Fünftes Kapitel

»Ich möchte die Anzahl der Todesopfer wissen«, beharrte McCracken.

Seine Seite schmerzte, wo die Kugel ihn gestreift hatte, und der enge Verband verschlimmerte den pochenden Schmerz noch. Seit fast zwölf Stunden warteten schmerzstillende Mittel in seiner Tasche darauf, von ihm eingenommen zu werden, doch er hatte nicht die geringste Absicht, sie zu schlucken.

»Ich möchte wissen, wie viele Menschen verwundet wurden.«

Captain Roy Martinez stand an der gläsernen Vorderfront seines Büros, als er sprach. »Ich dachte, wir hätten Ihnen genug Höflichkeit entgegengebracht, McCracken, indem wir Sie nicht in eine Zelle gesperrt haben.«

»Wie viele, Captain?«

»Warum ist das so wichtig, daß Sie das wissen?«

»Weil ich dort war.«

»Und vielleicht fühlen Sie sich schuldig. Vielleicht sind Sie zumindest für ein paar verantwortlich.«

»Glauben Sie das wirklich, Captain?«

»Glauben Sie es?«

McCrackens Antwort war ein wissender Blick. Obwohl noch vieles von dem unklar war, was in den frühen Stunden dieses Freitagmorgens im Coconut Grove passiert war, war klar, daß McCrackens Auftauchen die ursprünglichen Absichten der Angreifer ernsthaft gestört hatte. Indem er die Aufmerksamkeit der Schützen auf sich zog und von den Gästen des Cocowalk ablenkte, hatte er zahllose Menschenleben gerettet. Aber es war nicht genug gewesen …

Die Polizei hatte Blaine verhaftet und ihn unter schwerer Bewachung zum Mount-Sinai-Krankenhaus gebracht. Kaum hatte ein Arzt den Verband auf seiner Wunde angebracht, beförderten ihn seine Begleiter rasch zum Polizeihauptquartier, wo eine freie Zelle auf ihn wartete. Er weigerte sich, mit jemand anderem als dem befehlshabenden Beamten zu sprechen, der zu diesem Zeitpunkt vor Ort im Coconut Grove war.

»Siebenunddreißig Tote«, sagte Captain Martinez schließlich. Sie hatten am Vormittag zweimal miteinander gesprochen, aber dies war das erste Mal, daß Martinez ihm eine Information zukommen ließ. »Mehr als dreihundert wurden verwundet. Beide Zahlen werden sich wahrscheinlich erhöhen.«

»Das tun sie immer.«

»Sie haben so etwas also schon erlebt.«

»Was steht in meiner Akte?«

»Da Sie selbst die Freigabe erteilen mußten, bevor sie uns von Washington zugänglich gemacht wurde, bin ich sicher, daß Sie es wissen.«

McCracken erhob sich und stellte sich neben Martinez vor die Glaswand. »Die besten Sachen wurden überwiegend ausgelassen. Glauben Sie mir.«

»Wenn die Hälfte von dem stimmt, was in der Akte steht, möchte ich wissen, was zum Teufel Sie hier in Miami gesucht haben.«

»Darauf kommen wir noch zurück.«

»Und wir werden noch oft darauf zurückkommen.«

»Gewehre waren es, die mich hierher geführt haben, Captain. Dreißig Prozent des illegalen Waffenhandels in diesem Land geht von Südflorida aus, und ich hatte eine Verbindung mit dem größten Verteiler.«

»Alvarez …«

»Vater und Sohn, wie ich gestern nacht erfahren mußte.«

»Der Sohn ist … ich meine, war Carlos. Der Name des Vaters ist Manuel.« Martinez trat zwei Schritte von der Glaswand zurück. »Sehen Sie, es ist nicht so, daß wir hier unten gar keine Ahnung haben, Mr. McCracken. Wir halten nur an dieser kleinen Sache fest, die sich das Prinzip der Verhältnismäßigkeit nennt – und das ist etwas, womit Sie sich meinem Gefühl nach schon lange nicht mehr abgeben.«

»Captain, das mit der Verhältnismäßigkeit war für mich schon vorbei, bevor diese leeren Stellen in meiner Akte auftauchten.«

