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„Da ist ja einiges schief gelaufen“, resümiert der 29-jährige Kollege, der frisch von der Uni kommt und in unserem Architekturbüro zu einem miesen Gehalt lange schuften darf.
Wir stehen gerade neben dem Betonmischer, und am liebsten würde ich ihm ins Gesicht springen, mich an seiner langen Nase festhalten und sagen: Mach es besser, Bürschchen. Auf so einer komplizierten Baustelle kann nun mal jeden Tag einiges schief gehen. Dafür finde ich meinen Fehlerschnitt gar nicht so übel. Ich war schon in der Schule keine Einser-Frau und bin es bis heute nicht. Guck mich doch an. Dafür bin ich jede Wette besser bezahlt als du, weil ich ungefähr 100 Berufsjahre mehr auf dem Buckel habe. Um ehrlich zu sein nur, weil mein Großonkel meinen Chef aus dem Tennisverein kennt.
Sagen tu ich nur: „Findest du?“
Das bin doch wieder mal typisch ich. Er guckt mir mitleidig auf meinen Bauch und sagt lapidar dahin: „Du bist ja auch schwanger, ist ja auch kein Wunder.“
Genauso gut hätte er sagen können: „Du bist ja auch eine Frau. Ist ja auch kein Wunder.“
Jetzt fahre ich aber doch meine Krallen aus und höre mich sagen: „Wenn du willst, kann ich dir gerne noch das eine oder andere abnehmen. Um ein paar Sachen auszubügeln. So dass es keiner im Büro mitkriegt natürlich. Wegen der Versicherung.“ Waren das meine Krallen?!
Herr, schmeiß Hirn herunter! Habe ich da gerade angeboten, gratis und hochschwanger für ihn weiter zu schuften, damit er die Lorbeeren einheimsen kann?!
Zum Glück ist er ein ehrgeiziger Zeitgenosse und meint, wie so viele Männer, alles selbst am besten zu können. Tobias zum Beispiel denkt sogar, die Spülmaschine besser einräumen zu können. Ich lasse ihn gerne in dem Glauben und stelle mich extra blöd an.
„Nee, nee, lass mal. Sonst bringst du noch mehr durcheinander“, sagt der junge Kollege in diesem überheblichen Ton, den nur Männer, die frisch von der Uni kommen, haben können.
Wieder rettet mir meine eine Yogastunde im Leben selbiges, indem ich mich aufs ruhige Atmen konzentriere.
Dann lächle ich ihn bemüht an.
„Aber eines mache ich noch. Das ist mir sehr wichtig. Ich hake noch mal bei der Künstlerin nach, die die Kunstobjekte für den Spielplatz entwerfen soll. Ich habe eine sehr gute ausfindig gemacht, die Interesse hat. Trotz des geringen Budgets.“
„Kunstobjekte für den Spielplatz?“, sagt er in einem Ton, als habe er gerade Dünnpfiff und es gäbe keine Toilette weit und breit. Er zuckt nur mit den schweißdurchtränkten Achseln und macht sich auf zu meiner Baubesprechung, die immer ich geleitet habe.
Abgeben fällt mir nicht gerade leicht. Ich konnte noch nie auch nur ein winziges Stück einer Schokoladentafel abgeben, obwohl ich kein verzogenes Einzelkind bin. Aber meine Schwester hat mir nun mal nichts gegönnt. Nicht einmal meinen ersten Freund, obwohl dieser etwas moppelig und lahm wie eine Ente war.
Ich betrachte meine halbfertige Himbeersiedlung und mir wird bewusst, wie gerne ich diese Arbeit gemacht habe. Aber jetzt ruft ein anderer Job. Ich streichle über meinen Bauch und plötzlich steht Daniel neben mir.
„Da bist du ja“, er klingt ziemlich außer Atem.
Ich weiche einen Schritt zurück, aber der Betonmischer bohrt sich mir in den Rücken und lässt eine Flucht einfach nicht zu.
