Dreizehntes Kapitel

Captain Hollis brauchte eine Weile, um zu begreifen, daß McCracken keine Witze machte.

»Für den Fall, daß Sie es noch nicht bemerkt haben, diese Bombe ist zu groß, um durch ein Fenster zu passen, und es wäre keine gute Idee, auf fünfundzwanzigtausend Fuß Höhe eine Tür zu öffnen.«

Blaine dachte kurz nach. »Gibt es von hier einen Zugang zum Gepäckabteil?«

»Sie stehen darauf«, sagte Judy, die Chefstewardeß.

»Im Boden ist ein Paneel eingelassen, das wir entfernen können«, erklärte Hollis. »Aber wenn Sie mit dem Gedanken spielen, eine der Frachtluken zu öffnen …«

»Keineswegs.«

»Dann …«

»Ich brauche ein Seil oder etwas, das ich als Seil benutzen kann«, fuhr McCracken fort und sah von Hollis zu Judy. »Und allen Wodka, den Sie an Bord haben.«

»Hoffentlich ist Ihnen die Marke Absolut recht«, erwiderte sie.

»Wenn das Zeug hochprozentig ist, komme ich damit klar.«

Blaine erläuterte seinen Plan, während er zusammengebundene Nylon-Sicherheitsgurte von insgesamt zweieinhalb Metern Länge in einer Spüle der Kombüse in drei Litern Wodka einweichte. Er hatte bereits die Maske von einem kleinen Sauerstoffbehälter abgeschnitten, so daß der Sauerstoff wie durch eine geöffnete Düse aus dem Schlauch strömen würde, wenn er den Hahn aufdrehte.

»Augenblick mal«, sagte Hollis, bevor McCracken seine Erklärung beendet hatte, »selbst wenn es funktionieren sollte, werden Sie trotzdem aus dem Flugzeug gesogen und bringen uns zum Absturz.«

»Nicht, wenn ich mich irgendwie an der Außenhülle festbinden kann. Und wenn ich die Öffnung irgendwie wieder versiegeln kann, bevor es zu einem totalen Druckabfall kommt, werden Sie die Maschine unter Kontrolle halten können.«

»Versiegeln? Wie wollen Sie denn ein Loch von sechzig mal sechzig Zentimetern im Flugzeugboden versiegeln?«

Blaine dachte schnell nach. »Es wird natürlich eine Menge Gepäck herumfliegen.«

»Allerdings.«

»Und alle Gepäckstücke werden zu dem Loch gesogen.«

»Und jede Menge auch hindurch.«

»Aber nicht alle.«

Das Gesicht des Captains hellte sich zum erstenmal auf. »Ja! Ja, gottverdammt, das könnte funktionieren!« Dann wurde er wieder ernst. »Aber das hilft Ihnen da unten nicht viel.«

»Durch die gesamte Länge des Gepäckraums führt eine Eisenstange«, warf Judy ein. »Ich habe gesehen, daß die Arbeiter die Koffer daran hinablassen. Sie ist mit der Außenhülle verbunden. Wenn Sie sich daran festbinden, werden sie nicht hinausgesogen.«

McCracken nickte.

»Lassen Sie mir nur etwas Zeit, dieses Ding zu wenden und nach Washington zurückzufliegen«, sagte Hollis. »Auch im besten aller Fälle wird es zu einer Notlandung kommen.«

»Damit kann ich leben, Captain.«

»Ich brauche ein paar Minuten, um alles herzurichten«, sagte McCracken, nachdem sie in den Großraum Washington zurückgekehrt waren.

Unten auf dem Flughafen Nation wurden alle Vorbereitungen für den Notfall getroffen. Im Flugzeug war der dünne Teppich vom Boden der Kombüse abgezogen und das Paneel entfernt worden, das den Einstieg zum Frachtraum bedeckt hatte.

»Es wird Zeit. Ich muß die Passagiere vorbereiten«, nickte Hollis.

Blaine ließ sich durch die Luke hinab. »Eine gute Landung.«

»Wir sehen uns dann unten, auf dem Erdboden.«

Die Bombe war vorsichtig in einen Rucksack verstaut worden, den Blaine auf dem Rücken trug; zuvor hatte man sie in Handtücher gehüllt, um Erschütterungen zu vermeiden. In dem Rucksack befanden sich ebenfalls die zusammengebundenen und in Wodka getränkten Sicherheitsgürtel sowie der umgebaute Sauerstoffbehälter. Ein größerer, tragbarer Sauerstoffbehälter baumelte vor seiner Brust. Die daran befestigte Maske hatte er um seinen Hals gelegt. Um die Hüfte hatte er ein sechs Meter langes Nylonseil geschlungen, das er in einem Notfall-Behälter gefunden hatte. Er wollte sich mit dem Seil an der Stange im Frachtraum festbinden, um nicht aus dem Flugzeug gezerrt zu werden.

