Jahr Zwei, 28. September. Mittag

Vorsichtig schälte er sich aus der Deckung des Birkenhains. Er konnte sie zwar nicht sehen, denn sie waren noch weit entfernt, aber riechen konnte er sie. Die anderen. Sie rotteten sich in der Umgebung zusammen, in den Wäldern.

Sie kamen von überall her, aus der Tundra, aus den asiatischen Ballungsgebieten, aus den Küstenregionen und Hochebenen Indiens. Tausende und Abertausende hatten sich auf den Weg gemacht. Kzu’ul konnte sie alle spüren. Wie kleine, leuchtende Sterne des Firmaments erschienen sie in seiner Innensicht. Und sie kamen in Massen.

Der mächtige Struggler konnte auch einige von seinesgleichen identifizieren. Wenige zwar, und ihre Gedanken fühlten sich äußerst verworren an. Doch Kzu’ul hatte einen Plan, und damit war er sämtlichen Zeds gegenüber bereits im Vorteil.

Er verstärkte seine Gedanken an die anderen Struggler, schickte diese auf die Reise über die Magnetfeldlinien, um seinen Brüdern den Ruf der Freiheit zu senden. Sein Ziel war es, die höher entwickelten Struggler zu erreichen, sie anzulocken und dann zu versuchen, sie mit der Kraft, die in ihm steckte, zu infizieren. Dieser maßgebliche Punkt bedeutete, dass er sich auf Rangkämpfe einlassen musste, um unter den höher Entwickelten später die Führungsposition einzunehmen.

Aus dem Dickicht näherten sich gedämpfte Geräusche. Ein unruhiges Knurren bahnte sich den Weg durch die dicht an dicht stehenden Birkenstämme, und in der Richtung, aus der die Sonne versuchte, die schlierigen Wolken zu durchdringen, fielen die Schneelasten von den dürren Zweigen. Ein leises Rauschen, hervorgerufen durch verdrängten Schnee, und ein Knarzen der gefrorenen Wassertropfen, die unter großer Last zusammengepresst wurden, deuteten darauf hin, dass sich etwas oder jemand durch die hohe Schneedecke näherte.

Kzu’uls Empfindungen intensivierten sich. Über das magnetische Band konnte er starke Wellen vernehmen, es näherte sich also ein Struggler. Roh und ungeformt waren seine Gedanken, sie bestanden fast ausschließlich aus triebgesteuerten Befindlichkeiten. Es existierte keinerlei Struktur, keine Ordnung in diesem Gedankenstrom. Der Zed, der sich ihm näherte, bewegte zwar auch einige rudimentäre, selbstreferenzielle Gedankenfetzen, doch schien es ihm nicht zu gelingen, sie in eine für sein Bewusstsein greifbare Form zu bringen. In seinem Kopf herrschte absolutes Chaos, das konnte Kzu’ul deutlich spüren.

Mit einen Mal brach der andere Struggler aus dem Dickicht hervor und stand auf der Lichtung, auf der auch Kzu’ul stand. Der andere besaß eine hünenhafte Statur, Muskeln bedeckten seinen Körper über und über. Jeder Bodybuilder in der alten Welt hätte sich, seiner ansichtig und vor Neid erblasst, in eine Ecke des Gym verkrochen. Doch nicht so Kzu’ul. Er reckte sich zu voller Größe empor und drückte seine Schultern nach vorn, um eine breitere Silhouette zu erzeugen. Sein Gegenüber, etwa fünfzig Meter entfernt von ihm, tat es ihm gleich. Beide blähten ihre Deltamuskeln auf wie zwei Kragenechsen ihre Halslappen, um einander gegenseitig zu imponieren. Der andere Struggler schüttelte eine lange, schwarze Mähne wie einer dieser Heavy-Metal-Sänger und ließ ein furchterregendes Brüllen hören. Er reckte den Kopf in die Höhe, warf ihn zurück und brüllte bestialisch. Dann ließ er den Kopf wieder sinken und sah Kzu’ul herausfordernd an.

