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Nicht arbeiten zu dürfen, ist für viele Frauen eine echte Strafe.
Vermutlich lassen deshalb so viele Männer einfach ihre stinkigen Socken am Abend neben dem Sofa liegen?! Sie wollen nicht, dass wir uns unnütz fühlen.
Denn das Gefühl, zu nichts nütze zu sein, außer als Brutmaschine, ist ziemlich gewöhnungsbedürftig. Zumindest für die meisten von uns.
Nachdem ich mir noch nicht mal türkisfarbenen Nagellack auf die Fußnägel lackieren kann, aus Angst, die fiese Chemie würde in mein Inneres eindringen und das Kind schädigen, sitze ich wie ein Klops auf dem Sofa und stopfe gesunde, ziemlich scharfe Radieschen in mich hinein. Und dann beruhige ich mich mit dem Gedanken, dass ich bei dem Bauchumfang, den das Ganze inzwischen angenommen hat, auch gar nicht mehr an meine Fußnägel kommen würde. Endlich verstehe ich, warum Schwangere immer unter eingewachsenen Fußnägeln leiden. Eine professionelle Pediküre scheint unabwendbar, wenn man nicht seinen Liebsten darum bitten möchte. „Du, Schatz, kannst du mir mal bitte mein Hühnerauge abfeilen?“ Tobias würde das bestimmt tun, aber vor Daniel wäre mir das hochnotpeinlich. Wieder ein Punkt für Tobias!
Ich fühle mich wie eine auf dem Rücken liegende Schildkröte. Nicht fähig, irgendetwas zu tun. Die Staubschicht auf den Regalen wächst proportional zu meinem Bauchumfang.
Da steht eines Tages plötzlich Tobias` Mutter Hilde auf der Matte. Wie immer perfekt gestylt.
„Kindchen, hier sieht es ja aus wie bei Hempels! Du hast doch Zeit. Wieso arrangierst du denn nicht alles hübsch und adrett?“
Weil ich den ganzen Tag darüber nachdenke, ob dein Sohn der richtige Mann für den Rest meines Lebens ist, würde ich am liebsten sagen und fühle mich faul wie eine schimmelige Tomate.
„Weil ich mich schonen soll“, sage ich besser, „hat der Arzt gesagt.“
Kleine Notlügen sind bei Schwiegermüttern in spe erlaubt.
„Schonen?! Um Gottes Willen, Liebchen, dann leg dich ganz schnell hin. Wenn der Arzt das sagt, dann ist damit nicht zu spaßen! Du bewegst dich keinen Meter mehr vom Sofa fort, ich sage meinen Friseurtermin bei Udo ab und bleibe den ganzen Tag hier, bis Tobias kommt!“
Manche Notlügen sollte man sich wirklich etwas genauer überlegen. Die gute Hilde den ganzen Tag, das überlebe ich nicht.
„Nein, nein, er hat nicht ‚liegen’ gesagt. Alles gut, Hilde, dem Baby geht’s gut. Er hat ‚Ruhe’ gesagt, ich brauche ganz viel Ruhe.“ Ich mache eine bedauernde Geste zur Tür.
Hilde versteht. „Natürlich, Ruhe. Ich bin schon weg. Und telefonier nicht so viel. Vor allem nicht mit deiner Katastrophenfreundin, dieser Jacky. Das regt alles viel zu sehr auf.“
Und weg ist sie. Und es herrscht wieder Ruhe. Und die verwirrenden Gedanken sind wieder da, die um mein Problem kreisen, während ich brüte. Zwei Männer und mein Baby.

 

Fünf Minuten später klingelt es wieder. Hat Hilde ihre Hermès-Tasche vergessen oder ist das etwa Daniel? Während ich überlege, ob ich einfach liegen bleiben soll wie ein Käfer, da mir beide Alternativen keine zu sein scheinen, pocht es an die Tür und ich höre Magdas Stimme. Ein Glück. Ich ächze mich vom Sofa hoch, öffne ihr und falle ihr in die Arme. Sofern eine Umarmung mit diesem riesigen Höckerbauch überhaupt noch möglich ist.
„Was ist denn?“, flüstert sie mir ins Ohr, während ich ihr in die Haare schniefe.
„Daniel. Er war auf der Baustelle, und er kommt ganz bestimmt bald wieder!“
Sie sieht mich an und streichelt beruhigend meinen Bauch.
„Und was hat er gesagt?“
„Was wohl? Dass er nie aufgibt, nie!“
„Aber Nora, das war doch klar. In dir wachsen seine Gene! Er ist ein Mann!“
Magda, führt mich in meine Wohnung und sieht sich verdutzt um.
Sie hebt eine Socke vom Boden auf, legt sie dezent zur Seite.
„Dir geht’s nicht so gut, Honig, stimmt’s?“
„Ich … nein. Ich fühle mich furchtbar. Wie gelähmt, kennst du das?“
Sie nickt. „Oh ja. Und Tobias? Hilft er dir gar nicht im Haushalt?“
„Nein. Er arbeitet gerade so viel. Ach, du denkst jetzt sicher, dass ich depressiv bin, oder so was.“
„Unsinn.“ Sie schiebt ein paar Kleidungsstücke weg, um sich aufs Sofa setzen zu können.
„Gibt es denn auch eine praenatale Depression?“, frage ich ängstlich und setze mich neben sie auf eine leere Folsäurepackung.
„Nein. Glaube ich nicht. Also ich kenne nur die postnatale. Ich tippe mal … aufs Hausfrauensyndrom.“ Magda nimmt lächelnd ein altes Wasserglas und gießt damit meine Yucca-Palme, die kurz vorm Exitus ist.
„Du bist gerade in einem ziemlichen Loch. Weil du deine Baustelle nicht mehr hast, weil du eine komplizierte Männergeschichte zu viel hast und weil das Kinderzimmer dummerweise schon perfekt eingerichtet ist.“ Sie lächelt.
„Perfekt ist bei mir leider gar nichts. Ach doch, meine neueste Krone. Findet zumindest mein Zahnarzt.“
Wir grinsen uns an, und endlich atme ich wieder etwas freier.
„Kenn ich. Das Gelähmtsein, das hatte ich oft. Nach meiner Abiprüfung, nach dem Magister, und nach der Trennung von meinem Mann … Aber ich bin jedes Mal herausgekrochen aus diesem Krater. Und habe mich jedes Mal ein bisschen stärker gefühlt. Es geht, Honig, wenn man nur will.“
Wir reden eine ganze Stunde, und danach fühle ich mich deutlich wohler in meiner stark gespannten Haut.

 

Diese positive Veränderung merkt Tobias am Abend auch und bezieht sie sofort auf sich.
„Du hast ihn getroffen, stimmt’s?“, fragt er in einem unheilvollen Ton, als hätte ich den Fernseher kurz vor der WM mit Wasser begossen (wie ich es vor zwei Jahren aus Versehen gemacht habe, als ich eine Lilie darauf gießen wollte). Ich schüttle den Kopf.
„Nein. Ja …, aber nicht freiwillig. Er war einfach da, auf der Baustelle.“
„Er wird immer da sein, Nora, immer.“
Tobias steht auf, schnappt seine Joggingschuhe, geht joggen. Es ist spät und dunkel und draußen bläst ein kalter, eisiger Wind.
Vermutlich ist Tobias nur noch aus Mitleid-mit-werdenden-Müttern mit mir zusammen und wird, sobald das Kind da ist, für immer davonlaufen. Ganz weit weg. Egal wie kalt es ist. Wie es mein Vater gemacht hat, bis nach Mexiko. Da ist es wenigstens schön warm.

 

Himbeersommer
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