Achtundzwanzigstes Kapitel

»Bist du sicher, daß wir hier richtig sind, Sal?« fragte McCracken, als Belamo am Ende einer schmalen Gasse anhielt.

»Absolut verdammt sicher, Boß«, erwiderte Belamo. »Habe es selbst überprüft, bevor ich mich mit dir getroffen habe. Ich bin Bill Carlisles Spur bis hierher gefolgt und in einer Sackgasse gelandet. Buchstäblich.«

Die Gasse zweigte von der Good Hope Street ab, einer Durchgangsstraße im heruntergekommenen Washingtoner Viertel Anacostia, direkt hinter der Brücke, über die die 11 Street führte. Sie gingen das letzte Stück des Weges zu Fuß durch die Nacht und kamen an einigen dunklen Gestalten vorbei, die in Grüppchen zusammenstanden. Normale Außenstehende wären augenblicklich angemacht worden. Doch Johnny Wareagle, der die Nachhut der kleinen Gruppe bildete, hielt die Penner davon ab, mehr als nur einige Blicke und drohende Bemerkungen zu riskieren.

McCracken ging voran zum schmalen Ende der Sackgasse. Belamo war es gelungen, den letzten bekannten Wohnort von William Carlisle aufzuspüren, des ehemaligen Mitglieds der Trilateralen Kommission und Vorsitzenden seines geheimnisvollen Unterausschusses. Der Mann hatte in einem Verschlag aus Holzkisten am Ende der Gasse gehaust. McCracken vermutete, daß Carlisle vielleicht der einzige Mensch auf Erden war, der ihnen die noch fehlenden Puzzleteile der Verschwörung, die er aufgedeckt hatte, enthüllen konnte.

Sie waren direkt von New Mexico hierher gefahren, ständig in der Besorgnis, daß die Mächte, die hinter der Sandburg Eins steckten, versuchen würden, sie aufzuspüren. Sie hatten mehrere Umwege gemacht, häufig die Fahrzeuge gewechselt und ihre Verpflegung in großen Supermärkten gekauft. Sie waren am Dienstagabend um kurz nach zehn im Washingtoner Stadtteil Anacostia eingetroffen und hatten den Wagen auf einem Schrottplatz an der Good Hope Street abgestellt, drei Häuserblocks von der Gasse entfernt, damit er nicht vorzeitig gefunden werden konnte.

»Er ist nicht da«, sagte Sal, als McCracken den Kopf in eine der Kisten steckte, während Kristen Kurcell über seine Schulter spähte.

»Damit habe ich auch nicht gerechnet«, erwiderte Blaine. »Ich vermute sogar, daß er kaum jemals hier war.«

»Sprich Klartext, Boß.«

»Erst, wenn ich mir ganz sicher bin. Entschuldigen Sie mich«, sagte Blaine zu Kristen und trat von der Kiste zurück.

Er schaute kurz zum Kopf der Gasse hinüber, wo Johnny Wareagle Wache hielt. Dann steckte er Kopf und Schulter durch die Öffnung von Carlisles zweiter Kiste, stöberte in den zerknitterten Zeitungen herum, die als Schlafunterlage dienten, und tastete den Boden ab.

»Vielleicht habe ich mich auch geirrt«, sagte Blaine und kam wieder heraus.

»Wenn du mich fragst, hier verschwenden wir nur unsere Zeit«, sagte Sal.

»Augenblick mal.« McCracken ging zu einem uralten Toilettenhäuschen, das neben einem abbruchreifen Gebäude stand. Er griff nach der verrosteten Klinke.

»Wenn ich du wäre, würde ich da nicht reingehen, Boß … Scheiße«, fügte Belamo hinzu, als er sah, daß Blaine die Tür trotz seiner Proteste öffnete.

»Ganz genau«, sagte McCracken, als ihm der Gestank in die Nase stieg.

Blaine drückte gegen die Wände, um festzustellen, ob sie vielleicht nachgaben. Er wollte schon Johnny herbeirufen, damit er ihm half, das verrostete Toilettenhäuschen zur Seite zu schieben, als er spürte, daß der Boden sich unter seiner Berührung leicht bewegte.

»Hilf mir mal, Sal.«

»Es gibt für alles Grenzen, Boß.«

»Keine Angst, du machst dir schon nicht die Hände schmutzig. Halt nur mal den Rahmen hier fest. Ja, genau so.«

Unter Kristen Kurcells aufmerksamen Blicken zerrte McCracken den Boden des Toilettenhäuschens ein Stück hoch und schob eine Hand darunter. Ein kräftiger Ruck, und der Boden löste sich. Er schob die Platte zurück.

»Verdammte Scheiße!« sagte Sal erstaunt.

»Du hast schon wieder den Nagel auf den Kopf getroffen«, sagte Blaine, während er in ein dunkles Loch hinabsah, das in die Kanalisation von Washington führte.

Als Blaine von der letzten Sprosse der Leiter hinabsprang, wurde ihm klar, daß er sich wohl eher in einem aufgegebenen Abschnitt der Metro befand, des U-Bahn-Systems der Stadt. Kristen Kurcell folgte ihm langsam, aber dennoch entschlossen, ihn zu begleiten. Sal Belamo freute sich, mit Johnny Wareagle oben bleiben und Wache halten zu können.

