Jahr Zwei, 01. Oktober. Morgen III

»Was, verdammt noch mal, ist da los?«, brüllte Marschall Gärtner seinen Luftwaffengeneral an. Der schaute ebenso geknickt wie alle anderen im Kommandozentrum auf die Monitore an der Wand, welche die Livebilder des Überwachungsflugzeuges, das über Rennes-le-Château kreuzte, wiedergaben. Was es da zu sehen gab, gefiel den Kommandeuren ganz und gar nicht.

Zunächst sah es ganz so aus, als wenn die Attacke mit den Hellfire-Raketen erfolgreich verlaufen würde. Die Raketen richteten großen Schaden im Dorf an, der große Turm wurde schwer beschädigt, ein anderer stürzte komplett ein; einige Häuser wurden durch die Explosionen schwer in Mitleidenschaft gezogen. Der lächerliche Verteidigungswall aus Überseecontainern, die Bulvey und Zinner wie Bauklötzchen gestapelt hatten, würde nicht lange halten, mutmaßte Marschall Gärtner, der genüsslich auf seiner Zigarre herumkaute. Doch dann veränderte sich die Situation plötzlich, Rauch und Nebel stiegen auf, bunte Explosionen ereigneten sich in der Luft, die Sicht wurde zunehmend schlechter. »Was machen die da Ruetli?«, blaffte der Marschall.

»Ich bin nicht sicher«, antwortete der Schweizer, »aber es sieht so aus, als wenn die ein Feuerwerk abbrennen.«

Die Asche von Gärtners Zigarre bröselte zu Boden, der gesamte Glimmstängel wäre beinahe gefolgt.

»Die … die Bauern greifen an? Und veranstalten ein Feuerwerk? Sind die bescheuert?«

Der Schweizer General versuchte, zu klären.

»Ich vermute mal, es handelt sich um laienhaft geplante Gegenmaßnahmen. Das braucht man wohl nicht ernst zu …«

Weiter kam er nicht, denn der erste der Kampfhubschrauber explodierte in einer riesigen Feuerwolke. Die Bilder ließen Ansgar Ruetli verstummen. Auch die anderen Hubschrauber wurden nun beschossen. Nordwestlich des Dorfes geriet einer der Black Hawks in ein Feuergefecht mit einem Puma-Panzer, die beiden Kontrahenten schenkten sich nichts.

General Pjotrew mischte sich ein.

»So dumm scheinen die Leute da nicht zu sein, General Ruetli. Sehen Sie? Unsere Sea Kings können die Männer nicht über dem Dorf abseilen, weil dort dauernd diese Schwarzpulverbomben explodieren. Die Sicht ist gleich null, damit können die Waffenführer in den Helis ihre Laserzielerfassung vergessen.

Und sie schießen aus dem Nebel heraus mit Fire-and-forget-MANPADs. Stinger-Raketen schätze ich. Ich würde das eher als ziemlich ausgefeilte Partisanen-Taktik bezeichnen.«

Als der zweite und der dritte Kampfhubschrauber zu Boden gingen, sah der Marschall aus, als hätte er beim Gähnen einen Sperling verschluckt. Er schluckte oder würgte, so genau konnte man das nicht erkennen, und Pjotrew vermutete, er würde die Zigarre zwischen seinen Fingern gleich zerbrechen.

»Mikail«, blaffte der Oberbefehlshaber, »Sie werden doch für diese Leute nicht etwa Mitgefühl entwickeln, oder? Auf welcher Seite stehen Sie eigentlich? Bin ich eigentlich nur von ignoranten Idioten umgeben?«

»Keineswegs, Marschall. Ich denke allerdings, dass man sich dieser Situation anpassen sollte. Wir müssen unsere Männer da rausholen, bevor die Mission fehlschlägt.«

Jetzt kam der Marschall richtig in Rage.

»Auf keinen Fall! Verdammt, ich denke, Sie haben mir die besten Männer gegeben. Die werden doch wohl mit ein paar Gemüsebauern und Hippies fertig werden?«

Pjotrew konterte. »Nun, ich denke, das diese Hippies, wie Sie die Leute nennen, eher mit der Mentalität russischer Partisanen kämpfen, nicht wie Berufssoldaten oder Gemüsebauern. Sie haben nichts zu verlieren und sie haben mehr als zwei Jahre völlig auf sich gestellt diese Zombieapokalypse überlebt, mit ihren Familien. Wir sollten nicht so oberflächlich sein, den Kampfeswillen dieser Leute zu unterschätzen.«

»Guter Gott, Mikail! Haben Sie etwa Angst vor denen?«, wollte der Marschall wissen.

