18. Fahrt ins Weihrauchland

»Ich hoffe, du hast in Nürnberg genügend große Räume und Truhen für ihre Garderobe«, spottete Crestina und deutete auf die Berge von Gepäckstücken, die sich inzwischen im Wassergeschoss aufgetürmt hatten.

»Sie bekommt ein Zimmer, nicht mehr«, sagte Margarete lächelnd, »damit muss sie auskommen.«

»Dann lässt sie am besten gleich die Hälfte ihrer Sachen hier«, schlug Crestina vor. »Es hat ja wohl wenig Sinn, dass sie das alles mitschleppt und damit die Keller in eurem Haus voll stopft.«

»Das hoffe ich nicht, dass die Hälfte dieser Sachen hier bleibt«, wehrte Margarete ab und legte die Hand auf eine der Truhen, die aussah, als sei sie bereits Jahre unterwegs gewesen. »Da sind nämlich ganz gewiss keine Kleider drin.«

»Keine Kleider?«, wunderte sich Crestina. »Was dann, wenn keine Kleider?«

»Meine Sachen«, erklärte Margarete bereitwillig.

»Ach so«, sagte Crestina erleichtert, »du hättest aber gern auch noch bessere Truhen von mir bekommen können, wenn du zu wenig Platz für deine Kleider hattest.«

»Es sind auch nicht meine Kleider drin«, sagte Margarete lächelnd. »Es sind die Unterlagen für unsere Reise.«

Crestina runzelte die Stirn.

»Und weshalb stehen diese Unterlagen dann bei Biancas Gepäck?«

»Weil sie diese Reise vorbereitet«, sagte Margarete, schob eine Karte in einen Sack und legte ihn auf eine der Truhen.

Crestina starrte die Freundin an.

»Was soll das heißen?«

»Nun, das, was ich sagte. Deine Tochter bereitet meine oder nunmehr unsere Reise ins Weihrauchland vor.«

»Bianca bereitet eine Reise vor? Eure Reise nach Arabien?«, fragte Crestina ungläubig.

»Unsere Reise nach Arabien«, bestätigte Margarete.

Crestina schüttelte erregt den Kopf.

»Und wie, wie will sie das machen? Ein Kind, das eine Reise vorbereitet und von nichts eine Ahnung hat?«

»Ich habe ihr Karten gegeben, Bücher, Listen, die sie abarbeiten muss.«

»In diesen Truhen sind auch Bücher?«

»Natürlich sind in einigen der Truhen auch Bücher. Sonst hätten wir ja kaum ein so riesiges Gepäck.«

»Du weißt, dass ich bisweilen Sorge habe, ob sie überhaupt das Alphabet kann, und gelesen hat meine Tochter vielleicht in ihrem ganzen Leben zehn Bücher«, empörte sich Crestina und ließ sich auf einer der Truhen nieder.

Margarete lachte.

»Du übertreibst maßlos. Sie liest nicht die Bücher, die du liest, nicht Horaz und nicht Vergil, das stimmt, aber du kannst sie gerne über Südarabien abfragen, über die Sandstürme in der Wüste, was man da beachten muss und wie viele Wasserschläuche man braucht, um zu überleben. Sie studiert Berichte von Reisenden, die in diesen Ländern waren, lernt Arabisch und sogar irgendwelche Dialekte, von denen ich keine Ahnung habe. Aber ich hoffe, sie werden uns nützen. Frag sie, welche Kleider wir uns besorgen müssen, wie unsere Zelte aussehen werden.«

»Zelte?« Crestina spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. »Du willst meine Tochter in Zelten übernachten lassen?«

»Nun, was glaubst du denn, wo wir schlafen werden? In Gasthöfen mit Kaminen und geheizten privaten Schankräumen? Du hast doch gewollt, dass ich sie mitnehme, oder etwa nicht?«

»Aber ich wollte keinesfalls, dass sie in Zelten schläft. Und«, Crestina lachte auf, »du darfst auch ganz sicher sein, dass sie dir da einen Strich durch die Rechnung machen wird.«

»Das wird sie ganz gewiss nicht. Frag sie doch, wie der nächste Ort heißt, wenn wir Venedig verlassen.«

»Und? Welcher wird es sein?«

»Das weiß ich nicht«, lachte Margarete, »auf jeden Fall wird es kein Gasthof sein, in dem wir übernachten. Wir übernachten in Zelten, bereits jetzt, damit sie sich gleich von Anfang an die Unbill des Lebens gewöhnen kann.«

»Das wird sie ganz gewiss nicht tun«, sagte Crestina siegesgewiss. »Ihre Ansprüche sind grandios, und wenn es früher, als wir unterwegs waren, bei irgendeiner Unterkunft nicht ganz genauso war, wie sie es sich vorgestellt hatte, hättest du hören sollen, was sie ihrem Bruder Clemens, der bei uns für Reisen zuständig war, alles an den Kopf warf. Die Bettwäsche klamm, die Matratzen klumpig, die Kerzen verrußt, die Schankräume dreckig.«

»Die Route auf dieser Reise, zunächst nach Nürnberg, hat sie ausgesucht. Nicht ich. Ich überprüfe es später nur. Das heißt, dann, wenn wir endgültig losreisen ins Weihrauchland.«

Crestina erhob sich schwerfällig von ihrer Truhe.

