Drittes Kapitel

Unten auf der Florida Avenue sah Cassas auf seine Uhr. Auf der Straße um ihn herum sammelten sich weitere Menschenmassen. Er nahm an, daß am South Beach nichts mehr los war, so daß die dortigen Szenegänger für den Rest der Nacht hierher gewechselt waren. Rote Ampeln bedeuteten nichts für Fahrer, die nach einem Parkplatz oder einem bekannten Gesicht suchten. Niemand ging irgendwohin, und wenn doch, dann nur langsam.

Perfekt.

Cassas zog das drahtlose Telefon aus seiner Tasche. Das war nicht ungewöhnlich im Grove, daher gab es keinen Grund für ihn, es zu verbergen. Er tippte die Ziffern ein und wartete.

»Hier«, grüßte eine Stimme.

»Es ist Zeit«, signalisierte Cassas.

Bevor McCracken sich bewegen konnte, waren fünf Gewehre auf ihn in Anschlag gebracht worden. Reflexe vom Suchscheinwerfer des Hubschraubers huschten über das Gesicht des jungen Alvarez, während er fortfuhr: »Du hältst mich wohl für ganz blöd, Mann? Du glaubst, ich passe nicht auf, wer sich mit mir treffen will?« Er fletschte seine weißen Zähne. »Das ist Miami. Mir gehört diese Stadt.«

»Dann solltest du dich besser um sie kümmern. Bleib zu Hause und mache deine Schulaufgaben, statt Waffen zu verschieben.«

»Echt lustig, Mann.«

»Du könntest dich zum Beispiel auf die Zwischenprüfung vorbereiten.«

»Du bist ein verdammter Komiker.«

»Ich hoffe, du bist kein vorzeitiger Schulabgänger.«

»Ich habe einen Einser-Durchschnitt, weil ich echt was drauf habe«, prahlte der Junge. »Im Ransom.«

»Das muß wohl eine Jugendstrafanstalt sein.«

»Mach nur so weiter, du Arschloch, und ich werde dich vielleicht ganz langsam umbringen lassen.«

»Du spielst außerhalb deiner Liga, Junge.«

Alvarez lehnte sich zurück, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und sah zwischen den fünf Bewaffneten hin und her, die sich über den Balkon verteilt hatten. »Das macht Spaß. Ich bin froh, daß ich dich nach hier oben gelassen habe.«

»Ist das nun deine Unternehmung oder die deines Vaters?«

»Sowohl als auch.«

»So bleibt alles in der Familie.«

»He, Mann, das ist der amerikanische Traum!« Alvarez schüttelte geringschätzig den Kopf. »Und du tauchst hier auf und hoffst, ihn zerstören zu können.«

»Kinder bringen sich mit deinen Waffen gegenseitig um.«

»Ich vertreibe jetzt im ganzen Land. Wir expandieren.«

»Aus diesem Grund bin ich hier.«

Der Junge kicherte. »Du willst mich aufhalten, was?«

Blaine schüttelte den Kopf. »Typen wie du halten sich am Ende immer selber auf. Ich könnte die Entwicklung aber etwas beschleunigen.«

Die Augen des Jungen weiteten sich mit einem Ausdruck des Unglaubens. »Sieh dich doch einmal um, Mann. Ich habe die Waffen. Ich brauche nur mit den Fingern schnippen, und du bist auf der Stelle tot.«

»Deinem Vater würde das nicht gefallen.«

»Dann eben woanders. Macht mich auch nichts aus.«

»Macht mir auch nichts aus«, korrigierte Blaine. »Ich hab' doch schon gesagt, du solltest dich mehr um die Schule kümmern.«

Der Junge fletschte erneut die Zähne. »Das wird dir noch leid tun, Mann, das wird dir noch soooooooo leid tun.«

Ein zweiter Hubschrauber tauchte über ihnen auf und senkte sich direkt auf sie hinab. Zwei der Wachen des jungen Alvarez, die nahe dem Balkongeländer standen, sahen verunsichert zu ihm hoch.

»He«, schoß Alvarez auf Blaine zu, als er bemerkte, daß auch dessen Augen darauf gerichtet waren. »Ich rede mit dir.«

Blaine beobachtete, wie der zweite Hubschrauber sich bis in die unmittelbare Höhe des Balkons des Baja Beach Clubs hinabsenkte. Er warf sich zu Boden.

