Jahr Zwei, 01. Oktober. Morgen IX

Alv und Juri erreichten die Villa Béthania und begaben sich in das Innere, wo im Erdgeschoss die beiden Kommandoräume eingerichtet waren. Alv setzte sich an den ComPort, wo er einen Rechner hochfuhr und das Funkgerät einschaltete, um die Röhren des alten, aber leistungsfähigen Kastens vorzuwärmen.

Juri pfiff durch die Zähne. »Ihr seid viel besser ausgerüstet als ich dachte, Towarischtsch. Computer, Radar, Panzersteuerung vom Befehlsstand. Mein lieber Mann, ohne den Verräter in euren Reihen wären wir voll in eure Salven reingeflogen und nicht einer von uns hätte auch nur einen Schuss abgegeben.«

»Das war der Plan.«

Alv grinste.

»Was ist aus dem Verräter geworden?«

»Zombiefutter.«

Juri nickte und setzte sich an den Tisch. Er steckte sich eine Machorka-Zigarette an und hielt Alv die Schachtel hin, dieser lehnte jedoch freundlich ab.

»Was willst du als Nächstes tun, Alv Bulvey?«

»Ich werde Marschall Gärtner erzählen, dass er seine Schlacht verloren hat.«

»Na ja«, meinte Juri nachdenklich, »hältst du das für klug, ihn so zu reizen? Wir waren oben, da in seiner Festung. Dieser Mann ist wahnsinnig, völlig von seiner Hybris zerfressen. Er ist gefährlich.«

Juri rauchte genüsslich. Die Asche schnippte er auf den Boden und zerrieb sie mit dem Stiefel auf den rauen Holzdielen. Kurz darauf trat er seine Kippe aus.

»Na gut. Lass uns deinen Verband wechseln, damit deine Kinder dich nicht blutverschmiert in die Arme schließen müssen.«

Während Juri Paladin professionell den Verband wechselte, dachte Alv nach. Er fragte:

»Wie viele Leute hast du verloren, Juri?«

»Drei.«

»Ihr seid noch zu neunt?«

»Ja. Stillhalten.«

»Was … was werdet ihr jetzt tun?«

Juri verknotete die Mullbinden und zog Alv den Pullover drüber. Dann half er ihm wieder in die Weste. Seinen linken Arm hängte er in eine Schlinge.

»Wir würden gern hier bleiben, bei euch. Ihr habt heute viele Leute verloren. Und ihr habt keine Soldaten. Der General hat mich gebeten, hier zu bleiben, falls wir gewinnen.«

»Pjotrew?«

»Ja.«

Alv wurde stutzig.

»Aber … wozu? Wozu will Pjotrew ausgerechnet uns beschützen? Wir haben keinen Wert für ihn.«

»Das habe ich ihn auch gefragt«, antwortete Juri, »er sagte mir, dass dieses Dorf etwas Besonderes sei. Wie sagte er? ›Ein Acker, welcher die Saat der Freiheit trägt.‹ Ich verstand ihn nicht, als er das sagte. Jetzt verstehe ich ihn.«

Alv rückte sich die Weste auf der Schulter zurecht, was sein Körper mit einem schmerzhaften Zucken quittierte.

»Also von mir aus«, erwiderte er, »könnt ihr gern hierbleiben. Nur muss das die Vollversammlung akzeptieren.«

Juri nickte.

»Sicher.«

»Und Eckhardt hat das militärische Kommando. Damit das klar ist.«

»Verstanden.«

Eine gute Stunde später traf Eckhardt mit Sepp bei Alv und Juri in der Villa ein. Sie hatten die Dorfbewohner, die in den Höhlen versteckt saßen, aus ihrem Bunker befreit und alle saßen nun vor der Villa versammelt und warteten auf das, was folgen sollte. Sie hatten einen sehr hohen Preis für ihre Freiheit gezahlt, denn das Dorf befand sich in keinem guten Zustand.

