***

 

Die Entenmama ist nicht zu sehen. Die Wasserrosen verblüht.
Daniel weiß, dass etwas passiert sein muss. Sein Gesicht spricht Bände. Und meines auch. Wir sehen uns lange wortlos an. Ich nicke nur, während eine Elster dicht neben uns auf der Wiese landet, im Gras herumpickt und einen Wurm herauszieht. Im Park spielen Kinder Fußball. Ein kleiner Junge auf seinem Dreirad düst haarscharf an uns vorbei.
Es ist wie eine stumme Szene in einem dramatischen Liebesfilm. Nur fehlt die aufwühlende Musik.
„Wir lieben uns, Nora“, sagt er und nimmt meine Hand. Ich entziehe sie ihm und sehe ihn traurig an.
„WARUM?“
„Ich weiß es nicht“, sage ich, und drehe mein Gesicht weg. „Ich weiß einfach nicht, ob ich dich noch in einem Monat lieben kann. Ich weiß nicht, ob meine Gefühle für dich tief genug sind. Wir kennen uns doch kaum.“
„Aber ich weiß es. Gib mir zwei Monate, Nora, drei, vier, viele …! Du bist eine sinnliche, gefühlvolle Frau. Tobias passt nicht zu dir. Es gibt für Verliebte kein Zurück.“
Sauer sehe ich ihn an. „Natürlich habe ich eine Wahl!“
Er merkt, dass er diesmal genau das Falsche gesagt hat.
„Das mit Tobias, das hat seine Höhen und Tiefen, wie jede andere Beziehung auch. Bildest du dir ein, bei uns wäre das nach sieben Jahren anders?“
Er sieht mich an und sagt kein Wort.
„Tobias war immer meine große Liebe und wird es immer bleiben. Tobias ist großherzig, sensibel, und zuverlässig.“ Ich habe mehr gesagt als nötig war, um Daniel zu zerstören.
„Sag bitte Tobias nichts von uns. Von unserer…“
Er sieht mich verletzt an. „Von unserer Affäre? War es das für dich? Eine billige, kleine Affäre mit einem jüngeren Knackarsch?!“
Ich sehe ihn schockiert an und laufe aufgewühlt davon. Wenigstens darin bin ich sehr gut.
Und er lässt mich gehen.
Ich bin sicher, er weiß, dass er mehr war für mich. Und er weiß, dass ich es mir nicht leicht gemacht habe. Aber jetzt besinne ich mich ganz auf meine Schwangerschaft, auf mein Kind.

 

Mein unglaublich gut aussehender Frauenarzt bestätigt es freudig. Eine kleine Kaulquappe schwimmt in mir herum und freut sich des Lebens. Und es ist ein seltsames Gefühl, Aquarium zu sein. Durchsichtig und sehr zerbrechlich.

 

Ich sage es Tobias abends im Bett. Er hat wirklich viel gearbeitet die letzten Wochen. War nie zum Abendessen zu Hause. Deshalb hätte ein hübsches Essen mit Kerzenschein auch keinen Sinn gemacht, um ihm die freudig-verwirrende Nachricht zu überbringen.
„Du bist schwanger?!“, sieht er mich fassungslos an.
„Mit der Spritze ging das ganz einfach und hat auch sofort geklappt, ich wollte dir erstmal nichts erzählen, du hattest so viel anderes im Kopf und hättest dir vielleicht unnötig Hoffnung gemacht. Tut mir leid, freust du dich trotzdem?“, schießt es aus mir heraus.
Tobias` Augen fangen an zu strahlen, so langsam sickert die frohe Kunde durch. Er packt mich, hebt mich hoch, dreht mich einmal im Kreis und drückt mich ganz, ganz fest.
„Wir werden endlich eine richtige, kleine Familie.“
Spätestens jetzt weiß ich, die absolut richtige Entscheidung getroffen zu haben. Und ich wage es, mich zu freuen, auch wenn Daniel leidet. Tobias` Geruch, der mir so vertraut ist, tut so gut.
Doch dann will Tobias natürlich wissen, wer es war. Ich schlucke schwer und sage dann das, was ich mir zuvor in der Badewanne bei einem dreistündigen Telefonat mit Magda überlegt habe.
„Er ist blond, sehr sportlich, intelligent, kreativ, wie du. Aber viel jünger als ich, du brauchst also überhaupt nicht eifersüchtig zu sein, und ich finde es besser, wenn du nicht genau weißt, wer es ist.“ Ich sehe ihn ängstlich an. „Findest du nicht auch?“
Tobias sieht mich an, in ihm arbeitet es.
„Viel jünger als du, was heißt das?“
„Zwölf Jahre. Ich fand das prima, dann musst du dir wirklich keine Gedanken machen, dass ich mich in ihn verlieben könnte.“ Ich rede sehr schnell und sehe ihn hoffnungsvoll an. Und Magdas Theorie klappt.
Tobias nickt und lächelt.
„Stimmt. Der will ganz sicher nichts von dir.“ Er freut sich.
Ich sehe ihn fassungslos an ob dieser Frechheit, reiße mich aber zusammen und umarme ihn schnell, damit er meine Zornesfalten nicht sieht.
Magda war der Meinung, dass sich ein Mann normalerweise nicht vorstellen kann, mit einer zwölf Jahre älteren Frau zusammen zu sein. Und sie hatte wirklich recht. Das Thema Kindsvater ist erstmal vom Tisch.

