Jahr Zwei, 28. September. Nachmittag

Als die Trucks durch das Audetal heimwärts rollten, gaben sich die Prepper und ihre französischen Freunde bereits wieder etwas entspannter.

Der Verlust eines Freundes schmerzte sehr, doch der Tod zeigte sich in Zeiten wie diesen als ungeliebter, jedoch zuverlässiger Weggefährte. Man akzeptierte ihn notgedrungen, doch niemand mochte ihn begrüßen.

Katharina stand im Durchgang, der von der Wohnkabine des Hulk-Trucks in die Fahrerkabine führte. Sie stützte sich im Türrahmen ab und sprach mit Alv, der direkt neben dem Durchgang auf der breiten Beifahrersitzbank saß. Draußen flog die herbstliche Pyrenäenlandschaft an den halb getönten Fenstern vorbei. Die neunhundert PS starke Hauptmaschine brummte unter der gewaltigen Motorhaube des Lasters.

»Ich halte das mit den Zeds ja immer noch für eine sehr gewagte Nummer. Ich weiß nicht, ob wir uns damit nicht letztlich selber schaden. Ich hoffe, du weißt wirklich, was du da tust, Alv Bulvey.«

Alv drehte sich zur Seite und küsste sie. Neben ihm lehnte sich Eckhardt nach vorn und drehte sich so zur Seite, dass er Katharina ansehen konnte. Er schnalzte ein wenig mit der Zunge, bevor er sprach.

»Weißt du, Katharina, ich glaube mittlerweile auch, dass Alvs Idee eine gute ist. Die Bestien, mit denen wir es zu tun haben, sind keine Philanthropen, sondern eiskalte Killer. Leben bedeutet diesen Killermaschinen gar nichts. Jegliches Mitgefühl und Respekt für andere Menschen haben die längst verloren.

Sie kennen nur noch sich selbst und Ihresgleichen. Und ich rede hier ganz und gar nicht von den Zeds, sondern von den Soldaten, die der Marschall uns schicken wird. Die haben in Afghanistan ohne mit der Wimper zu zucken ganze Familien ausgelöscht. Und das einfach nur, weil niemand hingeschaut hat. Sie haben Body Counts-Listen, mit denen sie voreinander angeben, wie viele Weichziele sie bereits ausgeschaltet haben. Ich halte es für richtig, ihnen ebenso erbarmungslose und rücksichtslose Killermaschinen entgegenzustellen.«

Katharina wirkte betrübt. Sie presste die Lippen aufeinander und schüttelte langsam den Kopf.

»Verdammt«, erwiderte sie, »ich habe wirklich ein mieses Gefühl bei der Sache. Wenn es uns nicht gelingt, die Zeds zu kontrollieren und wenn sie ins Dorf eindringen, dann sind wir am Ende. Das mit diesen Soldaten ist so bedrückend, wisst ihr? So anders, als wenn uns die Zeds angreifen. Die sind mit einem Mal da. Es gibt keine Zeit, nachzudenken, man handelt einfach, um die zu schützen, die man liebt. Aber das hier ist so anders. Zu wissen, dass es in drei Tagen Menschen sind, die uns angreifen, das ist so … so … unheimlich. Statt dass wir uns gegenseitig helfen, unterstützen, füreinander da sind, bekriegen wir uns gegenseitig. Wird das denn nie aufhören?«

Sie schluchzte. Alv konnte sehen, dass Tränen über ihre Wangen liefen. Er nahm ihre rechte Hand in seine Hände und ließ ein wenig von seiner inneren Wärme auf sie übergehen.

»Weißt du, ich glaube daran, dass es eines Tages anders sein wird. Ich habe die Hoffnung, dass die Menschen sich ändern. Das haben sie immer getan. Selbst im Hitlerdeutschland gab es Aufrechte und Mutige, die sich gegen den marodierenden Pöbel gestellt haben und die Juden und andere Verfolgte vor den Schergen versteckten. Ich glaube, dass es etwas Gutes im Menschen gibt, es muss nur von der Last befreit werden, die den guten Menschen herunterzieht, ihn von seiner wahren Größe fernhält.«

»Was für eine Last meinst du?«

»Nun, wenn man sich bei uns im Dorf umsieht, dann fällt auf, dass alle unsere Bewohner etwas haben, das andere nicht haben. Oder, nein, andersherum wird ein Schuh draus. Also, besser gesagt, es fehlt unseren Freunden etwas, wovon Leute wie Marschall Gärtner und seine Bande zu viel haben.«

Katharina schaute verdutzt.

