Jahr Zwei, 23. September. Morgen III

»Jetzt werden Sie mal konkret, Soldat! Wie ist der Status dort?«

Gärtner bellte seine Befehle gewohnt aggressiv in das Mikrofon. Gerade nahm er den Bericht eines Untergebenen entgegen, der ihm per Funk vorgetragen wurde. Aus dem Lautsprecher klang ein flachbrüstiges Stimmchen.

»Melde gehorsamst. Vor Ort verfügbar und einsatzbereit:

Ein Leclerc-3 Kampfpanzer mit 120-Millimeter-Glattrohrkanone, ein 12,7-Millimeter-M2HB-Browning-MG und ein 7,62-Millimeter-MG, 80-Millimeter-Granat- und Nebelwerferanlage.

Munitionsvorrat unbekannt. Drei Puma Schützenpanzer mit jeweils einer 30-Millimeter-Maschinenkanone MK30-2/ABM, ein MG4 mit 5,56 Millimeter, Sprengkörperwurfanlage 76 Millimeter und zwei Lenkflugkörper Spike-LR. Munitionsvorrat unbekannt. Zweihundertachtundvierzig-FIM92F-Stinger-Raketen, und zwei 20 Millimeter Tarasque MK.

Fünf MG 5,56 Millimeter, dazu am Hulk-Truck eine 20-Millimeter-Gatling-Kanone und zwei 7,62-Millimeter-MG und am Eisenschwein ein 7,72-Millimeter-MG sowie eine der beiden Tarasque mobil. Zahlreiche Handfeuerwaffen und Handgranaten. Außerdem mechanische Distanzwaffen. Die Panzerstellungen sind am nördlichen Wall eingerichtet, Bulvey hat die Pumas eingraben lassen. Auf den drei Türmen im Dorf sind MG, FlaK und Raketen stationiert. Der Kampfpanzer steht zurzeit mitten im Dorf.«

»Gut. Halten Sie die Augen offen und geben Sie mir Bericht, wenn sich etwas verändert.«

»Jawohl, Herr Marschall. Wenn es gestattet ist, eine Frage: Sie hatten mir zugesichert, dass meine Familie und ich beim Angriff evakuiert werden. Wie erfahren wir die Details? Es wäre sicherlich sinnvoll, wenn wir das Dorf unmittelbar vorher verlassen, um aufgenommen zu werden.«

»Das lassen Sie mal unsere Sorge sein, Soldat. Für Sie wird schon gesorgt werden. Ende.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, schaltete er das Funkgerät ab. Dann wandte er sich dem Luftwaffengeneral Cecil Brithcomb zu, dem er die Leitung der Operation Preludio übertragen hatte. Der typische Brite mit mächtigem Schnauzer und eindrucksvollem Backenbart trug einen grünen Militärkampfanzug, und an seiner Brust eine imposante dreireihige Ordensspange.

»Was denken Sie, Cecil?«

Der Marschall bot dem General eine seiner Cohibas an und machte sich daran, einen vorzüglichen Scotch einzuschenken. Als er das zu einem Drittel gefüllte Glas anreichte, schmauchte der General bereits an der Zigarre. Er nahm das Glas, nickte und stellte es auf dem Tisch ab. Dann widmete er sich noch einen Augenblick der Tabakrolle, bis er sicher war, dass die Glut stabil und fest genug war. Er schob die Zigarre zwischen Zeigefinger und Mittelfinger und deutete auf die Satellitenbilder, die der Beamer an die Wand in Gärtners Büro warf.

»Dieser Bulvey scheint mir, obwohl er Zivilist ist, nicht unbedingt dumm zu sein. Seine Anordnungen sind logisch.«

»Er hat Hilfe von einem ehemaligen NVA-Mann. Ein Artillerist.«

»Das erklärt einiges. Seine Verteidigungsstrategie ist auf einen Angriff aus Richtung Norden ausgerichtet. Würde ich an seiner Stelle auch so machen. Den Kampfpanzer hat er als Ziel für uns aufgestellt, die Flugabwehrpanzer als Überraschung im Wald eingegraben, wohl irgendwo da oben. Und das hat er sogar verdammt gut hinbekommen, man sieht nämlich nichts von den Einheiten. Sind die Bilder neu?«

»Von vorgestern.«

Brithcomb nickte und nahm einen Schluck Scotch. Er zog anerkennend die Brauen hoch, als die bernsteinfarbene Flüssigkeit seine Geschmacksnerven reizte. Dann fuhr er fort.