 

Wir kuscheln uns ins Bett und schmieden Pläne. Wie soll er-sie-es heißen, in welchem Krankenhaus will ich entbinden? Eine Intensivstation nebenan muss sein, um meine Panik vor der Geburt etwas zu mindern.
„Nehmen wir die dicke, burschikose Hebamme, die unsere frühere Nachbarin schräg gegenüber hatte, oder die junge, alleinerziehende von Jacky?“ Tobias redet, als hätte er schon fünf Geburten hinter sich. Wir amüsieren uns sehr und sind uns wieder ganz ganz nahe.
Plötzlich gibt es zig offene Fragen und ziemlich wenige Antworten in meinem neuen Leben und dem meiner kleinen Kaulquappe. Ich beschließe, mich sofort mit der Mütter-Mafia in der Siedlung anzufreunden, um die wichtigen Windel-und-Still-Infos zu bekommen, die man als zukünftige Mama braucht. Welcher Schwangerschaftstee aus welchem Kräuterladen lockert am besten die Beckenbodenmuskulatur? Wie lange muss ich Folsäure schlucken, und ist es sehr schlimm, dass ich die nicht vor der Schwangerschaft schon genommen habe? Mir schwirrt der Kopf.
Tobias ruft seinen Chef in China an und bittet ihn, einen Kollegen mit der zusätzlichen Arbeit zu beauftragen.
„Von jetzt an will ich ganz für meine schwangere Frau da sein“, sagt er lächelnd und geht duschen.
Ich lächle trübsinnig ein weißes Stoffschaf an, das mir Magda von Ruby vermacht hat.
Tobias kommt aus der Dusche und strahlt.
„Nora, wir müssen heiraten!“
„Was? Spinnst du? Wir müssen gar nichts!“
„Äh, okay, das war jetzt nicht gerade der Heiratsantrag, der bei „Nur die Liebe zählt“ unter die Top five kommen wird.“ Tobias versucht, der Situation die Schärfe zu nehmen.
„Ich will doch nur nicht, dass mein Kind unehelich geboren wird, verstehst du?“
„Nein, verstehe ich nicht. Wir leben doch nicht mehr im Mittelalter.“ Ich wundere mich sehr.
„Ich habe noch nie verstanden, wie man schwanger heiraten kann. Eine Party ohne Alkohol kommt ja wohl gar nicht in Frage.“
„Du denkst immer nur an dein Vergnügen.“ Tobias sieht mich vorwurfsvoll an.
„Das stimmt, aber das soll gefälligst auch so bleiben“, antworte ich sauer, denn mich ganz verleugnen will ich mich als Mama nicht, das habe ich mir immer geschworen.
Tobias nimmt mich in den Arm. „Also gut, mit einer Hochzeit warten wir bis nach der Geburt. Ich liebe dich.“

 

Himbeersommer
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