13. Margarete

»Weißt du mir einen Rat?«, fragte sie daher an einem der nächsten Tage Margarete, als sie mit der Freundin auf der Terrasse saß und wieder einmal an dieser Tischdecke stickte, die nie fertig wurde. Sie hatte sie eines Tages einmal halb fertig in irgendeiner Truhe gefunden, und das Stück hatte ihr Leid getan, dass es so unfertig darin vergraben war. Seitdem stickte sie Vögel, die in Bäumen saßen, Rosen, die über Bänke hingen, und Schmetterlinge, die über das Wasser schwirrten.

»Was soll ich tun, nachdem ich nun all diesen Irrsinn meiner Tochter kenne? Ich kann schließlich nicht mit Lea darüber reden. Ich weiß nicht mal, weshalb sie diese Kleiderzeremonie neulich gerade hier im Haus gemacht hat und nicht bei sich im Ghetto, wo sie hingehört. Dass Bianca sich da sofort von dieser Messiaserregung anstecken lassen würde, war ja klar.«

Margarete zuckte mit den Schultern und begann den Wirrwarr eines Stickgarns, das in dem Korb lag, aufzudröseln.

»Weil Leas Wohnung gerade geputzt wurde, hat sie es hier gemacht, und weil sie das Gefühl hat, sie sei hier zu Hause. Was dich ja eigentlich glücklich machen müsste. Und Bianca«, Margarete zupfte mühsam einen Faden aus dem Gewirr, »mit Gewalt bekommst du sie nicht fort von dieser Idee, die inzwischen bereits zu einer Besessenheit geworden ist. Lass uns einfach mal überlegen, was es an Möglichkeiten gibt.«

»Ich kann Lea schließlich nicht aus dem Palazzo werfen«, sagte Crestina ratlos und legte die Handarbeit auf den Tisch. »Ich kann ihr auch keinesfalls verbieten, an den Messias zu glauben und all das zu tun, was in diesem Ghetto zurzeit geschieht und was die Gojim nicht wissen sollen.«

»Diese Gojim wissen trotz allem ziemlich viel«, gab Margarete zu bedenken, »aber die Frage ist doch, was du mit Bianca machst, die sich im Übrigen jetzt einen jüdischen Namen zugelegt hat und sich Esther nennt, falls du das noch nicht wissen solltest.«

Crestina seufzte. »Das hat sie mir schon neulich zum Abschluss ihrer Kleiderorgie mitgeteilt, und vor kurzem ein zweites Mal. Und dass sie diesen Namen eigentlich erst nach dem Übertritt und dem ersten jüdischen Ritualbad bekommen darf, aber dass sie ihn sich schon jetzt gegeben hat. Selber.«

»Sie tut es für Moise«, gab Margarete zu bedenken, »und –«

»Aber Moise ist im Augenblick gar nicht hier«, unterbrach Crestina, »er ist in Livorno bei seiner anderen Familie. Und ich habe den Eindruck, dass er inzwischen vor meiner Tochter geflohen ist, weil sie ihm pausenlos nachstellt.«

»Sei froh, dass sie ihm nicht auch noch über den Apennin gefolgt ist!«

Crestina zuckte mit den Schultern.

»Das kann ja immerhin noch kommen.«

»Gab's da nicht etwas, was dir Moise vor einiger Zeit einmal geraten hat?«, versuchte sich Margarete zu erinnern. »Ich weiß nicht mehr, wann du mir davon erzählt hast.«

»Ich soll sie irgendwohin schicken, weggeben, damit sie auf andere Gedanken kommt, hat er gemeint. Aber wohin soll ich meine Tochter schicken, die soeben erst in dieser Stadt angekommen ist? Vielleicht nach Konstantinopel zurück?«, fragte Crestina mutlos.

Margarete lachte und legte Crestina den Garnknäuel, den sie inzwischen entwirrt und aufgewickelt hatte, in den Korb.

»Vielleicht habe ich eine Idee, aber ich muss sie erst noch vertiefen.«

Auch Crestina hatte eine Idee. Sie kam ihr in der Nacht, und sie hielt sie für aberwitzig. Aber sie war der Meinung, besser eine aberwitzige Idee als gar keine.

Ein paar Tage später waren sie in der Küche zusammen und Crestina war soeben dabei, einen Fisch zuzubereiten.