Rat-tat-tat … rat-tat-tat …

Das Feuer aus den Maschinenpistolen zerfetzte zuerst die Männer am Geländer. Blaine wollte Alvarez zu Boden reißen, doch der Junge schwang zu dem Hubschrauber herum und wurde mit einer Gewehrsalve begrüßt. Die Wucht der Kugeln warf ihn über den Tisch, Blut schoß durch sein Seidenhemd. Einer seiner Leibwächter ging zu Boden, von Kugeln getroffen. Zwei weitere wurden niedergemäht, als sie zu fliehen versuchten.

McCracken kroch zu dem, der ihm am nächsten lag, holte die Neun-Millimeter-Beretta aus seinem Halfter und dazu drei Magazine mit Munition aus seiner Jackentasche. Er kam mit einem Satz auf die Beine und prallte mit den Schultern gegen die Außenwand. Gleichzeitig führte der Hubschrauberpilot seine beste Version einer Blitzlandung in einer gefährlichen Landezone vor und setzte ein halbes Dutzend schwarzgekleideter Bewaffneter auf dem Dach des Big City Fish in der zweiten Etage ab. Der Helikopter ging sofort wieder hoch, während die Bewaffneten sich verteilten und ihre M16-Gewehre auf die Menge in der ersten Etage richteten.

McCracken eröffnete das Feuer. Zwei seiner Kugeln schlugen einen von ihnen zurück. Die Art und Weise, in der er zu Boden ging, ließ eindeutig erkennen, daß er eine kugelsichere Weste trug. Mit Schüssen in die Körpermitte konnte er keinen von ihnen töten.

Die anderen fünf Bewaffneten bewegten sich in Richtung auf den Balkon, und Blaine schaffte es, eine Kugel genau in die Stirn des einen zu plazieren. Er tauchte wieder ab, bevor eine Salve von 7,62-mm-Kugeln über ihn hinwegfegte, und kroch zu dem Durchgang, der zurück in den Baja Beach Club führte.

Im gesamten Cocowalk hatte sich die anfängliche Verwirrung mittlerweile zum Chaos gesteigert. Die Band, die das Konzert gegeben hatte, hörte mitten in einem weiteren Stones-Titel auf zu spielen, und ihre Mitglieder rannten auseinander, um Deckung zu suchen. Der erste Kugelhagel, der nach dem ursprünglichen Plan in die Menge hätte gefeuert werden sollen, hatte sie alle aufgescheucht. Die Vorderfront des Komplexes bot die naheliegendste Möglichkeit, ihn zu verlassen, und Tausende von Eingeschlossenen drängten wie in einer Stampede in diese Richtung, bis der angreifende Helikopter niederging, um ihren Fluchtweg abzuschneiden. Maschinenpistolenfeuer regnete aus dem Innern des Hubschraubers hinab und brachte die Menge im Cocowalk zum Stillstand. Kugeln schlugen in Leiber ein, die auf der Stelle zu Boden gingen.

McCracken erreichte durch das Durcheinander des Baja Beach Club die zweite Etage des Cocowalk, als der feindliche Hubschrauber eben wieder zu einem Aufstieg ansetzte. Das Blutbad, das der Hubschrauber zurückließ, machte ihn krank. Schreie übertönten die letzten Gewehrschüsse aus dem Hubschrauber.

»O Gott«, murmelte er. »Gottverdammt!«

McCracken hielt die Beretta nach oben und versuchte, sich in der Menge so zu drehen, daß er einen Schuß auf einen anderen Gewehrschützen abgeben konnte. Alle fünf waren vom Dach gesprungen und mußten sich jetzt durch das Cocowalk bewegen. Sie waren zweifellos durch die Gegenwart eines Mannes abgelenkt worden, der ihre Pläne in drastischer Weise gestört hatte.

Währenddessen bemühte sich das Dutzend Polizeibeamte, das im Cocowalk Dienst tat, verzweifelt darum, den Anschein von Ordnung aufrechtzuhalten, oder wenigstens die Spur der Bewaffneten durch das Cocowalk zu verfolgen. Da die Beamten mit Funksprechgeräten ausgerüstet waren, würde bald alles an Einsatzkräften auf dem Weg sein, was die Polizei von Miami aufzubringen hatte. Doch Blaine mußte annehmen, daß sie zu weit entfernt waren, um viel zu bewirken, und sie würden es in jedem Fall schwer haben, durch die Menschenmassen zu kommen.

