Jahr Zwei, 01. Oktober. Morgen IV

Im Helikopter Sierra Tango Seven berappelten sich die Mannschaft und die Mitglieder des Teams Charly. Leutnant Paladin und seine Leute banden zusätzlich zu den Armbändern noch orange-rote Bänder an ihre Kalaschnikow Sturmgewehre. Dann entsicherten sie und luden die Gewehre durch, schraubten die Schalldämpfer auf. Der Pilot und der Copilot drehten sich nach hinten um. Der Pilot fragte:

»Was sind das für Bänder? Wollt ihr zum Karneval, als komische Nummer, oder was?«

Leutnant Paladin sah ihn verächtlich an.

»Du hast keine Ahnung, was? Die Helden des Großen Vaterländischen Krieges trugen diese Bänder voller Stolz. Idiota!«

Kaugummi kauend und schmatzend erwiderte der Pilot:

»Ihr Russen seid ein komisches Volk, echt. Mit dem Lametta erkennt man euch doch an jeder Hausecke.«

Dann überlegte er einen kurzen Moment.

»Es sei denn, ihr wollt, dass man euch erkennt und … verdammt!«

Ein Schuss direkt in sein Gesicht beendete die Debatte, als der Pilot zur Pistole greifen wollte. Ein Gefreiter aus Paladins Team erledigte den Copiloten im selben Augenblick. Dann stiegen die Männer aus und schlugen sich in die Büsche in Richtung Norden. Paladin warf eine Handgranate in die Pilotenkanzel, die kurz darauf in einer Explosion zerstört wurde und prasselnd ausbrannte.

*

Drei Gebäude im Dorf standen lichterloh in Flammen. Dichter Rauch zog durch die engen Gassen, der Wind blies den Qualm die westliche Rue de la Salasse hinauf, vorbei am Versammlungshaus, in Richtung des Labors. Eckhardt hatte sich mit einer Gruppe Bewaffneter zur Orangerie begeben, deren Glasscheiben in Form eines Scherbenregens in die Umgebung niedergegangen waren. Unter ihren Stiefeln knirschten die Splitter, als sie am südwestlichen Mauerring Stellung bezogen. Sie brachten drei schwere MG in Stellung und stellten Munitionskisten für die Sturmgewehre auf.

Nachdem die Hubschrauber heruntergekommen waren, erwarteten die Verteidiger jederzeit den Angriff der Spezialkräfte. Über dem Dorf lag minutenlang eine gespenstische Stille, die dann jedoch zunehmend vom Knistern und Knacken der sich ausdehnenden Brandherde unterbrochen wurde.

Hier und da hörte man die bellenden Laute von Verpuffungen und das Knattern brennender Munitionskisten, in denen die Patronen explodierten. Pfeifend und jaulend schossen dutzende Querschläger durch die brennenden Häuser.

»Hier rüber! Stellungen sichern!«, schrie Eckhardt seine Befehle nach hinten ins Dorf. Knapp zwanzig Mann folgten ihm. Im Süden, auf Höhe der Schmiede, postierte sich Sepp Falkner mit ebenfalls zwei Dutzend Männern und Frauen, um die arg in Mitleidenschaft gezogene Verteidigungslinie aus Überseecontainern zu bewachen. Irgendwo am Südhang hatten sich ebenfalls Spezialkräfte hinter den Felsgraten in Deckung gelegt und warteten auf einen günstigen Moment, um ihren Angriff zu starten.

Alv stand mit seinen Familienmitgliedern schwer bewaffnet am stark befestigten Eingangstor des Dorfes, und Holger patrouillierte mit einer Fünfergruppe am Nordhang, bereit, dort die Silos zu öffnen, falls sich Soldaten näherten, um die Steilwand zu erklimmen. Zur Zeit wurde nirgendwo geschossen. Die Angreifer blieben erst einmal in Deckung, da sie die in den brennenden Häusern explodierenden Munitionskisten irrtümlich für unkontrolliertes Sperrfeuer hielten.

Alv, Benny und Aaron standen auf dem Wehrgang, der über dem fast vier Meter hohen, aus stabilen Leitplanken zusammengeschweißten Haupttor verlief. Alvs Söhne hatten jeweils eines der beiden fest installierten MG durchgeladen, und Alv hielt seine geliebte HK417 durchgeladen und entsichert im Anschlag. Mit einem Mal vernahm er von rechts ein raschelndes Geräusch am Hang in den Büschen, welche die beiden Fahrbahnen der letzten Serpentinenkurve der Dorfzufahrt trennten. Beide MG ruckten herum in die Richtung, aus der das Geräusch kam. Aus dem Dickicht erklang eine raue Stimme.

»My drusja! Wir sind Freunde!«

Alv legte an und zielte in die Richtung, aus der die Ansprache kam. Dann gab er mit den Fingern Zeichen an Katharina, die im unteren Bereich des Tores an einer Schießscharte stand, aufmerksam in alle anderen Richtungen zu spähen.

»Wer da? Zeigt euch! Dawai! Waffen senken! Wie viele seid ihr?«

»Wir kommen raus. Zwölf Mann. Waffen gesichert. Keine Gefahr!«

Weiteres Rascheln im Gebüsch. Dann teilten sich die Zweige und ein Dutzend verwegen aussehender Männer trat auf die Fahrbahn vor dem Tor.

Sie alle trugen St. Georgs-Bänder an ihren linken Oberarmen und an ihren Waffen. Sie hielten ihre Gewehre demonstrativ mit dem Lauf nach oben weg von ihrem Körper und stellten sich gut sichtbar vor dem Tor auf.