»Wenn er seine Raketen auf diesen drei Türmen stationiert hat, sind sie ein Problem. Diese ManPADS können unseren Hubschraubern verdammt gefährlich werden. Die müssen wir am besten kalt erwischen. Ich würde vorschlagen, dass wir den Bereich um das Dorf weiträumig umfliegen und unseren Angriff von Süden aus starten. Damit haben wir ein deutliches Überraschungsmoment geschaffen, das es uns ermöglichen sollte, schnell und präzise zuzuschlagen.«

Gärtner nickte. Er mochte die kreativen Ideen des Generals. Was er nicht mochte, war dessen typisch britische Überheblichkeit.

»Das wird schnell gehen«, führte der General weiter aus, »wenn wir uns nicht allzu lange aufhalten, sind wir da in zwei bis drei Stunden mit unserem Ergebnis raus. Es mag ja sein, dass dieser Zivilist da ein paar Raketen und Panzer stehen hat, aber ich bezweifle, dass er genug Männer hat, um diese Waffen effektiv einzusetzen. Dafür fehlt ihm schlichtweg die Erfahrung. Seine Chancen stünden besser, wenn er keinen Verräter in den eigenen Reihen hätte.«

Der General hüllte sich in eine Qualmwolke und gab Paffgeräusche von sich. Gärtner stand noch immer an der Hausbar, die in seinem Aktenschrank untergebracht war. Er hielt die Karaffe aus geschliffenem Bleikristallglas dem General fragend hin, und der nickte. Gärtner goss nach und verstaute die Karaffe wieder im Schrank.

»Was können Sie mir für den Einsatz geben, Cecil?«, fragte Gärtner.

»Na ja«, gab der Brite zögerlich zurück, »alle großen Maschinen sind derzeit an der Ostfront und unabkömmlich. Von den Amerikanern haben wir noch ein paar Black Hawks, und zwei oder drei Transporthubschrauber der Marine könnten wir vielleicht freistellen. Vorausgesetzt, unsere Piloten finden auf dem Weg da runter eine Tankstelle, könnten wir die Teams direkt mit den Helikoptern runterfliegen. Unsere C160 bekommen wir in dem Gebirge eh nicht runter. Wir könnten vier Kampfhubschrauber schicken und drei Transporter für maximal 36 Infanteristen. Mir wäre es ja lieber, eine von den Mikrowellenkanonen hinzuschicken – dann dürften wir kein Problem haben.«

»Das funktioniert nicht. Die Teams müssen Frau Radler, die Wissenschaftler, die Proben und die Aufzeichnungen rausholen. Und wenn Bulvey klug ist, wird er die Leute im ganzen Dorf verstreuen. Nein, das wird ein Bodeneinsatz.«

»Was ist mit dem Soldaten und seiner Familie?«

»Entbehrlich.«

Der General paffte erneut an seiner Zigarre. Dieses entbehrlich bedeutete das Todesurteil für eine Familie, die der New World diente und ihre Freunde verriet. Cecil Brithcomb fand das alles andere als anständig. Möglicherweise war sein chinesischer Vorgänger ja auch entbehrlich geworden.

Gärtner ergriff wieder das Wort.

»Geben Sie General Pjotrew Bescheid. Ich brauche ein Dutzend seiner besten SpezNas-Männer für die Bodenmission, den Rest machen die Seals. Rüsten Sie die Black Hawks entsprechend aus und erstatten Sie mir Bericht, wann die Mission starten kann. Je eher das ist, umso besser. Das wäre dann erst einmal alles.«

Der General drückte den Rest der Zigarre in den voluminösen Aschenbecher und erhob sich. Er nickte dem Marschall zu, drehte sich um und verließ den Raum zügig.

Er begab sich in eines der unteren Geschosse und traf General Pjotrew auf dem Flur. Der befand sich gerade auf dem Weg zur Kantine, um sein Frühstück einzunehmen.