»Allmählich habe ich das Gefühl, dass ich so ziemlich alles falsch gemacht habe bei der Erziehung dieser Tochter«, stellte sie nach einer Weile fest. »Darauf läuft es doch hinaus, oder?«

Margarete zuckte mit den Schultern.

»Du hast ihr nie etwas zugetraut, du hast sie nie gefordert, ihr nie Verantwortung übertragen. Sie kam sich in dieser Familie bisher als ein nutzloses Objekt vor, dem nichts anderes übrig blieb, als sich Messerstiche auszudenken, damit man sie überhaupt beachtet. Für dich natürlich am meisten.«

»Ich bin nach dem Tod von Renzo aus Konstantinopel fortgezogen, weil ich Sorge hatte, dass meine Tochter dort irgendwann einmal den feurigen Blicken junger türkischer Männer verfällt. Wo hätte sie dabei lernen sollen, wie es ist, Verantwortung zu übernehmen?«

»Nun, den feurigen Blicken junger türkischer Männer ist sie hier in Venedig ja nicht unbedingt verfallen«, sagte Margarete spöttisch und wandte sich zum Gehen, »aber ich denke, Moise, Kashrut und der Kabbala zu verfallen war schlimmer.«

Das Gespräch in den nächsten Tagen beim Abendessen, das seit Biancas Weggang entschieden an Lebendigkeit verloren hatte, ließ Crestina ihre Trübsal dann allerdings fast wieder vergessen. Sie hatten inzwischen ein Thema, das unerschöpflich schien: das Thema Gondelbau.

»Wusstet ihr eigentlich, wie viele Gondeln es in unserer Stadt gibt?«, konnte Ludovico fragen und dann ohne Pause sich selber die Antwort darauf geben. »Fast fünfhundert. Und wisst ihr, was eine dieser Gondeln kostet?«

»Nun, sicher weniger als eines von unseren Schiffen«, vermutete Clemens.

Ludovico lachte triumphierend.

»Mehr als dreißigtausend Zechinen. Und wisst ihr auch, wie lang Gondeln sind? Fast elf Meter lang und sie sind ein Meter zweiundvierzig breit. Sie wiegen vierhundert bis fünfhundert Kilo, und sie sind asymmetrisch gebaut, weil die Gondoliere sie sonst nicht geradeaus rudern könnten.«

Clemens lachte lauthals.

»Ich denke, du solltest dich darauf einstellen, dass dein zweiter Sohn eines Tages ein Gondelbauer sein wird. Es wäre sicher jammerschade, wenn solch ein profundes Wissen verloren geht.«

»Es gibt keine Lehrstellen. Die Gondelbauer sind zum Teil auf zehn Jahre hinaus ausgebucht, und ein Lehrling muss acht Jahre lernen, bevor er sein Gesellenstück machen darf«, wehrte Ludovico ab.

»Dein Bruder will lediglich unsere uralte Gondel im androne wieder benutzbar machen«, erwiderte Crestina, die irgendwelchen Anfängen vorbeugen wollte und den Beruf des Gondelbauers keinesfalls als adäquat für ihren Sohn erachtete.

»Das flügellahme Ding«, sagte Clemens voller Abscheu, »damit kommt er nicht einmal drei Meter in einem niederen Seitenkanal voran.«

»Das will er ja auch nicht, er will damit nur auf der Mercerie fahren«, spottete Crestina. »Wenn wieder einmal acqua alta ist natürlich.«

Clemens schüttelte angewidert den Kopf.

»Vermutlich wirst du aufatmen, wenn wir alle endlich irgendwann einmal unter der Haube sind«, sagte er dann zu Crestina.

Ludovico stand auf und lächelte seinen Bruder an.

»Vermutlich werdet ihr euch sehr wundern, wie meine ›Haube‹ eines Tages aussehen wird.«

Sie lachten, Crestina etwas gequält. Aber es wurde ihr erst Tage später klar, weshalb sie nur dieses gequälte Lachen hervorgebracht hatte: Mit einem vorgetäuschten Besuch bei der Tante in Pellestrina konnte man schließlich alles vertuschen.