»Kamen Sie her, um Alvarez umzubringen, Mr. McCracken?«

»Vater oder Sohn?«

»Spielt das eine Rolle?«

»Nun, der Vater verkauft an Erwachsene, der Sohn hat sich auf Jungs in seinem Alter spezialisiert. Nein, ich schätze, es spielt keine Rolle. Aber ich bin nicht hierhergekommen, um einen von ihnen zu töten. Große Ladungen von schweren Feuerwaffen sind durch das Alvarez-Gespann in den letzten Monaten durch Miami bewegt worden. Ich bin hierhergekommen, um herauszufinden, wo das alles gelandet ist und wer es jetzt hat.«

Martinez nickte, als seien seine eigenen Annahmen bestätigt worden. »Dann könnte es vielleicht sein, daß die Männer in diesem Hubschrauber Sie davon abhalten wollten, diese Waffen zu finden.«

»Es ging nicht um mich.«

»Wie können Sie sich da so sicher sein?«

»Wenn das der Fall wäre, hätten sie einfach nicht genug Zeit gehabt, alles für einen so komplizierten Schlag vorzubereiten. Sie müssen die Alvarez-Familie schon eine ganze Weile beobachtet haben. Sie waren hinter dem Jungen her.«

»Und wenn Sie sich doch täuschen, sind Sie vielleicht verantwortlich für diese siebenunddreißig Toten.«

»Und wenn ich mich nicht täusche, wird Manuel Alvarez vielleicht die Nummer achtunddreißig sein, es sei denn, Sie finden ihn zuerst.«

»Sie glauben, daß er das eigentliche Ziel war?«

»Da er und sein Sohn so eng zusammengearbeitet haben, dürften sie beide auf der Liste gestanden haben.«

»Wessen Liste?«

»Einer der Parteien, an die sie verkauft haben. Einer Partei, der es so wichtig ist, ihre weiteren Absichten zu verbergen, daß sie diese schreckliche Geschichte gestern nacht durchgezogen hat.«

»Ich nehme nicht an, daß Sie das beweisen können«, beharrte Martinez.

»Ich glaube, ich kann es, Captain. Waren Sie bis jetzt in der Lage, einen der Attentäter zu identifizieren?«

»Nein, aber es wird uns noch gelingen.«

»Sie haben also Fingerabdrücke von ihnen genommen.«

»Wir warten darauf, daß wir Nachricht aus Washington bekommen.«

»Es wird nichts kommen, Captain. Ihre Fingerabdrücke werden in keiner Datei gespeichert sein, die Ihnen zugänglich ist.«

»Sie sind Experte in diesen Dingen, was?«

»Sie könnten mich unter ähnlichen Umständen ebenfalls nicht identifizieren.«

»Was bedeutet …«

»Was bedeutet, daß die Gruppe, die in der letzten Nacht das Cocowalk angegriffen hat, Teil einer sehr viel größeren Operation ist. Das Alvarez-Gespann mußte beseitigt werden, bevor das eigentliche Geschäft dieser Gruppe beginnen kann.«

»Manuel lebt noch immer.«

»Noch.«

Einige der letzten Worte der Attentäterin schossen ihm durch den Kopf.

»Ihr könnt uns nicht aufhalten! Niemand kann uns aufhalten! Ihr werdet es sehen, alle werden es sehen!«

»Geben Sie mir Abzüge der Fingerabdrücke«, bot Blaine an. »Ich werde sie an jemanden faxen, der an die richtigen Unterlagen herankommt.«

»Und dann werden Sie Ihr Wissen mit mir teilen, nicht wahr?«

»Es gäbe nichts, was Sie mit diesen Informationen anfangen könnten, Captain. Aber ich werde es Ihnen gern sagen, wenn Sie wollen.«

Martinez' angespanntes Gesicht verriet seinen Ärger. Er wollte etwas sagen, als das Telefon auf seinem Schreibtisch klingelte. Er ging hin und griff unwillig nach dem Hörer. »Ich dachte, ich hätte Ihnen gesagt, mich nicht … Oh … Ja, stellen Sie durch.« Martinez drückte den Knopf für eine andere Leitung. »Hier ist Captain Martinez … Ja, ich verstehe … Natürlich … Nein, das ist überhaupt kein Problem … Er ist hier bei mir.«

McCracken trat vor den Schreibtisch und ließ sich von Martinez den Hörer geben.