»Wann und wo sieht sie ihn denn überhaupt?«, wollte Margarete wissen und begann, ein paar Eier in eine Schüssel zu schlagen.

»Sie stöberte ihn regelrecht auf«, sagte Crestina erregt und hackte dabei die Petersilie so heftig, dass die Hälfte davon auf den Boden fiel. »In der Stadt. In irgendwelchen Druckereien, sogar in der limonaia. Stell dir vor, sie erzählt ihm, dass es dort irgendwelche kostbaren Manuskripte gibt, und Moise glaubt ihr. Fährt mit ihr dorthin und hat dann Mühe, meine Tochter abzuschütteln. Wie eine Laus aus dem Pelz zu nehmen. Und Bianca kommt zurück voller Zorn und lügt das Blaue vom Himmel: Moise habe sie geschlagen. Ein Jude, der eine Frau schlägt! Wo gibt's denn so etwas? Manchmal habe ich inzwischen schon die verrücktesten Ideen!«

»Und welche sind das?«

»Sie sind so verrückt, dass ich sie nicht einmal aussprechen mag.«

»Nun, mir kannst du sie doch sicher sagen«, meinte Margarete süffisant lächelnd. »Erinnerst du dich noch an Nürnberg? Meine gesamte Familie hielt mich für verrückt. Und ich denke, sie hat ihre Meinung bis heute kaum geändert.«

»Du, du hast neulich mal«, Crestina stockte, »nun, du hast neulich mal erwähnt, dass du dir schon mal überlegt hättest, ob du nicht selber einmal in dieses so gelobte Weihrauchland gehen könntest.«

Margarete lachte.

»Willst du etwa, dass ich sie mitnehme?«

»Nun, ich denke mir eben, dass meine Tochter Abenteuer sucht. Ganz offensichtlich ist ja dieses Judentum für sie auch so etwas wie ein Abenteuer.«

»Das ist schon möglich, du hast ihr ja nie eines gelassen«, sagte Margarete und sah die Freundin prüfend an. »Sie hatte auch nie Verantwortung zu tragen.«

»Sie durfte immerhin allein nach Pellestrina zu ihrer Tante fahren«, empörte sich Crestina.

»Ja, mit einem Beiboot und zwei Aufpassern. Als sie denen am zweiten Tag entwischte, weil sie die Insel allein erkunden wollte und die Aufpasser sie dabei in der Werkstatt eines Bootsbauers aufstöberten, wurde sie auf dem schnellsten Weg zurückbefördert nach Venedig. Obwohl du ihr acht Tage versprochen hattest. Aber Pellestrina ist nun mal die Insel der Bootsbauer, wo hätte sie sonst denn hinsollen? Und es war ein völlig harmloser Besuch in einer Werkstatt.«

»Mit einer Verabredung für den späten Abend zum Tanz«, sagte Crestina verärgert. »Und die Tante kannte den jungen Mann, der nicht eben einen guten Ruf hatte.«

»Nun, du hattest nur Angst, man könnte dir deine kostbare Reedertochter entführen. Oder gar verführen.«

»Auf jeden Fall ist mir dann lieber, sie ist unter deiner Aufsicht im Weihrauchland. Lass sie auf Kamelen reiten und mit Karawanen mitziehen.«

»Und im Sandsturm umkommen«, sagte Margarete trocken. »Dort gehst du nicht mal eben über den Markusplatz und fütterst die Tauben. Meinst du überhaupt, dass du dich richtig verhältst? Glaubst du wirklich, du kannst ihn, Moise, von ihr abhalten? Auf solch einem Wege?«

»Ich will sie von ihm abhalten, nicht umgekehrt.«

»Und du bist ganz sicher, dass er nichts für sie übrig hat? Überhaupt nichts?«

»Er ist fast doppelt so alt wie sie«, sagte Crestina heftig, »und er wird nie eine christliche Frau heiraten.«

»Weißt du das genau?«

»Es ist eine einseitige Amour fou«, stellte Crestina entschieden fest, schnitt dem Fisch mit einem harten Schlag den Kopf ab und warf ihn in den Eimer.

