Jahr Zwei, 01. Oktober. Nachmittag II

Kzu’ul sah sich zufrieden um. Der riesige Platz, dessen Ende man von seiner etwas erhöhten Position aus nicht einmal sehen konnte, war voller Zombies. Eine Million? Mehr? Man konnte sie nicht zählen, nur schätzen. Es waren viele. Sehr viele. Sie verharrten dort, warteten, lechzten begierig darauf, dass die Gedanken des Meisters sie erreichten. Eine gigantische, fast homogen zu nennende Masse aus gierigen Mäulern und stahlharten Klauen wartete darauf, dass er ihnen befahl, wohin sie sich zu wenden hatten.

Seine Pläne waren im Grunde simpel. Das Ziel, die Eroberung der fernen Jagdgründe, konnte nur erreicht werden, wenn seine Gefolgschaft geschlossen und massiv auftrat.

Nur wenige von ihnen, kleine Gruppen, versprengte Horden, boten den Eisenwaffen der Warmen ein allzu leichtes Ziel, hier waren die Warmen eindeutig überlegen. Wenn aber nun die Zombies in riesigen Herden auftraten und angriffen, sah das Verhältnis anders aus. Kzu’ul hatte das bei seinem Kampf gegen die weißen Spinnentiere im Wasser gut beobachten können. Sie hatten ihn als Legion angegriffen und ihm dabei übel mitgespielt. Erst, als es ihm gelang, die vielen Leiber zu trennen, indem er ihnen ihre verletzten Artgenossen zum Fraß vorwarf, hatte er die Oberhand gewonnen. So musste es auch beim Angriff auf das Reich der Warmen laufen. Es musste ihm gelingen, durch die Kraft seiner Gedanken den Tross beisammen zu halten. Die Zeds mussten agieren wie ein Körper mit unzähligen Mäulern, ungeachtet der Verluste. Nur dann hatten sie eine Chance, die Grenze zu überwinden und sich nach Herzenslust auf der anderen Seite am Fleisch und Blut der Warmen zu nähren.

Er stieß ein lautes Kollern aus und ließ seine Gedanken wie ein Lauffeuer durch die Reihen gehen. Jedes Individuum in dieser riesigen Armee erfasste den Gedanken an Aufbruch und identifizierte ihn als den eigenen. Dann reichte er den Impuls weiter an den nächsten, an den nächsten, und so weiter.

Kzu’ul wandte sich gen Westen und stapfte durch den hüfthohen Schnee, als wäre der gar nicht da. Seine Offiziere, die von ihm persönlich infizierten Struggler, folgten ihm in breiter Front, und dahinter setzte sich der gewaltige Tross aus Walkern und Huntern in Bewegung.

Etwa zehn Kilometer westlich von Kasan marschierten die Zombies auf der E22 in Richtung Wolga, um dort die Grenzanlage zu überwinden. Weiter nördlich hatten die Warmen den Grenzzaun wesentlich intensiver befestigt, dort existierten Maschinen, die das eigenartige Leben, das die Untoten beseelte, zerstörte.

In der Nähe dieser Maschinen begann das Wasser im Fleisch zu kochen und tötete den Keim, der die Zeds in dieser widernatürlichen Form von Leben existieren ließ. Kzu’ul wollte diese Bereiche umgehen. Die Warmen besaßen zwar auch bewegliche Maschinen dieser Art, aber die waren kleiner und ihre Zahl war gering.

Als er seine Armee an das Ufer der Wolga führte, wo die Metallzäune und die Betonblockaden die Grenze zum Reich der Warmen markierten, türmte sich vor ihnen eine gewaltige Wand aus Fleisch und Knochen auf. Das waren Leiber Ihresgleichen, Tausende, Abertausende, aufgeschichtet und zu einem massiven Block gefroren. Der Führer der Warmen hatte ihnen hier eine Botschaft in die verschneite Landschaft geschrieben: Bleibt weg!

