- Beyer Anja Saskia
- Himbeersommer
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***
Da stehe ich nun, frierend im
Friedrichshainpark und habe mir schnell noch einen Vorwand
ausgedacht. Wie immer fällt mir im Nachhinein die beste Ausrede
ein.
Wie immer bin ich etwas zu spät,
klatschnass im Gesicht, weil mir die Tram vor der Nase
davongefahren ist, sehe mich aufgeregt um, doch kein Daniel weit
und breit.
Kann der nicht mal fünf Minuten auf
mich warten?! Also gut, 20 Minuten. Oder ist er etwa noch
unpünktlicher als ich? Was soll das für ein Kind werden? Immer 40
Minuten zu spät in der Schule? Ich sehe schon die blauen Briefe vor
mir, wische mir mit meinem Schal den Schweiß aus dem Gesicht,
kratze mich an der Nase. Da sehe ich ihn mit seinem süffisanten
Grinsen im Gesicht.
„Hast du mich beobachtet?“, fahre ich
ihn an.
Er grinst noch mehr. Ich sehe peinlich
berührt zur Seite.
„Die Tram hat heute ihren privaten
Shuttle-Service eingestellt.“ Ich versuche schnell witzig zu sein,
um mich nicht ganz zu verlieren.
Daniel kommt auf mich zu, ganz nah und
gibt mir einfach einen Kuss. Auf die Wange, rechts und links. Ohne
Vorwarnung, einfach so. Sein After-Shave riecht gut. Verdammt gut.
Aber ich kenne es nicht.
Das von Tobias kenne ich - seit
Jahren. Und das gibt mir ein Gefühl von Sicherheit.
„Du riechst gut“, sagt Daniel und
reißt mich aus meinen Gedanken.
Hat er etwa gerade das Gleiche gedacht
wie ich? Ich lächle und stottere etwas von Chrome, Azzaro,
eigentlich for men. Doch Daniel schüttelt den Kopf.
„Nicht das Parfum, dein
Eigengeruch.“
Eigengeruch? Verzweifelt und möglichst
unauffällig schnuppere ich in die Luft. Kann zum Glück aber keine
Schweißwolke erhaschen.
„Ich kann dich gut riechen. Und das
ist selten bei mir.“
Daniel sagt das, als hätte er schon an
Millionen Frauen gerochen, als wär` er Grenouille.
Welch Glück, dass er mich riechen kann
und ich ihn, schießt es mir durch den Kopf. Denn sonst wären sein
Sperma und meine Eizelle vielleicht nicht kompatibel. Sperma zur
Eizelle: „Igitte, da will ich nicht rein.“ Eizelle zum Sperma:
„Lass ich dich auch nicht, du Stinkstiefel.“ Ich merke, ich werde
albern, wie immer, wenn ich äußerst nervös bin.
Wir finden einen hübschen Platz im
Café „Schönbrunn“, direkt neben einer stillenden Mutter. Eine von
der Sorte, die ihre prallen Brüste gerne zur Schau stellen und in
der Sonne verwöhnen, da sie bisher unter Körbchengröße A gelitten
haben und über dieses Busenwunder der Natur extrem entzückt sind.
Das Baby ebenso. Ein Junge. Er nuckelt zufrieden und
glücklich.
Kein Wunder, dass Männer auf große
Brüste stehen, sie werden von klein auf darauf
geeicht.
Ich setze mich so, dass Daniel nicht
auf den blanken Busen schauen muss. Oder sagen wir mal darf. Von dicken Brüsten abgelenkte Männer sind
miserable Gesprächspartner. Das ist fast so, als monologisiere man
mit Tobias während eines WM-Spiels, Deutschland gegen
Italien.
Die Unterhaltung kommt nur zäh in
Gang. Ich hasse „Anfangsgespräche“, obwohl das keines ist. Aber aus
meiner Zeit als Großstadtsingle kenne ich diese hochnotpeinliche
Situation zu gut. Irgendwann fällt einem dann nur noch die nicht
akzeptable Frage ein: „Und wie hat dein Zwergkaninchen geheißen?“
Spätestens dann sollte man seinen Café Latte ausgetrunken und sein
Handy auf Weckruf gestellt haben. Der natürlich im originalen
Klingelton schrillen muss.
„Ach, du bist es, Annett, … was,
Thomas hat sich von dir getrennt, ach herrje, du Arme, … Natürlich
komm ich sofort bei dir vorbei.“ Man muss eine schauspielerische
Höchstleistung absolvieren und kann dafür sofort
flüchten.
Aber ich merke schnell - vor Daniel
bin ich nicht auf der Flucht.
Nach den ersten fünf Minuten reden
wir, als würden wir uns schon aus Kleopatras Zeiten kennen.
Gespickt mit einer erotischen Stimmung, die eine
Sandkastenfreundschaft nicht hergibt. Mein Unterbewusstsein fragt
sich die ganze Zeit, wieso ich dieses flirty Lachen einsetze. Und
mein langsam wiederkehrender Verstand fragt es sich so langsam
auch. Ich will wirklich nichts von diesem jungen Mann. Fast nichts.
Nur ein bisschen Samen. Doch um an den zu kommen, muss Daniel von
mir bezaubert sein. Wieso sonst sollte er sich auf diesen seltenen
Deal einlassen.