Als McCracken sich in den Laderaum hinabließ, umfing ihn kalte Dunkelheit. Die Deckenbeleuchtung spendete nur eine spärliche Helligkeit und warf einen dumpfen Glanz auf das ordentlich verstaute Gepäck. Die Maschine war fast ausgebucht, und daher war das Gepäckabteil ziemlich voll. Als Blaine den Boden erreichte, wurde die Luke über ihm wieder geschlossen.

Er folgte der Stange zum vorderen Teil des Flugzeugs und machte eine freie Stelle auf dem Boden aus. Das Loch, das er in die Alumniumhülle des Flugzeugs brennen mußte, mußte groß genug sein, um die Bombe hindurchzuschaffen, aber nicht so groß, daß man es nicht mehr mit Gepäckstücken verstopfen konnte. Mit dieser Vorgabe im Sinn holte er die alkoholgetränkten Sicherheitsgurte aus dem Rucksack und legte sie vorsichtig zu einem sechzig mal sechzig Zentimeter großen Viereck auf dem Boden des Frachtraums aus, wo sich nur ein Zoll Aluminium zwischen ihm und der Luft befand. Dann erhob er sich wieder und befestigte das Seil, das um seine Hüfte geschlungen war, an der Metallstange.

Das war der schwierigste Teil überhaupt, denn er mußte die Seillänge so bemessen, daß er einerseits nicht hinausgesogen wurde, andererseits aber genug Bewegungsspielraum hatte, um die vor ihm liegende Aufgabe bewältigen zu können. Blaine erzielte den besten Kompromiß, den er erreichen konnte, und holte eine Signalpistole aus seiner Tasche. Er öffnete die Düse, und die hellgelbe Flamme flackerte auf. McCracken richtete sie auf das Viereck der Sicherheitsgurte, und der Alkohol fing augenblicklich Feuer. Flammen züngelten an dem rechteckigen Umriß entlang und schwärzten den Boden.

Diese Flammen allein hätten es kaum geschafft, sich durch die Außenhülle des Airbus zu brennen. Doch er verschaffte ihnen Nahrung mit dem Sauerstoff aus dem tragbaren Tank, den er mitgebracht hatte, und die Hitze der Flammen stieg exponential und fraß sich durch das Aluminium, als wäre es Papier. Jetzt würde alles ganz schnell gehen, und Blaine mußte die Bombe durch die Öffnung werfen, bevor es zum Druckabfall kam. Daher holte er sie aus dem Rucksack und drückte sie mit der linken Hand an seine Brust, während er mit der rechten den Sauerstofftank festhielt. Man hätte den Notbehälter für eine große Dose Haarspray halten können, und da er die Maske abgerissen und die Düse freigelegt hatte, funktionierte der Tank auch so ähnlich.

Während seine Schultern, die Hüften und die Beine an die Stange gebunden waren, beugte Blaine sich vor, um den Sauerstoff so nah wie möglich an die alkoholgespeiste Flamme zu bringen. Dann vergewisserte er sich, daß die Maske, die mit dem größeren Tank vor seiner Brust verbunden war, fest auf seinem Gesicht saß. Er verstärkte den Griff um die Bombe und drückte auf die Düse des kleineren Sauerstofftanks in seiner Hand.

Ein deutlich vernehmbares Puff! erklang, als die Flammen anschwollen und dann weiß aufleuchteten. Sie schnitten sich blitzschnell durch die Außenhaut des Flugzeugs, und vor seinen Augen entstand ein sechzig mal sechzig Zentimeter großes Loch. Der erste Schwall der Außenluft drückte die Flammen zu ihm zurück, und er warf die Bombe auf die Öffnung zu. McCracken befürchtete schon, daß der plötzliche Sog ihm die nötige Zielsicherheit genommen hatte, doch die Bombe glitt genau durch das Loch, das er geschaffen hatte, um zu explodieren, wenn sie die Höhe erreicht hatte, auf die der Zünder eingestellt worden war.

Im nächsten Moment hatte es den Anschein, daß alle Luft aus dem Frachtraum gesogen wurde. Selbst mit dem Sauerstoff, der über die Maske in seine Nase gepumpt wurde, hatte Blaine den Eindruck, etwas hätte in ihn gegriffen und auch ihm den Atem genommen. In seinen Ohren rauschte es, und sein Kopf pochte. Er spürte, daß das Flugzeug schwankte und in der Luft erzitterte, als es mit der Nase zuerst zum Sturzflug ansetzte. Sein Körper schien umgekrempelt zu werden. Er wurde hin und her gezerrt, und der Druckabfall beanspruchte die Sicherheitsgurte, mit denen er an die Stange gefesselt war, bis aufs äußerste.