Die Menge, in der McCracken eingeschlossen war, wurde plötzlich in ihrem Drängen zu den Treppen hin aufgehalten. Einer der Schützen war auf der gegenüberliegenden Seite aufgetaucht. Der Polizist, der nahe dem Eingang des Baja Beach Club auf der zweiten Etage seine Position bezogen hatte, drängte verzweifelte Gäste zur Seite, um eine freie Schußlinie zu bekommen. Der Gewehrschütze wartete nicht. Er feuerte einfach in die Menge. Der Polizist ging zu Boden. Die Überlebenden um ihn warfen sich ebenfalls nieder, so daß der sich wieder bewegende Schütze jetzt nicht mehr durch ihre Körper gedeckt wurde.

»Auf den Boden!« schrie Blaine den Leuten um ihn herum zu und feuerte drei Kugeln ab. Die erste schlug gegen die kugelsichere Weste des Schützen und warf ihn rückwärts. Die zweite erwischte ihn direkt unter dem Schlüsselbein, während die dritte ihren Weg in seinen Schädel fand. Der Mann kippte um.

McCracken lief weiter. Er hatte kurze Zeit freie Bahn, als er sich dem Zwischengeschoß näherte, von dem aus man die behelfsmäßige Bühne und den Eingang des Cocowalk übersehen konnte. Gewehrfeuer wurde aus der dritten Etage auf ihn gerichtet, und er hatte keine andere Wahl, als sich über das Geländer und hinab auf die Konzertbühne zu schwingen.

Er traf mit bis zur Brust angezogenen Knien auf der Bühne auf, landete in einem Durcheinander von Drähten und Kabeln. Einer der großen Verstärker kippte um, während ihn der Suchscheinwerfer des zivilen Hubschraubers zufällig traf.

»Verdammt!« krächzte McCracken. Er rollte sich blitzschnell ab, was ihn vor einer Gewehrsalve rettete, die von der B. Dalton-Filiale in der zweiten Etage kam.

Blaine kam hoch und feuerte die Beretta in diese Richtung. Einen tödlichen Treffer konnte er diesmal auf keinen Fall erwarten. Doch vier Schüsse in die Beine des Schützen rissen ihm die Füße weg. Seine Maschinenpistole feuerte noch immer, als er zu Boden ging, und die Kugeln zerschlugen die Schaufenster von B. Dalton und der Läden links und rechts davon.

Sirenen heulten in der Ferne. Doch wegen des dichten Verkehrs, den Blaine auf den Straßen der Umgebung beobachtet hatte, war nicht zu erwarten, daß sie sich rasch näherten. Zusätzlich zu den Autos waren die Straßen überfüllt mit den Leuten, die sich zu ihrem Glück nicht im Cocowalk aufgehalten hatten, und mit jenen, die das noch größere Glück gehabt hatten, aus ihm entkommen zu können. Der Asphaltboden schien nachzugeben unter der Last von so vielen Leuten, die sich gleichzeitig auf ihm drängten. Die Panik verbreitete sich rasch.

McCracken wurde klar, daß der feindliche Hubschrauber seine mörderische Wache über dem Haupteingang vorübergehend aufgegeben hatte, um in seine Richtung zu kurven. Er warf sich hinter einer massiven Pflanzenschale aus Marmor in Deckung. Auftreffende Kugeln rissen Gesteinssplitter aus der Schale. Er hörte weiteres Gewehrfeuer, das keine Marmorsplitter mehr herausriß. Das verriet ihm, daß der Hubschrauber sich wieder den jungen Leuten zugewandt hatte, die jetzt nicht mehr gewaltsam zurückgehalten wurden und sich wieder massiv in Richtung auf die Vorderseite des Cocowalk drängten. Blaine verließ seine Deckung und feuerte auf den Helikopter. Er entleerte den Rest des Magazins und schaffte es, den Hubschrauber wieder in seine Richtung zu locken. Die verbleibenden drei Gewehrschützen konnte er erst einmal vernachlässigen. Der Hubschrauber war jetzt das entscheidende Problem. Er mußte ausgeschaltet werden. Aber nicht mit einer einfachen Neun-Millimeter-Pistole, nicht einmal mit einer Maschinenpistole. Filmszenen, in denen Helikopter mit ein paar gezielten Schüssen aus der Luft geholt werden, sind kaum realistisch. Es gab aber noch andere Möglichkeiten.