Daniel zieht eine kleine Stoffente aus seiner Jackentasche. Die Ente sieht aus wie das Kleine der Entenmama im Friedrichshain.
„Hier, für unser Baby. Weißt du denn inzwischen, ob es ein Mädchen oder ein Junge wird?“
„Nein“, antworte ich bemüht kühl, meine innere Hitzewallung verzweifelt unterdrückend. „Ich will es nicht wissen. Und ich will, dass du uns einfach nur in Ruhe lässt.“
Er sieht mich an, mit einer Leidenschaft und Inbrunst wie Brad Pitt seine Angelina in Mr. und Mrs. Smith und drückt mir das weiche, flauschige Entenküken in die Hand, nur um meine Finger schier endlose Sekunden zu berühren. Ich entziehe sie ihm schnell, aber, mag es hormonell bedingt sein oder nicht, der Flaum des Kükens hat meine Sinne berührt.
„Geh bitte“, sage ich harsch, so harsch, wie es mir nur gelingt.
Der junge Kollege mit der langen Nase ist inzwischen am Baucontainer angelangt, dreht sich zu uns um und schaut etwas pikiert.
Peinlichkeit hat keine Grenzen, denke ich nur, und schiebe Daniel, der wieder einen Schritt auf mich zugegangen ist, von mir.
„Lass es, ich möchte das nicht!“, sage ich wie zu einem Kind und nun ziemlich laut. Ein paar Bauarbeiter sehen nun auch herüber.
„Nora, bitte, das ist doch Wahnsinn, du kannst doch nicht mein Kind als Beziehungsretter für dich und Tobias sehen?! Das klappt nie!“
„Das klappt wohl!“ Ich sehe ihn sauer an. „Ich meine, das ist doch Unsinn, unsere Beziehung ist völlig in Ordnung!“
„Und deshalb verliebst du dich in mich und verbringst mit mir die leidenschaftlichsten Stunden deines Lebens?!“
Ich hasse ihn. Ich hasse ihn für das, was er da sagt. Weil ich natürlich nicht ganz sicher weiß, ob er nicht doch recht hat.
„Geh weg, lass mich in Ruhe, lass mich einfach in Ruhe!“, brülle ich nun fast, und schon kommen drei meiner Bauarbeiter angelaufen, mit Schaufeln und Eisenstangen in den Händen.
„Hast du nicht gehört, Frau will haben Ruhe!“, herrscht der eine, ein Einmeterneunzig-Schrank mit tollen Muckis, ihn an.
„Verpiss dich“, sagt Richi, mein Lieblingselektriker, der mit seiner Faust locker eine Kartoffel zerdrücken könnte, und hebt die Eisenstange hoch. „Aber dalli!“
„Was willst du pickeliges Würstchen denn überhaupt von diesem Klasseweib?!“, setzt Manni, der Polier, noch eins drauf.
Ich strahle ihn an. Klasseweib hat noch keiner zu mir gesagt. Wobei es etwas nach Rubensfigur klingt, wie ich gleich darauf überlege. Findet er mich etwa fett? Zum Glück habe ich gerade andere Probleme, als das, dass mich mein Polier in hochschwangerem Zustand fett finden könnte. Denn jetzt heißt es zu verhindern, dass Daniel gleich stolz verkündet, der Vater meines Kindes zu sein. Und das, wo doch alle denken, dass dies natürlich Tobias ist! Mein persönliches Drama in mehreren Akten geht nun wirklich keinen meiner Bauarbeiter etwas an. Daniel sieht meinen Blick und versteht.
„Leute, alles okay. Ich tu ihr schon nichts“, sagt Daniel mit leicht erhobenen Händen. „War nur ein Missverständnis.“
Manni und Richi erheben noch mal ihre Waffen, und Daniel tritt, nach einem sehnsüchtigen Blick zu mir, für einen Moment den Rückzug an.

 

 

Himbeersommer
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