr, nach Washingtoner Zeit.«

»Was?« schienen einige Stimmen gleichzeitig zu brüllen.

»Das ist doch absurd!« protestierte DEUTSCHLAND.

»Unsere Leute befinden sich bereits vor Ort«, wandte JAPAN ein. »Es ist unmöglich, sie so kurzfristig zurückzurufen.«

»Und wir«, erklärte JOHANNESBURG, »können erst eingreifen, wenn wir unsere Sprengköpfe erhalten haben.«

»Beruhigen Sie sich, meine Herren. Sie werden erst aktiv werden müssen, sobald Sie unsere Lieferungen unbeschadet erhalten haben. Wir werden den Zeitplan lediglich in den Vereinigten Staaten vorziehen.«

FRANKREICH. »Aber wir haben uns nicht ohne Grund auf einen gleichzeitigen Einsatz aller Parteien geeinigt. Ohne ein gleichzeitiges Vorgehen ist der Erfolg unserer Aktionen stark gefährdet.«

»Meine Herren«, sagte der Repräsentant aus Washington ruhig, »unser Plan ist bereits gefährdet. Unsere einzige Chance, unsere Ziele noch zu erreichen, besteht darin, hier in den Vereinigten Staaten früher als geplant zuzuschlagen. Dieses Vorgehen findet meine Zustimmung.«

»Sie werden nur eine Woche, höchstens zehn Tage hinter uns herhinken«, fuhr Dodd augenblicklich fort. »Und wenn Ihr Tag kommt, werden die Ergebnisse Ihre ursprünglichen Erwartungen vielleicht sogar noch übertreffen, da sich in den Vereinigten Staaten dann ganz neue Möglichkeiten ergeben werden.«

Auf dem Beobachtungsdeck von Olympus herrschte Stille. Keine einzige Leuchtanzeige blinkte auf.

»Wann kann ich meine Sprengköpfe also erwarten?« fragte JOHANNESBURG schließlich.

»Sie bleiben in ihrem sicheren Versteck und werden an Sie geliefert, sobald wir die Lage in den Vereinigten Staaten stabilisiert haben.«

»Und wem oder was verdanken wir die Änderung der Pläne?« fragte DEUTSCHLAND.

»Bei unserem letzten Gespräch habe ich Sie informiert, daß Blaine McCracken uns auf der Spur ist. Er hat die Regierung der Vereinigten Staaten mittlerweile über seine Erkenntnisse informiert. Der Präsident weiß, daß er mit dem Rücken an der Wand steht.« Dodd hielt inne. »Es besteht die Möglichkeit, daß McCracken mittlerweile weiß, daß Delphi international vertreten ist.«

»Und unsere Identitäten?« fragte ENGLAND.

»Es ist vorstellbar, daß er sie kennt. Daher werde ich Ihnen nach Beendigung dieses Gesprächs das neueste Foto von ihm faxen, das wir in der Akte über ihn haben. Seien Sie auf der Hut.«

»Auf der Hut? Die ganze Operation ist in Gefahr, und das ist alles, was Sie dazu zu sagen haben?«

»Unsere Operation, JAPAN, ist keineswegs in Gefahr. Wir müssen uns lediglich den Gegebenheiten anpassen und auf eine Ausweichstrategie zurückgreifen, die wir bereits vor geraumer Zeit entwickelt haben. McCrackens Beteiligung hat Washington nur noch einen Ausweg offengelassen, und wenn der Präsident diesen Weg einschlägt, werden wir bereit sein.«

»Was meinen Sie damit?« fragte FRANKREICH.

Samuel Jackson Dodd erklärte ihnen den revidierten Plan Schritt für Schritt.

»Wir müssen uns lediglich den Gegebenheiten anpassen und auf eine Ausweichstrategie zurückgreifen, die wir bereits vor geraumer Zeit entwickelt haben. McCrackens Beteiligung hat Washington nur noch einen Ausweg offengelassen, und wenn der Präsident diesen Weg einschlägt, werden wir bereit sein …«

Blaine McCracken hörte aufmerksam zu, während die mechanisch synthetisierte Stimme, wahrscheinlich die von Sam Jack Dodd, den revidierten Plan erklärte, der zum Sturz der amerikanischen Regierung führen sollte. Schon während er durch das Rohr gekrochen war, das durch die Decke des vierten Stockwerks des Gebäudes verlief, hatte er einige Fetzen des Gesprächs verstehen können. Doch erst als er sich genau über Dreyers Büro befand, konnte er alle Sätze ganz deutlich hören.