Kristens Fuß berührte den finsteren Boden. »Danke, daß ich mitkommen durfte. Ich meine es ernst. Ich weiß, Ihnen allen wäre es lieber gewesen, mich unterwegs irgendwo abzusetzen.«

»Dann gäbe es jetzt niemanden, der diesen köstlichen Geruch mit mir teilt.«

»Ich meine es wirklich ernst.«

»Ich habe es auch ernst gemeint, als ich Sie gefragt habe, ob sie mich begleiten wollen.«

»Ich dachte, Sie würden Sal mitnehmen, und war schon bereit, Ihnen ordentlich einzuheizen.«

»Diese Sache hat nichts mit Sal zu tun, also habe ich Ihnen die Mühe erspart. Es geht um Sie, Kris. Sie kamen ins Spiel, als Ihr Bruder umgebracht wurde. Damals hatten Sie keine Wahl. Jetzt haben Sie eine verdient.«

Bevor sie antworten konnte, hatte Blaine sich umgedreht und in Bewegung gesetzt.

Der Gang, in dem sie sich befanden, änderte immer wieder die Richtung; Blaine kam sich fast wie in einem Labyrinth vor. An manchen Stellen stand das Wasser so hoch, daß es ihre Schuhe bedeckte. An anderen war der Betonboden knochentrocken, und das Klicken ihrer Absätze warf laute Echos. Ihr Weg wurde von Glühbirnen erhellt, die an einer Schnur an der Decke baumelten. Seltsamerweise war keine einzige der Birnen durchgebrannt. Gelegentlich ließ ein lautes Rumpeln die Wände erzittern, ein Indiz dafür, daß ein regulärer U-Bahn-Tunnel nicht weit entfernt sein konnte.

Je tiefer sie in den Tunnel vordrangen, desto schwächer wurde der scheußliche Gestank der Kanalisation, und schließlich verschwand er ganz. Das Poltern ließ ebenfalls nach, wodurch es ihnen plötzlich möglich war, ein schwaches Summen von Stimmen zu vernehmen. Kristen erstarrte. McCracken nicht. Sie sah ihn an.

»Die Stimmen. Sie haben Sie erkannt«, sagte sie, obwohl sie ursprünglich eine Frage hatte stellen wollen.

»Hören Sie zu, und Sie werden sie auch erkennen.«

McCracken war bereits weitergegangen, und Kristen beeilte sich, zu ihm aufzuschließen. Nach weiteren zwanzig Metern wurde die Luft plötzlich kühl, fast frisch, als hätte man ihr die überschüssige Feuchtigkeit entzogen.

»Eine Klimaanlage und Luftfilter«, erklärte Blaine.

»Sie haben damit gerechnet.«

»Wir sind fast da«, sagte er.

»Wo sind wir fast?«

Nach weiteren zehn Metern veränderte sich die Beleuchtung auf dramatische Art und Weise. Unmittelbar vor ihnen tauchte wie ein Leuchtfeuer ein heller Fleck in der Dunkelheit auf: zuerst ein schwacher Schimmer, aus dem aber schnell ein vielschichtiges Strahlen anscheinend am Ende des Tunnels wurde.

Dort befand sich eine schmale Türöffnung. Die gedämpften Stimmen, die sie gehört hatten, kamen aus dem dahinterliegenden Raum. Kristen folgte McCracken durch die Türöffnung, und als sie sah, was vor ihnen lag, klaffte ihr Mund in ungläubigem Erstaunen auf.

Eine gewaltige Höhle, bei der es sich vielleicht um ein Sammelbecken der Kanalisation gehandelt haben mochte, bevor sie dann wegen der U-Bahn-Schächte aufgegeben werden mußte, war zu einem luxuriösen Wohnraum umgebaut worden. Er bestand aus zwei gleichermaßen vorzüglich eingerichteten Ebenen, die von einer Wendeltreppe verbunden wurden. In der unteren Ebene standen zwei identische Chesterfield-Sofas auf einem üppigen Perserteppich. Ein antiker Régence-Stuhl stand vor einem eleganten Sekretär, der ebenfalls auf einem Orientteppich ruhte. Hinter dem Schreibtisch brannte in einem Kamin ein gasbetriebenes Feuer, das in dem klimaregulierten Raum allerdings eher für Atmosphäre denn für Wärme sorgen sollte. Die Wände waren von Regalreihen mit unzähligen Büchern bedeckt, die verhinderten, daß man den nackten Beton sehen konnte, und Türen führten – so vermuteten Blaine und Kristen zumindest – zu weiteren Räumen. Eine unbezahlbare Standuhr aus der Epoche George III. beherrschte die Wand gegenüber vom Kamin, und auf einem offenen Sims konnte man eine Sammlung von Waterford-Kristall bewundern.

Die obere Etage, bei der es sich eigentlich eher um eine offene Galerie handelte, wurde von schweren Pfosten und Balken getragen. Ein Teil eines großen Himmelbetts war zu sehen, und in weiteren Regalen standen Bücher dicht an dicht, viele davon in Leder eingebunden. Ihr angenehmer Geruch trieb durch die gesamte Höhle. An einigen leeren Stellen an den Wänden hingen Gemälde von französische Impressionisten, zu denen sich Statuen und weitere Kunstobjekte in einem orientalischen Stil gesellten.