»Ja?«

»Hier ist Tom Daniels, McCracken«, begrüßte ihn eine hohe Stimme.

»Tut mir leid, ich glaube, Sie haben sich verwählt.«

»Geben Sie auf. Ich habe Sie in der Falle.«

»Sie können also bestimmt veranlassen, daß meine Akte wieder einmal mit einem roten Aufkleber verziert wird.«

»Hören Sie mich erst einmal an.«

»Ich bin ganz Ohr, Daniels.«

»Nicht jetzt. In Washington. Persönlich. Ich habe bei National einen Flug für zwei Uhr nachmittags für Sie unter dem Namen Lord gebucht. Im Four Seasons wartet ein Zimmer auf Sie unter dem Namen Troy.«

Ein Kriminalbeamter kam zu Martinez' Büro und klopfte vorsichtig gegen das Glas. Der Captain ging durch den Raum und öffnete die Tür.

»Das ist eben hereingekommen, Captain«, vernahm Blaine, während der Beamte Martinez ein Blatt Papier überreichte.

»Warum dieser ganze Aufwand?« fragte Blaine in das Telefon.

»Ich möchte, daß niemand mitbekommt, daß Sie in Washington sind«, gab Daniels zurück, »und ich möchte vor allem nicht, daß jemand davon erfährt, daß Sie sich mit mir treffen.«

»Ich weiß noch gar nicht, ob ich einverstanden bin.«

Daniels hielt lange genug inne, um Blaine annehmen zu lassen, daß er aufgegeben hatte. Dann meldete sich seine Stimme wieder, ganz ruhig und überlegt. »Der Angriff in der letzten Nacht war nur der Anfang. Sie wissen das.«

Blaine versuchte zu verbergen, wie sehr sein Interesse geweckt war. »Und Sie wissen, wer dahinter steckt?«

»Ich glaube ja.« Er hielt inne. »Und ich weiß, daß sie aufgehalten werden müssen.«

»Fahren Sie fort, Daniels.«

»Tut mir leid, McCracken. Persönlich. In Washington. Captain Martinez wird Sie zum Flughafen bringen lassen. Melden Sie sich im Four Seasons an und warten Sie auf meinen Anruf.«

McCracken vernahm nur noch ein Klicken im Hörer. Er legte ebenfalls auf.

»In Ihrer Akte stand nicht, daß Sie für die CIA arbeiten«, sagte Martinez, und in seiner Stimme klang plötzlich Zurückhaltung und Respekt mit.

»Weil es nicht der Fall ist. Es ist nur so, daß wir manchmal auf der gleichen Spur sind.«

Martinez zeigte Blaine das Blatt mit der Nachricht, die er erhalten hatte. »Nun, die Spur nach hier unten ist inzwischen eiskalt. Die Küstenwache berichtet soeben, daß sie die Reste einer Yacht gefunden haben, die Manuel Alvarez gehörte. Sie ist mitten auf dem Meer explodiert.« Er schluckte hart. »Ich werde Ihnen Abdrücke dieser Fingerabdrücke besorgen.«

Daniels hatte den Rock Creek Park für ihr Treffen ausgewählt, und McCracken kam genau um zehn Uhr abends, wie sie vereinbart hatten.

Sie wollten sich bei den Picknickplätzen zwischen dichtem Gebüsch treffen, die sich nicht weit vom Carter-Barron-Amphitheater nahe dem Ufer des Flüßchens befanden. McCracken näherte sich aus südlicher Richtung und ging auf einer Brücke über den schmalen Fluß, während Enten durch das ruhige Gewässer planschten. Die Stelle, an der sie sich treffen wollten, lag etwa fünfzehn Meter zu seiner Linken. Eine kleine gelbe Kühlbox sollte auf einer der Sitzbänke stehen. Ihre Abwesenheit hingegen wäre ein Signal dafür, daß das Treffen nicht stattfand.

