Achtzehntes Kapitel

Der Präsident betrachtete den Kassettenrecorder, der auf dem Schreibtisch in seinem Privatbüro stand. Es war zu einer Sucht für ihn geworden, sich das Band anzuhören, das FBI-Direktor Ben Samuelson ihm gebracht hatte. Eine größtenteils schlaflose Samstagnacht hatte er damit verbracht, es immer wieder abzuspielen, ein Unterfangen, das sich lange bis in den Sonntag hingezogen hatte. Diesmal ließ der Präsident das Band mit dem Schnelldurchlauf bis zu einer bestimmten Stelle auf der Anzeige weiterlaufen und drückte dann auf den Wiedergabeknopf.

»Es hat nie aufgehört, Sir. Es wurde neu definiert, und die Ziele wurden im Untergrund weiter verfolgt.«

»Und plötzlich wird es wieder sichtbar. Warum jetzt, Mr. Daniels?«

»Dodd, Sir. Er war das fehlende Glied in der Gleichung, und das wichtigste. Dodd ist derjenige, der es ihnen letztlich ermöglichen wird, die Sache in Gang zu setzen.«

»Was genau in Gang setzen? Ihr Bericht scheint diese Frage zu vermeiden?«

»Den Umsturz der Regierung der Vereinigten Staaten.«

Der Präsident drückte auf die Stopptaste. Die Worte ließen ihn noch genauso stark frösteln wie bisher jedesmal, als er sie gehört hatte. Es war undenkbar. Doch nicht hier, nicht in den Vereinigten Staaten. Von den demokratischen Schutzmaßnahmen einmal abgesehen, war die Staatsmacht viel zu dezentralisiert. Kein Kader, keine Zelle war imstande, über die Ebenen und Ränge hinwegzugreifen. Die Verfassung und das Grundgesetz waren eigens geschaffen worden, um einen ordnungsmäßigen Übergang der Macht und die freie Meinungsäußerung aller Opponenten zu gewährleisten.

Der Präsident schlug die Hände vors Gesicht. Die Opposition hatte all das umgangen, eine Opposition, die von einem Mann geführt wurde, dessen Popularität lediglich dem Umfang seiner Macht gleichkam: Samuel Jackson Dodd. Bislang waren Tom Daniels und Clifton Jardine die einzigen außerhalb seines unheilvollen Kaders gewesen, die einen Blick auf das Kommende erhascht hatten, und beide waren wegen ihres Wissens gestorben.

Der Präsident spulte das Band wieder vor und behielt die Skala genau im Auge, bis er die gewünschte Stelle erreicht hatte. Er drückte auf die Stopp- und dann auf die Wiedergabetaste.

»Je begrenzter wir den Einsatz gestalten, desto eher können wir herausfinden, wie die in meinem. Bericht erwähnten Subjekte ihr Ziel zu erreichen versuchen.«

»Wie begrenzt, Mr. Daniels?«

»Ein Mann.«

Der Präsident hielt die Wiedergabe an und betrachtete das Foto, das der FBI-Direktor ihm gestern abend mit dem Tonband gebracht hatte. Es handelte sich um eine körnige Aufnahme in verschwommenem Schwarzweiß. Aber trotzdem strahlte das Gesicht eine eindeutige Intensität aus und wirkte einschüchternd. Der Präsident hatte den Eindruck, daß der Blick der Augen auf dem Foto den seinen traf. Er mußte das Gefühl abschütteln, daß Blaine McCracken ihn genauso eindringlich betrachtete, wie er das Foto betrachtete. Der Dateikarte zufolge, die an dem Foto befestigt war, waren diese Augen schwarz. Ein kurzgeschorener Bart verbarg zum Teil eine anscheinend gesunde Gesichtsfarbe. Über McCrackens linke Braue verlief eine häßliche Narbe. Sein Haar war dicht und wellig und so dunkel wie die Augen. Die Dateikarte gab Blaine McCrackens Größe mit einsvierundachtzig und sein Gewicht mit 91 Kilogramm an. Angesichts des Halses und der Teile der Schultern, die auf dem Foto zu sehen waren, vermutete der Präsident, daß es sich dabei hauptsächlich um Muskeln handelte. Etwas an diesem Mann löste in ihm den Drang aus, sich schnell abzuwenden. Etwas anderes bewirkte, daß er durch das glänzende Papier greifen und Blaine McCracken in diesen Raum holen wollten.