Alvs Kinder stürmten in den Raum, um ihren Vater zu begrüßen, doch Eckhardt hielt sie ein wenig zurück. Zum einen wegen der Verletzung, zum anderen wegen der Ansprache, die Alv nun an seine Nachbarn und Freunde halten wollte. Birte würde wieder übersetzen.

Alv trat ans Fenster im Erdgeschoss und schaute seine Leute an. Er blickte in Gesichter, die von Furcht gezeichnet waren angesichts der Zerstörung, die sie an diesem Tage gesehen hatten. In der Nach-Apokalypse-Zeit hatte niemand von ihnen mehr ein solches Maß an Zerstörung erlebt. Sicher, mit dem Tod als ständigem Begleiter lebten hier alle und wenn einem auf zwei Beinen gehenden Wesen der Schädel zertrümmert wurde, betrachtete das noch lange nicht jeder hier als Mordtat, doch die Schäden, die an ihrem Zuhause von Menschen verursacht worden waren, trafen viele der Anwesenden mitten ins Herz.

Mehr als die Hälfte der Gebäude waren zerstört beziehungsweise schwer in Mitleidenschaft gezogen worden, die Gärten im Dorf und außerhalb der Siedlung waren zum größten Teil verwüstet und einige der technischen Einrichtungen hatten Schaden genommen. Das relativ kurze, jedoch mit aller Härte geführte Gefecht hatte nicht nur Häuser zerstört, sondern auch Familien, Beziehungen und Freundschaften. Aber die Gemeinschaft als Ganzes hatte überlebt, und darüber waren alle mehr als froh.

Als Alv sich gemeinsam mit Eckhardt und Juri am Fenster zeigte, applaudierten alle Anwesenden, viele hatten Tränen in den Augen.

»Liebe Freunde«, setzte Alv an zu sprechen, der Geräuschpegel nahm ab, »verehrte Mitglieder der Gesellschaft des Willens. Ich freue mich, euch alle hier zu sehen.«

Wieder applaudierten alle, bis Eckhardt mit einigen Gesten die Ruhe wiederherstellte.

»Ein harter Kampf liegt hinter uns. Die gute Nachricht ist: Diejenigen, die sich hier versammelt haben, überlebten. Die schlechte Nachricht ist: Sechsunddreißig von uns sind nicht hier. Ihre Körper liegen noch immer auf dem Schlachtfeld, zu dem unser Dorf wurde. Wir werden ihnen nachher die letzte Ehre erweisen. Doch zunächst bitte ich euch um einen gemeinsamen Moment der Stille, in dem wir unseren Freunden, die nicht mehr unter uns sind, unsere Gedanken senden. Wir werden euch nicht vergessen. Denn nur, wer vergessen wird, ist wirklich tot.«

Alle falteten ihre Hände und senkten die Köpfe. Eckhardt verlas eine Minute später die Namen der Gefallenen mit lauter und fester Stimme. Als er geendet hatte, ergriff Alv erneut das Wort.

»Wir bitten in unseren Gebeten den Gott des Lebens und der Schöpfung darum: Nimm ihre Seelen zu dir auf, lass sie Teil der unendlichen Schöpfung werden. Von den Sternen kommen wir, zu den Sternen gehen wir. Jeder Mann und jede Frau ist ein Stern.«

»Amen«, klang es aus allen Kehlen, als spräche einer.

Alv sprach weiter.

»Heute konnten wir durch das große Opfer, das wir gebracht haben und durch den unermüdlichen Kampfeswillen, den unsere Verteidiger gezeigt haben, einen Sieg erringen, den der Marschall und sein Imperium so schnell nicht vergessen werden. Wie einige von euch ja gesehen haben, hatten wir dabei Hilfe.«

Er griff auf Juris Schulter und zog ihn ein Stückchen nach vorn, damit ihn alle sehen konnten.

