Jahr Zwei, 28. September. Morgen I

Ein bitterkalter Wind fegte winzige Eiskristalle aus Richtung Osten heran. Die kalten Schneeflocken schnitten ins Gesicht, aber Igor machte das nichts aus.

Er stand auf dem Flugfeld und inspizierte gemeinsam mit Major Tschischkarin die Teams, die nach Helgoland geflogen werden sollten. Ein Dutzend Männer in den Uniformen der New World Army Special Forces und zwanzig Mann in weißen Wintertarn-Overalls.

Die Ausrüstungsgegenstände hatten die Kameraden vom Bodenpersonal bereits verstaut. Die Antonow AN-72 stand startbereit auf der Bahn des Werksflugplatzes. Igor wandte sich an seine Männer.

»Team Eins: Ihr seid reguläre SpezNas-Kämpfer der ehemaligen Roten Armee. Ihr habt gültige Papiere und werdet unbehelligt operieren können. Wie ihr wisst, wird man euch in der Festung des Marschalls zu einer Sondereingreiftruppe einteilen, die zur Aufgabe hat, bestimmte Personen zu entführen und Forschungsergebnisse sicherzustellen. Dazu geht es nach Südfrankreich. Ihr werdet mit Amerikanern von den Night Stalkern und mit Briten von den SAS zusammenarbeiten. Das sind absolute Profis. Ich weiß, das sind einige von euch auch, aber besonders die Amerikanski sind harte Knochen. Wenn ihr meine Order ausführt, gibt es kein Zurück, dann müsst ihr es auf jeden Fall bis zum Ende durchziehen. Sind die anderen Teams zu stark und in der Lage, ihre Einsatzorder durchzuziehen, dann zieht euch in die zweite Reihe zurück und dokumentiert das Geschehen in einer Art, dass wir es dramatisiert als Propaganda nutzen können. Verstanden?«

»Verstanden!«, antworteten die zwölf auserwählten Grosnyj-Krieger wie aus einem Munde.

»Team Zwei und Drei: Ihr werdet im Anflug in den späten Abendstunden aus niedriger Höhe über dem Eis abspringen. Der Ostwind wird es für Major Tschischkarin notwendig machen, von Westen anzufliegen, was für euch von Vorteil ist. Im Westen der Insel sind die wenigsten militärischen Einrichtungen installiert. Dort liegt die Bulkerflotte der New World im Eis, und im äußeren Ring gibt es festgefrorene Schiffswracks, auf denen niemand lebt. Ihr springt an der Dreimeilengrenze ab. Dort verläuft auch der schiffbare Ring, den die Marine stets freihält, um Zugriffe der Zeds über das Eis zu unterbinden. Es ist nicht anzunehmen, dass ihr auf Zeds treffen werdet. Wichtig ist, dass ihr sofort Deckung sucht und danach erst die Materialkisten bergt. Innerhalb einer Stunde müsst ihr jedoch mit den Kisten vom Eis verschwunden sein. Grabt euch ein oder nutzt die Schiffswracks, um euch zu tarnen. Wenn das Wetter gut ist, achtet auf Helikopter, die sind sicherlich mit Wärmebildkameras ausgestattet. Ihr habt jeder New World Papiere und gefälschte, passive RFID-Chips, aber wir wissen nicht hundertprozentig, ob die Tarnung funktioniert. Versucht, euch an die vorgelagerten Industrieanlagen heranzuarbeiten und dort Zutritt zu erhalten. Sollte das nicht funktionieren, verharrt in eurer Stellung, bis ihr das Signal zum Losschlagen erhaltet. Klar soweit?«

»Klar soweit!«, antworteten die Weißgekleideten.

»Dann ab mit euch!«

Die Männer salutierten und begaben sich zur Ladeluke, durch die sie die Maschine bestiegen. Igor und der Major standen nun allein auf dem Rollfeld. Tschischkarin bot Igor eine Filterzigarette an, die dieser gern annahm.

Rauchend standen die beiden Männer unter der rechten Tragfläche des Transportflugzeuges. Mit den Händen schützten sie die Glut ihrer Zigaretten, um diese vor dem Verlöschen durch Schneeflockentreffer zu bewahren.

»Was denken Sie, Major«, fragte Igor besorgt, »werden die Männer es schaffen?«

Der Pilot nickte langsam.

