10. Kashrut

»Du hast es also geschafft! In weniger als zwei Tagen hast du es geschafft!«

Bianca stand mit bleichem Gesicht in der Küche, starrte auf das oberste Fach des Regals mit Geschirr und zerrte entsetzt einen Teller heraus. Bevor sie ihn mit einer heftigen Bewegung auf den Boden schleudern konnte, hielt Crestina ihren Arm und entwand ihr den Teller.

»Was um alles in der Welt ist mit diesem Teller?«, wollte sie dann wissen und versuchte, ihn wieder ins Regal zu legen. »Überhaupt habe ich mich gefragt, von wem er stammt. Er gehört nicht zu meinem Geschirr.«

»Der gehört auch nicht dahin!«, schrie Bianca entsetzt und zerrte den Teller erneut zurück. »Im Übrigen kannst du ihn ohne weiteres fallen lassen. Benutzen kann man ihn ohnehin nicht mehr.«

Dann ließ sie den Teller unter Schluchzen auf den Boden rutschen und setzte sich an den Tisch.

»Rühr nichts mehr an!«, schrie sie zornig, als Crestina den nächsten Teller greifen wollte. »Der gehört doch auch dazu. Ich frage mich, wer ihn überhaupt auf diesem Tellerstapel eingeordnet hat. Ich dachte, ich könnte dir vertrauen«, murmelte Bianca, »aber offenbar hasst du mich so sehr, dass du nicht einmal das respektierst, was ja wohl offenkundig war. Es musste doch klar sein, dass diese Teller, diese Schalen und Schüsseln überhaupt nicht zu deinem Geschirr gehörten.«

»Hier gehört seit einigen Tagen bereits eine ganze Menge nicht mehr in meine Küche«, erwiderte Crestina ebenso zornig und deutete auf die Töpfe und Pfannen, die unter dem Küchentisch standen. »Ich habe sie nie zuvor gesehen.«

Bianca sprang auf, griff eine der Pfannen und roch daran.

»Wofür hast du sie denn benutzt?«, fragte sie dann misstrauisch.

»Für gar nichts«, gab Crestina zurück. »Und jetzt möchte ich endlich wissen, was dieser ganze Zirkus soll.«

»Zirkus?«

Bianca schien kurz davor, die Pfanne ebenfalls auf den Boden zu werfen.

»Das ist kein Zirkus!«, schrie sie dann. »Es bedeutet, dass ich mein ganzes neu gekauftes Geschirr, für das ich viel Geld ausgegeben habe, jetzt wegwerfen kann.«

»Und weshalb?«

»Weil du Fleischiges und Milchiges vermischt hast! Und weil ich nun gerade noch einmal von vorne anfangen kann. Ich hätte auf Lea hören sollen, sie hatte mich ja gleich gewarnt.«

»Es hat also mit Lea zu tun?«, fragte Crestina zögernd.

»Mit wem denn sonst? Ich denke, sie ist deine Freundin! Hat sie dir noch nie von Kashrut erzählt?«

Crestina zog einen Stuhl an den Tisch und setzte sich.

»Wir haben uns viele Jahre nicht gesehen«, erwiderte sie dann, »aber natürlich weiß ich das von früher. Nur verstehe ich nicht, wieso Lea ihr getrenntes Geschirr für koscheres Essen plötzlich in meinem Regal untergebracht hat.«

»Es ist mein Geschirr, es sind meine Töpfe, meine Bestecke, meine Schüsseln«, sagte Bianca tonlos. »Oh, Madonna, du hast alles kaputtgemacht.«

»Kind«, Crestina rückte den Stuhl näher an Biancas Stuhl, was Bianca jedoch nicht zuließ. »Lea ist Jüdin, du bist Christin. Bei uns gibt es diese Gesetze doch überhaupt nicht.«

»Aber du siehst doch, wie wichtig mir das alles ist«, versuchte Bianca unter Schluchzen zu erklären.

Crestina stand seufzend auf.

»Ich sehe, wie du dich verrannt hast. Und das tut mir weh. Du tust das alles wegen Moise, und es dürfte dir klar sein, dass das zu nichts führt. Inzwischen willst du jüdischer sein als Juden. Vermutlich genügen dir nicht einmal die sechs Stunden, die man zu warten hat, bis man nach Milchigem wieder Fleisch essen darf. Aber ich erinnere mich eben auch daran, dass es für manche genügt, wenn sie nach einem Ei lediglich den Mund gut ausspülen, ein Stück Brot essen, bevor sie was anderes essen.«

»Du erinnerst dich also doch«, trumpfte Bianca auf. »Es konnte ja auch gar nicht anders sein.«

»Ich erinnere mich deswegen daran, weil genau dies einmal ein Thema war, über das wir in größerem Kreis ziemlich lang diskutiert hatten.«

Bianca stand auf, nahm die beiden Teller, die auf dem Tellerstapel standen, die Pfanne und zwei Kochtöpfe, Bestecke aus der Schublade und stellte sie auf den Tisch.

»Du kannst das alles haben. Es hat für mich keinen Wert mehr. Und nenn mich nicht immer noch Bianca. Ich heiße nicht mehr so.«

Dann ging sie zur Tür.

»Ich heiße Esther, das sagte ich dir bereits.«

»Ich frage mich, wozu dies alles?«, gab Crestina heftig zurück. »Moise wird doch niemals eine Christin heiraten. Er hat ein Mädchen im Serraglio in Rom.«

»Rom ist weit. Und er braucht auch keine Christin zu heiraten«, erwiderte Bianca störrisch.

»Ach ja? Und wieso nicht?«

»Weil ich übertreten werde. Ich nehme bereits Unterricht und lerne aus seinen Büchern. Aus jüdischen Büchern.«

»Und woher hast du diese jüdischen Bücher?«

Bianca lachte.

»Nun, die stehen hier doch haufenweise herum. In Leas Räumen. Und Moise druckt sie. In Livorno.«

»Ach so, bereits Moise!«

»Hast du was dagegen? Ich denke, Lea ist deine Freundin? Oder etwa plötzlich nicht mehr, seit sich Moise für mich interessiert?«

»Er interessiert sich keinesfalls für dich. Du drängst dich ihm auf eine widerliche Art und Weise auf.«

»Er interessiert sich sehr wohl für mich«, erwiderte Bianca entschieden.

»Und woher willst du das wissen?«

»Ich weiß es eben. Eine Frau weiß so etwas, wenn sie sich auch nur ein winziges bisschen auskennt bei den Männern.«

Crestina blieb sitzen, das Gesicht starr vor Verblüffung. Dann lachte sie lauthals, als Bianca die Tür hinter sich schloss.

»Auskennt bei Männern! Mamma mia. Meine Tochter!«