Kzu’ul jedoch ließ sich von derlei Imponiergehabe nicht im Mindesten beeindrucken. Auf seinen mentalen Befehl hin stürmten die Zeds auf diese Kadavermauer ein. Sie brandeten gegen den Wall wie ein Tsunami, der die Fundamente einer Hafenmauer aus dem Boden zu hieven versuchte. Gleich einer liquiden Masse schwappte die Zombieflut gegen das makabre Bauwerk und erschütterte es nachhaltig. Der Frost vermochte nicht länger der auf den Haufen einwirkenden Energie zu widerstehen, und so brach der Wall mit einem gewaltigen Krachen wie ein Deich in der schlimmsten Sturmflut. Die voran stürmenden Zeds schlugen eine riesige Bresche in den Wall aus Gebeinen und ergossen sich, einer Schlammlawine gleich, in das Hinterland.

Schreiend, knurrend und geifernd schob sich die Horde vorwärts, dem an dieser Stelle fast fünf Meter hohen Grenzzaun am anderen Ufer der Wolga entgegen. Überall flammten Xenon-Scheinwerfer auf, Alarmsirenen ertönten und überdeckten die skurrile Szene mit einem Klangteppich, der sich mit dem Gebrüll der Zombies zu einer abartigen Kakophonie vereinigte.

Zwar hatte man die Wolgabrücken zerstört, doch war das Eis inzwischen derart dick, dass es die riesige Horde problemlos trug. Hinter dem Durchbruch des Knochenwalls verbreiterte sich die Front der Zeds enorm. Auf einer Strecke von über fünfhundert Metern drangen sie auf den massiven Elektrozaun ein, um ihn niederzureißen. Tausende von ihnen wurden von der Hochspannungsladung des Zauns sofort außer Gefecht gesetzt, doch nach und nach vergrößerte der Haufen verschmorter Zed-Kadaver die Ableitfläche derart rapide, dass der Strom im Zaun wirkungslos verpuffte. Der Gestank von verbranntem Fleisch verpestete die Luft.

Soldaten schrien, Offiziere bellten Befehle. Überall fielen Schüsse. Köpfe und Körper zerplatzten. Aus der Ferne kamen die ersten Helikopter herangeflogen und schickte ihre tödliche Raketenfracht voraus. Schwere Explosionen erschütterten die massive Eisdecke des Flusses und ließen die meterdicken Schollen brechen. Zahlreiche Zeds versanken in den Fluten oder wurden von den Maschinenkanonen der Helikopter zerrissen. Das Eis und der Schnee färbten sich undefinierbar bräunlich, wie verrosteter Stahl schien die erstarrte Oberfläche der Wolga. Und immer noch rückten Legionen von Zeds durch die klaffende Wunde in dem Knochenwall nach. Der Kampf der Grenztruppen wurde mit jeder Minute aussichtsloser. Kzu’ul stand oben auf der Krone des Walls und beobachtete die Schlacht.

In der Grenzstation beeilte sich ein Offizier, eine Meldung an das Hauptquartier abzusetzen. Hektisch telefonierte er mit einem Operator, als ein furchtbares, kreischendes Geräusch seine Aufmerksamkeit auf das Fenster der Wachstube lenkte. Pure Angst weitete seine Pupillen, die sich als schwarze Punkte im Glas spiegelten. Im Zeitlupentempo bog sich der gesamte Grenzzaun auf einer Länge von über einhundert Metern unter der Last abertausender Zed-Körper nach innen und krachte schließlich zu Boden. Kzu’ul grinste höhnisch.

Im Hauptquartier der New World Army legte General Pjotrew den Hörer weg und räusperte sich, einen erneuten Redeschwall seines Dienstherrn unterbrechend. Der sah ihn mit funkelndem Blick wütend an.

»Was wollen Sie, Mikail? Sie haben mich unterbrochen!«

Der General nickte und antwortete langsam: »Wie es aussieht, Herr Marschall, haben wir ein Problem …«

 

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(Februar 2015)

 

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