Jahr Zwei, 01. Oktober. Morgen VIII

Alv und Juri suchten mit ihren Feldstechern die Umgebung östlich des Dorfes ab. Hier verlief die Serpentine, die aus dem Tal in das Dorf hinauf führte; die Hänge waren baumbestanden. Kiefern und Zedern standen hier, vereinzelt ein paar knorrige Eichen, umringt von allerlei Gebüsch. Es erwies sich als schwierig, in dem Ast- und Blättergewirr klare Konturen auszumachen.

Vorsichtig bewegten die beiden sich in der Rue de la Salasse über den leeren Platz hinter Tillys Haus, auch hier hatten die Schrauber einige Container als Verteidigungswall zusammengeschweißt.

Alv musste in diesem Moment daran denken, wie viel Material die Gemeinschaft auf ihren Beutezügen in der näheren und weiteren Umgebung bereits zusammengerafft und zum Dorf transportiert hatte.

Über dreihundert Container, die meisten davon bis oben hin mit Waren und Rohstoffen befüllt, hatten die Teams hergeschafft.

Die Boxen, wie Alv die zwanzig Fuß in der Länge messenden Metallbehälter nannte, wurden zu Lagerräumen, Verteidigungswällen und sogar zu beidem gleichzeitig umfunktioniert.

Die zum Südwall zusammengefügten Container beinhalteten Dinge wie Zement, Metall, Holz und andere Bausubstanzen. Das machte sie schwer und unbeweglich, das Baumaterial blieb trocken und sicher gelagert. Seit der Fertigstellung der Verteidigungsanlagen hatte kein einziger Zed diese Konstruktion überwunden.

Allerdings hatte der Raketenbeschuss aus den Hubschraubern der New World Army dem Wall im Süden stark zugesetzt. Die Außenwände der quer stehenden Boxen hatten zahlreiche Löcher und waren zum Teil sehr stark verbeult; im oberen Ring auf Höhe des Rundturmes klaffte ein großes, ausgefranstes Explosionsloch im Stahl, in dem man bequem einen Kleinwagen hätte parken können. Dort versuchten einige Zeds in das Dorf vorzudringen, denn einige der Einwohner waren nicht mit T93 behandelt und rochen für die Untoten verführerisch nach einer warmen Mahlzeit.

Alv schickte Sepp mit seinen sechzehn Mann dorthin, um die Zeds von ihrem Vorhaben abzuhalten. Der Start eines weiteren Zombieschredders dezimierte ihre Anzahl zwar, doch noch immer drängten sich die ausgemergelten, zerfledderten Gestalten um den Durchbruch im Verteidigungwall.

Weiterhin suchten Alv und Juri mit drei der SpezNas-Leute die Umgebung ab. Aus der Deckung heraus versuchte Alv, nicht in das Gegenlicht zu schauen, um sich nicht selbst zu blenden.

Mit einem Mal erhielt er einen harten Schlag gegen die Schulter, der ihn weit zurückschleuderte. Er schlug hart mit dem Kopf auf und blieb zunächst liegen. Seine Schulter fühlte sich taub an, dann wurde sie heiß.

Juri war sofort bei ihm.

»Es hat dich erwischt, Alv. Wie es aussieht, ein glatter Durchschuss. Blutet aber ganz schön. Warte, ich versuche, einen Druckverband anzulegen.«

Er instruierte seine Leute, die den Schützen nun ausfindig gemacht hatten. Nach einem kurzen Schusswechsel fiel dieser tot vom Baum. Seinen Kameraden am Boden ereilte kurz darauf dasselbe Schicksal, nur dass er nicht so tief fiel.

Derweil zog Juri Alv die MilTec-Weste aus, schnitt den Pullover und das Shirt darunter auf und verband die Wunde mit Mullbinden aus seinem Medikit.

Die Wunde blutete zwar nicht unerheblich, doch es gelang Juri mit einem Druckverband, die Blutung zu stoppen. Alv setzte sich auf und versuchte umständlich, in die Weste zu kommen. Juri half ihm.

