17. Der Markt mit der schwarzen Ware

Es war Crestina klar, dass der Markt der Sklaven, der Gondelbauer, der Türkenkrieg und die Übergabe der Reederei an ihren Sohn Clemens ganz gewiss nichts miteinander zu tun hatten. Dass allerdings alles am gleichen Tag geschah oder zur Sprache kam, war etwas, dem sie sich nicht hatte entziehen können.

Begonnen hatte alles damit, dass Clemens bereits beim Morgenessen – wie schon so oft – der Meinung gewesen war, es sei nun an der Zeit, dass seine Mutter ihm endlich die Verantwortung für die Reederei überlassen sollte.

»Vater hat es so gewollt«, hatte er mit aller Entschiedenheit gefordert.

»Das hat er ganz gewiss nicht«, widersprach Crestina.

»Es stand so im Testament«, beharrte Clemens.

»Genau das tat es nicht«, sagte Crestina mit Nachdruck. »Es steht dort, dass du der Nachfolger sein wirst, aber es ist kein Zeitpunkt angegeben. Dort steht auch, dass du der alleinige Erbe sein sollst, aber dazu hätte es keine testamentarische Verfügung gebraucht. Das war ohnehin klar.«

»Dann gib mir irgendeine Erklärung, weshalb es nicht jetzt sein kann. Oder wann es denn überhaupt sein kann?«

Crestina überlegte einen Augenblick, goss sich dann Kakao ein.

»Was würdest du tun, wenn sämtliche Entscheidungsrechte noch heute an dich übergingen?«, fragte sie dann in der Hoffnung, dass sie ihren Sohn damit in Schwierigkeiten bringen und ihre Frage nichts als Gestammel auslösen würde.

»Das kann ich dir genau sagen«, erwiderte Clemens, ohne lang nachzudenken. »Dass wir wieder einmal von den Türken bedroht sind und die Stadt Schiffe braucht, dürftest du wissen, oder?«

Crestina nickte zögernd, legte ihr Messer zur Seite.

»Dass die Stadt die fehlenden Schiffe in solch einem Fall chartern muss, dürfte dir ebenfalls bekannt sein, und –«

Crestina nickte ein zweites Mal und unterbrach ihren Sohn dann.

»Dein Vater hat nie Schiffe an die Stadt freigegeben«, stellte sie dann fest, »soviel ich weiß.«

»Und weshalb nicht?«

»Schiffe zu vermieten ist ein großes Risiko. Man kann sie nicht zu einem Viertel oder zur Hälfte vergeben, so wie das bei einer großen Flotte üblich ist. Und wenn das geschieht, was vor einigen Jahren passiert ist, dass das gesamte venezianische Geschwader bei einem Seesturm vernichtet wird, dann ist klar, wer den Schaden hat.«

»Wer nichts wagt, gewinnt auch nichts«, sagte Clemens hart. »Und so, wie du die Reederei nach Vaters Tod führst, kann sie nichts gewinnen. Oder zumindest nicht genug, sodass wir uns den Lebensstil in diesem Palazzo auch weiterhin leisten können.«

»Ich habe ihn vermietet, zumindest zum Teil«, rechtfertigte sich Crestina.

»Aber wie lange noch?«, hakte Clemens nach. »Lea will über kurz oder lang nach Sulzburg gehen, Moise wird nach Rom ziehen oder nach Livorno, und deine Freundin Margarete hat anklingen lassen, dass sie auf Nimmerwiedersehen mit Kamelen ins Weihrauchland verschwinden wird. Was wird dann sein?«

»Ich werde neu vermieten«, gab Crestina lahm zurück. »Falls es wirklich nötig wird.«

Clemens legte seine Serviette auf den Tisch und erhob sich.

»Die Stadt braucht Schiffe. Sie braucht sie jetzt. Und du weißt genau, dass die Familien, die in der Vergangenheit die Stadt bei der Deckung der Kriegslasten unterstützt haben, in das Patriziat aufgenommen wurden.«

Crestina stand ebenfalls auf, diesmal mit einer entschiedenen Miene.

»Das Patriziat interessiert mich nicht.«

»Aber deinen Vater hat es immer interessiert und deine Mutter gleich dreimal.«

»Meine Stiefmutter hätte alles interessiert, das ihr erlaubt hätte, ihren Kopf auch nur einen Zentimeter höher zu tragen als jede andere Frau in der Stadt und die Zahl der Geschmeide an ihrem Hals oder an ihren Ohren noch einmal um ein paar Kilo zu erhöhen.«

Es war Crestina klar, dass die Übergabe der Reederei an diesem Tag nicht zu Ende diskutiert werden konnte. Es war ihr auch klar, dass sie allmählich einen Dreifrontenkrieg zu führen hatte mit ihren Kindern. Und wenn auch Bianca inzwischen aus dieser Phalanx ausgebrochen war, weil sie mit Margarete gehen wollte, so war dieser Konflikt doch gegenwärtig: Erst vor zwei Tagen hatte sie wieder Zweifel an ihrer Entscheidung kundgetan, mit Margarete zu gehen.

