- Beyer Anja Saskia
- Himbeersommer
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***
Wenn Männer schlafen, schlafen sie.
Mit offenem Mund, vibrierenden Nasenhaaren – und Tobias nackt. Wir
hatten endlich mal wieder richtig guten Sex. Und das, obwohl wir
schon seit sieben Jahren zusammen sind und Leidenschaft auf
Knopfdruck mindestens so schwierig ist, wie auf ein Stück
Himbeertarte mit Schlagsahne zu verzichten.
Mein Handy dudelt „The Look of Love“
von Nina Simone, während ich mein Becken routiniert nach oben
drücke, um die Wahrscheinlichkeit einer Befruchtung zu
erhöhen.
„Jacky, du störst“, wispere ich leise
ins Fon. „Wir hatten gerade … du weißt schon.“
„Eisprung-Sex? Na wunderbar. So hast
du dir deinen 39. früher bestimmt immer vorgestellt. Happy
Birthday, Süße. Ich wollte einfach nur die Erste sein, als deine
Nummer eins.“
„Danke. Es war richtig gut
diesmal.“
„Ist er nicht gleich wieder
eingeschlafen?“
„Doch. Das schon. Noch auf mir. Ich
hab ihn gerade runtergerollt.“
Seit einem halben Jahr ungefähr
schläft er danach sofort ein, und ich weiß nicht warum. Und das
macht mich verrückt.
„Ich bin mir sicher, das ist nur ein
typisch männliches Ego-Problem“, versucht sie mich aufzubauen.
„Dein widerspenstiges Ei will sein königliches Sperma nicht, und
das macht ihn fertig. Nein, Nora, du redest dir jetzt nicht wieder
ein, dass du schuld bist. Es gibt
tausend Gründe, warum man nicht schnell schwanger werden kann, von
denen 956 nicht an der Frau liegen, okay?“
„Ja, ja. Aber… meinst du, unsere
Beziehung hält das noch lange aus?“
Jacky atmet aus. „Ihr seid doch unser
Traumpaar. Wenn ihr euch trennt, stürzen sich eine Million
frustrierte Single-Frauen in die Spree.“ Jacky klingt jetzt
wirklich ein bisschen verzweifelt. „Und ich als Alleinerziehende
springe als Erste.“
„Ich fisch dich wieder
raus.“
„Sehr witzig. Bleibt`s diese Woche bei
unserem Mittwochslunch?“
„Klar.“
„Super, ich muss dir nämlich was
erzählen.“
„Jetzt sag schon.“
„Nein, nein. Nur so viel: Nasigoreng.“
Sie lacht. „Mehr am Mittwoch.“ Ihre Stimme wird warm. „Kuschel dich
jetzt lieber wieder an ihn. Vielleicht hat`s ja diesmal geklappt.
Ganz sicher, Süße. Ein kleines, niedliches
Geburtstagsgeschenkchen.“
Ich nicke lächelnd, wir verabschieden
uns, und ich lege voller Hoffnung auf.
Tobias schläft unruhig, seine
Nasenflügel vibrieren leicht.
Zack, schlenkert sein Arm im Schlaf
herum und bleibt auf meiner nackten Brust liegen, die dadurch
leider noch weiter zur Seite rutscht. Nichts bleibt wie es
war.
Wir befinden uns mitten im
Umzugschaos. Unsere 1,80-Matratze liegt auf dem Boden, ein großer,
verschrammter Koffer daneben. Die Sonne kitzelt mich an der Stirn.
Wir müssen dringend zu Ikea, Vorhänge kaufen.
Ich küsse ihn liebevoll
wach.
„Hast du von mir oder unserem
Bankkredit geträumt?“, ich sehe ihn forschend an. „Du hast so
panisch gewirkt.“
Tobias lächelt, gibt mir einen Kuss
und umarmt mich ganz fest, wir wälzen uns über die Matratze und
verheddern uns lachend in unseren Decken.
