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Am nächsten Morgen gebe ich Lisa in der Kita ab und bin so froh, dass sie heute das erste Mal freudig glucksend zu Sabine auf den Arm geht (ihre Arme nach Sabine ausstreckt, als wäre sie die Mami!), überhaupt nicht weint und sich noch nicht mal mehr nach mir umguckt. Hallo?! Der bunte Kreisel ist spannender als ich?! Liebt sie mich nicht mehr? Habe ich als Mutter versagt oder irgendetwas falsch gemacht? Wieso bin ich ihr plötzlich so egal, schießt es mir durchs Hirn? Ich weiß, dass das mütterlich-irrwitzige Gedanken sind und versuche, sie in die Rubrik Übermutti-Syndrom abzuschieben. Aber sie begleiten mich bis ins Büro und lassen meine Miene, die durch Jackys Verrat eh schon dunkel umwölkt ist, offenbar aussehen, als sei ich gerade in ein wüstes Gewitter gekommen.
Benni sieht mich erschrocken an. „Was ist denn passiert, Nora? Regnet es draußen?“
Erst jetzt merke ich, dass ich nach dem Duschen meine Haare überhaupt nicht gestylt habe. Und das ist mir wirklich noch nie passiert! Ich gehöre zur Fraktion „Nie ohne Wimperntusche zum Mülleimer“. Meine Haare hängen herunter wie angeklebte Spaghetti.
„Äh, ja, da, wo ich war, war ein richtiges Unwetter“, sage ich und lasse mich mies gelaunt auf meinen billigen Bürostuhl plumpsen, der unter meinem Gewicht aufächzt. Schön, dass man durchs Stillen abnimmt. Und was ist, wenn man nicht stillen konnte?!
Ich starre meinen verdorrten Kaktus an. „Tobias hat es hinter meinem Rücken mit Jacky getrieben, als er noch mit mir zusammen war.“
Benni sieht mich fassungslos an. „Was?! Tobias!? Das ist ja der Hammer! Ich dachte, so was gibt’s nur bei ‚Gute Zeiten, schlechte Zeiten’!“
„Tja. Mein Leben ist eine einzige Seifenblase.“ Ich hänge auf meinem Bürostuhl wie eine verwelkte Tulpe.
Benni starrt mich an, und ich gucke zurück mit diesem Blick: „Jetzt guck nicht so“, aber er guckt noch intensiver, und erst da merke ich, dass er immer wieder zur Tür starrt, und ich folge seinem Blick und da steht … Tobias, mit einem großen, duftenden Strauß weißer Lilien im Arm! Tobias hier?!
Sofort setze ich mich aufrecht hin, streiche meine Spaghetti-Haare zurück und stottere giftig herum. „Was … was machst du denn hier?!“
Tobias kommt unsicher einen Schritt näher, sieht mich sehnsüchtig an, und weiß nicht so recht, was er sagen soll. Er drückt mir einfach den Strauß in die Hand, und da steht zum Glück Benni auf und lässt uns alleine. „Ich muss mal schnell … äh … für kleine Mädchen.“ Und raus ist er.
„Nora, bitte, es tut mir alles so leid, ihr fehlt mir so, bitte, kommt zurück, ich denke, ich kann es, so viele können es, ich denke, ich kann Lisa als mein Kind annehmen. Ich will es doch so!“
Ich starre ihn an, rieche den Lilien und meine Wut im Bauch ist auf die Ausmaße eines unförmigen Zeppelins angeschwollen, der kurz davor ist, mit einem Knall zu explodieren.
„Du denkst, du kannst es?! Du willst es so?! Und wenn nicht?! Wenn du sie nicht lieben kannst?! Wie du mich nie nie nie richtig lieben konntest?! Du bist so ein unsensibler, korrekter, widerlicher Lackaffe, hier!“ Ich drücke ihm den Strauß ins Gesicht, eine Blüte fällt dabei zu Boden. Während ich ihn zur Tür schiebe, trete ich aus Versehen darauf. „Und jetzt geh! Ich will dich nie wieder sehen. Und Lisa auch nicht. Ich meine, du Lisa, und sie dich nicht …, geh!“
Tobias lässt es völlig überrumpelt mit sich geschehen, sieht mich schockstarr dabei an und schließt so schnell die Tür hinter mir, als hätte er es mit einer Irren zu tun, die eingesperrt werden muss. Und genau so fühle ich mich auch.
Da geht die Tür wieder auf und der Alte sieht mich alarmiert an.
„Was haben Sie mit Ihrem Mann gemacht, Frau Blume? Kastriert oder so was in der Art?“ Er grinst anzüglich.
„Fragen Sie besser, was dieser Mann mit mir gemacht hat, Alter, ich meine Herr Gräbner!“, blaffe ich ihn an.
Er grinst nur. „Wie sehen Sie heute überhaupt aus?! Sie wissen schon, dass die Preisverleihung in einer Stunde ist?!“
„Was?! Wieso heute? Ich dachte morgen früh?!“
„Hat Ihnen das Frau Schulte nicht gesagt? Sie wurde verschoben. Schade, da können Sie dann ja wohl nicht mitkommen.“
„Und wieso nicht?“ Ich funkle ihn an.
Er lacht und zeigt mit dem Finger auf meine Haare. „So? Als Tagliatelle? Auf keinen Fall. Sie wissen doch, dass da die ganze Fachpresse anwesend sein wird. Der Ruf unseres Büros steht auf dem Spiel.“
„Sie ahnen gar nicht, wie schnell ich mich umstylen kann.“
Er lacht wieder. „Da wären Sie aber die erste Frau auf dieser Welt. Ist aber doch alles kein Problem, Schätzchen. Ich nehme den Preis für Sie, also für unser Büro, entgegen, und Sie dürfen ihn dann von mir aus auch mal auf ihren Schreibtisch stellen.“ Er sieht den verdorrten Kaktus und das übliche Chaos auf meinem Schreibtisch fast angeekelt an. „Oder vielleicht stellen wir ihn doch besser auf meinen.“
„Nennen Sie mich nie wieder Schätzchen!“
„Mein Gott. Na gut. Schätz … ähem, schätze, ich bin heute Nachmittag wieder zurück und berichte dann.“ Er geht.
Gerade als ich ihm etwas hinterherpfeffern will, klingelt mein Handy und das Wort „Kita“ leuchtet auf. Schnell gehe ich ran und höre Sabines besorgte Stimme. „Hallo, Frau Blume, hier ist Sabine von der Kita Sonnenhügel, ich fürchte, die Lisa hat Temperatur.“
„Fieber?! Wie hoch denn?“
„38,5. Und die Süße ist ziemlich unruhig.“
„Ich komme sofort. Danke, Sabine, dass Sie mich angerufen haben.“
Ich lege auf und denke fieberhaft nach. Fieber! Ausgerechnet jetzt. Ich wähle Daniels Nummer, doch der geht mal wieder nicht an sein Handy, und auch im Bistro geht keiner ran. Damals, als er noch was von mir wollte, da ist er immer sofort ans Telefon gegangen, denke ich wütend, nehme meine Tasche und sage Benni, der gerade zurückkommt, dass ich zu Lisa muss.
„Aber sag dem Alten, dass ich zur Preisverleihung da bin. Hübsch und adrett, total fotogen und eine Augenweide fürs Büro.“
„Super“, ruft er mir hinterher.