»Hier ist CNN.«

Die bekannte Stimme und danach einsetzende Erkennungsmelodie lockte Kristens Aufmerksamkeit zu einer Nische links von den Chesterfield-Sofas. Sie bemerkte, daß auch McCracken in diese Richtung sah, in der sie das leicht zu identifizierende Leuchten eines Fernsehschirms mit überdimensional großem Bildschirm ausmachte.

Dem plötzlichen Geräusch einer Wasserspülung auf der Galerie folgte ein Klicken, mit dem eine Tür zugezogen wurde, und dann erschien ein Mann in dem großen Schlafzimmer. »Ah, Gäste«, stellte H. William Carlisle fest, als er, eine Zeitung unter den Arm geklemmt, zum Kopf der Wendeltreppe trat. »Hätte ich gewußt, daß Sie kommen, hätte ich mich noch schnell umgezogen.«

Statt der zerfetzten Lumpen, die das ehemalige Mitglied der Trilateralen Kommission am Samstag im Lafayette Park getragen hatte, war Carlisle nun mit einer altmodischen Smokingjacke und plissierten Hosen bekleidet. Seine Hausschuhe waren weich und gepolstert. Er war glattrasiert und absolut sauber.

»Sie sehen viel besser aus als bei unserer letzten Begegnung«, stellt McCracken fest.

»Die Verkleidung ermöglicht es mir, mich oben ungezwungen zu bewegen und unter die Leute zu mischen. Einfach unbezahlbar.«

»Ich habe das Gefühl, daß Sie seit dem Gespräch mit mir nicht mehr draußen gewesen sind.«

»Wenn Sie mich finden konnten, ist das auch anderen möglich. Nicht die beste Zeit, um sich sehen zu lassen, meinen Sie nicht auch?«

Blaine trat langsam vor und sah sich in dem Raum um, der ihm wie eine Mischung aus dem Schlupfwinkel des Phantoms der Oper und Kapitän Nemos Räumlichkeiten an Bord des U-Boots Nautilus vorkam. »Ich gratuliere Ihnen zu diesem beeindruckenden Versteck.«

»Ich ziehe den Ausdruck Alterssitz vor. Aber wie dem auch sei, glauben Sie mir, es war keine leichte Aufgabe.«

»Wie ist es Ihnen gelungen, diese Einrichtung herzuschaffen?«

»Mit Hilfe zweier fingierter Einbrüche in mein Haus, einer vor meinem Verschwinden und einer danach. Aber leider stand ich vor demselben Problem, mit dem sich alle neuen Hausbesitzer auseinandersetzen müssen: viel zu viele leere Räume.«

Auf halbem Weg die Wendeltreppe hinab schien Carlisle zum erstenmal Kristen zu bemerken. »Ich hatte noch nicht das Vergnügen, Ihre Bekanntschaft zu machen, Miss. H. William Carlisle«, sagte er und verbeugte sich leicht.

»Sie sind Billy the Kid«, erwiderte Kristen, anstatt sich vorzustellen.

»Wie ich sehe, haben Sie von mir gehört.«

»Ich habe Sie studiert.«

Carlisle erreichte den Fuß der Treppe und blieb stehen. »Und genau darauf, mein liebes Fräulein, bin ich reduziert worden: auf Unterrichtsstoff an der Universität.«

»Nicht unbedingt«, widersprach Blaine.

»Ich habe Ihnen ein Stück Geschichte geboten, Mr. McCracken.«

»Zeitgeschichte, Mr. Carlisle, denn Ihr Unterausschuß ist immer noch aktiv.«

»Ich habe mich auf die Operation Gelbe Rose bezogen.«

»Ich auch. Sie haben behauptet, Ihr Unterausschuß wäre bei Ihrem Ausstieg im Jahr 1978 aufgelöst worden. Aber die Akten in dem Schließfach in dem Busbahnhof gingen bis zum Jahre 1980 weiter.«

Carlisle stand steif und ausdruckslos vor Blaine.

»Sie haben gewußt, daß der Unterausschuß noch aktiv ist«, fuhr McCracken fort. »Sie haben gewußt, daß er damals noch aktiv war, und Sie wissen, daß er bis zum heutigen Tag aktiv ist. Ich gehe jede Wette ein, daß Sie von Anfang an wußten, was seine Mitglieder beabsichtigten. Und obwohl Sie nicht mehr dazugehörten, haben Sie mich in die falsche Richtung geschickt.«

Ein ironisches Lächeln legte sich auf Carlisles Gesicht. »Weil ein Teil von mir sehen wollte, ob Sie einen so großen und ruhmreichen Plan tatsächlich durchziehen können. Ein primitiver und kindlicher Plan, das will ich gern eingestehen, aber ich war am Anfang dabei, als unsere Diskussionen das Schicksal ausbrüteten, das nun wahrscheinlich über dieses Land kommen wird.«

»Warum haben Sie mir dann überhaupt etwas gesagt?«

»Weil derselbe kindliche Teil von mir ehrlich glaubt, daß ihr Plan die einzige Hoffnung ist, die diesem Land noch bleibt. Unser Gespräch im Lafayette Park hat die ganze Aufregung wieder aufleben lassen und in mir die Sehnsucht erweckt, wieder dazuzugehören. Bis zu diesem Augenblick war mir nicht klar gewesen, wie nah sie ihrem Ziel gekommen sind. Ich hatte natürlich so meine Vermutungen, aber Sie haben sie bestätigt.«

»Sie scheinen sehr stolz zu sein«, warf Kristen verbittert ein.