Umso beruhigter war Crestina, als sie am selben Tag etwas erfuhr, was die Wogen wenigstens von einer Seite her etwas glättete. Dies vor allem deswegen, weil es diesmal mit Ludovico zu tun hatte, den sie bisher stets als den größten Störenfried betrachtet hatte.

Sie war durch Castello gegangen, einen Stadtteil, in den sie sich normalerweise recht selten begab. Aber nach diesem Gespräch heute Morgen hatte sie plötzlich das Bedürfnis verspürt, zum Arsenal zu gehen, weil sie ihre Schiffe besuchen wollte, die dort zur Reparatur lagen. Schiffe, die bis jetzt noch ihre Schiffe waren. Dabei war sie an einer kleinen Werft vorbeigekommen, in deren dunkler Halle sie Ludovico hatte stehen sehen.

Sie stockte, machte einen Schritt auf den Raum zu, in dem ihr Sohn zusammen mit einem anderen jungen Mann an einer Gondel herumhämmerte und dabei lachend auf seinen Daumen zeigte, auf den er soeben geschlagen hatte. Als Ludovico den Schatten in der Tür bemerkte, schaute er hoch und lachte.

»Nicht Padua, sondern ein squerariol! Wunderst du dich?«

Crestina lachte gezwungen, ging zu den beiden jungen Leuten hinüber und blickte bewundernd auf das glänzende schwarze Holz, das Ludovico jetzt mit hochgestrecktem Daumen abschmirgeln wollte.

»Sieben Hölzer«, erklärte er dann stolz, »sieben Hölzer: Tanne, Lärche, Eiche, Ulme, Nuss, Mahagoni und –« er sah fragend zu dem jungen Mann hinüber, der inzwischen nahezu ohne aufzublicken an der Gondel weitergearbeitet hatte.

»Kirsch«, ergänzte der Junge höflich.

»Kirsch. Und sie müssen alle mindestens eineinhalb Jahre abgelagert sein«, fuhr Ludovico fort, so, als wolle er für diese Gondel gleich hier und jetzt einen Käufer finden.

»Und«, fragte Crestina freundlich, »wann willst du hier anfangen mit deinem neuen Beruf?«

Die beiden Jungen lachten.

»Es ist keine Stelle frei«, erklärte der Junge. »Und er will ja vermutlich auch gar nicht ernsthaft ein squerariol werden.«

»Das wüsste ich nicht mal genau«, wich Ludovico aus, »aber zunächst will ich es einmal lernen. Für unsere alte Gondel im androne.«

»Da wird sich Jacopo freuen, wenn er dir helfen kann«, sagte Crestina unbedacht, »er war schon lange der Meinung, dass man hier einmal etwas tun sollte.«

Ludovicos Gesicht verschloss sich.

»Ich will es ohne Jacopo machen«, sagte er dann kurz. »Ich bin erwachsen. Ich brauche nicht zu allem einen Helfer.«

Crestina seufzte.

»Natürlich bist du erwachsen«, sagte sie dann rasch und erinnerte sich an Bianca, mit der sie dieses Thema zum x-ten Mal in aller Ausführlichkeit erörtert hatte, »es war ja auch nur so eine Idee.«

»Wenn sie fertig ist, werden wir damit durch die Mercerie fahren«, sagte der junge Mann, der Carlo hieß, lachend, als sie sich bereits zum Gehen wandte.

»Mit der Gondel? Durch die Mercerie?«

Crestina blieb abrupt stehen.

»Beim letzten acqua alta haben wir das getan, weil das Wasser so hoch stand«, erklärte Carlo. »Es hat riesigen Spaß gemacht.«

Sie hörte das Lachen der jungen Leute noch, als sie bereits um die Ecke gebogen war.

Nun, solange dieser Spaß Ludovico davon abhielt, im Galopp durch die Mercerie zu reiten oder in den Läden Parfümeier zu kaufen, sie dann irgendwelchen Leuten an den Rücken zu werfen oder sich gar dem Glücksspiel zu ergeben, wollte sie zufrieden sein, dachte sie erleichtert und machte sich auf den Heimweg. Sie hatte inzwischen das Gefühl, dass es zu spät war, ihre Schiffe in der Werft zu besuchen, und sich von ihnen zu verabschieden, wie immer das auch geschehen sollte.