»Was fehlt uns denn?«

»Die Gier, Liebling. Die Gier ist es, die uns fehlt. Alle Leute, die in Rennes-le-Château leben, sind mit sich selbst im Reinen. Wir sind zufrieden mit dem, was wir als Gemeinschaft erreichen können. Niemand muss einen anderen übervorteilen, denn jeder kann sich bei uns nach seinem eigenen Willen verwirklichen.«

»Das hab sogar ich begreifen können!«, warf Sepp vom Fahrersitz aus ein. »Und das soll schon was heißen, glaub mir.«

Er lachte keckernd. Alv fuhr fort:

»Siehst du? Und wenn sogar unser ehemaliger KSK-Krieger hier das schnallt, dann gibt es berechtigten Grund zu der Annahme, dass viele andere Menschen in der New World das auch schaffen.«

»Aber die meisten«, argumentierte Katharina, »machen doch mit bei dieser lächerlichen Nazi-zwei-punkt-null-Nummer. Wie willst du die davon überzeugen, dass es auch anders geht? Ich meine, gesetzt den Fall, dass wir in ein paar Tagen überhaupt noch leben, um das jemandem zu erzählen?«

»Genau das ist die schwierige Aufgabe, vor der wir als Menschheit kollektiv stehen. Alle zusammen und jeder für sich selbst. Ich behaupte, dass jeder, der es nicht schafft, sich seiner Gier zu entledigen, zur Evolution nicht fähig ist und somit zu einer aussterbenden Art gehört.

Die veränderte Situation, vor der wir stehen, verlangt nach einem evolutionären Schritt, einem Sprung genaugenommen, um das Aussterben unserer Spezies zu verhindern. Und genauso funktioniert Evolution: Entweder du passt dich der veränderten Situation an, oder du stirbst aus. Ich meine, selbst die Zeds – Tote! – schaffen es, sich der Situation anzupassen. Die kleinen Killerviren in ihren Zellen, die Gott-weiß-was mit ihren Wirtskörpern anstellen, mutieren nämlich, um ihre Wirte widerstandsfähiger zu machen. So bitter es klingt, aber unsere Verstorbenen zeigen uns einen Weg. Einen steinigen, sehr harten Weg, aber einen notwendigen.«

Eckhardt fiel im fast ins Wort.

»Also, mein Lieber, soweit würde ich jetzt mal nicht gehen, zu sagen, dass wir uns bei denen etwas abschauen können. Ich meine, diese Zeds bestehen doch nur aus Gier. Ist das nicht das Gegenteil von dem, was du gerade gesagt hast?«

»Ich meinte das auch nur als Beispiel der Anpassungsfähigkeit. Was die Aufgabe der Höhlenmenschen-Charaktereigenschaften angeht, da wird jeder einzelne verbliebene Mensch selbst seinen Willen entdecken und bemühen müssen, um den Schritt zu gehen, dessen es bedarf, um die Gier zu überwinden und eine überlebensfähige Population von Willensmenschen zu schaffen.«

Eckhardt schnaufte. Das tat er immer, wenn ihm etwas missfiel.

»Aber wie viele sind da draußen noch? Zehn Millionen? Fünfzehn? Damit können wir doch keinen Genpool halten! Das sind viel zu wenige …«

Alv unterbrach ihn.

»Nein, das siehst du, glaube ich, verkehrt. Ich habe gelesen, dass vor irgendwie fünfundsiebzigtausend Jahren ein Supervulkan ausbrach, und nur maximal fünfzehntausend Menschen haben diese Katastrophe überlebt. Weltweit. Fünfzehntausend! Und jetzt? Zuletzt waren wir über sieben Milliarden. Alle zu neunundneunzig Prozent genidentisch. Und wenn von den zehn oder fünfzehn Millionen auf der Welt nur jeder Dritte überlebt, selbst dann werden wir als Spezies überleben können.«

»Du meinst die Flaschenhals-Theorie. Das ist eine Theorie.«

»Okay, darüber will ich mich jetzt nicht streiten. Ich wollte damit nur ausdrücken, dass ich zuversichtlich bin, dass wir als Spezies, wenn wir uns den Gegebenheiten anpassen, eine echte Überlebenschance haben. Und das T93X hilft uns dabei, das Projekt Menschheit fortzuführen. Ohne Professor Wildmarks Arbeit und ohne das Blut des Nazareners hätte ich unsere Chancen wesentlich schlechter eingeschätzt.«

Katharina mischte sich wieder in das Gespräch ein.

»Dann ist die Zombie-Apokalypse also im Grunde nichts weiter als eine weitere Sintflut? Meinst du das, Alv?«

»Im übertragenen Sinne könnte man das so interpretieren.«

Eckhardt lachte.

»Und Rennes wäre dann die Arche, was? Auf dem Berg Ararat?«

Alv musste auch grinsen. Inzwischen hatte der kleine Konvoi die Berge erreicht, und die Fahrzeuge quälten sich nun unter Abgabe nicht unerheblicher Rußmengen bergan. In einer halben Stunde würden sie in Rennes-le-Château ankommen.

Alv freute sich schon jetzt auf das Abendessen. Sein Magen bestätigte das durch Geräusche, die denen eines Zombies im Grunde in nichts nachstanden.