Erstes Kapitel

Clifton Jardine, Direktor der Central Intelligence Agency, sah von der letzten Seite des vor ihm liegenden Berichts hoch.

»Wie viele Kopien gibt es davon, Mr. Daniels?«

»Nur das Original, das sie lesen«, gab Tom Daniels mit hoher und etwas angespannter Stimme zurück. »Ich habe es selbst getippt.«

»Auf Diskette?«

»Mit einer Olivetti. Tut mir leid wegen der Tippfehler.«

Daniels war vierzig Jahre alt und vom College zur Company gegangen. Seit damals hatte er in einer ganzen Reihe von ausländischen Niederlassungen zufriedenstellende Arbeit geleistet, bevor er zurückgerufen worden war, um die bescheidene Stellung des Assistenten eines stellvertretenden Direktors des Geheimdienstes zu übernehmen. Es war eine nominelle Beförderung jener Art, die der Firma es ermöglichte, ihn in der Bürokratie zu begraben, für die er am besten geeignet schien. Er war groß und schlaksig, seine einfachen Anzüge saßen alle gleichermaßen schlecht. Er hatte das Haar gegen die natürlichen Wellen gestriegelt; er trug eine Brille mit Gläsern, deren Tönung sich je nach Helligkeit veränderte, doch sie schienen sich auch in geschlossenen Räumen nie aufzuhellen, verbargen jeden Ausdruck, den seine Augen hätten mitteilen können. Seine Stimme war hoch und piepsig. Clifton Jardine konnte sich nicht erinnern, jemals einem Mann mit weniger Charisma begegnet zu sein. Daniels ließ nicht das geringste Maß an Vertrauen aufkommen, doch der Bericht, den der Direktor nun wieder durchblätterte, sprach für sich selbst.

»Sie werden bemerken, daß der Anhang die genauen Reiserouten der Subjekte enthält, Sir.«

Jardine sah von den Seiten hoch. »Subjekte oder Verdächtige, Mr. Daniels?«

»Ich gehe von letzterem aus.«

Jardine fand die entsprechende Seite des Anhangs und antwortete, während er noch las. »Für solche Männer sind ausgedehnte Reisen nicht ungewöhnlich.«

»Dabei sollte Ihnen auffallen, Sir, daß ein jeder von ihnen im Zeitraum von sechs Monaten die gleichen acht Länder besucht hat. Und die Leute, mit denen sie sich dort trafen …«

»Wie Sie selbst zugeben, sind Sie sich dessen nicht sicher. Keine eindeutigen Beweise.«

»Das wäre auch kaum zu erwarten. Entscheidend ist, daß sie sich ohne jeden Zweifel in diesem Land in den letzten sechs Monaten fünfmal getroffen haben.« Daniels hielt inne. »Mein Bericht enthält die Hintergründe, ihre Dossiers, die Posten, die sie gehabt haben.«

»Die Betonung liegt auf gehabt haben, Mr. Daniels. Die Zeitform wird hier entscheidend.«

»Es hat nie aufgehört, Sir. Es wurde neu definiert, und die Ziele wurden im Untergrund weiter verfolgt.«

»Und plötzlich wird es wieder sichtbar. Warum jetzt, Mr. Daniels?«

»Dodd, Sir. Er war das fehlende Glied in der Gleichung, und das wichtigste.«

»Eine Behauptung, für die es überhaupt keine klaren Beweise gibt.«

»Nein, nur Indizien. Aber sie sind stark, unabweisbar.« Daniels atmete tief ein. »Dodd ist derjenige, der es ihnen letztlich ermöglichen wird, die Sache in Gang zu setzen.«

»Was genau in Gang zu setzen?« hielt ihm der Direktor vor, ohne ihm eine Möglichkeit zur Antwort zu geben. »Ihr Bericht scheint diese Frage zu vermeiden.«

Daniels nahm einen tiefen Atemzug. »Den Umsturz der Regierung der Vereinigten Staaten.«

Ein lähmendes Schweigen legte sich über den Raum. Clifton Jardines Augen glühten über seinen Schreibtisch hinweg, er wirkte plötzlich unsicher.

»Und wozu diese Treffen in anderen Ländern …«

»Es spricht alles dafür, daß die gleichen Ziele rund um den Globus verfolgt werden. Vielleicht reichen ihnen die Vereinigten Staaten nicht mehr aus. Vielleicht haben sie die dramatischen Entwicklungen in anderen Ländern beobachtet und sind daraufhin zurückgekehrt.« Daniels legte eine Pause ein und nahm die Brille ab, um dem Direktor in die Augen zu sehen. »Vielleicht haben sie diese Entwicklungen verursacht.«

»Und Sie sind sicher, daß die von Ihnen aufgestellte Zeittafel zutrifft?«

»Ja, Sir, das bin ich.«

Jardine verdaute diese Information und erhob sich dann, ein klares Signal für Daniels, daß er zu gehen hatte. »Sie haben richtig gehandelt, indem Sie damit zu mir gekommen sind, Mr. Daniels. Wenn die Einsatzgruppe zusammengestellt ist, werde ich dafür sorgen, daß sie in Verbindung mit Ihnen arbeitet.«

Daniels stand auf, ging aber nicht zur Tür.