Blaines Blicke huschten über die Ausrüstung der Rockmusiker auf der kleinen Bühne, folgten den dicken Koaxialkabeln bis zu dem mutmaßlichen Stromanschluß auf der vierten Etage. Er hatte seine Antwort.

McCracken legte ein neues Magazin in die Beretta und lief zur Treppe. Ihm pfiffen Kugeln von zwei der verbleibenden Gewehrschützen entgegen, die ihm aufgelauert hatten. Er erwiderte das Feuer und zwang sie, in Deckung zu gehen. Einer tauchte wieder auf, als Blaine die zweite Etage erreichte, doch McCrackens blitzschnelle Reflexe bewährten sich wieder einmal. Er feuerte drei gezielte Schüsse ab, während der Gewehrschütze nur wild in die Gegend ballerte. Die ersten Schüsse erwischten den Mann in der rechten Schulter und am Arm. Der dritte zerfetzte seine Kehle.

Blaine rutschte über den glatten Bodenbelag, um einem Feuerstoß auszuweichen, den einer der verbliebenen beiden Gewehrschützen von seiner Position in der dritten Etage abgab. Ohne innezuhalten, entleerte McCracken den Rest seines zweiten Magazins, und der Gewehrschütze fiel tot über das Geländer.

Der Helikopter näherte sich, um ihn erneut anzugreifen. Blaine ging hinter einer Ansammlung von leeren Transportkarren in Deckung, die nahe einer Wand auf der zweiten Etage abgestellt waren. Er hielt seinen Kopf bedeckt, um sich vor umhergeschleuderten Holzsplittern zu schützen, und wartete ab, bis der Hubschrauber wieder zum Eingang des Cocowalk abdrehte, bevor er seine Deckung verließ.

Nur einer der Gewehrschützen befand sich jetzt noch zwischen ihm und dem Punkt auf der vierten Etage, wo die anderen Enden der Stromkabel für das Konzert eingesteckt waren. McCracken überwand rasch die Treppe zur dritten Etage und hatte schon fast die vierte erreicht, als eine Kugel seine Seite streifte. Ein heißer Schmerz durchzuckte ihn, und er schwang herum, um nach dem letzten Gewehrschützen zu sehen. Doch es war derjenige, dem er in die Beine geschossen hatte; er lag knapp fünfzehn Meter von ihm entfernt. Eine Blutspur kennzeichnete die Strecke, über die er sich in seine Richtung gezogen hatte. Der Schütze versuchte, erneut abzudrücken, doch McCracken hatte ihm bereits mit der ersten Kugel des letzten Magazins, das er von Alvarez' toter Leibwache entwendet hatte, einen Kopfschuß verpaßt.

Nachdem er alle seine Gegenspieler bis auf einen außer Gefecht gesetzt hatte, sprintete McCracken auf die vierte Etage, um das Gewirr von Koaxialkabeln zu ihrem Ursprung zu verfolgen. Von diesem Punkt aus hatte er einen klaren Blick auf die Straße. Vier Polizeiwagen hatten es durch das Verkehrschaos geschafft und näherten sich.

Der Helikopter, der zunächst wieder in seine Richtung geschwenkt war, kümmerte sich jetzt um die Streifenwagen. Er nahm das erste Fahrzeug unter so starken Beschuß, daß es den Mayfair Boulevard hinabschlitterte. Der Fahrer hatte jede Kontrolle verloren, und der Wagen knallte durch die Eingangsfront von Johnny Rocket's, einem altmodischen Fünfziger-Jahre-Schuppen, der bis heute damit geprahlt hatte, die besten Hamburger von Miami zu haben. Eine Granate, die von einem Werfer aus dem Hubschrauber abgefeuert wurde, verwandelte das zweite Polizeifahrzeug in eine herumschleudernde Masse aus glühendem Metall, während das dritte auf eine Reihe parkender Autos prallte.

McCracken glaubte, das alles wie Tritte gegen seinen Magen zu verspüren. Er erreichte eine große Anschlußdose, in die die Koaxialkabel eingesteckt waren, und riß eines davon heraus. Er nahm das restliche Stück Kabel auf und zerrte dann ruckartig mit aller Kraft das andere Kabelende aus der ersten Etage hoch. Auf der behelfsmäßigen Bühne flog ein Verstärker um und nahm mit einem typischen Domino-Effekt eine ganze Reihe von Ausrüstungsgegenständen mit. Aus dem ganzen Durcheinander tauchte ein Kabel auf.

