Jahr Zwei, 01. Oktober. Morgen II

»Sierra Tango One. Sierra Leader. Sind bereit für Flyby und Kurskorrektur. Formation folgen. Waffen entsichern und für Zielerfassung vorbereiten.«

»Hier Sierra Tango Three. Radarerfassung! Passives Bodenradar. Keine Zielmarkierung.«

»Hier Sierra Leader. Gut, dann wissen sie jetzt, dass wir kommen. Angriffsformation! Sichtflug. Sierra Tango Two, Three, Four. Steuern Sie Ihre Positionen an, Feuern nach eigenem Ermessen. Sierra Tango Five, Six, Seven: Klarmachen zum Abwinschen. Wir kommen heiß rein!«

Die Helikopter passierten den Berg, auf dem das Dorf Rennes-le-Château lag, westlich in ungefähr drei Kilometern Entfernung, und flogen nun einen Bogen, eine raumgreifende Einhundertachtzig-Grad-Kehre. Die Helis näherten sich jetzt dem Dorf auf direktem Nordkurs.

Die Männer der Bodenteams klinkten sich in ihre Seile ein, entsicherten die Waffen und machten sich bereit. Insgesamt sechsunddreißig Mann, bis an die Zähne bewaffnet, zum Äußersten entschlossen. Die Seitentüren der Sea-King-Hubschrauber öffneten sich und der Sinkflug begann. Leutnant Paladin im Sierra Tango Seven nickte seinen Leuten still zu. Alle hatten ihre St. Georgs-Bänder angelegt und schauten grimmig und entschlossen drein.

In den anderen beiden Sea-Kings begannen weniger stille Rituale. Besonders die Männer des Night Stalker Teams im Sierra Tango Five veranstalteten einen Lärm, dass man annehmen konnte, der Heli hätte versehentlich eine Horde Gorillas mit auf den Weg genommen. Die Männer feuerten sich gegenseitig an und heizten damit die Stimmung in ihrem Team an.

Im Sierra Tango Six bei den Briten vom SAS-Team gab es ähnliche, jedoch weitaus leisere Szenen; der Feldkaplan in der Gruppe sprach ein anglikanisches Gebet.

Die Kampfhubschrauber zogen nun hoch und nahmen eine zangenartige Position ein. Der Sierra Leader nahm den Platz zwischen Sierra Tango Six und Seven ein, so dass sich ein Halbkreis im Süden des Dorfes bildete:

Sierra Tango Two im Westen, dann Five, Three, Six, One, Seven und Four letztlich im Osten.

Die Piloten entsicherten ihre Waffenträger, in denen tödliche Hellfire-Raketen steckten und ließen die Ladegurte für ihre Zwanzig-Millimeter-Maschinenkanonen einrasten.

Alles lief routiniert ab, jeder Handgriff saß, und binnen Sekunden waren die Hubschrauber kampfbereit.

»Sierra Tango Leader. LOBO für AGM komplett. Aktivieren Hydra 70. Angriff. Jetzt!«

Die großen Hellfire-Raketen lösten sich von den Hubschraubern, sackten kurz durch und aktivierten die Triebwerke. Dann rasten sie mit Mach 1,3 auf das Dorf zu.

*

»Verdammt! Sie weichen unseren Stellungen aus!«, rief Eckhardt, der das Radargerät bediente.

»Heißt was?«, rief Alv zurück, der mit Gernot und Wolfgang gerade die Dreißig-Millimeter-Kanonen der Pumas aktivierte.

»Heißt: Breit gefächerter Angriff von Süden über einhundertachtzig Grad. Verdammt. T4 und T2 abschalten. T1 und T3 bleiben in Funktion. Gernot und Wolfgang, wenn ihr die Chance seht, schießt. Alv, wir müssen raus, zur Südmauer.«

In diesem Moment schlugen die Hellfire-Raketen im Dorf ein. Die gewaltigen Explosionen erschütterten den gesamten Berg bis in die Grundfesten, sogar in der Höhle bei den Kindern bröckelte Gestein von der Decke. Den Magdalenenturm trafen gleich zwei Raketen und sein Obergeschoss wurde in einer riesigen Flammenwolke förmlich pulverisiert. Die Tamarasque-Kanone auf dem Dach flog in Einzelteilen durch die Luft, die Schrapnelle sirrten umher.

