Jahr Zwei, 01. Oktober. Morgen V

Ploppen, Zischen, Sirren. Querschläger. Gesteinssplitter spritzten umher. Dröhnende Paukenschläge. Die Stahlcontainer wurden getroffen.

»Achtung! Angriff! Feuern auf mein Kommando!«

Eckhardts Stimme dröhnte über die Mauer, hinter der sich die Verteidiger der Südwestflanke verbarrikadiert hatten. Die Sturmgewehre der Dorfbewohner blieben den Angreifern keine Antwort schuldig, und der Lärmpegel stieg rasant an.

Im Gegensatz zu den Angreifern verwendeten die Verteidiger keine Schalldämpfer, und so mischte sich unter die Geräusche der Einschläge das harte Tackern der Kalaschnikows, mit denen Eckhardts Team ausgerüstet war. Eckhardt stellte fest, dass seine Leute ihre Magazine viel zu schnell leerten. Er nahm an, dass genau dies das erste Angriffsziel sein sollte, nämlich dafür zu sorgen, dass Munition verschwendet wurde.

Seine Leute, anderthalb Dutzend Franzosen, die im letzten halben Jahr dazugestoßen waren, hatten zwar ein gewisses Maß an Ausbildung von Eckhardt erhalten, doch es war das eine, draußen auf den Hügeln Zeds zu erledigen. Etwas völlig anderes bedeutete es, in einem Feuergefecht mit hochspezialisierten Kampfeinheiten zu liegen.

Er nahm es seinen Leuten nicht übel, dass sie aus lauter Angst überreagierten. Aber der Gegner konnte nun die Stärke der Verteidigergruppe wahrscheinlich ziemlich exakt abschätzen. Das bedeutete einen taktischen Nachteil.

»Feuer einstellen!«, bellte Eckhardt. Er winkte einen der Männer zu sich heran. Eckhardt nannte ihn schlicht Hubert, wie es halt ein Deutscher aussprach. Er würde sich nie daran gewöhnen, diesen Namen als Übär auszusprechen.

»Hör zu, Hubert. Du nimmst sechs Mann und gehst weiter in Richtung Turm. Ihr wechselt alle fünf Minuten die Stellung zwischen Turm und Kirche und gebt völlig unregelmäßig immer ein paar Schüsse ab. Zielt auf die Büsche unten am Weg, oder wenn ihr etwas seht, zielt darauf. Kurze Feuerstöße, nicht die Magazine leer ballern. Und steckt den Kopf nicht zu weit raus, sonst ist er weg. Das sind Profis da unten, okay?«

»Oui«, antwortete der Franzose, »verstanden.«

Der junge Mann hetzte geduckt davon und machte sich mit einer kleinen Gruppe auf, etwas Verwirrung zu stiften. Im selben Moment weckte ein wiederholtes dumpfes Fump! Eckhardts Aufmerksamkeit.

»Achtung! Granate!«, rief er und warf sich zu Boden. Mehrere Geschosse heulten über seinem Kopf durch den Himmel und gingen einige Meter östlich von der Orangerie nieder. Dummerweise stand genau dort Birtes Camper. Als die Vierzig-Millimeter-Gewehrgranaten einschlugen, vier an der Zahl, wurde der große Wohnwagen durch die Explosionen, verbunden mit der Detonation der Gasanlage, förmlich in Splitter gerissen. Für den Bruchteil einer Sekunde sah es aus, als würde der Camper quasi dicke Backen machen, aber dann zerrissen ohrenbetäubende Explosionen das Gefährt in einem Feuerball.

Rings um die ohnehin schon zerstörte Orangerie prasselten die fein zerstückelten Reste des ehemaligen Domizils auf die Erde. Als Eckhardt den Kopf hob und aus der Deckung kam, sah er, wie Birte völlig ruhig und über alle Maßen gelassen mitten über den zwangsgeräumten Platz ging und sich auf das schwere MG an der Mauer zubewegte. Sie hob den hinteren Teil der Waffe an den Griffen an, überprüfte den Ladezustand und bewegte den Lauf auf dem Dreibeinstativ hin und her.

Gerade wollte Eckhardt ihr eine Warnung zurufen, da hämmerte das Stakkato des Maschinengewehres bereits los.

Birtes Gesichtsausdruck war steinern, voller Verachtung spie sie den Angreifern die Ladung eines kompletten Gurtkastens entgegen. Eckhardt sorgte sich ernsthaft wegen der exponierten Stellung, die Birte innehatte, aber in ihr war dermaßen viel Wut, dass es wenig genutzt hätte, sie zurückzupfeifen. Also ließ Eckhardt sie gewähren, bis ihr größter Zorn verraucht war und sie sogar einen zweiten Gurtkasten leer geschossen hatte. Dann hechtete der beleibte Endfünfziger erstaunlich behände zu ihr hinüber und zog sie aus der Gefahrenzone.