»Wer genau ist dieser McCracken, Ben?« hatte er gefragt.

»War bei den Special Forces, bei Projekt Phoenix, bei der Company – wohl so ziemlich überall. Ist jetzt freiberuflich tätig, außerhalb des Systems, und niemand wagt es, ihm in die Quere zu kommen.«

»Und warum nicht?«

»Weil sie wissen, was mit denen passiert ist, die sich mit ihm angelegt haben. McCracken hat der Statue Churchills auf dem Parliament Square mal eine strategisch bedeutsame Stelle zwischen den Beinen weggepustet, weil er der Ansicht war, genau daran mangele es den Engländern, nachdem sie seinen Warnungen keine Beachtung geschenkt hatten und als Folge ein Flugzeug voller Geiseln gesprengt wurde. So hat er auch seinen Spitznamen bekommen.«

»Seinen Spitznamen?«

»McCrackensack.«

»Daniels war der Ansicht, er sei der richtige Mann für diesen Job.«

»Dem will ich nicht widersprechen.«

»Sie begreifen nicht, worauf ich hinaus will, Ben. Daniels spricht darüber, mit McCracken ein Treffen zu vereinbaren, und erscheint dann am nächsten Abend im Rock Creek Park, wo er umgebracht wird. Ich habe den Autopsiebericht gelesen, den Sie mir geschickt haben. Er ist nicht sofort gestorben, nicht wahr?«

»Nein, Sir, ist er nicht.«

»Vielleicht wollte er sich dort mit McCracken treffen. Vielleicht hat er lange genug gelebt, um Informationen weiterzugeben, die sich nicht auf dem Tonband befinden. Das würde bedeuten, daß McCracken die Antworten hat, die uns noch fehlen. Und er ist damit nicht zu uns gekommen, weil er nicht weiß, wem er vertrauen kann.«

»Genau wie wir.«

»Finden Sie Blaine McCracken, Ben. Finden Sie ihn schnell.«

Samuelson hatte schon gehen wollen, als der Präsident plötzlich noch einmal das Wort ergriff. »Noch etwas, Ben.«

»Sir?«

»Was halten Sie von meiner Amtsführung? Eine ehrliche Antwort, bitte.«

»Ich möchte nicht auf Ihrem Stuhl sitzen, Mr. President.«

»Das habe ich Sie nicht gefragt.«

Samuelson schluckte heftig. »Ich bin enttäuscht.«

Der Präsident lächelte. »Danke, Ben. Ich auch. Und jetzt sagen Sie mir, warum.«

»Ich glaube, Sie haben zu unpassenden Zeiten die falschen Schlachten geschlagen.«

»Ich habe einige gewonnen, aber noch mehr verloren.«

Samuelson zuckte bestätigend mit den Achseln.

»Aber jetzt stehen wir vor einer Schlacht, die wir gewinnen müssen, nicht wahr? Samuel Jackson Dodd wird nicht bis zum Wahljahr 1996 warten, um den Stuhl zu bekommen, auf dem Sie nicht sitzen möchten.« Im Blick des Präsidenten lag eine Entschlossenheit, die man seit seinem Wahlkampf und den ersten Wochen im Amt nicht mehr gesehen hatte. »Aber ich werde ihm diesen Stuhl nicht überlassen. Wenn er einen Kampf haben will, wird er einen bekommen. Wenn diese Regierung gestürzt wird, fällt das Land mit ihr. Aber nicht während meiner Amtszeit, Ben. Was auch immer es kostet, wir werden ihn aufhalten.«

Und nun, einen Tag später, hielt der Präsident das Foto von Blaine McCracken auf Armeslänge von sich und drückte wieder auf den Abspielknopf. Als die Sätze, auf die er wartete, kamen, drehte er die Lautstärke höher und beugte sich näher an das Gerät heran.

»Sie haben etwas vor, das all das ermöglichen wird, Sir. Etwas das wir nicht in Betracht ziehen, weil wir es nicht können. Und wenn wir nicht herausfinden, was das ist und wie sie es durchziehen wollen, werden wir sie niemals aufhalten können.«

»Aber McCracken kann es  …«

»Es fällt genau in seinen Bereich, Sir.«

»Um Gottes willen, das hoffe ich auch«, sagte der Präsident laut.