Direkt gegenüber von McCracken folgte der feindliche Helikopter einer horizontalen Bahn durch die Luft und nahm zahlreiche Gebäudeteile unter Beschuß. Glas splitterte und fiel auf diejenigen Gäste herab, die noch immer in dem Komplex gefangen waren. Weitere Sirenen heulten auf. McCracken machte einen Polizeihelikopter aus, der mit Höchstgeschwindigkeit auf den Grove zuhielt.

Schepper!

Eine Kugel traf das stählerne Geländer zu seiner Rechten, und McCracken warf sich auf den Boden, wobei er das Kabel unter sich festhielt. Der letzte Schütze rannte auf die Treppe zu und feuerte dabei ohne Unterbrechung mit der M16. Blaine jagte vier Kugeln gegen seine geschützte Körpermitte, und die Wucht reichte aus, den Mann von seiner Maschinenpistole zu trennen und ihn die Treppe hinabsegeln zu lassen, deren Stufen er eben bewältigt hatte. Er schlug gegen die Tür und kroch hinter die nächste Deckung.

McCracken kam wieder auf die Füße und zog den Rest des Kabels hoch. Nachdem er es wie einen Gartenschlauch aufgerollt hatte, wandte er seine Aufmerksamkeit dem feindlichen Hubschrauber zu.

Doch bevor Blaine sich weiter damit beschäftigen konnte, schwang der Polizeihubschrauber sich direkt über die Rückseite des Cocowalk, keine fünfzehn Meter über seinem Kopf. Aus seinem Inneren wurden Schüsse auf den feindlichen Hubschrauber abgegeben, der unschlüssig hin und her schwenkte, bevor er auf seinen Gegenspieler Kurs nahm und beschleunigte. Der Polizeihubschrauber gewann ein wenig an Höhe, der Feind folgte unmittelbar und erwiderte das Feuer aus einer offenen Seitentür.

Die beiden Helikopter stürzten sich wie riesige Raubvögel aufeinander, tauchten ab und wichen aus. Blaine beobachtete, wie der zivile Hubschrauber über den beiden anderen in die Höhe stieg, in der Luft verhielt und den Suchscheinwerfer nach unten schwenkte. Es verwirrte McCracken zunächst, doch dann begriff er schnell, daß der Pilot des zivilen Hubschraubers seinen Kollegen in dem angreifenden Helikopter durch den Strahl zu blenden versuchte. Der Trick zwang den Piloten, der die Gewehrschützen eingeflogen hatte, nach unten abzutauchen und in Richtung auf McCracken zurückzuweichen.

Besser konnte es nicht kommen!

Während Blaine das zusammengerollte Kabel bereitmachte, flog eine weitere Granate aus dem feindlichen Hubschrauber. Sie traf den Polizeihubschrauber direkt in die Seite. Er wirbelte ohne jede Kontrolle dahin und zog eine Spur von schwarzem Rauch hinter sich her. Der Pilot schaffte es, daraus einen unsicheren Abstieg zu entwickeln, der ihm hoffentlich die Zeit ließ, einen Parkplatz oder ein Gebäudedach zu finden, um eine Landung zu versuchen.

Während des Kampfverlaufs hatte Blaine aus den Augenwinkeln wahrgenommen, daß die verbleibenden Gefangenen des Cocowalk die Gelegenheit zur Flucht genutzt hatten. Nun jedoch, da ihn nichts mehr aufhalten konnte, war klar, daß der feindliche Hubschrauber seinen Angriff einfach auf die Straßen fortsetzen würde, die mit ihrem endlosen Meer von Körpern gleichermaßen einladende Ziele boten.

McCracken zog die aufgerollte Kabelmasse hinter sich, um Schwung zu holen. Als er das Kabel warf, drehte der Helikopter sich wieder in seine Richtung. McCracken beobachtete, wie es sich abwickelte, während es sich seinem Ziel näherte. Dann hechtete er unter dem Kugelhagel aus dem Hubschrauber hinweg auf den Boden. Aus dem Augenwinkel sah er, wie ein Teil des Kabels auf dem Hauptdrehflügel aufkam. Im nächsten Augenblick wurde auch der Rest der Kabelschlingen in den Rotor gezogen und wie hinter einem Schleier verborgen. Da die Kontrolle beeinträchtigt war, begann der Hubschrauber zu schwanken und geriet in eine ernsthafte Schräglage nach links. Der Pilot überkompensierte, und der Helikopter kippte fast ganz nach rechts. Er begann sich wild zu drehen, gewann leicht an Höhe, nur um wieder hinabgezogen zu werden, als sich das Koaxialkabel noch enger um den Drehflügel schlang.

