2. Buch

1. Die Rückkehr der Schiffe

Die Schiffe näherten sich der Lagune wie eine Schar Schwäne, die sich geruhsam auf die Stadt zubewegte.

Sie fuhren noch als Mude, als Verband, so wie sie die letzten Wochen über die Meere gefahren waren: die mächtige, bauchige Karracke an der Spitze, gefolgt von den hochbordigen, gedrungenen Galeonen mit ihren achtzig Rudern, die Lateinersegel noch voll im Wind, die Barzen, nur mit Segeln bestückt, die bei Windstille Geduld erforderten, bis die Flaute vorbei war, die Galeassen und Galeotten. Und dann die Wichtigsten der Mude: die unterschiedlichsten Galeeren mit Rudern und Segeln.

Es war ein Bild, auf das Crestina immer stolz gewesen war, wenn sich die Gelegenheit ergeben hatte, das Werk ihres Mannes, Renzo Grimani, zu bewundern. Nun waren es ihre Schiffe. Und all die gondoloni, scaule, burchi, taride, banzoni und buzonavi würden es bleiben, bis ihr ältester Sohn, Clemens, irgendwann einmal die Verantwortung für die Flotte übernehmen konnte. Als Reeder vermutlich, nicht als Kapitän, wie es sein Vater einst gewünscht hatte.

»Was riecht hier so sonderbar?«, fragte Ludovico, als sie sich zwischen den Baken langsam dem Kanal näherten. »Irgendwie nach Fäulnis oder so.«

»Es ist Niedrigwasser«, erklärte Crestina leicht widerwillig. »Vermutlich müssen die Kanäle wieder einmal ausgehoben werden.«

»Und wie riecht es, wenn die Kanäle ›ausgehoben‹, also vermutlich gesäubert sind?«, hakte Ludovico nach.

Clemens schlug dem jüngeren Bruder freundlich auf die Schulter.

»Vermutlich auch nicht viel anders, wenn das stimmt, was unser Vater uns einst erzählt hat. Aber sei froh, Niedrigwasser ist besser als Hochwasser: bei acqua alta kannst du in dieser so wunderbaren Serenissima vom Markusplatz bis zum Rialto schwimmen. Bei Niedrigwasser musst du nur ständig aus irgendwelchen Booten hochgezogen werden, weil das Wasser schon vorher zu Ende ist.«

Crestina verdrehte unwillig die Augen.

»Schwimmen! Bei einer Wasserhöhe von fünfzig Zentimetern Höhe bei acqua alta!«

»Doch manchmal wohl auch etwas mehr, oder?«, zweifelte Clemens. »Ich hörte von fast einem Meter oder sogar noch mehr, bei den ganz großen Überschwemmungen.«

»In der Serenissima bewundert man die Paläste, die Kirchen, die weltberühmten Gemälde und andere Dinge. Es spielt keine Rolle, ob Niedrigwasser ist oder acqua alta. Und schon gleich gar nicht, wenn es wie bei euch eine Heimkehr nach so langer Zeit ist«, sagte Crestina verstimmt.

Eine Weile war Stille, dann widersprach Clemens erneut.

»Eine Heimkehr ist es ja nicht unbedingt. Wir waren ja noch nie hier. Und geboren sind wir in der weiten Welt, jeder von uns an einem anderen Ort.«

»Es spielt keine Rolle, ob Hoch- oder Niedrigwasser?«, sagte Ludovico verblüfft. »Das hört sich an, als hättest du früher in einer anderen Stadt gelebt als unser Vater. Schließlich kann nicht alles falsch gewesen sein, was er uns erzählt hat.«

»Das ist es auch nicht«, erwiderte Crestina rasch und blickte über den Kanal hinweg, als sie sich dem Arsenal näherten, wo einige ihrer Schiffe in der nächsten Zeit zur Überholung hingebracht werden mussten.

»Im Übrigen würde ich vorschlagen, dass ihr nun genau das tut, was jeder tut, der zum ersten Mal in diese Stadt kommt: Er verliebt sich in sie. Und bewundert sie. Und zwar ganz und gar. Alles andere ist nebensächlich.«

Sie sah ihre Söhne mit gerunzelter Stirn an.

»Und mit dem Bewundern könnt ihr gleich hier beginnen: Da drüben ist die größte Schiffswerft der Welt. Dort kann ein ausgerüstetes Schiff binnen zwölf Stunden vom Stapel laufen. Die Stadt hat einmal in sechzig Tagen hundert Schiffe auslaufen lassen, um einen Angriff der Türken abzuwehren.« Was so klang, als habe Crestina persönlich diese Schiffe mit dieser Geschwindigkeit ausgerüstet und losgeschickt, um ihre Heimatstadt Venedig zu verteidigen.

Clemens warf Ludovico einen amüsierten Blick zu und legte den Finger auf den Mund. »Lass ihr die Freude und den Stolz auf diese Serenissima«, sagte er dann leise, »vermutlich würde jeder so reagieren, wenn er die Stadt, in der er geboren ist, so lange Zeit nicht mehr gesehen hat. Und vielleicht weiß sie ja auch wirklich nicht, dass das mit der größten Werft der Welt schon lange nicht mehr stimmt.«

»Ich bin sicher, dass unsere Schwester Bianca noch mehr auszusetzen hat als wir«, sagte Ludovico ebenso leise. »Aber ich bin schon froh, wenn wir uns an dieser Stelle nicht schon wieder Dantes Geschichte anhören müssen, dass er von den sechzehntausend Teer und Pech kochenden Arbeitern des Arsenals zu seinem Bild der Hölle angeregt wurde.«

»Wenn es uns hier nicht gefällt, können wir jederzeit wieder zurückfahren«, murmelte Clemens vor sich hin.

Zurück. Das bedeutete in die Stadt, die sie vor einigen Wochen gemeinsam verlassen hatten: Konstantinopel.