Ich überlege, ob ich mit der Tür ins
Haus fallen soll.
„Hör zu, ich will nichts von dir, …
nur ein Kind.“
Aber Männer müssen das Gefühl haben,
sie erjagen die Beute. Also bin ich ein kluges Mädchen und lasse
ihn zappeln. Denn auch das habe ich schmerzlich aus meinem
Single-Dasein gelernt. Je rarer Frau sich macht, umso interessanter
ist sie. Was komplett gegen meine Ungeduld spricht. Ich bin der Typ
Mondscheintarif, der sein Handy hypnotisiert und fünf Minuten nach
einem Date sehnsüchtig auf eine SMS wartet. All ihre Freundinnen
anruft und stundenlang durchdiskutiert, warum er noch nicht angerufen oder gesimst hat. Ob er
vielleicht von einem Laster zerquetscht wurde oder mit amputiertem
Bein im Krankenhaus liegt. Ich empfinde es als Zeitverschwendung,
fünf Mal mit einem Typen auszugehen, um dann erst festzustellen,
dass er im Bett überhaupt nicht kompatibel ist, um es mal ganz
vorsichtig auszudrücken.
Sex ist zu wichtig, als dass man mit
einem Mann zusammen sein sollte, mit dem es im Bett einfach nicht
klappt. Als Single habe ich also spätestens nach dem zweiten oder
dritten Mal ausprobiert, ob dieser Mann der Mann meines Lebens sein
kann. Oft habe ich danach nicht mal mehr eine SMS bekommen,
geschweige denn einen Strauß Blumen.
„Too easy to have.“ Das hat eine New
Yorker Freundin mal gesagt. Jäger und Sammler brauchen den Kick.
Aber wenn eine Frau nach dem ersten Kuss gedanklich schon beim
Schnitt ihres Hochzeitskleides ist, schrillen die männlichen
Alarmglocken laut.
Nur um das richtig zu stellen. Ich
habe nicht mit tausenden Männern geschlafen. Ich habe sehr schnell
verstanden, dass ich meinen Mr. Right so nicht finde. Und es dann
ganz gelassen.
Denn ich habe ein sehr großes Problem.
Wenn ich mit einem Mann guten Sex habe, verliebe ich mich in ihn.
Egal wie er aussieht, egal was er von sich gibt.
Ich erinnere mich mit Grauen an den
etwas klein geratenen, am Rücken komplett behaarten Jens, mit dem
ich nach einer feucht-fröhlichen Clubnacht Sex hatte. Ich habe mich
in dieses Zotteltier doch tatsächlich verknallt! Dachte ich
zumindest. Jacky hat mir damals zum Glück die Augen geöffnet und
ich nahm schnell Reißaus und schwor ihr, mich das nächste Mal erst
zu verlieben und dann mit einem Mann ins Bett zu
gehen.
Kein Sex, keine Tränen. Jacky war mir
dafür sehr dankbar. Und meine Telefonrechnung auch. Flatrates
wurden erst danach so richtig billig und in. Mein Gott, bin ich alt.
Entzückende hellbraune Entenbabys
tuckern ihrer Mama hinterher.
„Wie niedlich“, ich bin hin und weg
und Daniel auch. Von mir.
„Ja. Sie sind wirklich schön. – Ich
mag deinen Mund“, sagt er und lächelt mich an.
Wieso sind Frauen nur für jedes
abgeschmackte Kompliment derart empfänglich? Ich schmelze dahin,
fühle mich wie Angelina Jolie mit ihren sinnlichen Lippen und fahre
elegant mit der Hand durchs Wasser.
Dabei fische ich das Blatt einer
Seerose heraus, sehe ihn heimlich von der Seite an und stelle mir
vor, wie wir da in zehn Jahren graumeliert stehen, entzückt von
unserem Nachwuchs. Die Wahrheit ist: Ich graumeliert. Aber natürlich gefärbt mit
Pflanzenhaarfarbe von Santé. Er in der Blüte seiner
Jugend.
Daniel lächelt mich amüsiert an, ich
sehe schnell weg. Das letzte Entenbaby kommt fast nicht hinterher,
paddelt wie wahnsinnig und schafft es dann doch noch.
Die Sonne scheint, der Frühling ist
da. Fast hätte ich es nicht mitbekommen, vor lauter Kinder- und
Hausbaustress.
„Ich muss los.“ Ich beeile mich, die
romantische Stimmung zu zerstören. Was nicht sein darf, darf nicht
sein.
„Musst du nicht.“ Daniel sieht mich
fest an.
„Danke für den schönen Nachmittag.“
Ich verabschiede mich hastig. So hastig, dass der Wangenkuss –
durch eine kleine Frechheit von Daniel, der seinen Kopf einfach
dreht – zu einem Kuss auf dem Mund verrutscht. Erschrocken sehe ich
ihm in die Augen, drehe mich schnell um, eile davon und fühle mich
wie Cinderella in Jeans. Hoffentlich hat mich keiner gesehen.
Knutsche fremden Jüngling mitten im Park, um an sein Sperma zu
kommen. Sind alle Enddreißigerinnen so
hormongesteuert?