»Das hier, meine Freunde, das hier ist Juri. Er hat mit seiner Einheit dem Befehl des Marschalls, uns alle zu töten, nicht gehorcht. Er hat seinen Willen, uns zu unterstützen, über den Befehl des Führers gestellt. Dafür gebührt ihm und auch seinen Männern unser aller Respekt!«

Er drehte sich zu Juri und applaudierte ihm, alle anderen taten es Alv nach. Auch den Russen, die unter den Dorfbewohnern standen, klatschten sie zu und klopften auf ihre Schultern. Dann wandte Alv sich wieder an die Versammlung.

»Juri und seine Leute wollen Bestandteil unserer Gemeinschaft werden. Sie wollen hier bleiben und mit uns leben und kämpfen. Wenn jemand etwas dagegen einzuwenden hat, so möge er oder sie jetzt sprechen.«

Niemand sagte ein Wort.

»Dann«, fuhr Alv fort, »begrüße ich euch in der Gesellschaft des Willens, Juri. Es ist mir eine besondere Ehre, mutige Krieger wie euch an unserer Seite zu wissen.«

Die beiden schüttelten sich demonstrativ die Hände und Juri winkte den Leuten draußen zu. Alv sprach weiter.

»Wir haben nun die traurige Pflicht, die Leichen der Gefallenen zu bergen und sie in Würde auf unserem Friedhof zu bestatten. Wenn das erledigt ist, machen wir uns gemeinsam ans Aufräumen. Zunächst löschen wir alle Brände, dann reparieren wir provisorisch unsere Verteidigungsanlage. Danach werden die beschädigten Häuser instandgesetzt, die zerstörten werden abgerissen. Gleichzeitig müssen wir unsere Gärten wieder in Schuss bringen für das nächste Jahr. Aber ich denke, nach der Beisetzung sollten wir unseren Sieg ein wenig feiern, bevor wir wieder an die Arbeit gehen. Wir treffen uns um vierzehn Uhr auf dem Friedhof, würde ich sagen. Ich danke euch allen, dass ihr überlebt habt, Freunde. Machen wir uns an die Arbeit.«

Wieder applaudierten alle, und nach einigen Minuten löste sich die Versammlung auf. Alv setzte sich sichtlich erschöpft auf einen der Stühle am Kartentisch. Die Tür zum Flur öffnete sich und die beiden Jüngsten aus Alvs Kinderschar, Arnie und Angus, stürmten auf ihren Vater zu, der sie herzlich umarmte.

»Wir haben uns unten in der Höhle ganz still verhalten, als wir die Schüsse und die Explosionen oben gehört haben!«, erzählte Arnie voller Stolz.

»Du hast doch bloß Schiss gehabt!«, gab sein älterer Bruder zum Besten.

»Weißt du, Arnie, wir haben alle Schiss gehabt«, meinte Alv und drückte seinen Sohn an sich. Der bemerkte den Verband an Alvs Schulter.

»Bist du angeschossen worden, Papa?«

»Ja, eine Kugel hat mich an der Schulter getroffen. Ein glatter Durchschuss.«

»Cool!«

Alv lachte.

»Na ja, cool würde ich das nicht unbedingt nennen, es tat nämlich ganz schön doll weh.«

Arnie umarmte seinen Vater.

»Ich bin froh, dass du nicht tot bist, Papa.«

»Ich auch, mein Sohn.«

Feline trat hinzu und nickte in Richtung Tür.

»So, nun kommt, Jungs. Papa hat noch zu arbeiten. Lasst uns mal schauen, ob unser Haus noch steht.«

Einige Minuten später herrschte wieder einigermaßen Ruhe in der Kommandozentrale. Alv meinte zu Juri:

»Am besten gehst du mit deinen Männern mal zu Katharina, sie steht draußen. Irgendwo findet sie für euch noch Räume, in denen ihr erst mal provisorisch unterkommt. Morgen sehen wir dann weiter. Geht duschen, zieht euch um, esst etwas und schaut euch in Ruhe im Dorf um. Wir sehen uns dann nachher bei der Bestattung.«

Juri nickte und verließ den Raum, in dem Alv nun mit Eckhardt, Sepp und Birte um den Tisch saß. Holger betrat das Zimmer und stellte seine Waffe in die Ecke.