Die Kühlbox war da. Daniels jedoch nicht. Daniels war nicht der einzige gewesen, mit dem Blaine gesprochen hatte, bevor er Miami verlassen hatte. Er hatte vom Polizeihauptquartier in Miami aus Sal Belamo angerufen.

»Sals Süßwarenladen«, sagte eine Stimme ganz ernsthaft. »Sie haben die Kirsche, ich habe die Sahne.«

»Deine Sahne ist schon ein bißchen abgestanden, Sal.«

»McCrackensack! Ich hatte mich schon gefragt, ob all meine Freunde meine Privatnummer vergessen haben.«

»Verbringst du deine Tage jetzt zu Hause?«

»He, diese Talkshows am Morgen und die Seifenopern am Nachmittag sind bei weitem nicht so beschissen wie das wirkliche Leben. Wenn du mich fragst, Typen wie du und ich können von diesem Scheiß eine ganze Menge lernen.«

Sal Belamo hatte McCracken das Leben gerettet, als sie sich vor acht Jahren zum ersten Mal begegnet waren, und sie hatten seither immer wieder einmal zusammengearbeitet. Belamo war ein Ex-Boxer, der vor allem dadurch berühmt geworden war, daß er zweimal gegen Carlos Monzon verloren hatte. Und er war McCrackens wichtigste Kontaktperson in der Geheimdienst-Szene. Doch seine Mithilfe bei einer Unternehmung McCrackens hatten ihm unbefristete Beurlaubung und ständige Achtung eingetragen. Belamo hatte jedoch noch immer eine Menge Freunde im Apparat, und er war immer bereit, ihm zu helfen.

»Ich müßte dich um einen Gefallen bitten, Sal.«

»Was ist es? Laß mir nur genug Zeit, um den Videorekorder abzuschalten mit der gestrigen Folge von ›Die Jungen und die Geilen‹ … Also, schieß los.«

»Ich faxe dir gleich sechs Paare von Fingerabdrücken, mit denen die lokale Polizei hier in Miami nichts anfangen konnte.«

»Du tankst ein bißchen Sonne, MacSack?«

»Ich habe noch kein bißchen Sonne gesehen, Sal. Sieh mal zu, was du herausfinden kannst.«

»He, wenn du Unterstützung brauchst, zähl auf mich. ›Die Teuren und die Titten‹ könnten warten.«

»Im Augenblick noch nicht, Sal, aber halte dich bereit.«

»Ich warte auf deinen Anruf, Boß.«

Und jetzt, zehn Stunden später, fand McCracken sich zwischen Büschen und Bäumen wieder, während er auf Tom Daniels' Erscheinen wartete. Sie hatten in der Vergangenheit schon mehrmals miteinander zu tun gehabt, doch angenehm war es nie gewesen. Es hatte ein paarmal dazu geführt, daß Daniels bei den Vorgesetzten in der Company Blaines ›Entfernung‹ verlangte, wobei der Bürokrat jedesmal eine Abfuhr erhalten hatte, was seine Feindseligkeit nur noch verstärkt hatte. Das Ergebnis war, daß er nicht den geringsten Grund hatte, Daniels zu vertrauen, aber er hatte die Angst in Daniels' Stimme an diesem Morgen gehört, und dann noch einmal später, als sie das Treffen vereinbarten. Angst war stärker als Feindseligkeit und ließ selbst aus tödlichen Widersachern Verbündete werden.

Blaine öffnete den Reißverschluß seiner Jacke, um leichter an die Neun-Millimeter-SIG-Sauer zu kommen, die er im Halfter darunter trug. Er blieb stehen, aber er war unruhig. Daniels war ein Mann, der alles andere als unpünktlich war.

Es raschelte im Blattwerk hinter ihm. McCracken schwang herum, die Pistole in der Hand.

Nichts.

»Daniels«, rief er leise. »Daniels.«

Er wandte sich erst in die eine Richtung, dann in die andere. Er lehnte sich mit dem Rücken gegen ein dichtes, schulterhohes Gebüsch und bedauerte es, Sal Belamos Angebot nicht angenommen zu haben, der ihm Unterstützung hatte geben wollen.

Er hörte entfernte Geräusche. Waren es Schritte oder Streiche, die ihm der Wind spielte? McCracken wartete ab; seine Schultern drängten das Blattwerk zurück.

