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Da stehe ich nun, frierend im Friedrichshainpark und habe mir schnell noch einen Vorwand ausgedacht. Wie immer fällt mir im Nachhinein die beste Ausrede ein.
Wie immer bin ich etwas zu spät, klatschnass im Gesicht, weil mir die Tram vor der Nase davongefahren ist, sehe mich aufgeregt um, doch kein Daniel weit und breit.
Kann der nicht mal fünf Minuten auf mich warten?! Also gut, 20 Minuten. Oder ist er etwa noch unpünktlicher als ich? Was soll das für ein Kind werden? Immer 40 Minuten zu spät in der Schule? Ich sehe schon die blauen Briefe vor mir, wische mir mit meinem Schal den Schweiß aus dem Gesicht, kratze mich an der Nase. Da sehe ich ihn mit seinem süffisanten Grinsen im Gesicht.
„Hast du mich beobachtet?“, fahre ich ihn an.
Er grinst noch mehr. Ich sehe peinlich berührt zur Seite.
„Die Tram hat heute ihren privaten Shuttle-Service eingestellt.“ Ich versuche schnell witzig zu sein, um mich nicht ganz zu verlieren.
Daniel kommt auf mich zu, ganz nah und gibt mir einfach einen Kuss. Auf die Wange, rechts und links. Ohne Vorwarnung, einfach so. Sein After-Shave riecht gut. Verdammt gut. Aber ich kenne es nicht.
Das von Tobias kenne ich - seit Jahren. Und das gibt mir ein Gefühl von Sicherheit.
„Du riechst gut“, sagt Daniel und reißt mich aus meinen Gedanken.
Hat er etwa gerade das Gleiche gedacht wie ich? Ich lächle und stottere etwas von Chrome, Azzaro, eigentlich for men. Doch Daniel schüttelt den Kopf.
„Nicht das Parfum, dein Eigengeruch.“
Eigengeruch? Verzweifelt und möglichst unauffällig schnuppere ich in die Luft. Kann zum Glück aber keine Schweißwolke erhaschen.
„Ich kann dich gut riechen. Und das ist selten bei mir.“
Daniel sagt das, als hätte er schon an Millionen Frauen gerochen, als wär` er Grenouille.
Welch Glück, dass er mich riechen kann und ich ihn, schießt es mir durch den Kopf. Denn sonst wären sein Sperma und meine Eizelle vielleicht nicht kompatibel. Sperma zur Eizelle: „Igitte, da will ich nicht rein.“ Eizelle zum Sperma: „Lass ich dich auch nicht, du Stinkstiefel.“ Ich merke, ich werde albern, wie immer, wenn ich äußerst nervös bin.

 