Also versuchte sie den kürzesten Weg zu ihrem Palazzo zu gehen, durchquerte nahezu im Laufschritt das Sestiere Castello und blieb plötzlich abrupt auf einem kleinen Platz stehen, auf dem in der Nähe einer kleinen Kirche ein Podest errichtet worden war, das sie nie zuvor gesehen hatte.

Auf dem Podest stand ein Mann inmitten einer Anzahl von Schwarzen, die ganz offensichtlich als Sklaven verkauft werden sollten. Um sie herum standen Männer, Frauen, vereinzelt auch Kinder. Die Männer standen am dichtesten an dem Podest, versuchten die Sklavinnen aus der Nähe zu betrachten, und schon vorweg ihre Stärken und Schwächen zu testen, bevor sie vorgeführt wurden.

Der Mann, der die Sklaven verkaufte, war Bartolomeo.

Er war gekleidet wie ein reicher Handelsherr aus der Levante, trug ein seidenes weißes Hemd und eine mit winzigen Perlen bestickte Weste aus schwarzem Samt. Dazu Stiefel aus Krokodilsleder. An einer Kette um den Hals hing eine goldene Uhr. Eine mehrschwänzige Peitsche – vermutlich eine Neunschwänzige, wie sie bei verschiedenen Anlässen üblich waren – steckte in einer Hülle am Rande des Podests.

Crestina hatte einige Minuten gebraucht, um Bartolomeo zu erkennen. Dann war sie halb hinter eine Säule getreten, um das Geschehen unbeobachtet betrachten zu können. Bartolomeo war soeben dabei, eine junge Frau nach vorne zu schieben. Er ließ sie zunächst einige unbeholfene Schritte machen, die die Frau mehr widerwillig als geneigt absolvierte, dann ließ er sie den Mund öffnen. Der Mann, der zu ihm nach oben gekommen war, konnte die Zähne sehen, sie befühlen. Dann sagte er missbilligend, dass einer fehle.

Bartolomeo lachte, klatschte der Frau auf das Hinterteil, ließ sie den Rock heben. Aber hier sei sie gut, hier fehle nichts. Und sie sei auch keineswegs zimperlich, verkündete er lautstark.

Der Mann trat näher an die Frau heran, schob eine Hand unter ihren Rock, die Frau stöhnte unterdrückt auf. Dann zog er gemächlich eine Geldkatze aus dem Rock, ohne dabei die Frau aus den Augen zu lassen. Es gab ein Gespräch, das leise begann, dann jedoch zunehmend lauter wurde, bis sich Bartolomeo verärgert umwandte, nach hinten ging und einer der übrigen Frauen, die auf ihren Verkauf warteten, ein Baby aus dem Tuch riss, das sie vor den Bauch gebunden hatte. Er drückte es dem Mann in den Arm, der Mann wehrte sich für einen Augenblick, schaute dann nach unten in die Menge, eine Frau – vermutlich seine Frau – nickte eifrig mit dem Kopf. Der Mann stieg mit der Sklavin, die er fest am Arm hielt, die Stufen des Podests hinunter, das Kind schrie gellend auf, als es fortgeschleppt wurde. Die Mutter, der das Kind entrissen worden war, machte ein paar Schritte auf das brüllende Kind zu.

Bartolomeo nahm die Peitsche aus dem Halfter und zog sie der Frau mit Schwung über den nackten Rücken – ein grellroter Striemen blieb zurück.

Crestina wusste, dass sie nichts tun konnte. Es gab Dutzende von Sklavenhändlern in der Stadt, die ebenso ihre ›Ware‹ anpriesen wie Bartolomeo, die ebenso Sklaven jagten, die ebenso ihren Profit mit ihnen machten, wie dies üblich war. Weder die Inquisition noch der Rat der Zehn, noch die Cinque Savi, die Avogadori di Comun oder die cattaveri würden sich für einen Mann interessieren, der eine aufmüpfige Sklavin mit einer neunschwänzigen Peitsche zur Raison zu bringen versuchte. Ein Bürger dieser Stadt, der einen Palazzo besaß und seine Steuern bezahlte, war unantastbar. Und sie war sicher, dass ihr Vetter diese Steuern korrekt bezahlte, um keine Probleme zu bekommen.

Aber sie hatte das jämmerliche Weinen des Kindes noch in den Ohren, als sie abends in ihrem Bett lag und diesen Tag noch einmal an sich vorüberziehen ließ.