»Und deine Amour fou? Die zu deinem Bruder Riccardo? War das nicht auch eine?«

»Das war etwas völlig anderes«, begehrte Crestina auf. »Etwas völlig anderes.«

»Anders schon, aber deswegen weniger verrückt?«

»Nimm sie mit«, bat Crestina beschwörend, »nimm sie mit. Aus Sandstürmen werdet ihr schon wieder herauskommen. Lass sie so viel Abenteuer erleben, wie sie will, aber nimm sie um Gottes willen weg von Venedig.«

Margarete sah die Freundin an.

»Du tust, als habe Moise die Pest. Weshalb eigentlich? Es kann doch nicht sein Judentum sein, das dich so sehr stört, das dich auf die verrücktesten Ideen bringt. Die Sache mit dem Weihrauchland ist eine.«

»Sie ist ein Kind. Er ist ein Mann.«

»Hast du noch nie von Altersunterschieden zwischen Männern und Frauen gehört?«

»Aber doch nicht doppelt so alt!«

»Ich weiß mindestens von drei Paaren in Nürnberg, bei denen es so ist. Und keines davon wurde in die Wüste geschickt, um in Sandstürmen zur Vernunft gebracht zu werden. Und was willst du tun, wenn sie sich wirklich lieben? Moise ist ein Mann, der Bianca auch im Sandsturm finden würde, wenn er sie liebt, wirklich liebt.«

»Das ist Blödsinn und nicht Realität«, wehrte Crestina ab.

»Ich halte Moise für einen sehr realistischen Mann. Für einen attraktiven sowieso.«

Crestina stöhnte.

»Willst du etwa auch noch übertreten? Sechshundertdreizehn Gebote einhalten, koscher kochen, die Haare abschneiden lassen und eine Perücke tragen?«

»Bestimmt nicht. Aber du kannst nicht einfach auf ein Schiff steigen und nach Arabien fahren. Ich muss auch als Geschäftsfrau denken und möchte mein Geld nicht einfach verpulvern. Kaum sind wir auf einem Schiff, will sie vielleicht sofort wieder aussteigen. Und an den Nordpol gehen oder in die Prärie.«

Crestina nahm die Pfanne von der Wand, goss Öl hinein und legte den Fisch drauf.

»Nun ja, ich wusste ja, dass es verrückt war«, sagte sie leise.

»Ich nehme sie mit, wenn sie mit will«, gab Margarete nach. »Aber ich kann sie nicht aus dem Palazzo zerren und in einen Wagen bugsieren oder auf ein Pferd setzen. Ich halte es durchaus für möglich, dass sie mir die kalte Schulter zeigt. Und ich denke, auch Lea wird irgendwann einsehen, dass sie dieses ungebärdige Kind ganz gewiss nicht als Schwiegertochter möchte, auch wenn dieses Kind ihr jetzt aus der Hand frisst. Und die Knödel für Pessach genauso macht wie jede Jüdin im Ghetto.«

Crestina stöhnte.

»Du solltest mal sehen, wie mein Küche aussieht, wenn sie die ganze Sache zu Hause erstmal durchprobiert, damit sie bestehen kann. Bis sie so weit ist, dass sie die Knödel mit ihren öligen Händen überhaupt formen kann, ist meine Küche überstäubt mit Mazzen-Mehl, der Tisch klebt vom Hühnerfett und auf dem Boden kannst du in der Hühnerbrühe schwimmen.«

Margarete lachte.

»Nun, das weiß Lea ja nicht. Aber weiß Bianca wenigstens, weshalb dieses Fest gefeiert wird?«

»Nun ja«, sagte Crestina achselzuckend, »sie weiß natürlich von der Rettung der Juden aus der Sklaverei in Ägypten, sie kennt das Symbol von Pessach, die ungesäuerten Mazzen, die aus Mehl und Wasser bestehen, das ›Brot der Freiheit‹; sie hat bei Lea miterlebt, wie die ganze Wohnung von oben bis unten gereinigt wird, aber ich glaube kaum, dass sie die Haggada kennt, die am Seder-Abend vorgelesen wird, und überhaupt den wirklich tieferen Sinn dieses Festes.«

»Vermutlich nähme Lea, wenn ihr das alles klar wäre, dann doch lieber eine Schwiegertochter aus dem Serraglio in Rom als dieses verwöhnte Kind aus einem Palazzo, das nicht ein einziges Mal das tun will, was man ihm sagt.«