»Sir, wenn ich noch auf etwas hinweisen dürfte …«

»Bitte.«

»Tatsache ist, daß die in meinem Bericht erwähnten Personen schon länger aktiv sind, länger als jedes Mitglied der Regierung. Wir haben keine Vorstellung davon, wie weit oder tief ihr Einflußbereich sich ausgedehnt hat.«

Jardine zog eine wütende Grimasse. Daß ein Untergebener mit einem nominellen Titel so etwas andeuten konnte, war so gut wie unvorstellbar. »Mr. Daniels, wollen Sie allen Ernstes sagen, daß ich meinen eigenen Leuten nicht vertrauen kann?«

»Ich meine nur, daß eine Operation dieses Umfangs zu viele Leute einbezieht, um sich eines jeden einzelnen sicher sein zu können, und unter diesen Umständen bin ich überzeugt, daß sie mir zustimmen werden, daß wir absolut sicher sein müssen.«

»Sie haben einen Alternativvorschlag, nehme ich an«, gab Jardine mürrisch zurück.

»Je begrenzter wir den Einsatz gestalten, desto eher können wir herausfinden, wie die in meinem Bericht erwähnten Subjekte ihr Ziel zu erreichen versuchen.«

»Wie begrenzt, Mr. Daniels?«

»Ein Mann.«

Jardine ließ die Seiten des Berichts durch seine Finger gleiten. »Ich habe hier keine Namen möglicher Kandidaten gesehen.«

»Weil es nur einen einzigen gibt, der geeignet ist, und ich wollte nicht unbedingt derjenige sein, der ihn anfordert.«

»Von wem reden wir eigentlich, Mr. Daniels?«

»Von Blaine McCracken, Sir.«

Jardines Reaktion bestand darin, daß er sich in seinen Sessel zurückfallen ließ und an den Seitenlehnen festhielt. »Eine seltsame Wahl, wenn man Ihre bisherigen Erfahrungen mit ihm bedenkt.«

»Nicht, wenn man berücksichtigt, daß McCracken entbehrlich, gebrandmarkt und besonders flexibel ist.«

»Flexibel?«

»Sie kennen seinen Hintergrund. Niemand hat härter für sein Land gekämpft wie McCracken. Niemand hat sich öfter in Situationen behauptet, die vergleichbar mit derjenigen sind, der wir uns jetzt ausgesetzt sehen.«

»Ihre Analyse, Mr. Daniels, scheint darauf hinauszulaufen, daß es nichts Vergleichbares gibt.«

»Zugegeben, Sir. McCracken hat seinen Anteil an Verrückten und Psychopathen gehabt, aber niemals so etwas. Es könnte um das Ende der Regierung gehen, wie wir sie in den Vereinigten Staaten kennen. Und es hat bereits begonnen. Die Anzeichen sind da.«

»Sie glauben wirklich, daß sie das in Gang bringen können?«

»Sie glauben, daß sie es können.«

»Das habe ich Sie nicht gefragt.«

»Aber das ist die Antwort, auf die es ankommt. Denn nach allem, was wir wissen, ist ihr Plan völlig aussichtslos. Die Mechanismen, die Ebenen, die eingebauten Schutzfunktionen unserer Regierung – sie wissen darüber ebensoviel wie wir, eher mehr. Das kann nur bedeuten, daß sie einen Weg gefunden haben, das alles zu überwinden.«

»Sie müßten reichlich viel überwinden.«

»Sie haben etwas vor, das all das ermöglichen wird, Sir. Etwas, das wir nicht in Betracht ziehen, weil wir es nicht können. Und wenn wir nicht herausfinden, was das ist und wie sie es durchziehen wollen, werden wir sie niemals aufhalten können.«

»Aber McCracken kann es …«

»Es fällt genau in seinen Bereich, Sir.«

»… weil er besonders flexibel ist.«

»Es könnte schon genügen, wenn er das Wie herausfindet.«

Jardine klopfte mit den Fingern auf das Original von Daniels Bericht. »Wenn man von Ihren bisherigen Beziehungen zu ihm ausgeht … Wie kommen Sie darauf, daß er Ihnen überhaupt zuhören wird!«

»Aus genau diesem Grund, Sir, wird er ein Treffen mit mir nicht ausschlagen können.«

»Sie möchten ihn also selbst führen.«

»Niemand führt Blaine McCracken, Sir. Aber ich möchte als sein Verbindungsmann tätig sein. Wie ich schon sagte, je weniger Leute mit der Sache zu tun haben, desto besser.«

»Er wird Ihnen nicht vertrauen, Mr. Daniels.«

»Darauf zähle ich, Sir. Ich möchte nicht, daß er mir oder einem anderen völlig vertraut. Es wird ausreichen, wenn er von der Sache überzeugt ist.«

Jardine hob den Bericht mit sichtlichem Unbehagen vom Tisch, als könne er sich daran verbrennen. »Ich möchte über jeden Schritt informiert werden«, sagte er schließlich.

»Natürlich, Sir.«

»Sobald Sie McCracken erreichen, möchte ich davon erfahren.«

»Ich verstehe, Sir.«

»Und noch eins, Tom. Hören Sie mit dem Sir auf! Von jetzt an heiße ich für Sie Cliff.« Jardine versuchte ein Lächeln, aber es gelang ihm nicht so recht. »Mit diesem Geheimnis, das wir beide teilen, sollten wir uns wenigstens mit dem Vornamen ansprechen.«