Jahr Zwei, 29. September. Mittag II

»Feuerwerk?«

»Aber sicher! Wir wollen unsere Besucher doch gebührend empfangen! Aber jetzt lass uns essen.«

Alv grinste breit und schob sich eine gute Gabel voll mit dem herzhaften Blumenkohlauflauf in den Mund, den seine Tochter Sally liebevoll zubereitet hatte. Genüsslich kaute er auf Kartoffeln, Blumenkohl und Konservenfleisch herum, während er seine Gabel für die nächste Befüllung des Gaumens belud. Sally hatte für eine halbe Kompanie gekocht, denn Eckhardt hatte sich am Morgen zum Essen angemeldet. Er kam gern zu Bulvey nach Hause, um mit ihm und einigen Familienmitgliedern zu speisen. Zum einen kochten die Frauen hier im Hause sehr gut, reichlich und schmackhaft, zum anderen schätzte er die Tischgespräche mit dem alten Freund. Jetzt, während des Essens, sprach man am Tisch nicht, deshalb wusste Eckhardt, er würde auf seine fragenden Blicke erst nach der Mahlzeit eine Antwort erhalten. Und so kauten und schluckten die beiden Freunde, als gäbe es kein Morgen mehr, obwohl das natürlich Unsinn war. Beim Gedanken an ein Übermorgen konnten da allerdings schon gewisse Zweifel aufkommen.

Eine gute halbe Stunde später war die Schlacht ums warme Essen geschlagen. Eckhardt ging eindeutig als Sieger aus dem Gemetzel hervor, Alv begnügte sich mit Platz zwei in der inoffiziellen Rangordnung. Nachdem das Geschirr den Platz des Geschehens für Kaffeetassen und Teebecher geräumt hatte, und als Eckhardt die Raumluft mit zweifelhaften Ausdünstungen seiner Tabakerzeugnisse bereicherte, kam das Gespräch von vorhin wieder in Gang. Eckhardt nahm den Faden auf.

»Also, die Begrüßungszeremonie …«

»Genau«, setzte Alv ein, »unsere beiden Schrauber, Holger und Ralle, haben massenhaft Schwarzpulver fabriziert. Sie haben es in Rohre mit Aluminium und lauter anderem Chemiekram zu hübschen Silvesterböllern im China-Style gestopft. Meine Idee war nun, das Zeug einzusetzen, um den Heli-Piloten den Anflug zu erschweren. Wenn die hier einschwirren, dann feuern wir ab, was wir an Raketen, Nebelwerfern und Heulern und was-weiß-ich-nicht-noch-alles haben. Damit blenden wir sie und erzeugen eine Rauchwolke mit vielen hübschen, bunten Farben. Ihnen wird nichts anderes übrig bleiben, als auszuweichen. Dann können wir unsere Distanzwaffen einsetzen. Ich möchten nämlich eigentlich vermeiden, dass hier im Dorf so ein Vogel runterkommt. Also stellen wir die Feuerwerksbatterien am Dorfrand auf und zünden sie, sobald die Hubschrauber in Sicht kommen. Das wäre doch schön, wenn wir die so begrüßen, oder nicht?«

Eckhardt lachte.

»Ja, sicher! Die werden sich bestimmt freuen. Ich glaube auch nicht, dass die so eine verrückte Sache erwarten. Den Moment der Verwirrung nutzen wir dann, um uns auf den Bodenangriff vorzubereiten. Holger sagte mir zu, dass wir sogar die Biogas-Silos nutzen können. Wenn die von Norden über die Schlossmauer rein wollen, kippen wir ihnen einfach den ganzen Schmodder über die Rübe. Mit dem Anzug voller Fäkalien kämpft es sich bloß halb so gut.«

Alv nickte zustimmend. »Ich weiß bloß nicht, was die Helis an Waffen tragen. Wenn die mit Hellfire-Raketen angreifen, geht hier ganz schön was zu Bruch.«

»Ja«, entgegnete Eckhardt, »wenn. Das Problem der Piloten ist, dass sie nicht wissen, wo sich ihre Ziele aufhalten. Sie können zwar aus den Angaben des Verräters einen ungefähren Lageplan erarbeiten, aber sie wissen eben nicht genau, wo ihre Opfer stecken. Das ist unser Vorteil. Sie wollen etwas Bestimmtes, und das lebend. Also können sie keine schweren Waffen einsetzen.«

»Aber es gibt Ziele, die sie sofort beschießen werden, nämlich unsere Türme.«

»Richtig, deshalb müssen wir die Türme auch aufgeben. Die Zwanzig-Millimeter-Kanonen lassen wir samt Munition zwar dort stehen, aber wir bemannen sie nicht. Unsere Kämpfer müssen im Dorf uneingeschränkt mobil sein und dauernd die Stellung wechseln. Die Raketen stationieren wir in den Häusern, wir legen die Kisten einfach in die Hausflure. Irgendwas drüber schmeißen und gut ist. Beweglichkeit ist unser Vorteil.«

Alv nippte nachdenklich an seinem Tee. Langsam schüttelte er den Kopf.

