Die Verdauung

Noch im 19. Jahrhundert wusste man nichts darüber, was mit der Nahrung im Körper geschieht. Man fütterte Versuchstiere zu einer festgelegten Zeit, schlachtete diese in bestimmten Abständen und sah in Magen und Darm nach, was mit dem aufgenommenen Essen passierte. Durch diese Versuche gewann man nur wenig Information über den für den Menschen so wichtigen Prozess. Stück für Stück vervollständigten die Wissenschaftler das Puzzle.

Der Verdauungstrakt bildet ein durchgehendes Rohr durch den Körper, im Grunde liegt dieser gar nicht im Körper, sondern ist dem Außenbereich zuzuordnen. Der Verdauungsraum ist ein nach innen gestülptes Außen. Der Mensch produziert täglich etwa neun Liter Verdauungssäfte.

Der Körper kann Nahrung in den verschiedensten Zusammensetzungen aufnehmen, zersetzen, von Giftstoffen befreien und in Energie und Baustoffe umwandeln. Woher weiß der Körper, ob er die Enzymsammlung für „Apfel“ oder für „Steak“ vorbereiten muss? Wann würde ein Industrieunternehmen mit den Produktionsvorbereitungen beginnen? Wenn der LKW in die Lagerhalle fährt? Das Unternehmen beginnt mit den Vorbereitungen, sobald es weiß, dass eine Lieferung auch nur geplant ist. Der Körper macht das genauso: Sobald er mit Nahrung rechnet, bereitet er sich vor. Dumm, wenn der Mensch an der Imbissbude vorbei läuft oder über eine Werbeanzeige für Fast Food stolpert. Bereits optische Reize bringen die Verdauungssäfte in Schwung und regt den Appetit an. Der Körper nutzt zusätzlich alle weiteren Informationen, die ihm zur Verfügung stehen, dazu gehört auch das Wissen um die täglichen Routinen und Gewohnheiten: Wer jeden Tag um zwölf Uhr zu Mittag isst, dessen Körper meldet kurz vor zwölf Hunger.

Die Steuerung von Sekretmenge und Sekretzusammensetzung erfolgt im Körper über das Nervensystem und über das Hormonsystem. Die Information wird aus dem zentralen Nervensystem über den Nervus vagus geleitet, das ist ein wichtiger Nerv des vegetativen Nervensystems, der für die Steuerung der Organe und des Blutkreislaufs verantwortlich ist. Daher nimmt auch die psychische Befindlichkeit Einfluss auf die Verdauung. Bestes Beispiel sind Menschen, die vor Aufregung ständig auf Toilette müssen. Der Körper bereitet so eine Fluchtreaktion vor, unverdaute Nahrung würde eine Flucht oder einen Kampf nur unnötig behindern, diese wird daher ausgeschieden.

Durch Geruch, Geschmack und Kauen wird der Nervus Vagus angeregt. Schon jetzt wird im Dünndarm Verdauungsenzym bereitgestellt, dabei kommt die Nahrung gerade erst im Magen an. Das in der Magenschleimhaut produzierte Hungerhormon Ghrelin schärft den Geruchssinn für die Nahrung. Wer Hunger hat, der reagiert stärker auf die leckeren Düfte, die ihm aus der Bäckerei entgegenströmen und wird dazu verführt, einzutreten. Das Hungerhormon beeinflusst auch die Menge der aufgenommenen Nahrung. Je höher der Ghrelinspiegel im Blut, umso mehr wird gegessen.

Im Magen landet der von den Zähnen zerkleinerte Speisebrei, der schon mit Speichel durchmischt ist, in der Magensäure. Dort wird die Nahrung zunächst gesammelt. Der Füllstand des Magens wird analysiert. Die Magendehnung und die Nährstoffe lösen über die Freisetzung des Hormons Gastrin die Produktion des Magensaftes aus. Nach einer halben bis einer Stunde ist der Mageninhalt durchsäuert. Die von den Belegzellen produzierte Säure hilft, schädliche Bakterien zu zerstören. Die Hauptzellen des Magens sondern Pepsinogen ab, das in der Säure des Magens aktiviert wird und das Eiweiß vorverdaut. Die Magenschleimhaut ist besonders geschützt, damit der Magen sich hier nicht selbst verdaut. Der Magen ist im Grunde ein sackförmiger Muskel, er durchmischt den Brei und drückt ihn danach in den Dünndarm.