»Vielleicht bereue ich, daß ich damals ausgestiegen bin.«

»Sie müssen Ihre Gründe dafür gehabt haben«, fuhr Blaine fort. »Und es müssen sehr gute Gründe gewesen sein.«

Carlisle wandte sich sowohl von Blaine als auch von der Frage ab und ging steifen Schrittes zum Kamin. McCracken trat neben ihn, und die beiden sahen in die ohne das geringste Flackern brennenden Flammen. Carlisle rieb seine Hände aneinander, als sei ihm plötzlich kalt.

»Ich bin ausgestiegen, Mr. McCracken, weil ich nicht mehr ertragen konnte, was nach dem Hinscheiden der Gelben Rose aus unserem Unterausschuß geworden war. Die Trilateristen selbst hielten die Operation nämlich für eine überflüssige Ablenkung. 1976 hatten sie schließlich schon erreicht, was sie erreichen wollten.«

»Die Präsidentschaft«, begriff Blaine. »Jimmy Carter gehörte zu ihnen.«

»Und er hat viele von ihnen in die Regierung geholt. Konservativen Schätzungen zufolge mindestens fünfundzwanzig Ernennungen. Können Sie sich ein besseres, günstigeres Szenario für die Kommission vorstellen? Endlich waren die Trilateristen in der Lage, Theorie in Politik umzuwandeln.«

»Und sie sind damit fürchterlich gescheitert.«

»Natürlich, weil die Geschichte sich gegen sie verschworen hatte.«

»Die Geiselkrise?« fragte Kristen.

Carlisle schüttelte den Kopf. »Da war es schon längst vorbei, Miss. Die Aufgabe, tatsächlich regieren zu müssen, hat sie überfordert. Sie waren nicht bereit, weit genug zu gehen; nachdem sie nun bloßgestellt waren und für ihre Taten zur Verantwortung gezogen werden konnten, schreckten sie vor dem Risiko zurück.«

»Also wurde die Last einer Gruppe aufgebürdet, die nicht so sehr im Licht stand und damit auch nicht so schnell zur Verantwortung gezogen werden konnte – Ihrem Unterausschuß«, fuhr McCracken fort.

Carlisle wandte den Blick vom Feuer ab und sah Blaine an. »Das Ziel bestand darin, größere Kontrolle über die Regierung zu erlangen. Man kam zum Schluß, daß die Kommission ihre Ziele und Prioritäten niemals auf traditionelle Art und Weise erreichen würde.«

»Womit Sie das bestehende politische System meinen.«

»Ja. Das Carter-Fiasko hat dies eindeutig unter Beweis gestellt. Die vorherrschende Meinung lautete, daß eine andere Art von Regierung nötig geworden war, eine, die es uns ermöglichen würde, unser Mandat für die Weltordnung leichter anzustreben.«

»Und Sie waren anderer Meinung?«

»Nicht, was das Ziel betraf, oh nein. An diesen Zweck glaubte ich mit tiefster Überzeugung. Aber damals war ich nicht mit den Mitteln zum Zweck einverstanden.« Carlisles strahlende Augen wirkten nervös. »Deren Entdeckung, wie ich vermute, Sie zu mir zurückgeführt hat. Erzählen Sie mir, was Sie wissen, Mr. McCracken. Lassen Sie hören, wie weit meine alten Gefährten gekommen sind.«

»Weiter, als Sie ahnen, Mr. Carlisle«, sagte Blaine und faßte die hervorstechenden Punkte so knapp und bündig zusammen, wie es ihm möglich war.

Er begann mit dem, was der sterbende Daniels ihm im Rock Creek Park verraten hatte, und schilderte, wie er in Miami hinter die Verbindung zwischen Arlo Cleese und Alvarez gekommen war. Er fuhr mit den Enthüllungen fort, die er bei dem beinahe tödlich verlaufenen Treffen mit Cleese erfahren hatte, und berichtete dann über die Fahrt nach New Mexico und Sandburg Eins. Als er fertig war, nickte er Kristen zu. Sie erzählte ihre Geschichte und schloß mit der Vermutung, daß eine unbekannte Partei anscheinend in größerem Umfang Atomwaffen stahl.

Während Carlisle zuhörte, schien er immer aufgewühlter und nervöser zu werden. Er wirkte abwechselnd aufgeregt und schockiert und lauschte den Geschichten, wie man solche über einen alten Freund vernimmt. Als Kristen endete, war sein Blick entrückt und in die Ferne gerichtet, voller Nostalgie und Sehnsucht.

»Besser, als ich dachte«, äußerte er sich. »Viel besser.«

»Auf welcher Seite stehen Sie, Mr. Carlisle?« fragte Blaine.

