Siebenundzwanzigstes Kapitel

Hundemüde kehrte Sheriff Duncan Farlowe am Dienstagnachmittag in das Rathaus von Grand Mesa zurück. Alle Knochen taten ihm weh. Seit Kristen Kurcell am Samstagabend abgereist war, hatte er kaum geschlafen; die letzten drei Nächte hatte er, mit schwarzem Kaffee im Magen und einem Gewehr in der Hand, auf einem alten Schaukelstuhl verbracht, den er gegenüber der Tür so postiert hatte, daß er auf beiden Seiten des Hauses aus den Fenstern sehen konnte.

Er hatte den Sonntag und Montag damit verbracht, die Spur von Kristens Bruder David zurückzuverfolgen. Farlowe hatte in dem Laden in dem einhundertfünfzig Kilometer entfernten Alfona angefangen, in dem der Junge den Camcorder erstanden hatte. Der Verkäufer erinnerte sich daran, daß er es eilig gehabt und aus dem Stegreif Fragen über alle in der Nähe gelegenen Militärbasen gestellt hatte. Der Verkäufer hatte Miravo erwähnt, aber betont, daß die Anlage vor zwei Jahren geschlossen worden war.

Farlowe vermutete, daß der Junge ein paar Lastwagen gesehen haben mußte, die zu der Anlage fuhren, und dann auf einen gewartet hatte, dem er folgen konnte. Der nächste Konvoi mußte am Donnerstagabend durchgefahren sein und David nach Miravo geführt haben. Danach konnte Farlowe nur noch mit Sicherheit sagen, daß der Junge im letzten Motel gelandet war, das in Grand Mesa noch geöffnet hatte. Er hatte das Zimmer und den Jeep des Jungen noch einmal gründlich durchsucht, in der Hoffnung, David könne das Videoband, das er aufgenommen hatte, dort versteckt haben, aber die Suche war ergebnislos verlaufen. Am Montag hatte er die Telefongesellschaft AT & T angerufen und erfahren, daß in der Woche vor Davids Tod das einzige Telefongespräch, das über die Kreditkarte des Jungen abgebucht worden war, das mit seiner Schwester gewesen war. Eine weitere Sackgasse.

Nun blieb Duncan Farlowe nur noch übrig, dem nachzugehen, was David Kurcell in der Air-Force-Basis Miravo gesehen hatte. Der Sheriff war am vergangenen Nachmittag noch einmal dorthin zurückgekehrt und hatte eine wiedereröffnete Basis vorgefunden, in der man das Spinngewebe weggewischt hatte und es vor Aktivitäten nur so wimmelte.

Farlowe hatte seinen Wagen auf der Old Canyon Road gewendet, bevor – so hoffte er zumindest – die Wachen vor dem Tor ihn bemerkt hatten. Wer auch immer sich nun in der Basis aufhielt, er war an dem Mordversuch gegen ihn und Kristen Kurcell am vergangenen Samstag beteiligt gewesen. Dank der alten Minen und des Peacemakers hatte der Feind vielleicht sechs Leute verloren, und Duncan wollte ihm nicht die Gelegenheit geben, die Punktzahl wieder auszugleichen.

Nachdem Farlowe in die Stadt zurückgekehrt war, hatte er versucht, Kristen Kurcell unter der Nummer zu erreichen, die sie ihm gegeben hatte, doch es hatte sich niemand gemeldet. Die Nacht hatte Farlowe wieder auf seinem Schaukelstuhl verbracht, erneut mit einer Kanne schwarzen Kaffees neben sich und dem Peacemaker in seinem Gürtel, falls er mit der Büchse allein nicht auskommen sollte.

Am Dienstagmorgen war er wieder zu Miravo zurückgekehrt und hatte in denselben Hügeln wie David Kurcell einen Beobachtungsposten bezogen. Allerdings hatte er keine Kamera dabei, sondern mußte sich lediglich auf seine Augen verlassen. Er konnte nicht genau sagen, was in der Anlage vor sich ging, wußte aber mit einiger Sicherheit, daß es nichts mit der SAC zu tun hatte. Zum einen gehörten die Truppen in dem Gebäudekomplex zur Army und nicht zur Luftwaffe; zumindest sahen sie so aus. Er war in die Stadt zurückgekehrt, um in Ruhe über die Sache nachdenken zu können, entschlossen, seine Entdeckung irgend jemandem mitzuteilen. Dem FBI vielleicht oder der Staatspolizei. Er wollte sich an seinen Schreibtisch setzen, sich ein paar Notizen machen und dann einige Anrufe tätigen.

Die Explosion, die kaum eine Minute erfolgte, nachdem er das Gebäude betreten hatte, verschlang die gesamte Stadtverwaltung mit einem gewaltigen Feuerball. Die Druckwelle der Detonation zerstörte die meisten Fenster an der Main Street. Die Holzwände der benachbarten Häuser wurden mit schwarz verkohlten Flecken überzogen, von denen Rauch in die Luft quoll. Die Straße wurde mit Trümmern überschüttet, die die Explosion hochgeschleudert hatte, darunter auch das Schild mit der Aufschrift STADTVERWALTUNG, das irgendwie erhalten geblieben war. Eine altmodische Sirene jaulte auf, um die Freiwillige Feuerwehr herbeizurufen.

In der Deckung einiger Häuser, die sich ein gutes Stück von seinem ehemaligen Büro entfernt befanden, beobachtete Sheriff Duncan Farlowe, wie der zwanzig Jahre alte Feuerwehrwagen herangerast kam und mit kreischenden Reifen stehenblieb. Er war eher wütend denn verängstigt und mußte sich im Zaum halten, um nicht zu den beiden Männern zu gehen, die er zuvor in einem an der Main Street geparkten Leihwagen gesehen hatte, und ihnen mit dem Peacemaker das Lebenslicht auszupusten. Er hatte das Rathaus betreten und war dann sofort zum Hintereingang hinausgestürmt, in der Hoffnung, daß sein Instinkt ihn trog.

Er hatte ihn natürlich nicht getrogen, und nun war es an der Zeit, sich in die Hügel zu begeben. Buchstäblich. Ihm gehörte eine Hütte in den Bergen, in der Nähe eines Wintersportzentrums, das zu dieser Jahreszeit geschlossen hatte. Dort konnte er über einen Kurzwellensender und ein Telefon Verbindung mit der Außenwelt halten. Er würde sich eine Weile verkriechen und überlegen, was er tun und wen er anrufen konnte und was, zum Teufel –, überhaupt gespielt wurde.