Jahr Zwei, 28. September. Später Abend III

Major Tschischkarin deaktivierte im Cockpit die Triebwerke und bediente dazu zahlreiche Kippschalter, die über seinem Kopf angebracht waren. Langsam und jaulend reduzierte sich die Drehzahl der Turbofans und die Triebwerke liefen aus. Die Lichter auf dem geräumigen Armaturenbrett erloschen und alle Anzeigen tendierten gegen Null. Tschischkarin und sein Copilot lösten ihre Gurte und machten sich daran, ihre Sitze zu verlassen, als vom Tower ein Funkspruch kam.

»Flug NW-2-010. Halten Sie Position und erwarten Sie weitere Order. Niemand verlässt die Maschine. Das ist ein Befehl. Erwarten Sie eine Sicherheitsinspektion. Tower Ende.«

Die beiden Piloten sahen sich fragend an und ließen sich in ihre Sitze zurückfallen. Der Major griff zum Funkgerät und aktivierte die Freisprechanlage.

»Hier spricht Flug NW-2-010. Hauptmann Tschischkarin. Haben verstanden. Gehen auf Stand-by und erwarten weitere Order. Ende.«

Kurze Zeit später öffnete sich eine Tür in der Seitenwand des Hangars und bewaffnete amerikanische Marineinfanteristen stürmten herein. Sie umstellten das Flugzeug und hielten ihre Waffen im Anschlag. Tschischkarin schüttelte langsam den Kopf und zündete sich eine Filterzigarette an. Als er seinen Copiloten die Schachtel reichte, schaute der zum Funkgerät und fragte:

»Was jetzt? Das ist doch nicht normal. Was sollen wir tun? Meinst du, sie lassen uns auffliegen?«

Tschischkarin grinste. Er fand es lustig, dass ein Pilot von auffliegen lassen sprach, noch dazu im Cockpit eines Flugzeuges. Gelassen antwortete er seinem Kollegen.

»Alexej, wenn wir aufgeflogen wären, dann hätte man uns schon vor der Landung abgeschossen oder spätestens jetzt die Maschine mit Kugeln durchsiebt. Es mag sein, dass da in der Flugleitung jemand etwas nervös ist, aber das kann durchaus mit der allgemeinen Lage zu tun haben. Wir zwei werden jetzt erst einmal gar nichts tun und abwarten. Das ist exakt das, was von uns erwartet wird.«

Er rauchte in aller Ruhe seine Zigarette weiter, und als er sie eben ausdrückte, öffnete sich erneut die Tür in der Wand des Hangars und ein Offizier der New World Army betrat den Raum. Er trug die Rangabzeichen eines Oberstleutnants und marschierte geradewegs auf das Flugzeug zu, wo er unter dem Heckleitwerk stehen blieb.

»Öffnen!«, brüllte der Mann in zackigem Komisston.

Einen Moment später surrte und piepte es in dem Flugzeugkörper und die Hydraulik begann, Öl in die Stempel zu pumpen, welche die Ladeluke öffneten und den Rand auf dem Boden sanft absetzten.

»Alle Mann raustreten zur Identitätsüberprüfung! Ohne Waffen in einer Reihe aufstellen! ID-Card bereithalten!«, bellte der Offizier. »Aber zack, zack!« Die Männer der SpezNas-Truppe kamen der Aufforderung ruhig und gelassen nach. Mit leicht erhobenen Händen traten sie aus dem Laderaum hervor und bauten sich hinter der Backbord-Tragfläche nebeneinander auf.

»Identitäten überprüfen. Zwei Mann mit mir!«

Der Offizier betrat das Flugzeug und begutachtete die Ladung oberflächlich, während draußen die Identitäten der Männer mit Handscannern geprüft wurden. Kurze Zeit später kam einer der Soldaten in den Laderaum und salutierte. »Herr Oberstleutnant. Die Identitäten der Kameraden wurden bestätigt. Die Sicherheitscodes sind zwar älter, aber angesichts des Standortes dieses Truppenteils ist das durchaus gewöhnlich.«

»Keine Auffälligkeiten?«

»Nein, alle Daten sind soweit in Ordnung.«

»Dann überprüfen Sie die RFID-Daten noch einmal und ebenso die Ladung.«

»Zu Befehl, sofort.«

Der Offizier ging mit seinen beiden Begleitern nach vorn ins Cockpit, wo die Piloten rauchend saßen.