»Warum muß man immer auf irgendeiner Seite stehen? Ich habe die meine sowieso schon vor fast zwanzig Jahren gewählt.«

»Weil Sie die Mittel zum Zweck nicht billigen. Was hat sich daran geändert?«

»Immerhin besteht jetzt die sehr reale Möglichkeit, daß sie Erfolg haben werden.«

»Offensichtlich konnten Sie vor zwanzig Jahren damit nicht leben.«

»Heute ist es etwas anderes.«

»Wieso?«

»Weil die Situation heute viel verzweifelter ist.«

»Nein«, hielt Blaine entgegen, »weil Sie ein Teilnehmer und kein Zuschauer waren. Und als Sie von innen nach außen sahen, wurde Ihnen klar, daß die Ziele des Unterausschusses falsch waren. Doch nun schauen Sie von außen nach innen. Die Ziele jagen Ihnen keine Angst mehr ein, weil sie Ihre private Welt hier unter der Stadt, die die Verschwörer einnehmen wollen, nicht gefährden können.«

»Diese Nation braucht, was wir anzubieten haben, Mr. McCracken.«

»Es heißt nicht mehr ›wir‹, Mr. Carlisle, sondern ›sie‹. Sie haben sich von ihnen abgewandt, weil Sie ihre Methoden nicht ertragen konnten. Sie haben erkannt, daß die Kosten höher sein würden als der Nutzen. Das Land würde mehr verlieren als gewinnen. Diese Kosten-Nutzen-Rechnung hat sich nicht geändert. Wenn überhaupt, sind die Kosten noch höher geworden.«

»Und wenn wir sie jetzt nicht zahlen, bekommen wir vielleicht nie wieder die Gelegenheit, uns zu retten.«

»Uns zu retten, indem wir die einkerkern, die anderer Meinung sind und diese Meinung auch äußern? Sollen wir uns retten, indem wir die wenigen Freiheiten beschränken, die unsere Nation definieren?«

»Das sind notwendige Opfer!« beharrte Carlisle. »Das sehe ich jetzt ein. Wäre ich nur so klug gewesen, es auch damals zu begreifen …« Er hielt abrupt inne.

Blaine trat einen Schritt zu ihm heran. Plötzlich begriff er. »Vor fünfzehn Jahren sind Sie geopfert worden, nicht wahr? Sie sind nicht freiwillig gegangen, sondern wurden dazu gezwungen.«

Carlisles Lippen zitterten, und die Unsicherheit verzerrte sein Antlitz. »Wir hätten es so oder so haben können. Sie wollten nicht auf mich hören. Sie waren schließlich die Delphi. Ihnen gehörte die Zukunft.«

»Die Delphi«, wiederholte Blaine. Er entsann sich, daß Daniels diesen Begriff erwähnte, Carlisle hingegen am vergangenen Samstag abgestritten hatte, je davon gehört zu haben.

»Sie haben sich nach dem Orakel der griechischen Mythologie genannt, das vor jeder folgenreichen Handlung von den Machthabern befragt wurde«, führte Carlisle nun aus. »Seine Ratschläge haben die Zukunft also in großem Ausmaß bestimmt. Unser Unterausschuß entschied sich für diesen Namen, weil er seine Rolle im Prinzip genauso sah. Als die Kommission uns auflöste, trafen wir uns insgeheim weiter. Die Trilat-Mitglieder glaubten, es würde ausreichen, das Weiße Haus zu kontrollieren.«

»Carter hat ihnen das Gegenteil bewiesen.«

»Sie waren am Boden zerstört. Sie hatten die Macht, und sie ist ihnen wieder aus den Händen geglitten.«

»Und direkt in die Ihren.«

»Wenn Sie damit die günstige Gelegenheit meinen, die sich uns bot, ja. Wir haben gewußt, daß wir die Vision der Kommission nur verwirklichen können, wenn unser Mann genau zum richtigen Zeitpunkt an die Macht kommt, zu einem Zeitpunkt, da das Volk so entmutigt und entrüstet über den Zustand ist, in dem sich das Land befindet, daß es bereit ist, alles zu akzeptieren, was eine Veränderung herbeiführen kann. Ich habe den anderen gesagt, daß wir stets bereit sein und zuschlagen müssen, wenn dieser Augenblick kommt.«

»Aber die anderen wollten nicht warten, nicht wahr? Sie wollten den Augenblick, in dem sie Geschichte machen konnten, herbeiführen, anstatt einfach auf ihn zu reagieren.«

Carlisle nickte langsam. »Es war überflüssig. Hätten wir lange genug gewartet, wäre der Aufschrei der Nation, der die Veränderung verlangt, die wir bewirken wollten, von allein gekommen.«

»Und deshalb haben Sie sich von ihnen getrennt.«

»Ich riet zur Vorsicht, zur Vernunft. Das war alles. Sie dachten, ich würde mich gegen sie stellen. Es war kein Kompromiß möglich, mir blieb keine andere Wahl«, sagte er bedauernd.

