Jahr Zwei, 29. September. Mittag I

»Öffnen.«

Der Wachhabende knallte die Hacken zusammen und betätigte den Schließmechanismus der schweren Stahltür. Er zog die Tür auf und trat zur Seite. Marschall Gärtner trat in den dahinterliegenden Raum, und die Tür schloss sich hinter ihm wieder. Gleißend helles Neonlicht empfing ihn in einem weiß gestrichenen, völlig schmucklosen Raum.

Die Wände bestanden aus Stahlplatten, und in der Mitte trennte ein schweres Eisengitter die beiden Raumhälften. In der anderen Hälfte des Raumes befand sich jemand, oder besser: etwas, das mit schweren Ketten an die Wand gefesselt war.

Mit Ketten an Hand- und Fußgelenken sowie einem um die Hüfte gelegten Stahlband, das ebenso mit der Wand verkettet war, wurde hier ein Struggler gebändigt.

Gärtner nahm sich einen Stuhl, der an der Wand neben der Tür stand, und stellte ihn mitten in seine Hälfte des Raumes. Dann zog er eine Zigarre aus der Brusttasche und entzündete sie genüsslich. Er blies den Rauch in die Richtung des Strugglers, der sofort begann, an seinen Ketten zu zerren.

Metallisches, rasselndes Scheppern erfüllte den Raum, unterlegt mit einem bestialischen Knurren, das die Kreatur Gärtner entgegensandte.

»Ja, du dummes Biest, grunz du nur rum. Dein Schöpfer, der andere, dieser Kzu’ul, der hat uns ja wenigstens einen Abschiedsgruß dagelassen. Dich, mein Honigtäubchen. Und wir werden mit dir genau da weitermachen, wo wir bei dem anderen aufgehört haben. Ist schon Ironie des Schicksals, was, Professor Weyrich, nun können Sie ihre Testergebnisse empirisch überprüfen. Aber, was rede ich, Weyrich ist längst verschwunden, deine widerlichen Viren haben ihn ausgelöscht. So ist es doch, nicht wahr? Nichts mehr drin in der Birne. Alles Matsch. Du bist nur noch eine biologische Maschine, Hackfresse!«

Er blies dem Struggler eine dichte Rauchwolke entgegen. Der schüttelte sich und zerrte an den Ketten.

»Das kannst du getrost vergessen, Bursche«, blaffte Gärtner den Zombie an, »wir haben ein bisschen was aus den vergangenen Ereignissen gelernt. Deine Ketten sind aus Wolframstahl, und die Wandanker führen metertief in den Beton. Du bleibst genau da, wo du bist. Damit wir dich unter Kontrolle haben.«

Der Marschall paffte weiter. Er dachte an die Bilder der Videoaufzeichnungen zurück, die zeigten, mit welcher Brutalität und Kraft der Struggler gegen seine Opfer vorgegangen war. Der Professor hatte sich daraufhin binnen kürzester Zeit in ein ebensolches Monstrum verwandelt und seinen Kollegen, Doktor Fischer, kurzerhand verspeist. Er hatte nicht nur etwas an ihm herumgenagt oder ihn ebenfalls in einen Zombie verwandelt. Nein, innerhalb weniger Minuten hatte diese Ausgeburt der Hölle den gesamten Doktor aufgefressen, nur ein blutiges Skelett war von dem Wissenschaftler übriggeblieben. Weit mehr als fünfzig Kilo Blut, Fleisch, Haut und sogar Haare hatte diese Fressmaschine in sich hineingeschlungen und war dabei aufgequollen wie eine Wasserleiche. Inzwischen sah man von dieser Unförmigkeit nichts mehr, dafür lag hinter dem Wesen am Boden ein verschmierter, eingetrockneter Haufen Zombiekot.

Der Struggler hatte den Menschen in Rekordzeit verdaut und die Reste einfach ausgeschieden. Es kümmerte ihn offensichtlich auch nicht im Mindesten, dass er völlig besudelt war.

