Jahr Zwei, 25. September. Morgen

Kzu’ul aktivierte seine motorischen Funktionen, nachdem er einige Stunden in völliger Bewegungslosigkeit im Inneren einer Schneewehe verharrt hatte.

In der Dunkelheit des Schneeberges ruhten seine primären Funktionen, kein Gedanke wirbelte die ruhige Oberfläche des Unbewussten auf, in dem er trieb. Für das, was vor ihm lag, musste er ausgeruht und bei Kräften sein, denn Großes stand ihm noch bevor, das wusste Kzu’ul.

Seine letzte Atzung, der Genuss des warmen roten Saftes, war nicht unbemerkt geblieben. Zahlreiche Artgenossen seines Opfers hatten sich an der Stelle, wo er sich gelabt hatte, eingefunden und veranstalteten einen ziemlichen Lärm.

Zum Glück befand sich der Struggler jetzt in einer angemessenen Entfernung zu dem Ort, und das in einer Richtung, in der ihn niemand vermuten würde. Gleißend helles Licht warfen diese Menschen in die Umgebung und trampelten wild umher.

Aus ihren entfernt klingenden Lautäußerungen entnahm der Struggler, dass sie nach einem Zombie suchten, der den Grenzzaun in Richtung des Siedlungsgebietes überwunden hatte. Sie missdeuteten seine Fußspuren, denn er hatte sich dem Zaun rückwärts genähert und war auch auf der anderen Seite rückwärts gegangen.

Als er die Baumlinie erreicht hatte, nutzte er das starke Geäst, um sich weitgehend spurenlos vom Ort des Geschehens zu entfernen. Eine große Schneewehe bot ihm Deckung für die Zeit, die er benötigte, um das Fleisch in seinem Inneren in pure Energie umzuwandeln.

Diese Zeit war nun verstrichen und Kzu’ul machte sich auf, in das Hinterland der Zombiewelt aufzubrechen. Hierher wagte sich keiner der Warmen, nur ihre Fluggeräte donnerten ab und zu über den Himmel, um nach Kzu’ul und seinen Artgenossen Ausschau zu halten.

Nach und nach lenkten seine liquiden Systeme Wärme und Energie in die Muskeln. Der von Viren und Bakterien gesteuerte Körper erwachte mit der Präzision einer Maschine und kam langsam auf Touren.

Kzu’ul erhob sich in einer geschmeidigen Bewegung und schüttelte den Schneeberg über sich ab. Dann verharrte er einen Moment und horchte, schnüffelte und sah sich um. Keine Bedrohung war feststellbar, und so setzte er seinen massigen Körper in Bewegung.

Erst ging er, dann lief er, und als seine Muskeln geschmeidiger wurden, rannte er durch den hüfthohen Schnee. Nach links und rechts flog der pulvrige Frostschnee weg wie die Bugwelle eines Motorbootes.

Völlig mühelos pflügte der kräftige Körper durch den Schnee, als gäbe es kein Hindernis. Kzu’uls Ziel lag im Süden, in den warmen Regionen, in denen sich große Gruppen seiner Art aufhielten. Er beabsichtigte, eine Anzahl von Huntern mit seinem mutierten Virus zu infizieren, um zu versuchen, diese zu verwandeln. Wenn sein Plan aufgehen sollte, bräuchte es eine größere Anzahl Struggler, die eine riesige Herde von Walkern und Jägern anführen würde, um die Jagdgründe auf der anderen Seite des Zaunes zu erobern.

Kzu’ul war sich allerdings nicht sicher, ob das funktionieren würde, oder ob das ursprüngliche Virus die Mutation abwehren könnte. Für diesen Fall musste er überlebende Warme ausfindig machen, die er mit seiner Version des Virus infizieren konnte.

In seinem Foltergefängnis hatte Kzu’ul gelernt, dass es unterschiedliche Versionen des Virus gab und dass seine Version die bislang am weitesten entwickelte Form darstellte. Dieses Virus entwickelte sich, es machte eine Evolution durch, das wusste Kzu’ul genau. Auch dass sein Körper lediglich als ein Vehikel funktionierte, war ihm völlig klar. Aber es machte ihm nichts aus.

Er zweifelte nicht an sich selbst, fragte sich nicht, was denn nun dieses »Ich« dachte, und woher es kam. Er war Kzu’ul, der neue Anführer der Nation der Zombies. Das allein hatte Bedeutung. Ein Wie oder Warum oder Wozu stand nicht als Frage in seinem Gedankenraum.

Der Auftrag des untoten Berserkers war klar umrissen. Das Virus in seinen Zellen formulierte klare Befehle, die er als Gedanken interpretierte.

Vermehre dich. Nähre dich. Herrsche. Es gab für ihn nicht den Hauch eines Zweifels, und so beschleunigte er seine Schritte, um der Erfüllung seiner Aufgabe möglichst schnell näher zu kommen. Die vom Winter gezeichnete Landschaft flog an ihm vorbei, wobei Landmarken und Geländestrukturen nicht seine Aufmerksamkeit fanden.

Täler, Flüsse und sonstige Geländestrukturen waren sowieso unter einer meterhohen Schneedecke verschwunden und die Wälder ausnahmslos kahl. Kzu’ul orientierte sich ausschließlich am Magnetismus, für den er besonders empfänglich war. Diese Magnetfelder leuchteten wie glühende Linien vor seinem inneren Auge, so dass er im Grunde geistig eine Welt aus lauter Gitternetzlinien durchschritt.

Der Rest des massiven Körpers folgte diesen Gedanken einfach, und so bewegte er sich mit der durchschnittlichen Geschwindigkeit eines PKW durch die unwirtliche, weiße Landschaft. Um ihn herum verschwamm die Welt.

Weiter. Weiter. Weiter.