Das Gefühl beschwor Erinnerungen an den freien Fall bei einem Fallschirmabsprung herauf, aber es mußte sich um einen Sprung durch einen Hindernisparcours handeln, denn McCracken wurde von allen Seiten von fliegenden Gepäckstücken getroffen. Ein Koffer prallte gegen seinen Rücken. Er riß noch gerade rechtzeitig die Arme hoch, um einen ledernen Aktenkoffer abzuwehren, und bückte sich dann, um einer Reisetasche auszuweichen, die genau auf sein Gesicht zuhielt. Er erhaschte ein paar Blicke auf größere Gepäckstücke, die durch das Loch hinausgesogen wurden. Er wußte, daß der Riß, den er geschaffen hatte, sich ausbreiten und bald über die gesamte Hüllenlänge erstrecken würde, wenn das fliegende Gepäck nicht bald das Loch stopfen und damit für einen Druckausgleich sorgen würde.

Weiterhin flog Gepäck herum. Stücke der unterschiedlichsten Form und Größe klemmten kurz in dem Loch fest, wurden dann aber hinausgerissen. Der Druckabfall zerrte McCracken wild hin und her, während er versuchte, sich etwas einfallen zu lassen, wie er das Loch stopfen konnte, bevor es zu spät war. Direkt unter ihm wirbelten Gepäckstücke herum, glitten dann in den strudelähnlichen Luftstrom und schossen hinaus. Es war, als würde Wasser durch einen Abfluß strömen, ohne die geringste Hoffnung, das Leck abdichten zu können.

Blaine fühlte, wie die Nase des Airbus noch tiefer glitt; ihnen blieb viel weniger Zeit, als er gehofft hatte. Diese Erkenntnis brachte ihn dazu, die Arme und Beine von den Fesseln der Sicherheitsgurte zu befreien. Nun nur noch an der Hüfte gesichert, schob McCracken Gepäckstücke vor und stapelte sie auf dem Riß auf, um das Loch zu verschließen. Bei jeder Bewegung rang er nach Luft. Ihm war ganz leicht im Kopf, und er mußte sich zwingen, bei Bewußtsein zu bleiben. Die Schicht der Koffer, die er errichtet hatte, wurde genauso schnell dünner, wie er sie aufbaute, und er schob einfach ein Gepäckstück nach dem anderen ins Zentrum des Mahlstroms. Doch sie hatten eine Chance, solange er dieses Tempo beibehalten und verhindern konnte, daß der Riß größer wurde.

Er bemerkte, daß das Flugzeug sich kurz aufrichtete und dann zu einer unruhigen Notlandung auf dem National Airport ansetzte. Blaine machte verzweifelt mit den Koffern weiter, bis er das Schwirren hörte, mit dem das Landegestell des Airbus ausgefahren wurde. Ihm blieb kaum noch die Zeit, sich behelfsmäßig an die Stange zu binden, dann setzte die Maschine schon zur Landung an. McCracken erwartete, hart durchgeschüttelt zu werden, und konnte es kaum fassen, als Hollis den Airbus sanft und gleitend aufsetzte. Das Flugzeug wurde abgebremst und rollte aus, und im Passagierabteil über ihm erklang Jubel und Applaus.

Der Airbus rollte noch immer, als Blaine die Koffer beiseite zerrte, die er über das Loch geschoben hatte. Ein zerklüfteter Riß erstreckte sich fast zwei Meter in beide Richtungen, und die Öffnung war nun doppelt so groß wie die, die er geschaffen hatte. McCracken glitt durch den Riß hinaus und sah, daß die Notrutschen ausgefahren wurden. Er lief hinüber und half den ersten Passagieren, die auf ihnen hinabglitten, wieder auf die Füße.

Captain Hollis rutschte als letzter hinab.

»Ich würde jederzeit wieder mit Ihnen fliegen«, sagte Blaine, als er ihm aufhalf.

Hollis packte Blaine an den Schultern. »Sie haben sich Ihre Flüge redlich verdient, Mr. McCracken.«

Weitere Rettungsfahrzeuge trafen ein; Sirenen und Blaulichter kündigten ihre Ankunft an. Die Rettungsmannschaften hatten kaum mehr zu tun, als die Passagiere aufzusammeln und zu den wartenden Bussen zu führen.

»Dann tun Sie mir einen Gefallen, Captain«, sagte Blaine, »und erwähnen Sie niemandem gegenüber, daß ich an Bord war.«

Hollis warf einen Blick auf das Loch, durch das Blaine die Bombe geworfen hatte, um sein Flugzeug zu retten. »Das war keine leichte Sache, nicht unter diesen Umständen.«

»Und halten Sie sie hin.«

Hollis betrachtete ausführlich die Prellungen auf Blaines Gesicht, die ihm das Fluggepäck zugefügt hatte. »Ich habe das Gefühl, daß so eine Situation nicht unbedingt neu für Sie ist.«

»Das könnte man sagen.«

»Ich werde tun, was in meiner Macht steht.«

»Captain!« erklang eine neue Stimme.

Hollis drehte sich kurz um, um den Boß der Rettungsmannschaft zu begrüßen. »Jedenfalls werde ich …« begann er, als er sich wieder zu Blaine umdrehte. Er brachte den Satz jedoch nicht zu Ende.

McCracken war verschwunden.