Hunger trotz Übergewicht - über die Leptinresistenz

Das Hormon Leptin wird im Fettgewebe produziert, es ist sozusagen die körpereigene Tanknadel und zeigt an, wie gut die Fettspeicher des Körpers gefüllt sind. Mäuse, denen Leptin fehlt, nehmen an Gewicht zu. Als man dies entdeckte, hoffte man, den Schalter für das Übergewicht gefunden zu haben. Man könnte den Übergewichtigen doch einfach Leptin spritzen, damit sie weniger hungrig sind. Dann kam die Enttäuschung: Übergewichtige haben sehr viel Leptin im Blut, aber es dämpft ihren Hunger nicht. Spritzt man Übergewichtigen zusätzlich noch mehr Leptin, passiert ebenfalls nichts.

Übergewichtige haben eine Leptinresistenz: Leptin ist massenhaft vorhanden, aber es wirkt nicht. Die Signalwege scheinen blockiert zu sein. Stellen Sie sich einmal ein Unternehmen vor, das ständig bei seinen Lieferanten bestellt, weil es nicht weiß, dass die Lager bereits gefüllt sind. Genau dies passiert im Körper des leptinresistenten Übergewichtigen: Die Fettspeicher sind randvoll, aber das Gehirn weiß davon nichts, es ist von einer wichtigen Information abgeschnitten. Also tut es seine Pflicht: Da es vermutet, dass der Körpers sehr mager ist, signalisiert es kontinuierlich Hunger. Übergewichtige haben einen deutlich höheren Grundumsatz als schlanke Menschen. Das Gehirn glaubt, es sei kein Fett vorhanden und gleichzeitig wird jeden Tag viel Energie verbraucht. Wer kann es unserem Denkorgan verdenken, dass es da sein Bestes tut, um für die Energieaufnahme zu sorgen? Das ist schließlich seine Aufgabe!

Der Münchner Professor Matthias Tschöp forscht intensiv an der Entstehung der Leptinresistenz. Man weiß mittlerweile, dass das Leptin bei Übergewichtigen im Gehirn ankommt, dort aber nichts bewirkt. Was ist die genaue Ursache der Leptinresistenz? Um das herauszufinden, fütterten die Wissenschaftler Mäuse mit kalorienreicher Nahrung. Schon kurz nach dem Verzehr konnte man Entzündungen im Stützgewebe der Nervenzellen des Gehirns nachweisen. Man geht gegenwärtig davon aus, dass die Zusammensetzung des Essens zu den Entzündungen dieser sogenannten Gliazellen führt. Die Nährstoffe direkt scheinen diese Schädigung auszulösen, die die Nerven verletzt und die Stützzellen entzündet.

Matthias Tschöp vermutet, dass es auch beim Menschen zu Entzündungen in den Bereichen des Gehirns kommt, wo das Fettzellenhormon Leptin und das Hungerhormon Ghrelin wirken. Die Entzündung beginnt gleich nach der Nahrungsaufnahme und scheint dann einen chronischen Verkauf zu nehmen. Es bilden sich mehr Blutgefäße im Hypothalamus des Gehirns, diese scheinen jedoch nicht richtig zu funktionieren. Bemerkenswert an dieser Theorie ist, dass der Wissenschaftler und Arzt Tschöp die Nahrung im Verdacht hat, die Leptinresistenz über eine chronische Entzündung auszulösen und damit die Ursache für das Übergewicht zu sein. Professor Tschöp hat derzeit die Kombination aus Kohlenhydraten und schlechten Fetten im Verdacht.

Man forscht weiter an den genauen molekularen Ursachen der bisher gemachten Beobachtungen. Die nächste Frage wäre dann: Wie kann man diesen Prozess verhindern? Kann man die Entzündung und die Veränderungen im Gehirn rückgängig machen oder heilen? Die Ergebnisse der Experimente mit den Cafeteria-Ratten machen hier nicht optimistisch. Falls man eine Veränderung erreichen kann, dann wird diese nach den bisher vorliegenden Hinweisen ein langwieriger Prozess sein.

Nicht nur die Empfindlichkeit auf Leptin ändert sich bei Übergewichtigen. Das Gehirn wird dermaßen verändert, dass es auf den Anblick kalorienreicher Speisen anders reagiert als das Gehirn normalgewichtiger Personenen. Zeigt man Menschen Bilder von leckeren Speisen und beobachtet dabei die Gehirnaktivität im Magnetresonanztomographen, so reagieren die Gehirne von Übergewichtigen stärker. Die ganze Aufmerksamkeit wird sofort auf das Essen gelenkt. Man kann davon ausgehen, dass ein Übergewichtiger beim Spaziergang durch eine Fast Food-überladene Fußgängerzone viel häufiger als eine dünne Person gedanklich mit Nahrung beschäftigt ist, der Anblick und sicher auch der Geruch springen ihn förmlich an. Selbst wenn er es ohne Zwischenmahlzeit nach Hause schafft, wird er der Versuchung früher oder später erliegen. Wenn man solche Untersuchungsergebnisse ernst nimmt, so müsste man konsequenterweise Werbung für kalorienreiche Nahrung konsequent verbieten.

Nach den bisher hier behandelten Ergebnissen liegt es nahe, das Belohnungszentrum einfach zu blockieren, um so eine Methode zur Behandlung des Übergewichts zu finden. Im Tierexperiment kann man dies tun. Mäuse mit blockiertem Belohnungszentrum zeigen so wenig Interesse an Nahrung, dass sie abmagern und sogar verhungern. Der Neurobiologe Tamas Horvath schaltete bei Mäusen ein Gen aus, das die für Appetit zuständigen Hirnzellen beeinflusste. Das fehlende Gen verdarb den Tieren die Lust am Essen. Die Tiere saßen dumpf im Käfig herum und starben früher als die normalen Mäuse. Horvath zu den Ergebnissen seines Experimentes: „Wenn man das Interesse am Essen einfach ausknipst, ist man erst schlank, dann doof und dann tot.“ Die Lust auf Essen ist fest in uns verankert, man kann sie nicht ausschalten, ohne andere wichtige Prozesse ebenfalls zu gefährden. Essen ist lebenswichtig, deshalb ist die Nahrungsaufnahme sehr zentral in Gehirn und Nervensystem verschaltet und mit vielen anderen Dingen verknüpft.

Auch ein übergewichtiger Mensch hat sein Leben mit drei bis vier Kilogramm Gewicht begonnen. Nahrung war reichlich verfügbar. Was ist passiert, dass der Mensch überhaupt in den Teufelskreis geraten ist? In den Versuchen mit Ratten hatten alle Tiere freien Zugang zu ihrer jeweils verordneten Nahrung. Daher muss die Änderung des Nahrungsangebots die Gewichtszunahme bewirkt haben.

Die Menschen, die im ARD-Ernährungscheck täglich frisches Fast Food bekamen, waren sehr hungrig und konnten nur über eine Erhöhung der Kalorienmenge motiviert werden, weiter an der Studie teilzunehmen. Warum machen Fast Food, Cafeteria-Essen und übliche Supermarktkost Mensch und Tier so hungrig und gierig? Zahlreiche Faktoren spielen eine Rolle dabei, Lebewesen zum Essen und zum Mehressen zu verführen. Diese werden wir uns jetzt anschauen.