 

Super, ja. Alles super. Wem kann ich mein krankes Kind anvertrauen, wenn der Herr Papa wieder mal nicht auffindbar ist? Jacky auf keinen Fall. Und meine Mutter oder Magda gehen auch nicht, die beiden kennt meine Süße ja kaum. Gerade wenn Lisa krank ist, will sie eigentlich nur zu Mama auf den Arm, oder zur Not zu Papa.

 

 

Ich rase zur U-Bahn und natürlich hat diese heute Verspätung. Ein obdachloser Jugendlicher mit einer Pulle Bier in der Hand grinst mich höhnisch an. „der Zug is abgefahrn! Scheiß verdammtes Leben!“
Endlich kommt die nächste Bahn und ich hetze hinein. Die arme Lisa, wundert sich bestimmt, wo ihre Mami bleibt.

 

Sabine hat die schlafende Lisa auf dem Arm, während sie einem anderen Kind liebevoll das Rotznäschen säubert.
„Sabine, tausend Dank, es ging leider nicht schneller, diese verflixte Bahn …“
„Kein Problem, Frau Blume. Lisa-Mäuschen, die Mami ist da.“
Ich nehme meine Kleine auf den Arm und fühle mit der Wange ihre Stirn. „So wahnsinnig heiß kommt sie mir gar nicht vor.“
„Ich glaube, das Fieber ist auch wieder etwas runtergegangen. Zum Glück.“
„Zum Glück.“ Ich lächle sie an. „Komm, Mäuschen, wir gehen nach Hause, zu Papi. Hoffentlich ist er jetzt da.“

 

Himbeersommer
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