Jahr Zwei, 29. September. Nachmittag II

»Soso, du hast also jedes Wort verstanden. Da brat mir doch einer nen Storch.«

Marschall Gärtner saß inzwischen wieder. Der Struggler knurrte unmutig. Er zerrte an seinen Ketten.

»Mach mich los!«

»Nein nein, mein Lieber. So läuft das hier nicht. Wir spielen mein Spiel. Und das bedeutet: Ich sage, wo es lang geht und du folgst. Wenn du mich halb so gut verstehst, wie du glaubst, dann wirst du genau das tun, was ich dir sage. Oder du versauerst hier unten ganz einfach, und ich lasse die Tür zumauern. Also, sag mir. Hast du irgendwelche Ziele?«

Der verquollene Kopf der Bestie nickte kaum merklich.

»Na also, ich habe auch Ziele. Und wenn du kooperierst, dann bekommen wir vielleicht beide, was wir wollen. Also, was sind deine Ziele?«

»Gleiche. Ich will Gleiche. Von meiner Art.« Der Struggler schnaufte.

»Ja, das wollt ihr ja alle. Aber gut, das geht einen Schritt in meine Richtung. Ich will auch welche von deiner Art. Allerdings welche, die auch gehorchen. Ich schlage dir also etwas vor. Solange ich noch keinen vollwertigen Ersatz für meinen Professor Weyrich habe, müssen wir uns mit einfachen Zuchtprogrammen begnügen. Wir werden eine Anzahl Probanden besorgen, die von uns eine klitzekleine Bombe in ihren Schädel gepflanzt bekommen. Mit Fernzünder, versteht sich, einem chemischen Totmannschalter. Dann werden wir die Probanden mit deinem Blut, oder was immer da in deinen Adern schwappt, infizieren. Du wirst sie dann in puncto Gehorsam belehren. So hast du etwas Gesellschaft hier unten. Und wenn es gut läuft, lasse ich dir und deinen neuen Freunden ab und an ein paar von diesen Aufständischen bringen, damit ihr was zum Spielen habt. Das ist doch was, oder?«

Die angekettete Bestie nickte und gab dabei grunzende Laute von sich. Dann sprach sie wieder.

»Wir werden folgen.«

Der Marschall schlug sich mit den flachen Händen übertrieben auf die Schenkel.

»Na wunderbar. Das nenne ich doch mal eine Übereinkunft! Und damit du siehst, dass ich mich nicht lumpen lasse, will ich jetzt auch etwas für dich tun.«

Er wandte sich zur Tür.

»Eine Wache eintreten!«

Die Tür öffnete sich und ein junger Wachsoldat trat ein. Er salutierte.

»Die Tür schließen, Soldat.«

Der Wachmann tat, wie ihm geheißen und stand stramm.

»Das Gitter öffnen.«

Der junge Mann starrte den Marschall erschrocken an.

»Verzeihung, Marschall …?«

»Das Gitter öffnen. Sind Sie schwerhörig?«

»Zu Befehl, Herr Marschall. Gitter öffnen.«

Er zog einen doppelbärtigen Schlüssel aus der Tasche und schloss eine in das Gitter eingelassene Tür auf, die in seine Richtung aufschwang. Gärtner stand auf und trat an die Türöffnung heran, der Soldat stand zwischen ihm und der Türöffnung.

»Geben Sie mir den Schlüssel, Soldat. Ach, und ihre Waffe.«

Der Junge griff zum Gürtelholster und reichte dem Vorgesetzten seine Pistole. Er nestelte danach an seinem Hosenbund herum, um die Schlüsselkette zu lösen, und als er dem Marschall den Schlüsselbund in die Hand drückte, versetze dieser ihm einen heftigen Stoß, der den Soldaten weit in das Innere des Käfigs beförderte, direkt auf den Körper des Strugglers. Der erkannte sofort seine Chance, griff nach den Armen des jungen Mannes, hielt ihn fest und biss seinem sich heftig wehrenden Opfer brutal in den Hals. Der unschuldige Soldat kam nicht mal mehr dazu, einen Schrei auszustoßen. Marschall Gärtner warf von außen die Gittertür zu und verschloss sie, während der Zed seine Blutmahlzeit begann. Schmatzend und saugend verschlang er das warme Fleisch seines Opfers, das noch immer wild zappelte.

Der Marschall sah angewidert zu, wie sich das Monster an dem jungen Gefreiten labte, dem der Tod mittlerweile Erlösung gebracht hatte. Er würde auch nicht als Zombie zurückkehren, denn der Struggler würde ihn auffressen. Um sicherzugehen, lud der Marschall die Pistole des Gefreiten durch und schoss der Leiche in den Kopf. Dann wandte er sich zur Tür und ging hinaus. Vor der Tür traf er auf die zweite Wache.

»Es hat einen schrecklichen Unfall gegeben. Der Gefreite wollte die Ketten des Gefangenen überprüfen und fiel hin. Der Zed hat ihn erwischt. In Zukunft betritt niemand mehr diesen Raum ohne meine ausdrückliche Erlaubnis, ist das klar? Lassen Sie sich ablösen.«

Er gab dem Wachhabenden die Dienstwaffe des Jungen. Der Mann blickte ihn fragend an und sah dann zur Tür. Gärtner schüttelte den Kopf.

»Sie können jetzt nichts mehr für ihn tun, der Zed hat ihn gefressen. Ich habe ihn von seinem Leid erlöst. Schicken Sie eine neue Wache herunter, um die Reste zu bergen. Ich warte hier solange.«

Der Soldat drehte sich um und lief den Flur entlang, um Verstärkung zu holen. Marschall Gärtner entnahm eine seiner geschätzten Cohibas aus dem Etui, das er aus der Brusttasche seiner Uniformjacke zog.

Paffend entzündete er die Zigarre, und bereits kurze Zeit später erschien ein sechs Mann starkes Kommando, um die Leiche des Gefreiten zu bergen. Alles, was sie fanden, war ein Haufen abgenagter Knochen und blutige, zerfetzte Uniformteile, die sie mit Haken und Stangen aus dem Zugriffsbereich des knurrenden Strugglers zogen. Sie verstauten die Reste in einem Müllsack und trugen diesen fort. Gärtner ließ zwei Mann als Wache vor der Tür stehen und wiederholte seine Anordnungen bezüglich der Zutrittsbeschränkung unter Verweis auf die Gefährlichkeit dieser Bestie.

Dann ging er rauchend in Richtung Verwaltungstrakt davon. Er summte eine Melodie, die er am frühen Morgen im Radio gehört hatte und im Kopf nicht wieder los wurde. Verdammter Ohrwurm.

*

In seinem Arbeitszimmer stellte General Pjotrew sein Wodka-Glas beiseite und deaktivierte den Aufzeichnungsmodus auf seinem SINA-Computer. Das Video wurde automatisch verschlüsselt und an einem Ort im Netz gespeichert, den Pjotrew für die Kommunikation mit Wissarion nutzte.

Der Marschall hatte sich unbeobachtet gewähnt, weil die Kamera in dem Gefängnisraum deaktiviert war, doch Pjotrews Techniker hatte dafür gesorgt, dass der General von seinem Laptop aus Sicherheitskameras in Betrieb nehmen konnte, ohne dass die kleine rote Lampe der Betriebsanzeige zu leuchten begann.

Wenn Wissarion zu gegebener Zeit solches Material im Netz verbreitete, würde dies den Putsch massiv unterstützen. Kein Soldat würde es gutheißen, dass der Marschall seine eigenen Leute an die Zeds verfütterte wie Altbrot an die Schweine.