»Sie haben weiterhin versucht, den richtigen Augenblick herbeizuführen.«

»Sie wollten die Illusion einer Revolution schaffen, um alles in die Wege zu leiten«, gestand Carlisle ein. Als er fortfuhr, zitterten seine Lippen noch stärker als zuvor. »Der Plan sah vor, daß sie Washington erstürmten und den Präsidenten mit dem Großteil des Kongresses in einem offenen Angriff umbrachten. Die Folge würde Chaos sein, sogar Anarchie, die Befehlskette hätte keine Geltung mehr, und damit wäre eine vorgezogene Wahl möglich, bei der der Kandidat der Delphi den Sieg davontragen würde. Nach meiner … Entlassung behielt ich sie genau im Auge. Ich war der Ansicht, daß es ihnen nie gelingen würde, das eine Element zu finden, das sie brauchten, um ihren Plan durchzuführen.«

»Einen würdigen Kandidaten«, schloß Blaine.

»Aber dann haben sie einen gefunden«, erwiderte Carlisle. »Sogar einen aus ihren Reihen.«

»Samuel Jackson Dodd«, sagte Kristen gerade so laut, daß man sie hören konnte.

»Ein Mann, der die Zustimmung eines Großteils der Bevölkerung hat und sogar schon ein ausgearbeitetes Programm vorlegen konnte«, fügte McCracken hinzu. »Gewählt mit einem Mandat, das ihm ermöglichte, alles zu tun, was er – und die Delphi – geplant hatten.«

»Mit der Aufgabe, ein Land wieder aufzubauen, das von dem Staatsstreich erschüttert worden war, den man Ihren Midnight Riders in die Schuhe schieben wird. Das hatte ich schon vermutet, als Sie mir gegenüber die Operation Gelbe Rose erwähnten.« Carlisles Blick verlor seine Sicherheit. »Dodd bekommt Blankovollmachten, um die Veränderungen herbeizuführen, auf die die Delphi schon seit Jahrzehnten hinarbeiten. Aber selbst das wird ihnen nicht genügen.«

»Wie bitte?« fragten McCracken und Kristen gleichzeitig.

Carlisle sah McCracken an. »Sie dürfen nicht vergessen, daß der Trilaterismus aus der Auffassung entstand, daß die USA die Ziele, die die Kommission im Sinn hatte, niemals verwirklichen kann, solange sie auf sich allein gestellt bleibt. Um eine langfristige Hegemonie zu erreichen, mußte man eine konzertierte, vereinigte Anstrengung auf einer internationalen Front zustande bringen. Die Kommission hat in zahlreichen Ländern auf der ganzen Welt Repräsentanten eingeschleust, wobei sie sich hauptsächlich auf jene Nationen konzentrierte, die über beträchtliche Rohstoffvorkommen und leistungsstarke Wirtschaften verfügen. Die Delphi haben dann versucht, diesen Repräsentanten zu einer ähnlichen Machtfülle zu verhelfen, die sie auch hier in den Vereinigten Staaten erlangen wollen. Sie – wir – wollten ausländische Vertreter, die mehr als nur bereit waren, Delphis Hilfe zu akzeptieren, ihre jeweiligen Nationen zu destabilisieren und letztlich ebenfalls die Macht zu ergreifen. Die Wirtschaft dieser Länder würde damit unter die zentralisierte Kontrolle der Delphi geraten.«

»Aufgrund einer komplizierten internationalen Verschwörung«, faßte Blaine zusammen.

»Deren Mitglieder nicht nur skrupellos sind, sondern zu einem Großteil die Ansichten der Delphi vertreten«, fuhr Carlisle fort. »Gruppen, die schon ihre Bereitschaft bewiesen haben, alles Nötige zu tun, um an die Macht zu kommen.«

»Terroristen?« fragte Kristen.

»Nein«, sagte Blaine, bevor Carlisle antworten konnte. »Die Trilaterale Kommission und die Delphi waren von Anfang an konservativ eingestellt, und nach dem ersten Fehlschlag ist ihre Einstellung höchstens noch konservativer geworden. Also werden sie sich im Ausland an diejenigen gewandt haben, deren Richtung der ihren am nächsten kommt: an die äußerste Rechte.«

Carlisle nickte beeindruckt. »Ganz genau, Mr. McCracken. Die Delphi benötigten solche Gruppen, um ihre Ziele durchzusetzen, und diese Gruppen konnten lediglich an die Macht kommen, indem sie die Hilfe der Delphi in Anspruch nahmen.«

»Inwiefern?« fragte Kristen.

»Das haben Sie doch gerade selbst erklärt, Miss.«

»Ach ja?«

Er sah sie streng an. »Die Atomwaffen aus Miravo.«

McCrackens Rückgrat versteifte sich. »Sie wollen sie an Führer der Ultrarechten liefern, die mit Hilfe dieser Waffen dann die Macht in ihren jeweiligen Ländern an sich reißen oder zumindest die derzeitigen Regierungen destabilisieren wollen.«

»Jede einzelne dieser Atomwaffen aus Miravo ist zwei- oder dreimal stärker als diejenigen, die man am Ende des Zweiten Weltkriegs auf Japan abgeworfen hat«, stellte Kristen benommen fest.

»Und ich versichere Ihnen, sie werden sie einsetzen«, fuhr Carlisle fort.