Im Dünndarm wird der im Magen durchsäuerte Nahrungsbrei wieder neutralisiert. Hier werden dem Nahrungsbrei weitere Enzyme zugesetzt, jetzt werden Eiweiße, Kohlenhydrate und Fette in ihre Einzelbestandteile zerkleinert. Fette im Dünndarm aktivieren die Gallenkontraktion. Mit der Gallenflüssigkeit kann der Körper das Fett gut aufnehmen. Die Fette werden in kleinste Tröpfchen zerteilt und von Enzymen in die Einzelbestandteile zerlegt. Die Leber produziert die Gallenflüssigkeit. In der Gallenblase wird sie gespeichert und dann bei Bedarf in den Darm abgegeben. Kohlenhydrate werden im Dünndarm in die verschiedenen Zucker gespalten. Wer keinen Milchzucker verdauen kann, der bekommt das jetzt zu spüren, da der unverdaute Milchzucker von Darmbakterien unter Gasbildung zersetzt wird. Auch das Eiweiß, das im Magen schon teilweise zerlegt wurde, wird jetzt in die einzelnen Aminosäuren aufgespalten.

Der Darm ist von einem eigenen Nervengeflecht durchzogen, das häufig als Darmhirn bezeichnet wird. Dieses enterische Nervensystem durchzieht nahezu den gesamten Magen-Darm-Trakt. Die Sinne des Darmhirns werten genau aus, welche Nährstoffe im Darm gerade verarbeitet werden. Während man die Zunge mit einem künstlichen Süßstoff täuschen kann, lässt sich das Darmhirn hier nicht austricksen. Der Körper kann Süßstoffe und Zucker unterscheiden. Bei Süßstoffen wird kein Insulin ausgeschüttet, nur bei Zucker und Kohlenhydraten.

Jetzt ist der zerkleinerte Brei bereit, über die Darmschleimhaut in den Körper aufgenommen zu werden. Der erste Weg führt die Nahrung über ein besonderes Blutgefäß in die Leber, die körpereigene Entgiftungsfabrik. Bei der ersten Leberpassage wird gleich aufgeräumt, viele Fremdstoffe können sofort abgebaut und unschädlich gemacht werden. Dann gelangen die Nährstoffe ins Blut und werden von dort an alle Orte transportiert, wo sie benötigt werden.

Die im Darm verbleibenden Ballaststoffe werden im Dickdarm eingedickt, das Wasser wird zurückgewonnen. Nicht mehr benötigte Stoffe werden ausgeschieden. Im Dickdarm leben viele Bakterien, die Ballaststoffe aufschließen und verwerten. Ein Zuviel an Ballaststoffen kann zu Verdauungsbeschwerden und Blähungen führen, da die Bakterien beim Fressen Verdauungsgase bilden.

Der menschliche Körper ist mit einer hochwertigen und vielschichtigen Wareneingangskontrolle ausgestattet. Dies beginnt beim Anblick der Nahrung und geht bis hin zum Darmhirn, das die Einzelbestandteile analysiert. Nicht ohne Grund ist der Körper mit vielen Sensoren für das Essen ausgestattet: Nahrungsaufnahme ist überlebenswichtig. Die Sensoren haben sich im Laufe der Evolution an die Nahrung angepasst, die dem Menschen zur Verfügung stand. Die Nahrungsmittelindustrie hat heute viele Möglichkeiten, den Menschen und die Sensoren des Körpers zu täuschen. Viele unserer Sinne können mit einfachen technischen Mitteln verschleiert werden. Doch das Darmhirn lässt sich nicht täuschen, es erkennt, was es bekommt. So wird der Körper ausgetrickst und verwirrt. Im nächsten Kapitel schauen wir uns die Methoden der Industie genau an.