»Mein Name ist von Harmsdorff, Oberstleutnant von Harmsdorff. Wir inspizieren dieses Flugzeug. Ihre Identitäten.«

Die beiden Piloten wurden von einem der Männer, die den Offizier begleiteten, gescannt. Zusätzlich reichten sie dem Oberstleutnant ihre ID-Cards. Der betrachtete sie und reichte sie kurz darauf zurück.

»Wurde hier etwa geraucht?«

Tschischkarin schaute den Mann verdutzt an.

»Ich weise Sie darauf hin, dass gemäß den Dienstvorschriften in der gültigen Fassung das Rauchen in den Lfz nicht gestattet ist.«

Tschischkarin grinste und antwortete auf Russisch.

»Ich werde sehen, dass wir beim nächsten Flug zum Rauchen vor die Tür gehen.«

»Reden Sie nicht russisch mit mir!«

Tschischkarin antwortete auf Deutsch mit einem starken russischen Akzent.

»Ich werde mich natürlich an die Dienstvorschriften halten, Oberstleutnant von Harmsdorff.«

Der Angesprochene verzog keine Miene. Er zückte ein kleines Notizbuch, in dem er betont aufmerksam blätterte.

Tschischkarin fand das irgendwie anachronistisch. In einer Hightech-Armee, in der alle Soldaten RFID-Chips trugen, lief einer der kommandierenden Offiziere mit dem Notizbuch herum. Er verkniff sich jedoch jeden Kommentar.

»Ah, Tschischkarin, Hauptmann, Pilot, ja. Sie waren vor kurzem noch Major? Wie kommt das?«

Der Russe bedachte den gedrungenen Deutschen mit einem kalten Blick, als er antwortete.

»Nun, offensichtlich hatte ich hier und da Schwierigkeiten, mich an die Dienstvorschriften zu erinnern.«

Von Harmsdorff blieb ruhig und unterkühlt.

»Sie haben einen ungewöhnlich tiefen Anflugvektor gewählt, meldete der Flugleiter. Das hatte welchen Grund?«

»Wetter.«

»Bitte?«

»Wetter. Das Wetter ist schlecht. Ich habe eine starke Sturmbö unterflogen. Sicht war schlecht.«

»Sie hätten doch nach den Instrumenten fliegen können.«

»Traue Instrumenten nicht. Sicht besser.«

Eigentlich sprach Tschischkarin ganz gut Deutsch, aber es bereitete ihm ein gewisses diebisches Vergnügen, den großkotzigen Offizier etwas zu veräppeln. Außerdem konnte es nützlich sein, den russischen Halbwilden zu geben, um die Verdachtsmomente des Oberstleutnants zu entkräften. Der fragte weiter.

»Ihre Anfluggeschwindigkeit lag weit unter dem Durchschnitt, Hauptmann. Auch wegen des Wetters?«

»So ist es. Starker Gegenwind. Die Landebahn ist kurz. Besser für C160 als für Antonow. Und Schnee auf der Piste, vielleicht Eis. Tower hat mich nicht informiert. War erster Anflug hier. Schwierig.«

»Ah ja. Und Ihre Ladung, Hauptmann? Die ist vollständig, ja?«

»Vollständig gemäß Protokoll, ja.«

»Gemäß Protokoll …«, wiederholte von Harmsdorff langsam. Der Oberstleutnant kritzelte ein paar Eintragungen in sein Büchlein, dabei machte er ein Gesicht wie ein Lateinlehrer, dem die aufgesagten Deklinationen nicht gefielen. Schließlich klappte er das Buch übertrieben laut zu und wandte sich zum Gehen. Als er schon fast draußen war, drehte er sich in der Kabinentür noch einmal um.