»Verdammt, was sollte das denn, Mädel? Wenn die da unten nur einen vernünftigen Scharfschützen hätten, wärst du jetzt tot!«

»Die haben meinen Wohnwagen zerstört, die Schweine!«

Tränen rannen über ihre verstaubten Wangen und hinterließen verschmierte Spuren. Eckhardt nahm Birte in den Arm und drückte sie.

»Okay, ist gut. Alles gut. Du solltest doch eigentlich gar nicht hier oben sein. Hatten wir nicht ausgemacht, dass du dich in der Krypta versteckst? Ich weiß ja, dass du kämpfen kannst, Birte. Das hast du schon oft genug unter Beweis gestellt. Aber diese Typen da unten werden bald direkt angreifen, und du bist nun mal eines ihrer Ziele. Und wenn sie dich in die Finger bekommen, haben wir eine wirklich schlechte Position. Also komm, ich bringe dich runter zur Krypta. Es ist besser so.«

Birte nickte stumm und ließ sich von Eckhardt widerstandslos fortschaffen. Seine Leute feuerten weiter in unregelmäßigen Abständen von verschiedenen Orten auf die Deckung des Alpha-Teams. Den Angreifern war klar, dass es sich dabei um taktische Stellungswechsel handelte, doch konnten sie die genau Zahl der Verteidiger an dieser Position nicht ermitteln. Sie selbst hatten in Birtes irrwitzigem Kugelhagel drei Mann verloren.

Jed Tusk, der Anführer des SEAL Teams Night Stalker hatte Schwierigkeiten, sich zu beherrschen. Seine Leute hatten einst Größen wie Bin Laden verfolgt und zur Strecke gebracht, und ein paar lumpige Althippies mähten hier die erfahrenen Kämpfer um?

»Corporal«, blaffte der Colonel, »sehen Sie zu, dass wir diese Stellung da oben eliminieren können.«

Der Angesprochene nickte und gab den Männern mit Handzeichen Befehle. Er teilte die Gruppe in drei Unterteams ein, deutete mit den Fingern auf Männer, Ziele und Wege und machte zusätzlich spezielle Gesten, wie zu verfahren sei.

Die Soldaten robbten in ihrer Deckung auf die ihnen zugewiesenen Positionen zu und begannen, sich in Richtung Nordhang vorzuarbeiten. Dann ging plötzlich alles sehr schnell. Die Männer hechteten voran, bewegten sich ruckartig im Zickzack-Kurs auf die Felswand zu und pressten sich mit dem Rücken dicht ans Gestein. Sie deckten sich gegenseitig, und direkt bei der Kirche fanden sie eine Möglichkeit, das Plateau zu erklimmen. Die geübten Kämpfer warfen Seile mit Haken hinauf, verkanteten diese im von Furchen durchzogenen Gestein, und kletterten geschwind an den Seilen empor. Von alledem hatten die Verteidiger nichts mitbekommen, es ging schnell und lautlos vonstatten.

Die Seals arbeiteten sich über den kleinen Friedhof voran und hatten mit einem Mal die Verteidiger an der Mauer vor sich, die draußen noch nach den Angreifern suchten. Einige Plopp! später fielen mehr als die Hälfte der Männer einfach um und stürzten zum Teil über die Mauerkrone nach unten.

Eckhardt, der gerade vom Eingang zur Krypta zurückkam, sah dies und verharrte hinter einer der großen Blauzedern, die beim beschädigten Magdalenenturm am Ende der Grand Rue standen.

Von rechts aus der Grand Rue hörte er ein leises Schnalzen. Vier Gestalten drückten sich dort an die Gartenmauer der Villa Béthania. Sie trugen russische Felduniformen und AK 110 mit Schalldämpfern. Einer der Männer deutete auf das St. Georgs-Band, das er an die Halterung des Schultergurtes unter dem Lauf geknotet hatte.

Eckhardt nickte ihm zu und zeigte, dass er auch ein solches Band trug. Er deutete mit zwei Fingern auf seine Augen und dann in die Richtung, in der er die Angreifer vermutete. Zwischen ihnen lag das massive Kirchengebäude.

Der Soldat signalisierte Eckhardt, er solle sich in Richtung Turm bewegen und schießen, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Derweil er mit seinen drei Kameraden vorhatte, die Angreifer leise und unbemerkt einzukreisen.

Eckhardt nickte und zog den Ladehebel durch. Er atmete tief durch und trat aus dem Schatten des Baumes heraus.