Er lag bäuchlings in der Röhre und drückte das Ohr gegen den Stahl. Während er lauschte, bildete sich kalter Schweiß auf seiner Haut, und sein Schrecken wurde mit jedem Satz größer.

Der Präsident spielte Delphi glatt in die Hände. Die Regierung der Vereinigten Staaten würde gestürzt werden.

Samstag um neunzehn Uhr …

In nicht einmal zwei Tagen.

Und falls Blaine Washington nicht innerhalb von ein paar Stunden warnen konnte, würde niemand mehr etwas daran ändern können.

Dreyer erhob sich gelöst von seinem Sessel. Seine größten Träume standen unmittelbar vor der Verwirklichung. In achtundvierzig Stunden würden die Vereinigten Staaten ins totale Chaos stürzen. Danach würde ungehindert der Prozeß in die Wege geleitet werden können, der die AWB in Südafrika an die Macht bringen würde.

Der Führer der AWB hörte das Summen des in das Kommunikationssystem eingebauten Faxgerätes und legte die Hand vor den Schlitz. Die Seite, die zum Vorschein kam, war nur leicht gerollt und praktisch so klar wie das Original. Dreyer betrachtete das Foto von Blaine McCracken.

Er riß die Augen auf.

Er kannte diesen Mann, hatte ihn erst vor kurzem gesehen, erst … Heute!

McCracken war einer der neuen Rekruten, die an diesem Nachmittag eingetroffen waren! McCracken befand sich in diesem Augenblick auf dem Gelände!

Dreyer rieb sich den Schweiß von der Stirn und ging von seinem Schreibtisch zur Tür des Büros. Er mußte Colonel Smeed informieren. Bei einem Mann mit McCrackens Qualitäten mußten sie sowohl vorsichtig als auch gründlich vorgehen. Wenn er die Sache richtig anfaßte, würde er unter den Delphi zum Held werden, zu dem Mann, der Blaine McCracken ausgeschaltet hatte. Sein Herz schlug unwillkürlich schneller.

Als Dreyer die Hand auf die Klinke legte, fiel ihm auf, daß die Luft im Zimmer schwer und feucht war und viel wärmer, als es eigentlich der Fall sein sollte. Bestürzt hob er den Arm und legte die Hand auf eine Klappe der Klimaanlage; sie arbeitete nicht.

Dreyer ging ein Licht auf. »Mein Gott«, keuchte er, »mein Gott …«

McCracken kroch durch das Rohr zurück; nun war er nicht mehr darauf bedacht, alle Geräusche zu vermeiden. Er erreichte das Dach und schob den Deckel auf den Luftschacht zurück. Es blieb ihm nicht die Zeit, die Schläuche wieder anzubringen, die er abgerissen hatte, oder den Kondensator zu reparieren. Er griff nach dem Seil, das er aufgerollt und neben den Luftschacht gelegt hatte, und band auch das andere Ende zu einer Schlaufe zusammen. Er hatte vor, das Seil um den Ast eines Baums auf der anderen Seite des elektrische Zauns zu werfen und sich dann in die Freiheit zu hangeln.

Als Blaine das Tau gerade werfen wollte, hörte er Schritte, die die auf das Dach führende Treppe hinaufpolterten. Eine Gefangennahme war unvermeidlich. Falls Dreyer annahm, daß er das gerade beendete Gespräch der Delphi belauscht hatte, würde er ihn augenblicklich umbringen lassen. Seine einzige Überlebenschance – und damit auch Hoffnung auf Flucht – lag darin, die Illusion zu schaffen, er wolle sich gerade erst Zugang zur Kommandozentrale verschaffen.

McCracken lief zu dem Schacht zurück, aus dem er gerade geklettert war, und tat so, als wolle er den Deckel entfernen, als die Tür zum Dach aufgestoßen wurde. Er achtete darauf, daß die Soldaten sahen, wie er den Deckel zur Seite schob. Dann standen sie schon vor ihm, angeführt von Colonel Smeed.

»Wir sollten uns noch einmal unterhalten, Mr. McDowell«, sagte Smeed, die Hand fest um eine Pistole geschlossen.