»Aber das haben Sie bislang nicht gewußt«, sagte Blaine. »Das konnten Sie nicht wissen.«

»Nein, aber ich habe gewußt, in welcher Leute Hände diese Waffen fallen werden. Schon in meiner Zeit bei Delphi war vorgesehen, einen internationalen Kader der äußersten Rechten aufzubauen. Eine meiner letzten Aufgaben bestand darin, als Verbindungsmann für den südafrikanischen Repräsentanten zu dienen. Ein Mann namens Dreyer.«

»Travis Dreyer? Der Chef der AWB?«

»Nein, ich hielt Kontakt mit seinem Vater, Boothe. Aber der junge Travis war bei all unseren Treffen anwesend. Er übernahm die AWB nach dem Tod seines Vaters.«

McCracken dachte über die Konsequenzen nach. Die AWB – ein Kürzel der Afrikaner Weerstand Beweging, also Afrikaner-Widerstands-Bewegung – war eine gutbewaffnete, neofaschistische Organisation, die sich auf die Fahne geschrieben hatte, die Apartheid beizubehalten und die Schwarzen irgendwann vollständig auszumerzen. Ihre Mitglieder waren die reaktionären Nachkommen der holländischen Afrikaans, die das System der Apartheid ursprünglich eingeführt hatten. Sie waren bereit, im Namen der rassischen Reinheit und ihres Verständnisses von Nationalismus jede Schandtat zu begehen, und hatten auch schon unzählige davon begangen. In ruhigeren Augenblicken hielten sie Paraden ab, bei denen sie auf dem Rücken ihrer Pferde stolz eben jene Fahnen mit ihren Insignien schwenkten, die eine seltsame Ähnlichkeit mit Hakenkreuzen hatten.

»Wollen Sie damit sagen, daß die Atomwaffen, deren Abtransport aus Miravo mein Bruder beobachtet hat, Menschen wie Dreyer zur Verfügung gestellt werden sollen?« fragte Kristen ungläubig.

Das ehemalige Mitglied der Trilateralen Kommission betrachtete sie einen Augenblick lang. »Und danach wird ein langgezogener Dritter Weltkrieg über uns hereinbrechen. Überall auf der Welt werden Bürgerkriege und hoffnungslose Aufstände ausbrechen. Gruppen der radikalen Rechten, die wegen ihrer Skrupellosigkeit ausgewählt wurden, die es ermöglichen, sie zu manipulieren, werden auf der ganzen Welt Regierungen ins völlige Chaos stürzen und das Gleichgewicht grundlegend verändern. Sollte es wirklich dazu kommen, könnte sich die Welt auf Dauer und unumkehrbar verändern, an einem einzigen Tag. Dem Tag Delphi«, schloß er.

»Und obwohl Sie das wissen, sitzen Sie hier und unternehmen nichts!« sagte Kristen wütend.

»Weil ich einfach eingestehen muß, daß die Pläne der Delphi es den Trilateristen diesmal ermöglichen könnten, die Macht in einer reineren und direkteren Form zu ergreifen, als sie es sich je vorgestellt haben, ohne ihre ursprüngliche Vision dabei aufgeben zu müssen. Deshalb konnte ich Ihnen letzte Woche nicht helfen, sie aufzuhalten. Deshalb mußte ich Sie auf eine falsche Fährte setzen. Weil ein Teil von mir noch an die Heiligkeit der Vision glaubt, daß der Trilaterismus die einzige Möglichkeit darstellt, wie unsere Lebensweise überleben kann.«

»Aber ein anderer Teil von Ihnen erinnert sich daran, daß die Delphi Sie rausgeworfen haben, weil Sie Ihren Standpunkt kundgetan und es gewagt haben, eine abweichende Meinung zu äußern«, forderte Blaine ihn heraus. »Das hat nichts mehr mit einer verantwortungsvollen Führung zu tun. Oder wenn doch, dann nur für den Preis einer wild wuchernden atomaren Verseuchung in großem Maßstab. Das war nicht Ihre Vision. Wenn Sie diese Vision gehabt hätten, wären Sie noch dabei.«

Carlisle schwieg.

»Sie haben sich nicht nur von ihnen abgesondert«, fuhr Blaine fort, »sondern auch von der Gesellschaft. Ihnen blieb nichts anderes übrig, oder? Sie mußten so handeln, weil Sie wußten, daß die anderen sich niemals damit abgefunden hätten, Sie einfach nur auszuschließen. Sie stellten ein zu großes Risiko dar. Ihre einzige Chance bestand darin, spurlos zu verschwinden.«

»Ich konnte nichts mehr tun, Mr. McCracken.«

»Aber jetzt können Sie etwas tun«, sagte Blaine und sah Carlisle an, bis der seinen Blick erwiderte. »Sie wissen genau, sie hätten Sie getötet. Sie würden Sie auch jetzt noch töten, wenn sie wüßten, daß Sie ihre Aktionen genau beobachten. Aber Sie könnten die letzte Trumpfkarte ausspielen.«

»Wie?«

»Die Delphi, Mr. Carlisle. Sie wissen, daß sie damals falsch gehandelt haben, und Sie wissen, daß sie heute falsch handeln. Es ist zwar schon lange her, aber die meisten werden der Organisation noch angehören. Genügend jedenfalls. Sie können mir sagen, wer sie sind. Helfen sie mir zu verhindern, daß ihr Tag jemals kommen wird.«

Einen schier endlosen Augenblick lang stand Carlisle starr und ausdruckslos da, während er in Gedanken die verlorenen Jahre durchstreifte. Dann nickte er langsam, ganz langsam.