»Ah, gut, dass du kommst«, sprach Eckhardt ihn an, »wir brauchen unbedingt eine Videoleitung zum New World Hauptquartier. Kriegst du das hin, Holger?«

Der nickte.

»Klar, da das ja wohl nicht heimlich, sondern offiziell gehen soll, wird das ein Kinderspiel. Ich bereite das Com-Term vor. Gib mir ein paar Minuten, Eckhardt.«

Er machte sich sofort an der Computerphalanx zu schaffen. Eckhardt zog seine zerknitterte Zigarettenschachtel aus der Brusttasche seiner Uniformjacke und steckte sich eine an. Dann sah er zu Birte und Sepp hinüber.

»Wenn die Leitung steht, wollt ihr dann lieber …«

Birte fiel ihm ins Wort.

»Oh nein, mein Bester. Ich will dem Drecksack in sein verkommenes Gesicht sehen, wenn Alv ihm sagt, was er uns kann. Und ich hoffe, er erstickt dann an seiner fetten Zigarre.«

»Nun, das war eine deutliche Ansage«, erwiderte Alv nickend, »dann empfangen wir den Herrn Marschall also mit Gruppenbild im Wohnzimmer. Warum nicht? Holger, sag Bescheid, wenn du soweit bist, ja? Ich könnte jetzt einen starken Kaffee vertragen.«

»Ich besorge uns welchen«, sagte Sepp und machte sich auf den Weg, um Heißgetränke zu requirieren.

Kurze Zeit später saß man bei Kaffee und Keksen um den Kartentisch herum, der vergangene Kampf wurde diskutiert, neue Ideen eingebracht und Manöverkritik geübt. Durch die geöffneten Fenster wehte eine Herbstbrise herein, die von unangenehmen Gerüchen geschwängert war. Es roch nach verbranntem Plastik, Teer und brennendem Holz. Dieser Geruch erinnerte auf furchtbare Weise an das vorhin Geschehene und der Schock saß bei allen noch tief. Dieser im wahrsten Sinne explosive Gewaltausbruch hatte eine neue Dimension der Furcht bei den Bewohnern des Dorfes erschaffen, die es nun zu lindern galt. Tiefe Wunden hatte es an Leib und Seele geschlagen, es würde einige Zeit brauchen, sie heilen zu lassen. Verwundungen, zum Teil schwere Verletzungen und den Verlust von geliebten Menschen galt es zu verwinden, und es würde sicherlich bis zum Frühjahr dauern, bis ein deutlicher Heilungsprozess erkennbar sein würde. Doch allzu viel Zeit, sich die Wunden zu lecken, blieb nicht. Zunächst galt es, das Schockmoment auf den Aggressor zu übertragen.

»Ich wäre dann soweit!«, verkündete Holger stolz. Einer der großen Monitore erhellte sich und zeigte das Logo der New World Organisation.

»Ist noch nicht angewählt, kann aber jederzeit losgehen.«

Alv nickte ihm zu und alle versammelten sich an dem Platz, den Holger für die Übertragung vorgesehen hatte. Er hatte ein altmodisches Standmikrofon aufgeschaltet, an dem Alv die Ruftaste betätigte.

»Hier spricht Alv Bulvey. Ich rufe die Zentrale der New World Army in der Feste Rungholt. Bitte kommen.«

Nichts passierte. Alv blickte zu Holger hinüber, der besah sich alle Kabel und Anschlüsse und reckte den Daumen in die Höhe. Alv versuchte es noch einmal.

»Hier spricht Alv Bulvey. Ich rufe die Zentrale der New World Army in der Feste Rungholt. Dringende Nachricht für Marschall Gärtner. Bitte kommen.«

Es knarzte etwas im Lautsprecher, das Bild auf dem Screen veränderte sich nicht. Dann war eine missgelaunte Stimme zu vernehmen. »Sehr witzig, Blödmann. Geh aus der Leitung, bevor wir uns die Mühe machen, deinen Standort zu ermitteln. Dies ist ein Militärkanal.«

»Lass mich mal, Alv …«

Sepp beugte sich vor und betätigte die Ruftaste.