»Ah, Mikail. Gut, dass ich Sie treffe. Zu Ihnen wollte ich gerade.«

Der Russe schaute etwas erstaunt und nickte dann.

»Ich bin auf dem Weg zur Offiziersmesse. Zeit für etwas Warmes im Bauch. Begleiten Sie mich doch.«

»Aber … es ist dienstlich.«

»Das ist mein Frühstück auch. Aber Sie können auch gern später bei mir im Büro vorbeischauen.«

Brithcomb war etwas irritiert. Offensichtlich schien es in Russland kaum Dinge zu geben, die wichtiger waren als das Frühstück. Er zuckte mit den Schultern und begleitete Pjotrew zum Buffet. Während sich der Russe den Teller mit allerlei Delikatessen befüllte, beließ es Brithcomb bei einer Tasse Kaffee.

»Seltsam, nicht wahr?«, sagte Pjotrew, als sie sich an einen Tisch etwas abseits des täglichen Betriebs setzten, »draußen fressen die Menschen Zombies, Zombies fressen Menschen, und wir essen Toast mit Ei. Mit echtem Ei. Verrückte Welt.«

Brithcomb sah ihn verwundert an.

»Aber … Sie werden doch diese Märchen nicht glauben, die dieser Terrorist im Netz und per Funk verbreitet? Dass wir Zombiefleisch essen …«

»Nein. Natürlich nicht. Wir essen kein Zombiefleisch. Wir essen Ei. Echtes Ei.«

Der Russe grinste unverhohlen.

»Aber, um auf Ihre Frage zurückzukommen. Was dieser Wissarion da verbreitet, ist die Wahrheit. Ich sollte das wissen, ich habe es mit entschieden. Das war natürlich vor Ihrer Zeit im Generalstab. Fragen Sie Hershew, der weiß es auch besser. Aber egal, die Speisekarte ist sicherlich nicht der Grund, warum Sie mich sprechen wollten, nicht wahr?«

Brithcomb schaute völlig verdattert drein. Eine Sekunde später hatte er sich wieder im Griff.

»Äh, ja. Marschall Gärtner bat mich, mit Ihnen über den bevorstehenden Einsatz in Rennes-le-Château zu sprechen. Er braucht eine Bodeneinheit von sechsunddreißig Männern, um dort einzurücken und uns die T93-Forschungsergebnisse zu sichern. Auch die Wissenschaftler und diese Birte Radler sollen überführt werden. Wir gehen mit vier Hawks rein, Ihre Leute werden mit drei Sikorskys abgesetzt. Wie lange brauchen Sie, um drei Teams zusammenzustellen?«

Pjotrew ließ die Hand sinken und legte das Brot auf seinem Teller ab. Das also hatte Gärtner vor. Er wollte das Dorf quasi niederbrennen und seine Beute heimschleppen. Er überlegte. Dann sagte er:

»Ich habe im Moment keine Teams in Reichweite, aber in einer Woche erwarte ich zwei Einheiten zurück aus dem Osten. Drei Dutzend Männer können Sie in zehn Tagen bereit haben. Wir nehmen auch welche von den Amerikanern.«

»Gut, ich werde das so einplanen. Halten Sie die Männer bereit, Pjotrew. Ich melde mich dann.«

Der Brite nickte, stand auf und verließ die Kantine. Mikail Pjotrew nahm sein Brot wieder auf und aß weiter. Er musste dringend mit Major Tschischkarin in Kiew reden. Die SpezNas-Leute mussten handverlesen werden, um Pjotrews Plan nicht zu gefährden. Was immer auch in zehn Tagen passierte, es würde Dinge in Bewegung setzen, die unumkehrbar wären. Wenn jetzt auch nur eine Kleinigkeit schiefging, dann könnte der gesamte Plan fehlschlagen. Und das durfte nicht passieren. Um keinen Preis. Der General nahm sich auch vor, nachher noch Kontakt zu Wissarion aufzunehmen, um die Nachricht vom bevorstehenden Angriff an die Leute in dem französischen Dorf weiterzuleiten.

Es war Herbstanfang. Ein frostiger Tag wie jeder andere. Und doch änderte sich heute vieles. Pjotrew aß sein Frühstück auf, stellte das Tablett weg und verließ die Kantine in Richtung seines Büros.

Es gab viel zu tun.