Wir finden einen hübschen Platz im Café „Schönbrunn“, direkt neben einer stillenden Mutter. Eine von der Sorte, die ihre prallen Brüste gerne zur Schau stellen und in der Sonne verwöhnen, da sie bisher unter Körbchengröße A gelitten haben und über dieses Busenwunder der Natur extrem entzückt sind. Das Baby ebenso. Ein Junge. Er nuckelt zufrieden und glücklich.
Kein Wunder, dass Männer auf große Brüste stehen, sie werden von klein auf darauf geeicht.
Ich setze mich so, dass Daniel nicht auf den blanken Busen schauen muss. Oder sagen wir mal darf. Von dicken Brüsten abgelenkte Männer sind miserable Gesprächspartner. Das ist fast so, als monologisiere man mit Tobias während eines WM-Spiels, Deutschland gegen Italien.
Die Unterhaltung kommt nur zäh in Gang. Ich hasse „Anfangsgespräche“, obwohl das keines ist. Aber aus meiner Zeit als Großstadtsingle kenne ich diese hochnotpeinliche Situation zu gut. Irgendwann fällt einem dann nur noch die nicht akzeptable Frage ein: „Und wie hat dein Zwergkaninchen geheißen?“ Spätestens dann sollte man seinen Café Latte ausgetrunken und sein Handy auf Weckruf gestellt haben. Der natürlich im originalen Klingelton schrillen muss.
„Ach, du bist es, Annett, … was, Thomas hat sich von dir getrennt, ach herrje, du Arme, … Natürlich komm ich sofort bei dir vorbei.“ Man muss eine schauspielerische Höchstleistung absolvieren und kann dafür sofort flüchten.
Aber ich merke schnell - vor Daniel bin ich nicht auf der Flucht.
Nach den ersten fünf Minuten reden wir, als würden wir uns schon aus Kleopatras Zeiten kennen. Gespickt mit einer erotischen Stimmung, die eine Sandkastenfreundschaft nicht hergibt. Mein Unterbewusstsein fragt sich die ganze Zeit, wieso ich dieses flirty Lachen einsetze. Und mein langsam wiederkehrender Verstand fragt es sich so langsam auch. Ich will wirklich nichts von diesem jungen Mann. Fast nichts. Nur ein bisschen Samen. Doch um an den zu kommen, muss Daniel von mir bezaubert sein. Wieso sonst sollte er sich auf diesen seltenen Deal einlassen.
Ich überlege, ob ich mit der Tür ins Haus fallen soll.
„Hör zu, ich will nichts von dir, … nur ein Kind.“
Aber Männer müssen das Gefühl haben, sie erjagen die Beute. Also bin ich ein kluges Mädchen und lasse ihn zappeln. Denn auch das habe ich schmerzlich aus meinem Single-Dasein gelernt. Je rarer Frau sich macht, umso interessanter ist sie. Was komplett gegen meine Ungeduld spricht. Ich bin der Typ Mondscheintarif, der sein Handy hypnotisiert und fünf Minuten nach einem Date sehnsüchtig auf eine SMS wartet. All ihre Freundinnen anruft und stundenlang durchdiskutiert, warum er noch nicht angerufen oder gesimst hat. Ob er vielleicht von einem Laster zerquetscht wurde oder mit amputiertem Bein im Krankenhaus liegt. Ich empfinde es als Zeitverschwendung, fünf Mal mit einem Typen auszugehen, um dann erst festzustellen, dass er im Bett überhaupt nicht kompatibel ist, um es mal ganz vorsichtig auszudrücken.
Sex ist zu wichtig, als dass man mit einem Mann zusammen sein sollte, mit dem es im Bett einfach nicht klappt. Als Single habe ich also spätestens nach dem zweiten oder dritten Mal ausprobiert, ob dieser Mann der Mann meines Lebens sein kann. Oft habe ich danach nicht mal mehr eine SMS bekommen, geschweige denn einen Strauß Blumen.
„Too easy to have.“ Das hat eine New Yorker Freundin mal gesagt. Jäger und Sammler brauchen den Kick. Aber wenn eine Frau nach dem ersten Kuss gedanklich schon beim Schnitt ihres Hochzeitskleides ist, schrillen die männlichen Alarmglocken laut.
Nur um das richtig zu stellen. Ich habe nicht mit tausenden Männern geschlafen. Ich habe sehr schnell verstanden, dass ich meinen Mr. Right so nicht finde. Und es dann ganz gelassen.
Denn ich habe ein sehr großes Problem. Wenn ich mit einem Mann guten Sex habe, verliebe ich mich in ihn. Egal wie er aussieht, egal was er von sich gibt.
Ich erinnere mich mit Grauen an den etwas klein geratenen, am Rücken komplett behaarten Jens, mit dem ich nach einer feucht-fröhlichen Clubnacht Sex hatte. Ich habe mich in dieses Zotteltier doch tatsächlich verknallt! Dachte ich zumindest. Jacky hat mir damals zum Glück die Augen geöffnet und ich nahm schnell Reißaus und schwor ihr, mich das nächste Mal erst zu verlieben und dann mit einem Mann ins Bett zu gehen.

 

Kein Sex, keine Tränen. Jacky war mir dafür sehr dankbar. Und meine Telefonrechnung auch. Flatrates wurden erst danach so richtig billig und in. Mein Gott, bin ich alt.

 

Entzückende hellbraune Entenbabys tuckern ihrer Mama hinterher.
„Wie niedlich“, ich bin hin und weg und Daniel auch. Von mir.
„Ja. Sie sind wirklich schön. – Ich mag deinen Mund“, sagt er und lächelt mich an.
Wieso sind Frauen nur für jedes abgeschmackte Kompliment derart empfänglich? Ich schmelze dahin, fühle mich wie Angelina Jolie mit ihren sinnlichen Lippen und fahre elegant mit der Hand durchs Wasser.
Dabei fische ich das Blatt einer Seerose heraus, sehe ihn heimlich von der Seite an und stelle mir vor, wie wir da in zehn Jahren graumeliert stehen, entzückt von unserem Nachwuchs. Die Wahrheit ist: Ich graumeliert. Aber natürlich gefärbt mit Pflanzenhaarfarbe von Santé. Er in der Blüte seiner Jugend.
Daniel lächelt mich amüsiert an, ich sehe schnell weg. Das letzte Entenbaby kommt fast nicht hinterher, paddelt wie wahnsinnig und schafft es dann doch noch.
Die Sonne scheint, der Frühling ist da. Fast hätte ich es nicht mitbekommen, vor lauter Kinder- und Hausbaustress.
„Ich muss los.“ Ich beeile mich, die romantische Stimmung zu zerstören. Was nicht sein darf, darf nicht sein.
„Musst du nicht.“ Daniel sieht mich fest an.
„Danke für den schönen Nachmittag.“ Ich verabschiede mich hastig. So hastig, dass der Wangenkuss – durch eine kleine Frechheit von Daniel, der seinen Kopf einfach dreht – zu einem Kuss auf dem Mund verrutscht. Erschrocken sehe ich ihm in die Augen, drehe mich schnell um, eile davon und fühle mich wie Cinderella in Jeans. Hoffentlich hat mich keiner gesehen. Knutsche fremden Jüngling mitten im Park, um an sein Sperma zu kommen. Sind alle Enddreißigerinnen so hormongesteuert?

 

Himbeersommer
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