»Mein Name ist Paladin. Leutnant Juri Paladin. Wir unterstehen dem Kommando von General Pjotrew und sind hier, um euch zu unterstützen. Ich möchte mit Alv Bulvey sprechen.«

»Ich bin Alv Bulvey. Wer sagt mir, dass ihr nicht lügt, um ungeschoren ins Dorf zu gelangen?«

»Ich denke, man hat Sie vorab informiert, Bulvey?«

»Schon, aber das sagt nicht viel aus.«

Der SpezNas-Kommandeur nickte.

»Ich verstehe Ihre Bedenken, Bulvey. An Ihrer Stelle wäre ich auch misstrauisch. Sie müssen sich jetzt entscheiden. Sie können uns hereinlassen, dann haben Sie ein Dutzend Kämpfer mehr, von denen Ihr Gegner noch nichts weiß. Oder Sie entscheiden sich gegen uns, dann kämpfen Sie allein, und meine Männer und ich suchen uns ein warmes Plätzchen im Süden, wo wir unsere Tage verbringen. Ihre Entscheidung. Aber Sie sollten sich beeilen, denn der Tanz geht jeden Moment los.«

Einen Moment lang geschah nichts. Dann verrieten knirschende und knarzende Geräusche, dass sich am Tor etwas tat. Die Querriegel und die Bodenanker sowie die zusätzlichen Versteifungen im Innern wurden beseitigt und das Tor öffnete sich ein Stück. Gerade so viel, dass ein Mann hindurch passte. Alvs Gesicht erschien in dem Spalt.

»Also gut, kommt rein.«

Paladin ging als Erster, gefolgt von seinen Männern, die versuchten, so etwas wie ein freundliches Grinsen zu produzieren. Als alle das Tor passiert hatten, schlossen Benny und Aaron es sofort wieder und verriegelten es gewissenhaft. Katharina hielt ihre Waffe im Anschlag. Alv und der russische Offizier standen sich Auge in Auge gegenüber. Alv reichte ihm die Hand.

»Seid willkommen im Refugium Rennes-le-Château. Ich bin Alv.«

Der russische Leutnant sprach gutes Deutsch, wenn auch mit hartem russischem Akzent.

»Ich bin Juri. Meine Männer und ich werden euch unterstützen. Die beiden anderen Teams sind Seals und SAS-Männer, je ein Dutzend. Sie haben den Auftrag, jeden hier im Dorf zu töten, außer Birte Radler und zwei der Wissenschaftler. Diese Männer sind ohne jedes Mitgefühl, ihr werdet mit ihnen nicht verhandeln können.«

»Ja«, erwiderte Alv, »ich weiß. Diese Leute kämpfen für die Wahnvorstellungen eines irren Diktators.«

»So sieht der General es auch«, antwortete Juri. Katharina, Benny und Aaron senkten nun ihre Waffen, die Männer des Teams Charly ebenfalls. Eine erste Vertrauensgeste. Alv hakte bei Juri nach.

»Der General will einen Putsch?«

»Ich nehme das an, ja.«

»Und er braucht uns und das hier als Propaganda.«

»Na ja«, erwiderte der große Russe, »zumindest macht es seine Sache leichter, wenn er hiervon berichtet. Die Öffentlichkeit muss hinter der Veränderung stehen.«

»Wer sagt uns, dass Pjotrew es nicht genauso macht, wenn er erst einmal an der Macht ist.«

Der Russe nickte.

»Ich vertraue ihm.«

Alv deutete hinter sich, in Richtung Süden.

»Und die da hinten vertrauen Gärtner.«

»Die vertrauen niemandem. Dieser Marschall ist wie Hitler«

Er sprach das H wie ein CH aus. Chitler.

»Aber Stalin war auch nicht besser.«

Juri nickte erneut. Dann griff er seine Waffe fester und fragte grinsend:

»Was ist, Alv? Gehen wir nun kämpfen, oder plaudern wir noch ein bisschen?«

»Also gut, plaudern wir nachher beim Tee, Juri. Zwei Mann bleiben hier am Tor, zwei Mann verstärken unsere Patrouille an der Nordwand. Ein Vierertrupp nach Südwesten zur Kirche, du kommst mit drei Mann mit mir, wir gehen nach Süden zur Containermauer. Ich habe da für unsere Besucher noch eine Überraschung.«

»Ja, ja!«, bejahte der Russe, »mit Überraschungen seid ihr hier ganz groß, das habe ich schon mitbekommen.«

»Not macht erfinderisch. Sprechen deine Männer alle deutsch?«

»Mehr oder weniger. Verstehen gut, sprechen, so lala.«

Alv bediente das Funkgerät in seiner linken Brusttasche, das Mikro hing an seiner Schulter.

»Eckhardt? Hörst du mich? Ich schicke dir vier Georgs rüber. Sepp? Vier Mann für dich! Holger? Zwei Freunde für dich.«

»Alles klar!«, kam von Eckhardt kurz und knapp zurück.

»Ok, verstanden!«, meldete sich die Nordpatrouille.

»Ebenso!«, meldete Sepp.

»Gehen wir«, sagte Alv und bewegte sich an Jacques und Tillys Haus vorbei in die Rue de la Salasse nach Süden. Juri instruierte seine Männer, die sich aufteilten und sich auf den Weg zu ihren Posten machten. Dann folgte Juri dem Anführer der Verteidigungstruppe. Zwei Minuten später sah man die SpezNas-Kämpfer in dem Dorf nicht mehr.

Sie bewegten sich im Schatten der Häuser und nahmen strategisch günstige Positionen ein, um zunächst unerkannt in den Häuserkampf einzugreifen.