Jahr Zwei, 01. Oktober. Nachmittag I

»Junge, Junge … hier sieht es ja übel aus.«

Alv flanierte mit Eckhardt und Juri durch das arg in Mitleidenschaft gezogene Dorf Rennes-le-Château. In den Straßen häuften sich die Trümmer zerstörter und schwer beschädigter Häuser.

Zerfetzte und verbrannte Möbel und Einrichtungsgegenstände lagen überall verstreut herum, der leichte Wind trug Papier- und Plastikfetzen durch die Gegend, bis sie sich irgendwo verfingen. Der Angriff der New World Army hatte keine Stunde gedauert, und doch sah es aus, als habe hier ein wochenlanger Krieg getobt.

Ein Teil der Bewohner befasste sich mit dem Einsammeln und Katalogisieren der Waffen und Munition, die im Kampfgebiet herumlagen. Die Bereiche außerhalb sollten tags darauf untersucht werden, wenn Alv, Eckhardt und Juri die beschädigten Panzer und die abgeschossenen Helikopter begutachteten.

Jede leere Patronenhülse wurde eingesammelt und jedes brauchbare technische Gerät zur Weiterverwendung archiviert. Der Schrott ging dann ins Recycling-System.

Ein anderer Teil der Bewohner begann umgehend damit, die Reparaturarbeiten an den Befestigungsanlagen in Angriff zu nehmen.

Die Zombieschredder wurden wieder eingeholt und die Metallbauer führten erste einfache Reparaturen aus. Es gab drei Bereiche in der Stahlwand, deren Instandsetzung wesentlichen Aufwand bedeutete. Hier waren Hellfire-Raketen der Gegner direkt eingeschlagen und hatten immense Löcher gerissen.

Alv schätzte, dass zehn bis zwölf Container komplett ausgewechselt werden mussten. Dazu wurde es notwendig, die beschädigten Container zu leeren, sie aus der Wallkonstruktion herauszuschneiden und durch neue zu ersetzen. Ein Team montierte hierzu gerade einen Kran, während andere die verbogenen Teile mit Plasmaschneidern herauszutrennen begannen.

Im Grunde war das ganze Dorf auf den Beinen, selbst die Kleinsten halfen mit, die zerstörten Beete im Schulgarten wiederherzustellen. Jeder packte mit an, wo er oder sie konnte, und man sah den Bewohnern die Erleichterung an, mit der sie hier zu Werke gingen.

Der Gegner hatte ihnen zwar schwere Schäden zugefügt, aber es war ihm nicht gelungen, die Gesellschaft des Willens zu besiegen.

Die kürzlich stattgefundene Beerdigung der Gefallenen hinter sich lassend, betätigten sich die Bewohner schon wieder produktiv.

Die getöteten Dorfbewohner lagen in hübschen Gräbern auf dem Friedhof, die Leichen der getöteten Feinde wurden außerhalb des Dorfes in einem gemeinsamen Grab beigesetzt.

Von einigen der Soldaten fanden sie eh nur noch abgenagte Knochen. Die Zombiekadaver sammelten sie ein und verfrachteten sie mit einem Kipplaster zu einem der Steilhänge nördlich des Dorfes. Dort lag eine Deponie für Zed-Kadaver, an der sich die Insekten nährten.

Als die drei Männer ihren Rundgang beendeten, sahen sie, dass Birte und Sepp an der Orangerie einen neuen Caravan aufstellten, den sie aus dem Depot heraufgebracht hatten, das unten auf dem südlichen Parkplatz angelegt worden war. Dort unten standen mittlerweile mehr als dreißig Wohnwagen aller Größen, die von den Besorgungsteams aus Carcassonne geholt wurden, wenn sie unterwegs waren, um Waren aller Art zu requirieren.

Langfristig planten Alv und Eckhardt eine Einwohnerzahl von etwa dreihundert Personen für Rennes-le-Château, und in dem milden Bergklima konnten die Neuankömmlinge gut außerhalb des Dorfes in einem Trailer-Park leben.

Für diese Siedlung war eine Gated Area am Südostfuß des Berges geplant, die durch einen voll vergitterten Notpfad mit der Festung verbunden sein würde. Im nächsten Sommer sollte dieses Projekt eigentlich abgeschlossen sein, so dass Rennes-le-Château zu einer Größe anwachsen könnte, die es überlebensfähig machte.

