Dreißig

Das Gespräch war beendet. Die etwas füllige Frau mit dem herausgewachsenen dunklen Haaransatz legte den Hörer auf.

Zach hatte den Kopf auf die Rückenlehne des Polstersessels gelegt und schnarchte mit offenem Mund. Im Fernsehen lief die Tagesschau. Gleich würde der Krimi kommen. Trixi verknotete den Gürtel ihres Bademantels, nahm den Teller mit dem angebissenen Leberwurstbrot und trug ihn in die Küche. Im Kühlschrank stand die Flasche Korn. Sie schenkte sich ein halbes Wasserglas voll ein und kippte den ersten Schluck. Die Wärme breitete sich in ihrem Magen aus, doch sie konnte die Kälte in ihren Gliedern nicht vertreiben. Sie zitterte. Manchmal kam es schon am Vormittag, dann halfen ein Cognac im Kaffee und Pfefferminzbonbons. Zita sollte den Geruch nicht bemerken. Vor ihr hatte sie Respekt. Vor Zach nicht. Schon lange nicht mehr.

Scheißalkohol. Sie trank den zweiten Schluck. Er zündete ein kleines Feuer in ihrem Magen an. Genau dort, wo dieses Gefühl sich eingenistet hatte, das man nur mit Schnaps verbrennen konnte. Es würde wiederkommen. Aber es gab ja noch genug Flaschen im Haus.

Im Wohnzimmer lief der Vorspann zu einem Heile-Welt-Tralala-meine-Farm-in-Honolulu-Film. Der Bildschirm spiegelte sich im Küchenfenster. Manchmal fragte sie sich, was sie noch hier hielt. Vielleicht die Flaschen.

Zach schnarchte.

Sie hatte alles mitangehört. Sie trank den letzten Schluck Korn und drehte das leere Glas in ihrer Hand. Die kleine Schlampe wollte in den Keller. Sie hatte etwas in Filis Zimmer gefunden. Eine Zeichnung. Ein Bild, das beweisen sollte, dass jemand ihrer Prinzessin wehgetan hatte.

Mühsam schleppte sie sich zum Küchentisch und ließ sich auf einen Stuhl fallen. Seit die Hexe hier war, schienen alle Wunden wieder aufzureißen. Das Getuschel war wieder losgegangen. Sie hatte die Blicke in ihrem Rücken spüren können. Hatte das Flüstern und Wispern gehört … Es muss doch einen Grund gehabt haben, dass Fili weggelaufen ist … Sie war schon immer so mager und still … Was treibt sie nachts auf den Berg … Warum ist Kianas Brut wieder da … Was will sie in unserem Dorf … Welche Fragen wird sie uns stellen … Haben wir etwas gewusst … Haben wir nichts gewusst … Wollten wir alle nichts wissen …

Sie biss sich in die Hand, um nicht laut aufzuschreien. Nebenan schlief und stank Zach. Hatte es je bessere Tage gegeben? Tage, an denen sie gelacht hatten und glücklich gewesen waren? Wenn ja, dann waren sie so lange her, dass sie sich nicht mehr daran erinnern konnte. Der Hass auf ihn und das Leben, das sie führten, war so groß. Aber noch größer war die Angst, etwas zu verändern. Es war keine Liebe. Es war noch nicht einmal Gewohnheit, die sie bleiben ließ. Filis Tod hatte Zach genauso in den Strudel von Vorwürfen und Schmerz hinabgezogen wie sie. Vielleicht war es das, was sie noch verband. Das gemeinsame eisige Schweigen. Und Zita, die über sie wachte und aufpasste, dass keiner mit dem Reden anfing.

Manchmal glaubte Trixi, dass Zita mehr wusste, als sie zugab. Dann wurde der Feuerball in ihrem Bauch zu einem Klumpen Eis. Sie stand auf und holte noch einmal die Flasche aus dem Kühlschrank. Dieses Mal setzte sie sie gleich an die Lippen. Zita wusste es. Nur deshalb durfte die Schlampe in diesem Haus bleiben und herumschnüffeln. Egal, was sie herausfinden würde, Siebenlehen würde hinterher nie mehr so sein wie vorher.

Sie musste es verhindern. Sie musste die Hexe aufhalten. Das Mädchen war zäh. Bis jetzt hatte es allen Anfeindungen getrotzt. Hatte sich in Schattengrund breitgemacht und thronte dort oben wie Kiana, die auch geglaubt hatte, auf alle im Dorf herabsehen zu dürfen. Kiana, die ihr Leben zerstört hatte mit ihren Märchen. Noch nicht einmal nach Filis Tod hatte sie aufgehört damit. Zwölf lange Jahre Gift und Zwist, Hass und Verachtung. Es war genug. Es durfte nicht weitergehen.

Sie musste etwas tun.

Trixi stellte die Flasche zurück. Die Zeit war gekommen, Siebenlehen von den Dämonen zu befreien.

Schattengrund
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