Eine weitere Rakete galt dem Standort des Hulk-Trucks, verfehlte die Zugmaschine jedoch und schlug hinter dem Fahrzeug ein. Die Explosion wirbelte große Mengen an Staub und Dreck auf. Das massive Gestein des Berges konnten die Raketen nur oberflächlich ankratzen, aber die Druckwellen ließen die Gesteinssplitter zu tödlichen Geschossen werden. Zum Glück war in dem alten Dorf alles, was oberirdisch stand, mit sehr dicken Natursteinmauern versehen, so dass die Splitter meist an den Wänden zerschellten. Die nächsten beiden Raketen trafen den runden Turm im Süden des Dorfes; dieser war nicht sonderlich stabil gebaut und wurde dem Erdboden gleichgemacht. Hier verlor die Dorfgemeinschaft zum Glück nur ein schweres MG, das nicht besetzt war.

Eckhardt hatte in Erwartung eines Raketenangriffs allen Bewohnern eingebläut, sich anfänglich hinter dicken Mauern und in Kellern zu verschanzen, bis die schwersten Explosionen vorbeiwaren. Doch der Zauber ging gerade erst los.

Vier weitere Einschläge ebneten Häuser im südlichen Ring ein, eine Rakete traf die Containerwand in der Nähe des zerstörten Magdalenenturms und hinterließ dort eine Menge ziemlich verbogenes Blech. Auch im Zentrum des Dorfes schlug eine Hellfire ein und erwischte das Schulgebäude. Überall stoben Glut- und Feuerwolken in den Himmel und rissen Staub und Dreck mit sich empor. Der Lärm der gewaltigen Explosionen und der einstürzenden Häuser war kaum zu ertragen, auf die Dächer prasselten Steine, Metall und Teile der Straßen nieder und durchschlugen an vielen Stellen die Schindeln.

Eckhardt und Alv bellten in ihre Mikrofone, um die Männer zu ihren Einsätzen zu leiten.

»Gegenschlag vorbereiten! Aktiviert eure Stinger-Raketen, aber noch nicht feuern. Wartet auf mein Kommando!«, gab Eckhardt durch, als die letzte der schweren Explosionen verklungen war. Die Feuerpause diente dazu, die Mannschaftshelikopter ans Ziel zu bringen. Jetzt wollten die Angreifer ihre Bodentruppen mitten im Dorf absetzen. Alv nahm Verbindung zu Holger und Ralle auf.

»Haltet euch bereit. Wartet auf mein Kommando.«

An drei Stellen wurden Rauch, Staubwolken und Feuer plötzlich zu den Seiten weggedrückt und verwirbelt, ein hartes Knattern kündigte an, dass die Sea-King-Hubschrauber in Bodennähe über den Dachfirsten in die Festung eindringen wollten.

»Jetzt! Gegenmaßnahmen! Jetzt!«, schrie Alv in sein Mikro.

Bruchteile einer Sekunde später starteten die ersten Batterien der Feuerwerkskörper und traten mit dumpfem Ploppen aus den Rohren. Noch während die Piloten sich wunderten, was das sein könnte, explodierten die gewaltigen Schwarzpulverbomben direkt vor ihren Kanzeln und hüllten den grau verhangenen Himmel in gleißendes Licht. Überall knallte und donnerte es, glühende Metallspäne entflammten ein buntes Lichtermeer am Himmel, und die größeren Teile schlugen rotglühend in die Helikopter ein. Dichter, beißender Rauch hüllte das Dorf über den Dächern ein, der Rauch war dermaßen dicht, dass die Ziellaser der Black-Hawk-Hubschrauber für ihre Hellfire-Raketen keine Ziele mehr fanden.

Die Piloten deaktivierten die Laserzielerfassung und starteten die restlichen AMG im Fire-and-forget Modus. Exakt in dem Moment, als die letzten Hellfires abgeschossen wurden, klappten auf der südlichen Befestigungsanlage Gerüste mit labbrigen Maschendrahtgittern hoch. Die Raketen flogen mitten in diese Netze hinein, die nur wenig Widerstand boten, konnten diese jedoch nicht durchdringen und fielen vor dem Containerwall außerhalb des Dorfes einfach zu Boden, wo sie wirkungslos in den Gemüsebeeten explodierten und den Salatköpfen des Dorfes das Fliegen beibrachten.