Auf der Good Hope Street hielt ein Mann, der sich in den Schatten zweier ausgebrannter Gebäude verbarg, ein Walkie-talkie an Ohr und Mund.

»Wir greifen jetzt ein«, erklang eine Stimme aus dem Gerät.

Der Mann sah zum Kopf der Gasse hinüber, wo er gerade noch den riesigen Indianer hatte ausmachen können. »Bringt eine Armee mit«, sagte er.

Sal Belamo wartet noch immer an Ort und Stelle, als Blaine und Kristen aus dem Kanalisationsschacht auf die Straße kletterten.

»Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen, Boß.«

»Da liegst du gar nicht mal so falsch. Ist irgend etwas passiert?«

»Nada.«

»Johnny?«

»Ich kann ihn nicht sehen, aber …«

»Wir müssen hier weg, Blainey«, sagte Wareagle, der unvermittelt aus den Schatten auftauchte.

»Indianer?«

»Schnell.«

McCracken stellte keine weiteren Fragen. Johnny drehte sich um und ging zum Kopf der Gasse zurück, und die anderen folgten ihm. Sie erreichten die Good Hope Street, und McCracken fiel augenblicklich auf, daß die bedrohlich wirkenden jungen Männer, an denen sie auf dem Hinweg vorbeigekommen waren, verschwunden waren. Die Nacht schien noch dunkler geworden zu sein.

Wareagle erstarrte. McCracken schob Kristen hinter ihn. Sie gingen im Gänsemarsch den Bürgersteig entlang. Plötzlich flammten am rechten Ende des Häuserblocks drei große Scheinwerfer auf.

»Gottverdammte Scheiße«, keuchte Belamo auf.

»Kehrt um und flieht in die andere Richtung«, flüsterte Wareagle ihnen zu. »Ich halte sie hier auf.«

Doch bevor sie kehrtmachen konnten, leuchteten auch auf der linken Seite des Häuserblocks Scheinwerfer auf. Sie vernahmen deutlich die Geräusche, mit denen Gewehre an Schultern gedrückt und entsichert wurden. Dann durchschnitten im Norden und Süden zwei Hubschrauber die Dunkelheit über den Dächern.

»Lassen Sie die Waffen fallen und heben Sie die Hände!« befahl eine Stimme über das Lautsprechersystem eines der Hubschrauber.

McCracken, der mitten im gleißenden Lichtschein eines Scheinwerfers stand, ließ die Pistole zu Boden fallen. Belamo und Wareagle folgten mit ihren Gewehren seinem Beispiel. Sie alle hoben die Arme.

»Bewegen Sie sich nicht! Bleiben Sie, wo Sie sind!«

»Sollen wir abhauen, Boß?« flüsterte Belamo Blaine zu.

»Einer von uns muß mit dem kleinen Geschenk, das Carlisle mir gegeben hat, hier herauskommen.«

»Sechs Scharfschützen mit Nachtsichtvisieren auf den Dächern, Blainey«, erklärte Wareagle. »Hinter starker Deckung.«

»Kristen«, flüsterte Blaine.

»Ich bin bereit. Sagen Sie mir, was ich tun soll.«

Sie war ihre einzige Chance. Da die meisten Gewehre fraglos auf sie drei gerichtet waren, würde sie es vielleicht schaffen, wenn die Männer für ausreichende Ablenkung sorgten.

»Johnny«, murmelte McCracken. »Sal.«

Wareagle nickte und spannte die Schultern.

»Verdammt«, murmelte Sal.

McCracken wollte die Hand zu der Tasche senken, in der die Diskette steckte, die Carlisle ihm gegeben hatte, Kristen zitterte; ihre Finger befanden sich auf Schulterhöhe.

»Warte, Blainey«, sagte Wareagle plötzlich.

McCracken sah in die Richtung, in die auch der große Indianer schaute. Während die Hubschrauber über ihnen kreisten, näherte sich vom östlichen Ende der Good Hope Street eine Phalanx von Soldaten, deren Stiefelschritte auf dem Straßenbelag dröhnten. Der Mann, der sie anführte, war unbewaffnet. Die Soldaten hinter ihm hatten ihre Gewehre geschultert. Der Anführer blieb zwei Meter vor dem angespannten McCracken stehen und salutierte.

»Tut mir leid, wenn wir Ihnen Unannehmlichkeiten bereiten, Captain. Aber das schien uns das sicherste Vorgehen zu sein, Mißverständnisse zu vermeiden. Ich bin Colonel Ben Power.«

Blaine erwiderte seinen militärischen Gruß. »Ist schon lange her, seit jemand mich mit Captain angesprochen hat, Colonel.«

»Dann freut es mich, der erste zu sein, der Sie wieder in der Truppe begrüßen darf. Aber genug des Geplänkels, Captain. Sie kommen bereits zu spät zu einer Verabredung, zu der ich Sie eskortieren soll.«

»Zu einer Verabredung?«

»Mit dem Präsidenten. Gehen wir.«