Jahr Zwei, 01. Oktober. Morgen VII

»Hey, ihr Knechte! Probiert mal gute, russische Militärtechnik!«

Eckhardt bellte über den Hof, und um seiner Aussage Gewicht zu verleihen, schickte er einige Grüße aus seiner Kalaschnikow hinterher. Er verließ seine Deckung hinter der großen Blauzeder und hechtete flugs hinter einen Mauervorsprung aus Naturstein, als die ersten Projektile dicht in seiner Nähe einschlugen.

Er befand sich nun zwischen der Villa und dem Turm, seine Gegner hatten sich irgendwo im Garten westlich des Kirchenschiffs verborgen. Wieder und wieder zischten die Kugeln der Amerikaner an ihm vorbei, und der Splitterregen von Querschlägern hinterließ schmerzhafte Stiche in der Haut.

Die vier Russen, die Eckhardt zur Hilfe gekommen waren, teilten sich auf und versuchten, die Seals zu umgehen. Zwei von ihnen bewegten sich vorsichtig zwischen der Villa und der Kirche, die anderen beiden umrundeten vorsichtig – und stets nach allen Seiten sichernd – die Kirche gegen den Uhrzeigersinn, um dem Feind in den Rücken zu fallen.

Doch der Gegner hatte deren Taktik offenbar erkannt, denn vier der sechs Angreifer arbeiteten sich nun schneller in Richtung Turm vor und schossen empfindlich genau in alle Richtungen. Die beiden Russen zwischen Villa und Kirche erwischte es. Tödlich getroffen sackten sie zusammen und rührten sich nicht mehr. Die anderen beiden verletzten einen der Angreifer, der aus seiner Deckung heraus eine Handgranate in ihre Richtung warf.

Die Explosion wirbelte Dreck und viele Pflanzenteile auf, die im Umkreis von etwa dreißig Metern prasselnd niedergingen. Erde, Steine, Äste und Wurzeln flogen umher und verteilten sich in der Gegend. Die beiden SpezNas-Kämpfer hatten rechtzeitig in Deckung gehen können, doch die drei Männer im Garten hatten unbemerkt ihre Position gewechselt. Aller Wahrscheinlichkeit nach lagen sie jetzt irgendwo in der Nähe des zerstörten Wohnwagens.

Zwei Mann aus dem Night-Stalker-Team hatten sich zu Beginn des Feuergefechtes abgesetzt und die Kirche auf der Nordseite passiert, dicht am Hang. Sie wollten die Kirche umgehen und sahen, wie zwei der Russen ihnen entgegenkamen. Sie versteckten sich und warteten ab, bis sie durch die Bewegung der anderen in eine gute Feuerposition kommen würden. Dann folgte die Handgranatenexplosion und die Russen waren abgelenkt. Nur drei Meter von ihnen entfernt lagen die Seals in der Nähe von Bérengers Grab im Gebüsch und legten vorsichtig an.

»Don’t try that!«, hörten die beiden hinter sich und hielten inne.

Es war Holgers Stimme. Er stand mit zwei Franzosen und zwei weiteren Speznas-Kämpfern hinter ihnen und alle richteten ihre Waffen auf sie. Die beiden Russen, denen Holgers Ansprache das Leben gerettet hatte, grinsten und nickten ihm zu. Holger grinste ebenfalls.

Eine weitere Handgranate explodierte in der Nähe, allerdings weit genug entfernt, um keinen nennenswerten Schaden anzurichten. Einige unhörbare Schüsse beendeten das Leben des Verletzten, der die Granaten geworfen hatte.

Einer der Franzosen fragte Holger, was sie mit den Gefangenen machen sollten, doch die Russen nahmen ihm die Antwort ab. Sie erschossen die Seals mit gezielten Kopfschüssen. Holgers nicht gestellte Frage nach dem Warum beantwortete einer der Russen ohne Kugel.

»Nix gut Zeugen. Niemand darf zurück zu Marschall und erzählen.«

Holger nickte resigniert und mit zusammengekniffenem Mund. Der Mann hatte schließlich Recht. Sie konnten keine Augenzeugen gebrauchen.

In diesem Moment vernahmen sie das typische Geknatter einer älteren Kalaschnikow aus Richtung Orangerie. Eckhardt hatte durch mehrere Stellungswechsel versucht, sich aus der Schusslinie der Amerikaner im Garten zu bringen; die letzten vier Mann seiner Truppe deckten ihn, so gut es ging.

Doch die Franzosen hatten gegen die gut ausgebildeten Amerikaner keine Chance. Einer nach dem anderen wurde niedergestreckt. Als Eckhardt völlig allein, eingekreist von den drei verbliebenen Seals, über seine Optionen nachdachte, fasste er einen Entschluss.

Er streckte seine Waffe aus seiner Deckung hoch und rief:

»Stop! Stop! Ich ergebe mich! Mein Name ist Professor Ernst Wildmann! Nicht schießen!«

Dann stand er auf und hielt die Hände hoch über den Kopf. Langsam umrundete er sein Versteck, einen älteren, sehr wuchtigen Gedenkstein aus Granit, und trat vor.

»Ich weiß, dass der Marschall mit mir sprechen möchte. Ich ergebe mich!«

Aus dem Gebüsch erschallte ein Ruf.

»Stay where you are! On your knees! Hands on your neck!«

Eckhardt tat, wie ihm geheißen, und zwei Seals traten vor, um ihn in Gewahrsam zu nehmen. Das war ihr Fehler. Mit einem zweifachen Plopp! aus Richtung der Kirche endete ihr Leben. Leblos sackten sie zusammen und Eckhardt nahm seine Hände wieder runter. Aus dem Schatten der Kirche traten Holger und seine Begleiter und winkten Eckhardt zu.

Der letzte des Seal-Teams setzte sich mit einem gewagten Sprung den Hang hinunter ab und verschwand im Gebüsch.