»Ähm, mir ist übrigens aufgefallen, dass es im Laderaum ziemlich feucht zu sein scheint. Auch Wetter?«

Tschischkarin, der auf seine Instrumente schaute, drehte sich nicht einmal um.

»Kondenswasser. Antonow hat keine doppelte Außenhaut. Ist normal in russischem Flugzeug.«

Der Deutsche nickte. Dann verließ er das Cockpit und betrat wieder den Laderaum. Im Vorbeigehen streifte er mit den Fingern über die Außenhaut des Fliegers. Als er das Flugzeug verließ, traf er im Hangar auf General Pjotrew. Der herrschte den salutierenden Offizier sogleich an:

»Was wird das hier?«

»Verzeihung, General. Sicherheitsüberprüfung.«

»Und dafür halten Sie meine Leute von der Arbeit ab?«

»Ihre Leute, General?«

Pjotrew sah aus, als würde er gleich platzen.

»Natürlich sind das meine Leute. Das sind doch wohl Infanteristen, oder täusche ich mich da?«

»Natürlich, Herr General, verstehe. Die Anordnung zur Sicherheitsinspektion kam aus dem Büro des Oberkommandierenden.«

»Und Sie haben Ihre Pflicht ja nun getan. Nehmen Sie ihre Wachen mit und lassen Sie diese Männer ihre Arbeit tun. Deren Einsatzbefehl stammt nämlich vom Marschall persönlich. Sie können wegtreten.«

»Zu Befehl, Herr General.«

Der Oberstleutnant salutierte zackig und winkte seinen Männern zu, die ihre Waffen senkten und zu ihm aufschlossen. Zwei Minuten später stand der General an der Heckklappe der Maschine und wies die Soldaten ein.

»Wegtreten und Quartier nehmen. Ein Adjutant erwartet euch im Flur, Männer.«

Die Soldaten salutierten und verließen den Hangar zügig durch die Seitentür. Pjotrew ging zum Cockpit der Maschine. Er nickte den Piloten zum Gruß zu und fragte leise auf Russisch:

»Alles gut gelaufen, Major?«

Tschischkarin drehte den CD-Player an und antwortete ebenfalls auf Russisch zum Klang der Don-Kosaken.

»Abwurf und Ausstieg planmäßig. Morosow und Koroljow sollten jetzt gerade ihr Lager errichten, etwa drei Kilometer von hier in westlicher Richtung.«

»Was wollte der Deutsche?«

»Er war neugierig. Wollte wissen, warum ich langsam und tief geflogen bin. Habe ihm gesagt, wegen des Wetters.«

»War er mit der Antwort zufrieden?«

»Schwer zu sagen, er ist ein misstrauischer Hund. Besser, wir bleiben nicht zu lange. Wir fliegen ja zu zweit, da reicht es aus, wenn wir nur auftanken und möglichst schnell wieder verschwinden. Schlafen können wir dann in Polen oder unten in Kiew.«

»Also gut. Ich besorge die Starterlaubnis. Ach, noch etwas. Auf dem Rückflug haben Sie Passagiere. Der britische Luftwaffengeneral ist jetzt außer Dienst und seine Stabsmitarbeiter nehmen diesen Flug nach Kiew. Vielleicht erweisen sich die Leute noch als nützlich, ich hörte, sie sind ziemlich ungehalten über die Entscheidung unseres Oberbefehlshabers, ihre Versetzung betreffend. Schauen Sie mal, was Sie da machen können. Und nun guten Flug und viel Glück auf dem Weg, Tschischkarin.«

»Danke, Genosse General.«

Die beiden Piloten salutierten und Pjotrew erwiderte den Gruß. Dann verließ er das Flugzeug und machte sich auf zur Flugleitung, um eine möglichst schnelle Startfreigabe zu erwirken. Das Auftanken würde höchstens eine halbe Stunde in Anspruch nehmen.