Der Pilot kämpfte verzweifelt darum, die Kontrolle zurückzugewinnen. Er versuchte, den Hubschrauber nach oben zu bringen, doch das kippte ihn wieder zur Seite. Der Rotor stotterte, seine Drehung wurde durch die Kabelschlingen abgewürgt. McCracken sah, daß der Hubschrauber auf ein Parkhaus hinter dem Cocowalk zu stürzen drohte, und bedeckte schützend seinen Kopf, bevor er den Aufschlag hörte.

Der Helikopter schlug auf dem Parkhausdach auf und fing Feuer, explodierte aber nicht. Blaines Blicke verweilten nur kurz auf ihm, bevor sie sich wieder auf das zertrümmerte Innere des Einkaufszentrum richteten. Nicht ein Laden oder eine Schaufensterfront waren noch intakt. Glasscherben und Trümmer lagen überall herum, oft auf den Leichen, die die Killer zurückgelassen hatten. Einsatzgruppen der Polizei von Miami drangen gleich einer schwarzen Welle in den Gebäudekomplex ein. McCracken hob seine Hände, um sie in seine Richtung zu dirigieren.

Der letzte Gewehrschütze, mit dem er sich duelliert hatte, tauchte in seinem Sichtfeld auf, als er zu der M16 hechtete, die McCrackens Schüsse ihm entrissen hatten. Die Gestalt hatte ihre schwarze Skimaske verloren, und eine Fülle blonden Haars glitt auf ihre Schultern herab. Eine Frau!

»Nicht!« schrie Blaine hinab, die Beretta wieder in der Hand und auf sie gerichtet.

Die Hand der Frau griff nach der M16, richtete sie aber nicht auf ihn. Durch den Tumult alarmiert, eilten Polizisten mit gezückten Waffen zur vierten Etage.

»Stopp!« schrie eine Stimme.

»Hände in die Luft!« folgte eine andere.

»Geben Sie auf«, rief Blaine der Frau zu. »Es ist vorbei.«

»Nein!« erwiderte sie. »Das ist erst der Anfang. Eine Revolution in den Straßen, die in dieser Nacht anfängt. Wir werden uns dieses Land zurückholen!«

»Wer? Wer seid ihr?«

»Ihr könnt uns nicht aufhalten! Niemand kann uns aufhalten! Ihr werdet sehen, alle werden es sehen!«

»Lassen Sie die Waffe fallen!« schrie einer der Polizisten McCracken an. »Keine Bewegung!«

Drei Polizisten näherten sich der Frau aus verschiedenen Richtungen.

Blaine ließ die Pistole fallen und hob die Hände. »Erschießt sie nicht!« rief er den Beamten zu. »Wir brauchen sie und …«

Die Augen der Frau loderten. Sie brachte die M16 in Anschlag.

»Nein!« schrie Blaine.

Die Kugeln der Polizisten drangen in sie ein, wirbelten die Gestalt der Frau herum und warfen sie zu Boden. Ihre Beine zuckten einmal, dann lag sie reglos da.

McCracken lehnte über dem Geländer. »Verdammt«, murmelte er.

Das Suchlicht des zivilen Hubschraubers erfaßte McCracken mitten in einem ganzen Dutzend von Gewehrläufen, die auf ihn gerichtet waren. Zwei Beamte liefen die Treppenstufen zu ihm hoch.

»Auf den Boden!« befahl einer von ihnen. »Sofort!«

Blaine sah noch einmal zu der Leiche der jungen Frau, dann ging er in die Knie und legte sich flach auf den Bauch. Ein Fuß traf hart gegen seinen Hals. Seine Hände wurden hinter seinem Rücken zusammengedrückt, und Handschellen schnappten zu.

»Falls ihr es noch nicht gemerkt habt«, preßte er aus dem Mundwinkel hervor, der nicht auf die Fliesen gedrückt war, »ich bin auf eurer Seite.«

»Sie sind verhaftet«, sagte die Stimme eines Polizisten.