Rätsel Jod

Jod ist gut für die Schilddrüse, diesen Satz würden die meisten Menschen in Deutschland abnicken. Genau wie die Erkenntnis, dass Deutschland ein Jodmangelgebiet ist. Dabei ist die Lage genau umgekehrt: Man kann in Deutschland der Zwangsjodierung über aufgenommene Nahrung kaum ausweichen. Viele Hersteller, Kantinen und Restaurants benutzen Jodsalz, genau wie die Haushalte. Jod wird dem Tierfutter in einer Menge von fünf Milligramm pro Kilo zugesetzt, so geht das Jod ins Fleisch und in die Milch über: In einem Liter deutscher Milch fand man 1380 Mikrogramm Jod, im Jahr 2008 wurde der Wert von der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft in Braunschweig auf 1522 Mikrogramm korrigiert. Eine Jodtablette enthält 100 Mikrogramm Jod. Trinken Sie einen Liter Milch, haben Sie den Gegenwert von sage und schreibe 15 Jodtabletten eingenommen. Die WHO geht von einem Jod-Tagesbedarf von 200 Mikrogramm aus.

Die Schilddrüse des ungeborenen Babys reagiert auf sehr hohe Jodkonzentrationen, indem sie die Sekretion des Schilddrüsenhormons reduziert. Man nennt diesen paradoxen Effekt Wolff-Chaikoff-Effekt. Daher sollten Schwangere kein zusätzliches Jod einnehmen. Eine Überjodierung kann wegen des Wolff-Chaikoff-Effektes vorrübergehend zur Schilddrüsenunterfunktion führen, dies kann wiederum die Gehirnentwicklung des ungeborenen Kindes beeinflussen.

Die Aufnahme von mehreren hundert Mikrogramm Jod hemmt auch beim Erwachsenen die Hormonsynthese und die Hormonausschüttung. Dieser Effekt hält einige Tage lang an, man nutze dies früher zur kurzzeitigen Behandlung einer Überfunktion der Schilddrüse vor der Operation. Die Schilddrüse hat großen Einfluss auf den Stoffwechsel, eine Unterfunktion fördert die Gewichtszunahme.

Viele Menschen essen große Mengen Milchprodukte wie Joghurt, Quark und Käse. Fleisch enthält ebenfalls viel Jod. Wer nicht gerade vegetarisch lebt und auf Jodsalz verzichtet, bekommt höchstwahrscheinlich täglich ein Vielfaches von dem Jod, was er benötigt. Jod geht nicht nur in die Kuhmilch, sondern auch in die Muttermilch über.

Die Tierfutterjodierung begann in Deutschland 1985/86, damals wurde dem Tierfutter statt fünf Milligramm sogar 40 Milligramm Jod zugesetzt. Es stellt sich die Frage, warum Menschen das Jod über den Umweg des jodierten Tierfutters unkontrolliert aufnehmen müssen. Auch Vegetarier sind gut mit Jod versorgt in Deutschland (und haben weniger Übergewicht). Das zusätzliche Jod braucht ein gesunder Mensch nicht, ein kranker Mensch könnte es mit einer Jodtablette kontrolliert aufnehmen. Zahlreiche andere Länder jodieren ihr Tierfutter nicht. Tierfutterjodierung ist in erster Linie ein Problem der deutschsprachigen Länder.

Erstaunlicherweise empfiehlt der Arbeitskreis Jodmangel e.V. trotz des Wolff-Chaikoff-Effektes Jodtabletten für Schwangere sowie den Einsatz von Jodsalz im Haushalt. Falls die Analysedaten zum Jodgehalt der Milch aus der Braunschweiger Bundesforschungsanstalt nicht fehlerhaft sind (immerhin wurde mehrfach zu verschiedenen Zeitpunkten gemessen), dann ist diese Sichtweise des Arbeitskreises logisch nicht nachvollziehbar.

Man kann die Überjodierung des Essens sicher nicht für alle Fälle von Übergewicht verantwortlich machen, sonst müssten ja z.B. die US-Bürger schlanker sein als die Deutschen, was nicht der Fall ist. In den USA wird Tierfutter nicht jodiert. Trotzdem: In Einzelfällen könnte eine durch Überjodierung ausgelöste Schilddrüsenunterfunktion durchaus eine (Mit-)Ursache für Übergewicht sowie zahlreiche andere gesundheitliche Probleme darstellen. Man kann in Deutschland dem Jod ausweichen, indem man auf Jodsalz verzichtet und Fleisch und Milchprodukte aus anderen Ländern einkauft. Es ist bis heute nicht klar, warum in Deutschland die Tierfutterjodierung eingeführt wurde und weshalb diese Praxis beibehalten wird.

Einen einzigen Vorteil hat das viele Jod: Bei einem nuklearen Zwischenfall wären die Schilddrüsen der Deutschen mit Jod gesättigt, so würde sich weniger radioaktives Jod im Körper absetzen. Für diesen Fall könnte sich aber auch jeder Deutsche ein paar Jodtabletten in die Schublade legen.

Der Jodüberschuss in Deutschland ist ein Thema, das gerne unter den Tisch geschwiegen wird. Es bleibt nach Sichtung der widersprüchlichen Empfehlungen ein großes Fragezeichen, diese sind logisch nicht nachvollziehbar. Wer Probleme mit der Schilddrüse und dem Stoffwechsel hat, sollte sich mit dem Thema näher beschäftigen. Der interessierte Leser findet zahlreiche weiterführende Informationen und Bücher auf der Internetseite des Verlag Braunschweig-Pauli.