Für die Sea-King-Hubschrauber wurde es inzwischen gefährlich. Die in der Luft herumfliegenden Metallsplitter setzten ihren Turbinen arg zu und Sierra Tango Six musste abrupt abdrehen, um außerhalb des Dorfes eine Notlandung durchzuführen. Sierra Tango Seven – mit den Russen an Bord – drehte nach Osten ab und versuchte, seine Männer auf der Serpentine der Zufahrt abzusetzen. Sierra Tango Five drehte nach Nordwest ab und geriet in das Schussfeld des ersten Puma-Panzers, mit dessen Maschinenkanone Gernot sofort begann, den Helikopter zu beharken.

Der Black Hawk Sierra Tango Two eilte den Amerikanern zur Hilfe und nahm nun seinerseits den Panzer mit Hydra-Raketen und der Bordkanone unter Feuer. Ein wildes Feuergefecht entbrannte an der Nordwestecke in Höhe der Kirche, in dessen Verlauf der Sea King, mehrfach schwer getroffen, runtergehen musste, um einen Absturz zu vermeiden. Der Black Hawk erhielt Treffer am Heckrotor und an der Hauptturbine, und als der Pilot seine letzte Hellfire-Rakete blind abfeuerte, um den Panzer auszuschalten, traf ihn unvermittelt eine Stinger-Rakete, die von Birtes Wohnbereich aus abgefeuert worden war. In einem grellen Feuerball explodierte der Kampfhubschrauber und ging als brennendes Wrack zu Boden.

Die beiden äußeren Puma-Panzer T1 und T3 wurden durch gewaltige Hellfire-Explosionen vollständig zerstört. Gernot und Wolfgang wechselten in der Zentrale sofort ihre Arbeitsplätze und besetzten die Kontrollplätze für Tank Nummer zwei und für den Leclerc-Panzer.

Die zweite Batterie Feuerwerkskörper startete und schuf über dem Dorf einen orangen Lichterdom, eingehüllt in eine gigantische Rauchwolke, die es den Piloten der drei verbliebenen Black-Hawk-Helikopter unmöglich machte, im Inneren des Dorfes Ziele zu erfassen. Vorsichtig tasteten sie sich an die illuminierten Wolken heran, wollten sie mit den Rotoren zerstreuen, doch das war ein Fehler.

Aus den verschiedensten Hauseingängen kamen mit einem Mal Dorfbewohner hervor, mit Abschussvorrichtungen für Stinger-Raketen auf ihren Schultern. Immer zwei Mann mit einem Abschussrohr und einer Kiste, in der sich vier Raketen befanden.

Die Piloten schossen blind in das Dorf hinein, sie feuerten kleine Hydra-Raketen und haufenweise Zwanzig-Millimeter-Projektile. Die Maschinenkanonen der Hubschrauber spien Unmengen leerer Hülsen aus, als sie das Dauerfeuer initiierten. Durch Treffer und Querschläger wurden binnen Sekunden mehr als zehn Dörfler getötet, doch sofort kamen andere aus den Häusern gelaufen und nahmen die Raketenwerfer auf.

Überall in den engen Gassen sahen die Piloten plötzlich Mündungsfeuer aufblitzen, doch zum Ausweichen war es bereits zu spät. Die schnellen, wendigen FIM-92F-Raketen fanden ihre Ziele und zerstörten die Turbinen der Helikopter, die, einer nach dem anderen, in Feuerbälle gehüllt, zu Boden gingen und beim Aufschlag explodierten wie kleine Sonnen.

Über Funk meldete sich der Kommandant der Sondereinheit der Seals, der den Sea King Sierra Tango Five geflogen hatte.

»An alle! Hier ist Sierra Tango Five, Captain Jed Tusk. Do you read me? Sierra Tango One to Four sind down. Ich übernehme das Kommando. Sierra Tango Six und Seven. Geben Sie mir ihren Status!«

Die Piloten der beiden anderen Sea Kings meldeten sich. Die Hubschrauber waren beschädigt, konnten jedoch landen.

Die Männer verließen gerade südlich und östlich des Dorfes ihre Hubschrauber und bereiteten sich auf den Bodenkampf vor, der in diesem Moment begann.