»Für dich ist jetzt erst einmal Schluss für heute, Alv.«

»Geht nicht«, entgegnete dieser mit zusammengebissenen Zähnen, »ich muss weiter …«

Weiter kam er nicht, denn er wurde bewusstlos. Sekunden später war Alv wieder voll da, denn nicht weit von seiner Position detonierte der Gefechtskopf einer Rakete im Haus neben der Tischlerei am Südende des Dorfes.

Der Pilot des Sierra Tango One Helikopters hatte offenbar überlebt und gemeinsam mit den vier verbliebenen Seals die Raketenwerfer des Hubschraubers reaktiviert und manuell in eine abschussfähige Position gebracht. Zwei Hellfire-Raketen hatten sie abgefeuert, die ohne jede Zielerfassung in Richtung Dorf gelenkt wurden. Ein riesiger Feuerball äscherte das Haus am Hang ein, zum Glück hielt sich niemand darin auf.

In diesem Moment stürzte Eckhardt mit den Russen von der Nordseite herbei, um das Loch in der Mauer zu verteidigen. Als er am Ende der Straße ankam, schulterte er eine Stinger-Abschusseinrichtung, die er aus einem Schuppen an der Tischlerei hervorgeholt hatte, und drückte ab.

Die relativ kleine Rakete sackte nach dem Verlassen des Rohres zunächst leicht durch, zündete dann jedoch den Haupttreibsatz und schoss direkt auf den unten am Fuß des Hanges liegenden Hubschrauberkorpus zu.

Die fünf Personen in und um den Helikopter sahen das Ende nicht mehr, in einer starken Explosion zerstörte die Rakete den Hubschrauber vollends.

Durch zwei nicht abgefeuerte Hellfire-Raketen und einige Bordmunition wurde die Sprengkraft verstärkt und ließ die Mauern im südlichen Teil des Dorfes erzittern.

Fensterscheiben, die vorher noch nicht zu Bruch gegangen waren, barsten, Blechdächer hoben ab und segelten über die Häuser, bevor sie irgendwo scheppernd niedergingen.

Mit einem Mal herrschte Ruhe. Keine absolute Stille, aber eine gewisse Form von Ruhe. Hier und da vernahm man zwar noch das schnarchende Grunzen einiger Walker, die irgendwo im Nordwesten sinnlos versuchten, an der Felswand empor zu klettern, und die Feuer an mehreren Stellen in und um das Dorf knackten und knisterten, aber es wurde nicht mehr geschossen.

Alv kam, gestützt von Juri, zu Eckhardts Position gehumpelt, offenbar hatte sein linkes Knie beim Hinfallen auch etwas abbekommen. Eckhardt lief ihm entgegen.

»Alv! Was ist los? Wurdest du getroffen?«

»Ja, einer der Briten hat mich erwischt, aber deren Team existiert nicht mehr.«

»Du blutest.«

»Ja, sieht so aus. Aber das wird schon wieder. Was ist mit den Seals?«

»Wie es scheint, hab ich die letzten gerade zu den Sternen geschickt.«

Alv lehnte sich an eine demolierte Hausmauer. Das Atmen fiel ihm schwer.

»Okay. Schick Leute raus, um überall nachzusehen. Ich möchte keine Überraschungen erleben. Und macht die Zeds auch gleich platt.«

Eckhardt nickte und rief einigen seiner Leute etwas zu. Juri stützte Alv wieder.

»Wohin soll ich dich bringen, Alv?«

»Zur Villa. Da ist unsere Kommunikationszentrale. Ich habe deinem ehemaligen Befehlshaber einiges mitzuteilen.«

Juri nickte und machte sich mit Alv, den er auf seiner linken Schulter stützte, um Alvs Wunde zu entlasten, auf den Weg in den Norden des Dorfes.

Die Verteidiger kamen nun durch die beiden größeren Löcher in der Südwand aus dem Dorf heraus, bewaffnet mit Gewehren und Eisenstangen. Sie schwärmten aus, um die Zeds zu stechen, ihre Gehirne zu zerstören. Die etwa dreißig Leute teilten sich in zwei Gruppen auf.

Eckhardt führte die eine Hälfte der Leute nach Osten, Sepp ging mit dem Rest nach Westen. Sie wollten das Dorf einmal umrunden, die Hubschrauberwracks inspizieren und alle Zeds, auf die sie unterwegs trafen, zerstören.

Der Kampf um Rennes-le-Château war entschieden.