Seit dem letzten Mal, als Gärtner diesen Raum aufsuchte, hatte sich die Statur des Strugglers erheblich verändert. Seine Muskelmasse hatte stark zugenommen, einzelne Muskelgruppen traten durch die zerfetzte Laborkleidung deutlich hervor.

Er – oder es – hatte die Biomasse des Doktors in körpereigenes Gewebe verwandelt. Wahrscheinlich besaß das Ungeheuer dieselbe Regenerationsfähigkeit wie sein grotesker Schöpfer. Und exakt diese Fähigkeit war es, die Gärtner interessierte.

Marschall Gärtners Plan sah vor, mit Hilfe des Z1V33-Virusstammes eine Armee unbesiegbarer Soldaten zu kreieren, die selbst schwerste Schussverletzungen und sogar den Verlust von Gliedmaßen kompensieren konnten und dann immer noch in der Lage waren, weiterzukämpfen. Wenn die Forschungsarbeit gelang, wären diese Superkrieger sogar gegen die Bisse der Zeds immun. Weyrichs letzte Forschungsaufzeichnungen hatten die Theorie zum Inhalt, das T93-Gen mit bestimmten Eigenschaften des Z1V33-Virus zu verbinden, um daraus eine kontrollierte Variante des Zombie-Virus zu erschaffen. Die Idee besagte, dass es möglich sein könnte, denkende und sprechende Zeds zu erschaffen, die als eine Art Berserkertruppe dem Kampf gegen die Zeds die entscheidende Wendung geben würden. Wenn es denn funktionierte.

Bislang existierten hierzu lediglich lose Ideen, Denkansätze, bestenfalls theoretische Überlegungen. Und ohne kompetentes, wissenschaftliches Personal käme man hier nicht weiter, soviel war klar. Weyrich und Fischer hatten als Team hervorragend kooperiert und bemerkenswerte Fortschritte gemacht, nicht zuletzt hatten die beiden das T93-Gen identifiziert und modifiziert. Doch die beiden waren nun ja gewissermaßen zu einer kruden Einheit verschmolzen, die nicht recht hilfreich sein würde. Es gab zwar auch viele andere Wissenschaftler im Komplex, hier unter dem Felsgestein der Insel, doch niemand erreichte die Brillanz der beiden abgängigen Forscher. Deshalb setzte der Marschall ja auch auf die Aktion in Rennes-le-Château. Wenn es gelang, diesen Professor Wildmark und zwei bis drei Leute seines Teams zu rekrutieren, konnte das die Arbeit am Projekt Supersoldat enorm voranbringen. Gärtner hatte Erkundigungen einziehen lassen, wonach dieser Professor über eine exzellente Reputation verfügte. Genau das, was hier gebraucht wurde. Als Druckmittel würde Birte Radler dienen; um ihr Überleben zu sichern, würde der Professor kooperieren.

Der Marschall erhob sich vom Stuhl und deutete mit der Rechten, in der er die Zigarre hielt, auf den Struggler. Er nickte und sagte leise:

»Du, mein Lieber, du wirst uns helfen, deinesgleichen vom Erdboden zu vertilgen. Und auch, wenn du kein Wort von dem, was ich sage, verstehst, bin ich sicher, du weißt, was dir blüht.«

Der Struggler starrte ihn aus blutunterlaufenen Augen an. Gerade, als der Marschall sich abwandte und den Raum verlassen wollte, veränderte sich die Lautäußerung des Zeds in seinem Rücken. Eine tiefe, knurrende und bedrohlich wirkende Stimme sagte:

»Ich verstehe jedes Wort, Marschall Gärtner.«

Der Angesprochene erstarrte in seiner Bewegung. Wie in Zeitlupe drehte er sich zu dem Struggler um, der ihn diabolisch angrinste.

Langsam bewegte Marschall Gärtner sich zurück zum Stuhl und setzte sich wieder. Er schnippte die Asche von seiner Zigarre und meinte lapidar: »Ich schätze, das wird ein interessanter Nachmittag …«