Ein knackendes Geräusch und ein tiefes Stöhnen kamen aus dem Gebüsch hinter ihm. McCracken sprang zur Seite, die Pistole im Anschlag.

»Helfen Sie … mir.« Und Tom Daniels fiel ihm entgegen, hauchte sein Leben aus.

»Mein Gott«, stöhnte Daniels und brach zusammen.

Blaine legte ihn vorsichtig auf den Boden und hockte sich neben ihn. Daniels' Bauch war voller Blut. Es mußte aus unmittelbarer Nähe geschehen sein, vermutlich mit einem Messer. Seine Augen brannten vor Schmerz. Aus seinem Mund quoll bereits Blut.

»Mit mir ist es vorbei«, stöhnte Daniels.

McCracken hielt die SIG fest umschlossen und suchte mit den Blicken die Umgebung ab.

»Wer hat Ihnen das angetan, Daniels?«

Daniels versuchte, ihm in die Augen zu sehen, doch sein Blick verlor sich. »Sie müssen sie aufhalten. Sie sind nicht mehr weit …« Er holte Atem. »Es gehört ihnen.«

»Was gehört ihnen?«

»Das Land … Sie … übernehmen es.«

»Wie, Daniels? Wer?«

»Anzeichen, Signale«, sagte Daniels, dessen Gedanken offenbar abschweiften. »Ich brauche Sie, um daraus ein klares Bild zu gewinnen. Das war der Plan.«

»Wie ein klares Bild gewinnen?«

»Operation Gelbe Rose«, keuchte Daniels. »Damit hat es angefangen. Und alles führt dahin zurück.«

»Führt wohin zurück?«

Mit dem nahenden Tod ließen Daniels' Schmerzen etwas nach. Er begann zu zittern.

»Sie machen die Zukunft.« Sein Blick verlor sich erneut. Aus seinem Mund tropfte Blut. »Nicht hier. Niemals hier … Prometheus! Sie können es nicht schaffen ohne Prometheus!«

»Was ist Prometheus?«

»Zehn Tage! Sie haben nur noch zehn Tage!«

McCracken umfaßte Daniels' Oberkörper und zog ihn zu sich hoch. »Sprechen Sie mit mir, Daniels! Sagen Sie es mir!«

Ein Blutschwall schoß aus Daniels' Mund. Seine Augen brachen. Blaine ließ ihn in das Gras zurückgleiten.

Seine Nackenhaare sträubten sich. Die Geräusche von Schritten drangen in sein Bewußtsein; sie näherten sich über die Parkwiese. Daniels' Mörder kamen aus verschiedenen Richtungen. Er konnte nicht sicher sein, wie viele es waren. Aber es reichte.

Und er saß in der Falle.

Die Schützen traten gleichzeitig aus fünf verschiedenen Richtungen in die Lichtung. Sie führten Ingram-Maschinenpistolen mit sich, und zwei von ihnen waren mit M16-Gewehren mit Zielfernrohren bewaffnet, die offenbar dazu hatten dienen sollen, denjenigen auszuschalten, mit dem sich Daniels treffen wollte. Daniels lag mit dem Gesicht nach unten, sonst war weit und breit niemand zu sehen. »Scheiße«, knurrte der Anführer.

Er trat näher zu dem reglos daliegenden, blutverschmierten Körper, wartete mißtrauisch auf die geringste Bewegung, suchte aber auch gleichzeitig die umgebenden Büsche und Bäume ab. Das Telefunken-Lauschgerät für größere Entfernungen, das jetzt von seinem Hals baumelte, hatte es ihm nicht nur erlaubt, Daniels zu finden, sondern auch eine andere Stimme an seine Ohren getragen, die nur von dem Mann stammen konnte, mit dem Daniels sich hier hatte treffen wollen. Wo war dieser jetzt? Der Anführer erreichte Daniels, warf gleichzeitig lauernde Blicke um sich. Er beugte sich über ihn.

Eine Pistole kam hoch und explodierte vor seinen Augen.

McCracken hatte sich Daniels' blutgetränkte Anzugjacke übergezogen, nachdem er den Toten in die Büsche gezogen hatte. Er hatte kaum Zeit, sich selbst wieder in das Gras zu werfen, dann hatten die Killer die Lichtung schon erreicht.