»Behedeti ruft Lange Anna. Identifikation: Strike-ten-foxtrott-alfa-nadazero-pantafive-novenine-zulu-oscar. Bitte kommen.«

Eine Sekunde passierte nichts. Dann dieselbe Stimme, deutlich gestresster. »Empfangen Sie klar und deutlich, Behedeti. Sie werden verbunden, bitte warten Sie.«

Alv schaute Sepp mit ernstem Blick an.

»Behedeti? Nicht dein Ernst, oder?«

Sepp zuckte mit den Schultern und trat wieder in den Hintergrund. Das Bild auf dem Schirm veränderte sich. Zunächst sah man nur einen mit ergrauten Haaren bestandenen Hinterkopf, dann jedoch schien die Person sich zu der Kamera hin umzudrehen.

»Falkner, was wollen Sie noch …«

Es war Marschall Gärtner persönlich. Seinen Blick als überrascht zu bezeichnen, würde der Sache nicht gerecht. Er zeigte sich für einen Moment völlig baff, bevor er sich jedoch flugs wieder fing.

»Schau an, was für ein hübsches Stelldichein. Der Verräter und seine neuen Freunde. Was verschafft mir die Ehre, Bulvey?«

»Das sollten Sie wissen, Marschall«, entgegnete Alv in einer stoischen Ruhe, die schon fast obszön wirkte, »allein die Tatsache, dass ich in der Lage bin, mich bei Ihnen zu melden, sollte Ihnen zu denken geben. Ist es nicht so?«

»Und Ihr neuer Freund hat Ihnen meine Telefonnummer gegeben, was? Sie wissen ja, was man über Verräter sagt, Bulvey? Sie wechseln stets und immer wieder die Seiten. Oh, und das reizende Fräulein Radler ist auch zugegen. Ich grüße Sie, meine Liebe.«

Er deutete eine Verneigung an. Birte befand sich in einem emotionalen Ausnahmezustand. Ihr Puls jagte, das Herz hämmerte in ihrer Brust, als wolle es dem Käfig aus Rippen, der es umgab, entfleuchen. Sie spürte, wie Speichel unter ihrer Zunge zusammenlief, den sie Gärtner nur zu gern ins Gesicht gespuckt hätte. Unauffällig berührte Sepp sie mit der Stiefelspitze an ihrem Fuß.

Alv blieb auch weiterhin ruhig.

»Ich habe Sie nicht kontaktiert, um Plattitüden über Loyalität auszutauschen, das werden Sie sich wohl vorstellen können.«

»Was wollen Sie, Bulvey?«

»Ihre Soldaten haben heute versucht, mit einer Hubschrauberstaffel unser Dorf zu überfallen. Sie haben widerrechtlich unser Territorium angegriffen und außerdem versucht, Mitglieder unserer Gemeinschaft zu entführen und zu töten.«

Der Marschall lächelte süffisant in die Kamera.

»Ach, sind Sie deshalb verwundet? Das ist bedauerlich. Letztlich ist das, was bei Ihnen passiert, Folge der Weigerung Ihres Verräter-Freundes, mir die Dinge, welche die New World Army dringend benötigt, zu übergeben. Im übrigen ist das Dorf, in dem Sie hausen, nicht Ihr Territorium, sondern Eigentum der New World mit allem, was sich an diesem Platz befindet.«

Alv ließ sich vom Geschwätz seines Gegenübers nicht im Mindesten beeindrucken. Er fuhr ungerührt fort:

»Ihr Versuch ist gescheitert, Marschall. Ihre Hubschrauber wurden zerstört und Ihre Soldaten getötet. Sollten Sie oder ihre Soldaten noch einmal versuchen uns anzugreifen, werden wir in derselben Weise verfahren. Sie haben hier keine dummen Jungen vor sich oder solche Duckmäuser wie die, von denen Sie in Ihrer Residenz umgeben sind. Ich will, dass Sie verstehen, dass unsere Kämpfer gut ausgerüstet und zu allem entschlossen sind. Wir werden nicht zurückweichen. Im Gegenteil, wir werden jeden Ihrer Angriffe künftig zum Scheitern bringen, noch bevor einer Ihrer Soldaten einen Fuß in unser Dorf setzt.«

»Na ja, so ganz unverwundbar sind Sie scheinbar ja nicht, Bulvey.«

Alv sah ihm fest in die Augen, so gut es über eine Kamera und einen Bildschirm möglich war.

»Einer von uns, hundert von Ihnen, Gärtner. Sie sind doch ein Mann, der nüchtern kalkuliert. Also, rechnen Sie. Wie viele Männer, wie viele Hubschrauber können Sie noch entbehren? Zu uns hier finden jeden Tag neue Leute. Jeden Tag.«

Der Marschall verlor langsam die Fassung. Seine Stimme wurde bedrohlich, er schüttelte eine Faust in die Kamera. »Ich werde euch verdammtes Pack ausräuchern. Jeden einzelnen von euch werde ich hinrichten lassen, ich lasse euch den Zeds zum Fraß vorwerfen. Einen nach dem anderen. Männer, Frauen, Kinder. Auch deine Kinder, Bulvey. Aber vorher werden deine Töchter mich noch persönlich kennenlernen, und sie werden es bereuen, das schwöre ich dir! Ich werde mir holen, was mir gehört. Davon wird mich niemand abhalten.«

Alv blieb noch immer ruhig, obwohl er diesem Mann gern den Kopf abgerissen hätte, um ihm in den Hals zu spucken.

»Das Gegenmittel, das wir hier entwickelt haben und das Sie so gern für Ihr Übermenschen-Zuchtprogramm besitzen möchten, werden Sie nie erhalten. Dieses Mittel, das die Frauen wieder fruchtbar macht, werden wir ausnahmslos allen Überlebenden, die es wünschen, zukommen lassen. Und, wer weiß, Marschall. Vielleicht findet sich unter Ihren Soldatinnen sogar eine Krimhild, die sich mit Ihnen paaren möchte.«

Seinem Gesprächspartner platzte der Kragen. Seine Stimme wurde schrill und überschlug sich.

»Alv Bulvey! Ich werde mir Birte Radler holen, ob es dir passt oder nicht! Sie wird die Mutter meiner Kinder werden. Kinder einer Herrscherdynastie, welche die Menschheit zu neuer Größe führen wird. In einer Welt, in der für Gutmenschen wie euch kein Platz sein wird. Und nichts, aber auch gar nichts wird mich daran hindern!«

»Nun«, erwiderte Alv lässig, »dann wird es Sie ja sicherlich auch nicht stören, dass wir in Kooperation mit dem Wissarion-Netzwerk unsere kleine Plauderei soeben live in das ARPAII-Netz übertragen haben. Ich schätze, Ihre Untertanen haben nun etwas, über das sie nachdenken können. Und, wie gesagt, mein Angebot steht: Einer von uns – hundert von Ihnen.«

Alv deaktivierte das Mikro und schaltete die Kamera aus. Auf dem Bildschirm konnte man noch erkennen, dass Gärtner sich hektisch in alle Richtungen umsah, dann wurde die Leitung unterbrochen. Alv atmete hörbar aus und lehnte sich im Stuhl zurück.

»Erstklassig, mein Lieber!«, platzte es aus Eckhardt heraus. Er schlug Alv auf die Schulter. Dummerweise auf die verbundene Schulter, was Alv mit schmerzverzerrtem Gesicht zusammenzucken ließ.

»Oh! Oh … ähhh … Tschuldigung … ich äh …«

»Schon gut«, presste Alv zwischen den Zähnen hervor, »ist ja nur ne Fleischwunde.«

Eckhardt grinste und steckte sich erst einmal einen Glimmstängel an.