»Na, neues Heim, neues Glück?«, fragte Eckhardt, als er Birte erspähte, die auf dem Platz nach brauchbaren Dingen suchte, die von den Explosionen nicht beschädigt worden waren. Viel blieb ihr nicht. Sie machte ein zerknirschtes Gesicht.

»Nicht wirklich. Der alte Trailer war besser, größer, und …. ach, es fehlt so viel. Aber wir haben wenigstens wieder ein Dach über dem Kopf, das ist das Wichtigste.«

Sepp war mit den Befestigungsarbeiten gerade fertig geworden und kam dazu.

»Vielleicht könntet ihr mir mal kurz beim Vorzelt helfen. Ich baue gerade das Gestänge auf.«

Die drei nickten, Alv hob seinen verletzten Arm und meinte: »Ich werde euch wohl keine große Hilfe sein.«

»Dann machen wir beide Tee und Kaffee!«, beschloss Birte und hakte sich bei Alv ein. Sie führte ihn zum Wohnwagen und zerrte ihn hinein. Die Einrichtung roch frisch und nach Möbelhaus.

Während Sepp, Eckhardt und Juri draußen mit dem Gestänge des Vorzelts herumbalancierten, bereiteten Alv und Birte Kaffee, Tee und Gebäck vor. Birte deckte den Tisch in der großzügig bemessenen Sitzgruppe des Acht-Meter-Campers. Die beiden setzten sich, während der Tee zog und der Kaffee durchlief. Birte fragte unvermittelt: »Was meinst du, Alv? Kommt dieser Marschall mit seinen Leuten wieder?«

»Hast du Angst?«

Sie sah ihn an. In den Augen flimmerten kleine Tränchen und der Wasserspiegel stieg unaufhörlich an.

»Na sicher hab ich Angst. Ne Scheißangst sogar. Ich meine, die haben mit Raketen auf uns geschossen. Denen war es völlig egal, dass wir ebenso Menschen sind wie die. Das waren Killermaschinen.«

»Nicht alle.«

»Ja, das stimmt. Ich bin auch heilfroh, dass es Leute wie Juri und seine Mannschaft gibt. Ich glaube, ohne die hätten wir ziemlich alt ausgesehen. Aber falls dieser Gärtner wiederkommt, wird er sich seine Leute wohl besser aussuchen, oder?«

Alv stand auf und nahm das Teesieb aus der Kanne, dann goss er neues Wasser auf den Kaffeefilter. Er drehte sich wieder zu Birte um und antwortete, wobei er den Kopf von einer Seite auf die andere wiegte:

»Ich weiß nicht. Der Marschall ist natürlich verärgert und wird sein Ziel, deiner habhaft zu werden, nicht so schnell aufgeben. Aber seine Aktion ist inzwischen kein Geheimnis mehr, und er wird Schwierigkeiten bekommen, eine neue Strafexpedition in dieser Größenordnung vor seinen Generälen zu rechtfertigen. Es mag zwar sein, dass er der Machthaber auf der Insel ist, das bedeutet jedoch nicht, dass er einfach alles tun kann, was ihm beliebt. Die Macht eines Despoten kann mitunter ein äußerst fragiles Konstrukt sein, Birte. Ich schätze, das war auch der Grund, warum der russische General, der uns unterstützt hat, es nützlich fand, diese Aktion desaströs enden zu lassen. Er schwächt damit Gärtners Stand in den eigenen Reihen, und je mehr Fehlentscheidungen der Diktator trifft, desto schwieriger wird es für ihn, seine Machtstrukturen zu erhalten. General Pjotrew spielt auf Zeit, aber auch er hat nicht ewig Zeit, um seinen Plan umzusetzen. Es könnte also gut sein, dass er versucht, Gärtner zu Fall zu bringen, bevor dieser einen neuen Feldzug gegen uns starten kann.«

»Sind wir bis dahin in Sicherheit?«

»Nein. Wir sind niemals in Sicherheit. Das muss einfach jedem hier klar sein. Wir dürfen niemals in unserer Wachsamkeit nachlassen. Es kann jederzeit sein, dass Gärtner kleine Teams schickt, nachdem sein Frontalangriff gescheitert ist. Außerdem rennen da draußen noch immer jede Menge Zeds herum, von denen einige aussehen wie die Schwiegermutter des Hulk. Und eben diese neue Art, diese Struggler, macht mir ernsthafte Sorgen. Kein Mensch weiß, was in denen vorgeht.«