»Was ist?«, fragte Birte, die mit am Tisch saß und den beiden bisher zugehört hatte.

»Ach, weißt du«, seufzte der alte, grauhaarige Brummbär, »manchmal verstehe ich die Menschen einfach nicht. Der größte Teil der Menschheit hat sich in Monster verwandelt, die immer mehr zu furchtbaren Killermaschinen mutieren, und wir haben nichts Besseres zu tun, als uns gegenseitig abzuknallen. Noch vor wenigen Jahren hatte ich eine Vision von einer Gesellschaft, die auf freien Willensentscheidungen basiert und nicht auf Unterdrückung und Manipulation.«

»Ja, davon hast du oft gesprochen bei Currywurst und Kaffee, ich erinnere mich.«

»Und heute? Wir sitzen in einer Festung, um uns die Zombies vom Hals zu halten, und wir bereiten uns gleichzeitig darauf vor, andere Menschen zu töten, um selbst nicht von ihnen getötet zu werden. Meine Visionen sind geplatzt wie Seifenblasen.«

»Meine Idee war es stets«, warf Eckhardt zerknirscht ein, »wissbegierigen jungen Menschen die Thesen der großen Philosophen beizubringen, um ihnen die Prinzipien willensgesteuerten Denkens nahezulegen. Aber daraus ist nun auch nichts geworden.

Stattdessen justiere ich wieder Artilleriegeschütze und plane eine Festungsverteidigung. Es ist im Grunde ein Jammer.«

»Es ist das Potenzial, das hier vernichtet wird«, führte Alv weiter aus, »der Mensch ist ungeheuer kreativ, doch mittlerweile ist er nur noch ein kreatives Ungeheuer. Wie konnte es passieren, dass ausgerechnet einer wie Gärtner, der noch vor zwei Jahren ein gestandener und aufrechter Soldat war, auf einmal zu einer Mischung aus Pol Pot, Stalin und Hitler mutiert? Hat sich wirklich nichts verändert?«

Birte erwiderte:

»Brecht sagte doch schon: Wer aus der Geschichte nicht lernt, ist verdammt, sie zu wiederholen.«

Eckhardt antwortete ihr in seiner typischen Lehrerhaltung.

»Das Zitat stammt eigentlich von George Santayana, einem spanischen Schriftsteller, und lautet: ›Those who cannot remember the past are condemned to repeat it.‹ – er schrieb das 1905, wenn ich mich nicht irre.«

Alv lachte. »Na, Meister, das mit dem Ti-Äitsch, das üben wir aber noch mal!«

»Ich komme aus der Zone, ich darf so reden, ich hatte nämlich Russisch in der Schule.«

»Apropos … hat sich unser russischer Freund nochmal gemeldet?«, wollte Alv wissen.

»Seine letzte Nachricht besagte, dass er sich wieder meldet, wenn die Einsatzteams unterwegs sind. Schätze, das wird morgen im Laufe des Vormittags der Fall sein.«

Birte meinte maulig: »Ich hasse es, zu warten. Und auf so etwas wie einen todbringenden Militärangriff warte ich besonders ungern. Das macht mich irre!«

Alv legte seine Hand auf ihre.

»Das geht uns allen so, Birte. Außer Sepp und unserem anglofonen Freund hier«, dabei grinste er Eckhardt an, »hat niemand im Dorf wirklich militärische Erfahrung. Wir sind alle unsicher. Niemand hat eine Ahnung, was uns erwartet, und ob wir wirklich eine Chance haben, das zu überleben. Ich habe auch Angst. Angst um meine Kinder, so wie du Angst um dein Kind hast. Und ich bin genauso nervös wie du. Und ich wünsche mir ebenso wie du, dass es endlich vorbei ist.«

Birte nickte und kniff die Lippen zusammen. Dann erhob sie sich und steuerte den Flur an.

»Ich werde dann mal schauen, was mein großer Krieger so treibt. Also, euch noch einen schönen Tag.«

»Dir auch«, gaben Alv und Eckhardt unisono zurück.

Als Birte gegangen war, diskutierten die beiden bei Kaffee und Tee noch eine Weile die Ideen zur Verteidigung des Dorfes, und machten sich dann wieder an die Arbeit, diese Ideen auch umzusetzen.