Die Männer hatten genauso reagiert, wie er es erwartet hatte. Blaine hatte die Augen auf den Boden gerichtet, bis ihr Anführer anhielt und ein Luftzug ihm verriet, daß er sich über ihn beugte. Dann wirbelte McCracken herum und drückte ab.

Die ersten drei waren leicht gewesen, sie erholten sich nicht rechtzeitig von ihrer Überraschung. Der vierte erreichte seinen Abzug, bevor Blaine ihm eine Kugel in das Gesicht jagte, und der fünfte feuerte tatsächlich eine ungezielte Salve ab, bevor ein paar Kugeln aus der SIG in seine Brust trafen.

McCracken sprang wieder auf die Füße und lief auf den nächsten Ausgang zu, da er nicht wußte, ob noch weitere Killer im Park lauerten und vielleicht durch die Schüsse angelockt worden waren. Durch den vollen Mond war er für Profikiller eine genauso leichte Zielscheibe wie am hellichten Tag.

Nachdem er den Park verlassen hatte, ging er noch ein paar Blocks weiter, um sich zu vergewissern, daß er nicht verfolgt wurde, bevor er ein unauffälliges Auto am Straßenrand kurzschloß. Sein unmittelbares Ziel war es einfach, die Gegend zu verlassen. Darüber hinaus war ihm das Wissen um eine Verschwörung in den Schoß gefallen, für deren Aufdeckung Daniels den Tod gefunden hatte.

»Das Land … Sie … übernehmen es.«

Operation Gelbe Rose.

Prometheus.

Das waren Ausgangspunkte.

»Zehn Tage! Sie haben nur noch zehn Tage!«

McCracken ließ den Motor des gestohlenen Wagens an und fuhr davon.

Clifton Jardine, Direktor der CIA, legte den Hörer auf und rieb sich die Augen. Die Nachricht, daß Tom Daniels' Leiche im Rock Creek Park gefunden worden war, hatte ihn ziemlich mitgenommen, weil der Mord Daniels' unglaubliche Schlußfolgerungen zu bestätigen schien. Aber die Verschwörung, die er aufgedeckt hatte, konnte noch immer aufgehalten werde, wenn die richtigen Leute von der Tatsache dieser Verschwörung überzeugt werden konnten. Das Telefon auf dem Schreibtisch im Arbeitszimmer des unteren Stockwerks läutete, und er hob den Hörer ans Ohr.

»Ja … Nein, ich möchte nicht, daß Sie den Präsidenten wecken. Ich möchte ihn nur als allererstes morgen früh sprechen, wenn möglich vor dem Frühstück … Ja, ich weiß, wie spät es ist … Ja, ich weiß, daß sein Terminplan feststeht. Es ist unerläßlich, daß Sie ihn ändern … Das ist richtig, nur er und ich … Nein, ich kann es Ihnen nicht sagen … Das kann ich Ihnen ebenfalls nicht sagen … Gut. Ich werde pünktlich sein.«

Jardine legte auf und hörte das leise Geräusch, mit dem die Flügeltüren geöffnet wurden, die von der Terrasse ins Haus führten. Er schwang mit seinem Ledersessel herum, um von einem Schwall kühler Luft begrüßt zu werden.

»Ach, Sie sind es. Wurde auch Zeit.«

Die Türen schlossen sich wieder. Der Luftzug ließ nach. Der Mann, der eingetreten war, kam auf ihn zu.

Jardine wies auf das Telefon. »Das war der diensthabende Offizier im Weißen Haus. Morgen früh um sieben Uhr, Gott möge uns beistehen. Wissen Sie, ich habe ihm nicht geglaubt. Jedenfalls nicht, bis …«

Der Mann war stehen geblieben. Jardine sah die Waffe in seiner Hand. »Mein Gott …«

Der Mann ließ ihm nicht die Zeit, mehr zu sagen. Zwei schallgedämpfte Schüsse ließen Clifton Jardine zu Boden gleiten.

Die Flügeltüren öffneten sich erneut, und der Mann verschwand in der Dunkelheit.