»Team Eins macht mir keine Sorgen. Die Soldaten sind hervorragend ausgebildet und gut im Training. Sieben Mann waren tatsächlich SpezNas-Angehörige, die werden die anderen schon mit durchziehen. Ich hoffe, dass sie vor Ort in der Lage sind, ihren Primärauftrag auszuführen. Was Ihre Schneemänner angeht, Igor, die müssen jetzt beweisen, was sie bei Ihnen gelernt haben. Wichtig ist, dass die Kisten mit den Waffen nicht gefunden werden. Ich habe demnächst noch eine Tour zu fliegen, Ersatzteile für eine Antonow in der Festung. Da habe ich noch etwa zweieinhalb Tonnen Abwurfkapazität frei. Es wäre vielleicht sinnvoll, wenn Sie hier schon mal eine Ladung zusammenstellen. Wir haben in der Festung keinen spezifischen Zeitplan, wir müssen warten, bis die Gelegenheit günstig ist. Aber wenn der Termin deutlich näher rückt, müssen Sie mit ihren restlichen Männern einsatzbereit sein.«

Igor stimmte ihm zu.

»Ja, das habe ich im Lager bereits abgesprochen. Die P04 ist vierspurig geräumt und als Rollfeld einsatzbereit. Wir können jederzeit aufbrechen.«

»Gut. Wir nehmen die andere Maschine in der Festung in Betrieb und fingieren einen Versorgungsflug, wenn es soweit ist. Irgendwelches Zeug, Nahrungstuben, Medizin und Decken meinetwegen. Dann landen wir mit beiden Maschinen auf dem improvisierten Rollfeld und nehmen Sie an Bord. Einhundert Mann zuzüglich Ausrüstung können wir transportieren, insgesamt fünfzehn Tonnen. Die Maschinen werden nach dem Landen in der Festung sofort in einen zentralen Hangar gelenkt. Von dem Moment an, wenn sich die Frachtluke öffnet, beginnt die heiße Phase. Dann gibt es kein Zurück mehr.«

»Wo tanken Sie unterwegs, Major?«

»In der Nähe von Łódź in Polen gibt es einen funktionierenden Zivilflugplatz. Dort stehen Tankfahrzeuge für uns bereit.«

Igor wirkte erstaunt. Mit der linken Hand, die in einem gefütterten Fäustling steckte, strich er über den Rumpf des Fliegers.

»Damit gehen Sie auf einem Zivilflugplatz runter?«

Der Major lachte.

»Tarassow, mit dieser Kiste lande ich in ihrer Hauseinfahrt! Nein, im Ernst. Ich brauche maximal vierhundert Meter, um dieses Baby in die Luft zu bringen oder zu landen. Die Turbofans bringen gute fünfzigtausend PS, damit kommt die Marjoschka ziemlich schnell auf Touren. Aber das sehen Sie ja gleich selbst. Wir müssen jetzt auch bald starten.«

Er trat seine Zigarette aus und bestieg das Flugzeug. Die Laderampe wurde angehoben und schloss sich mit einem schweren metallischen Geräusch. Igor ging zum Hangar hinüber, um dort im Windschutz den Start des Flugzeugs zu beobachten.

Kurz darauf ließ der Pilot die Triebwerke an und testete alle Funktionen. Höhen- und Seitenruder wurden bewegt, dann schwoll der Triebwerkslärm an und die Antonow rollte in die Startposition. Der Pilot gab Schub auf die Triebwerke, und das Flugzeug beschleunigte innerhalb kürzester Zeit auf Startgeschwindigkeit.

Als die Maschine abhob, erzeugte sie hinter sich auf dem nur sehr notdürftig geräumten Rollfeld einen Schneesturm. Kurz darauf flog der Major eine Schleife und ging auf Nordwestkurs. Das Flugzeug ging außer Sicht, Igor verließ den Hangar und bestieg einen Armeelaster, der ihn nach Cherkas zurückbringen sollte. Oleg hatte versprochen, zum Mittagessen einen großen Gries-Gugelhupf mit einer Sauce aus Konfitüren-Konserven zuzubereiten. Diese Leckerei wollte sich Igor auf keinen Fall entgehen lassen.

Sein Transporter wurde von zwei weiteren, die mit bewaffneten Grosnyj-Kämpfern besetzt waren, begleitet. Hier in der Umgebung von Kiew wurden immer wieder Zombieherden gesichtet, und nach den letzten Begegnungen mit diesen Strugglern war sich Igor sicher, dass man gar nicht vorsichtig genug sein konnte.