Der ließ es sich nicht nehmen, die Herausforderung anzunehmen und pumpte durch konvulsivische Bewegungen seines Zwerchfells Luft in den Bustkorb. Dann presste er sie in seinen Rachen und antwortete dem anderen mit einem löwengleichen Gebrüll, dass dermaßen laut und druckvoll vorgetragen wurde, dass ringsum der Schnee von den Ästen der Birken fiel.

Dem anderen war das Zeichen genug. Er begann, in großen, kräftigen Sätzen über die Lichtung zu hetzen, wobei er enorme Mengen an Schnee aufwirbelte. Kzu’ul rannte ebenfalls los, und in der Mitte des baumfreien Platzes trafen die Kontrahenten aufeinander. Wie zwei Platzhirsche rasselten sie zusammen und verkeilten sich ineinander. Mit mächtigen Prankenhieben schlugen sie brüllend aufeinander ein, man hörte Knochen brechen. Sie zerrten aneinander, rissen sich herum und balgten im hohen Schnee umher. Ihre Kiefer schnappten mit laut klackenden Geräuschen nach dem jeweils anderen.

Dann konnte Kzu’ul einen Vorteil erringen und schlug seine Zähne tief in den Hals des anderen. Der brüllte vor Wut laut auf und versuchte, Kzu’ul abzuschütteln, doch es war bereits zu spät für ihn. Das hoch aggressive Z1V33-Virus begann, seine Zellstruktur zu erobern und die Variante 32 vollständig zu überschreiben. Brüllend und geifernd rollte der andere sich im Schnee und erhielt nun sein persönliches Virus-Update verabreicht. Subjektiv schien es ihm nicht gut zu bekommen, denn er gebärdete sich wie ein Wahnsinniger.

Sein Körper zuckte unkontrolliert, und irgendwie schien seine gesamte Körpermasse in Bewegung zu geraten. An unterschiedlichen Stellen seines Leibes bildeten sich Beulen und die Haut warf Blasen, Sekunden später waren diese wieder verschwunden. Die seltsamen Verrenkungen, in die der Zed durch die bioelektrischen Impulse des Virus getrieben wurde, hätten jeden Sterblichen sofort getötet. Doch bei diesem toten Körper heilten die Muskelrisse und Knochenbrüche fast ebenso schnell, wie sie entstanden.

Während dieses Vorgangs der Wandlung stand Kzu’ul teilnahmslos am Rande der Lichtung und sah zu, wie aus dem Struggler der ersten Generation ein bestialischer Krieger wurde, der erste von Kzu’uls Art.

Nach und nach ebbten die spastischen Zuckungen des anderen ab und er kam zur Ruhe. Sein Körper, der vom Schnee klatschnass geworden war, dampfte wie ein Sudkessel und die Bestie schnaufte wie ein Wisent. Dann erhob er sich langsam vom Boden und sah sich um. Er stapfte auf noch unsicheren Beinen auf Kzu’ul zu und verharrte etwa zwei Meter vor ihm. Er beugte ein Knie und streckte seine Arme weit nach vorn. Die Handflächen nach oben gerichtet. Den Blick hielt er gesenkt. Kzu’ul ging zu ihm hin und legte seine Handflächen auf die des anderen. Er knurrte laut und seine Gedanken sprachen zum Geist des Untergebenen.

»Ich bin Kzu’ul. Du folgst.«

Der andere hob den Blick und schaute seinen Erzeuger an, der seine Hände wieder zurückzog.

»Ich bin N’kial. N’kial folgt Kzu’ul.«

Damit erhob er sich und ordnete ein wenig seine völlig zerfetzte Kleidung. Die beiden schnüffelten und sogen den Geruch anderer Zeds tief in sich ein. Viele Lahme, einige Jäger und nur wenige, die so beschaffen waren, dass sie wie Gap, der einst als Professor Weyrich gelebt hatte, verwandelt werden konnten. Die beiden mordgierigen Bestien sahen einander an, und mit beinahe synchronen Bewegungen starteten sie abrupt durch.

Mit der Kraft von Lokomotiven pflügten sie durch den Schnee und bewegten sich weiter Richtung Osten, um die Herde aufzutreiben, die Armee der Zombies.