Jahr Zwei, 30. September. Mittag

In den Wäldern nördlich von Kasan gab es Bewegung. Nicht der Wind war es, der durch die blattlosen Baumskelette fuhr und den Pulverschnee durch das weite Wolga-Ufergebiet trieb, der für Bewegung sorgte, sondern Zombies. Viele Zombies.

Es waren weit über einhunderttausend Zeds, die sich hier versammelt hatten. Walker, Hunter und einige hundert Struggler der ersten Generation bildeten ein gigantisches Heer der Untoten. Und alle kauerten im Schnee auf einer riesigen Lichtung im unberührten Wald nordwestlich der Stadt Kasan.

Viele der Walker waren vom Gefrierbrand entsetzlich entstellt, andere waren von Insekten zerfressen oder ihnen waren in klirrender Kälte schlichtweg die Gliedmaßen abgebrochen. Doch sie waren alle dem telepathischen Ruf ihres neuen Anführers Kzu’ul gefolgt.

Niemand konnte seinen dominanten Gedanken widerstehen, seine Stimme in ihren Köpfen war überlaut, nicht zu überhören und unmissverständlich im Erteilen der Befehle.

Nicht, dass die Walker oder Hunter ein Bewusstsein für Gefolgschaft oder Führung hegten, sie folgten tumb der Stimme in ihrem Kopf, die sie für ihre eigene hielten.

Den Strugglern, die das Z1V32-Virus in sich trugen, ging es da anders. Sie hatten die Stimme in ihrem Kopf verstanden. Eine Stimme, die ihnen sagte, zum Meister Kzu’ul zu kommen, um dort von ihm persönlich die höchste Weihe zu empfangen, das mutierte Virus, das es ihnen ermöglichen würde, mittels Lauten zu kommunizieren.

Der Meister war bei den Warmen gewesen, sie hatten ihn gefoltert und studiert. Doch in Wirklichkeit war es der Meister gewesen, der die Warmen studiert hatte. Kzu’ul war seinen Peinigern entkommen und mit großen Plänen in das Land seiner Herkunft zurückgekehrt. Er versprach, die Struggler zu befreien, sie zu etwas Besserem zu machen, ihnen eine Zukunft zu geben, wenn sie ihm folgten.

Seine Macht war so groß, dass seine Stimme das Chaos in ihren Köpfen durchdrang und dort eine Ordnung herstellte, welche die Struggler zuvor nicht kannten. Sie lechzten nach dieser Ordnung, nach Führung, nach Herrschaft über die Legionen von Walkern und Huntern, die im kalten Land noch warteten.

Die Struggler wollten an der Seite des Meisters in das Imperium der Warmen einmarschieren, um die Unsterblichkeit jenen zu bringen, die gegen die Gleichen unter ihnen kämpften.

Die ersten der Gleichen, die Walker, hatten den Krieg gegen die Warmen einst begonnen, dann waren die Hunter aufgetreten, deren Physis besser auf das Virus abgestimmt war, als die der Walker, die früher oder später einfach zugrunde gingen. Ebenso fielen viele Hunter in das Walker-Stadium zurück, wenn sie sich nicht ausreichend mit Energie versorgten. Die Struggler jedoch bedeuteten eine neue Stufe auf der Leiter der Evolution untoter Wesen. Sie labten sich an Warmen und Kalten, konnten jede Art von Proteinen verwerten und ihre eigenen Körper reparieren.

Das hatte ihnen der Meister durch seine Gedanken mitgeteilt, und es bedeutete:

Wahrheit. Zukunft. Unsterblichkeit.

Die Walker und Hunter fügten sich ihrem Schicksal absolut widerstandslos. Sie reagierten auf Nervenimpulse, die der Gedankenstrom der Struggler in ihnen auslöste. Wie Automaten, deren Programmierung sämtliche Funktionen bestimmte, führten sie simple Handlungsmuster aus, die in ihnen aufblitzten: Fressen. Kämpfen. Beißen. Die Walker und Hunter bildeten die Fußtruppen der Zombie-Armee, sie waren das Kanonenfutter für die Struggler.

Kzu’ul stand auf einem Hügel etwas erhöht und überblickte sein geiferndes, stöhnendes Heer. Die zerfetzten, wankenden Gestalten, sabbernde, hektisch mit den Köpfen ruckende Hunter, die stets etwas zu schnüffeln hatten und zahlreiche Dinge, die mit Körpern nur noch vage Ähnlichkeiten aufwiesen. Ein gewaltiger Ozean aus Mäulern, die durch einen gemeinsamen Wunsch vereint waren: Fressen.

Kzu’ul gab den Strugglern, die das Z1V32-Virus in sich trugen, den Befehl, zu ihm zu kommen. Brutal bahnten sich die außerordentlich kräftigen und sehr muskulösen Zeds einen Weg durch die Menge. Knochen brachen, Schädel barsten und Zeds schrien, als diese Berserker durch die Wand aus fauligem Fleisch brachen. Nach links und rechts flogen die zum Teil schwer beschädigten Körper davon, als wären es leere Pappkartons.

Eine Gruppe von vielleicht einhundert oder mehr Strugglern baute sich vor Kzu’uls Position auf und harrte der Dinge, die da kommen würden. Sie standen in einer Reihe und bildeten einen Halbkreis.

Erwartungsvoll schauten sie zu ihrem Führer auf, der nun seine Position verließ und zu dem ersten Zed im Halbkreis vor ihm ging. Dieser beugte sich nieder und präsentierte dem Meister sein ungeschütztes Genick, in dass Kzu’ul kraftvoll hineinbiss.

Ein furchterregender Schrei, ein Brüllen in enormer Lautstärke entfuhr der Kehle des Strugglers, als das neue Virus sich in Windeseile durch sein Körpergewebe fraß und alle Zellkerne, die mit der Variante 32 infiziert waren, überschrieb.

Die körperlichen Reaktionen waren spektakulär, ebenso, wie es bei N’kial der Fall gewesen war. Der Gebissene fiel zu Boden und wurde von schwersten konvulsivischen Zuckungen erfasst.

Es schüttelte ihn durch und durch, Knochen knackten, Sehnen rissen und das Fleisch schwoll an. Noch immer brüllend kam der Struggler auf die Knie und richtete sich langsam auf. Sein Schrei verstummte und er erhob sich zu voller Größe, welche die vorherige um mindestens zwanzig Zentimeter übertraf. Aus dunkel unterlaufenen Augen sah er den Meister an und beugte sich erneut vor ihm.

Dann ging Kzu’ul zum nächsten Zed in der Reihe und das Ritual wiederholte sich. Ehrfürchtig und verwundert sahen die Walker und Hunter zu, wie der Meister die Krieger in höhere Wesen verwandelte, die ihm selbst gleich waren. Die Offiziere der Zombiearmee wurden hier und jetzt geschaffen.

Der Krieg rückte näher. Jeden Tag.