»Nein. Keine Angst. Aber Respekt.«

»Ach, kommen Sie mir doch nicht mit so was. Ihre drei Teams sollen dann eben außerhalb des Dorfes aussteigen und …«

»… das müssen sie wohl auch«, unterbrach Admiral Hershew den wütenden Marschall und deutete auf die Bildschirme, auf denen viele kleinere, aber auch größere Explosionen zu erkennen waren.

Die Helikopter verließen ihre vorgesehenen Positionen und mussten zum Teil gewagte Notlandungen hinlegen, um überhaupt noch irgendwie halbwegs heil runterzukommen. Die Sea-King-Hubschrauber waren relativ unbeschädigt zu Boden gegangen, die vier Black-Hawk-Hubschrauber existierten nicht mehr. Brennende und rauchende Trümmer lagen rings um das Dorf herum verstreut, von den Besatzungen der Kampfhubschrauber hatte niemand überlebt. Man konnte erkennen, dass die Einsatzteams die Kabinen der gelandeten Sea-King-Maschinen verließen und im Hang südlich des Dorfes Deckung suchten.

»Verdammt! Was ist das?«

Gärtner deutete auf einen der Monitore, der das Areal nördlich des Dorfes zeigte.

Von zweien der eingegrabenen Puma-Panzer lösten sich je zwei Feuerstrahlen, wendeten und stiegen rasch auf. Wenige Sekunden später zeigten die Bildschirme nur noch weißes Rauschen. General Pjotrew beantwortete die Frage des Marschalls.

»Die Puma-Panzer besitzen je zwei Spike-LR Lenkwaffen, die auch zur Boden-Luft-Bekämpfung eingesetzt werden können. Ich schätze, das Beobachtungsflugzeug wurde zerstört.«

Der Marschall wurde bleich im Gesicht. Nun war die Kommandozentrale komplett blind. Bis ein neues Flugzeug startbereit wäre und vor Ort eintreffen könnte, würden Stunden vergehen.

Stunden, in denen die Zentrale blind bliebe, denn die Signale der Helmkameras waren auf das Relais im Flugzeug angewiesen.

»Kriegen wir einen Satelliten dorthin?«, fragte der Marschall beim leitenden Offizier an der taktischen Konsole nach.

»Satellit steht frühestens in drei Stunden und fünfundvierzig Minuten zur Verfügung, und das auch nur eingeschränkt, da der zentrale Korridor weiter westlich liegt. Nächstes und optimales Fenster bei Sechs Stunden siebzehn Minuten.«

»Verdammt!«

Marschall Gärtner presste seine Zigarre mit einer Wucht in den Aschenbecher, dass man meinen konnte, er würde versuchen, sie durch den Tisch zu drücken.

»Halten Sie mich auf dem Laufenden, meine Herren. Ich bin in meinem Büro.«

Damit rauschte er ab, alle stehenden Offiziere salutierten.

Der Marschall nutzte einen der vielen Fahrstühle, um sein Büro zu erreichen. Er warf die Tür hinter sich zu und begab sich schnurstracks zu seiner Hausbar, um den Ärger mit ein paar guten Schlucken Whisky zu vertreiben.

Im Grunde hatte Pjotrew ja Recht, das musste sich der Marschall eingestehen. Er hatte diesen Bulvey und seinen Kumpel, diesen NVA-Mann, grob unterschätzt. Mit einer Feuerkraft, wie sie die Black Hawks mitführten, hätte man ohne Schwierigkeiten eine Kleinstadt einebnen können, doch diese Partisanen hatten ihm einen fetten Strich durch die Rechnung gemacht. Aber mit Raketen auf Helikopter zu schießen, war etwas anderes, als durchtrainierte Kämpfer der Spezialeinheiten im Häuserkampf zu besiegen.

Gut, die Helis waren verloren, aber noch immer stand der Hulk-Truck von Falkner dort unten. Wenn die Teams ihren Auftrag ausführten, könnten sie mit diesem Truck und ein oder zwei Begleitfahrzeugen den Weg nach Norden einschlagen, wo man beim Zustandekommen einer Funkverbindung ein Rendezvous mit einer weiteren Helikopter-Staffel oder einer Transall verabreden konnte.

Gärtner goss sich das Whiskyglas zu zwei Dritteln voll und nahm einen guten Schluck. Er legte sich auf die schwere Ledercouch an der Stirnwand des Büros und stellte das Glas auf dem Tisch ab.

Nach wenigen Minuten nickte er ein. Er träumte von Birte Radler und was er mit ihr anstellen wollte, wenn sie sich erst einmal in seinen Händen befand.