„Von dir.
Alles Liebe zum Geburtstag, Schnecki, hab ich das vorhin überhaupt
schon gesagt? Mann, sind deine Füße wieder kalt!“
„Und ich hab schon befürchtet, sie
werden mit 39 heiß“, seufze ich, „das mit der Hitzewallung kommt
ganz viel später, oder?“
Er grinst.
Plötzlich ist Babygebrüll von der
Straße zu hören. Tobias Miene wird blass, er richtet sich
angespannt auf.
„Können Mütter ihre brüllenden Babys
nicht irgendwo anders herumschieben, als direkt vor unserem Fenster?!“, regt er sich auf.
Wir sehen uns betreten an. Jacky hatte
recht. Es geht nur um sein
Sperma.
Tobias steht auf und sieht den
bedrohlich schiefen Turm aus Umzugskisten vor uns an, als wäre er
unser Leben.
„In welchem Karton sind frische
Socken?“, will Tobias leise wissen.
„Ähm, ich habe ein ‚S` darauf
geschrieben“, erläutere ich mein System, wohl wissend, dass „S“
auch Schuhe bedeuten kann und „S“ wie System nicht für mich steht.
Eher „U“ wie unorganisiert.
Tobias sieht die Kartons an, schüttelt
nur den Kopf.
„Auf jedem steht ein ‚S` - unter
anderem“, er macht einen Karton auf und schaut fasziniert in die
Kiste, „`S, C, B´ - Schuhe, Cremes, Bücher“, das schaffst nur du.“
Er lächelt.
Glück ist, wenn dich ein Mann trotz
deiner Macken liebt.
„Dein Arzttermin!“, erinnere ich ihn
schnell. „Ich hab doch heute Nachmittag einen Arzttermin für dich
gemacht.“
„Ich bin nicht krank“, wundert er sich
wirklich.
„Beim Urologen, Sperma testen, das hab
ich dir vorgestern gemailt!“
„Was?! Wieso hast du es nicht auf
Facebook gepostet oder getwittert?“, erwidert er genervt. „An
deinem Geburtstag? Ich muss in die Kanzlei und du auf deine
Baustelle … und wir müssen doch noch so viel für die Party
vorbereiten!“
„Jacky macht einen Couscous-Salat, den
Rucola-Mango-Chutney-Dings-Salat mache ich später fertig. Der Rest
wird geliefert, wo ist das Problem?“
Ich sehe ihn müde an. „Seit wann liest
du meine Mails nicht mehr?“
„Natürlich lese ich deine Mails noch“,
Tobias nimmt mein Gesicht zwischen seine Hände und küsst meine
Stirn.
In die Augen schauen kann er mir
nicht. Oder bilde ich mir das nur ein? Er dreht sich um und zieht
sich seine alten Socken an. Die Socken immer zuerst.
„Bei welchem Urologen?“, will er
angespannt wissen.
„Dr. Schabe, dein anderer hatte so
schnell keinen Termin, wieso?!“ frage ich, während ich meine etwas
eng gewordenen Jeans malträtiere. Ich passe nicht mehr in Hüftjeans
Größe 38. Punkt. Obwohl ich weder schwanger bin noch vier Kinder
bekommen habe. Aber ich finde, mit 39 ist man über 38 einfach
hinausgewachsen.
Tobias hält sein Hemd von gestern in
der Hand und sieht es stoisch an.
„Ich habe noch einen Mandanten
reingekriegt, das könnte länger dauern. Und jetzt, wo wir hier am
Stadtrand wohnen, … bis ich mit der S-Bahn erstmal im Büro bin
…“
„Ich hol dich mit dem Audi in Mitte
ab“, stoppe ich seine fadenscheinigen Ausreden. „15 Uhr.“ Ich
streife noch mein Ringel-T-Shirt über und muss mich beeilen. Mein
Bauleiter wartet schon.
Der Bauleiter ist ein echter Kerl.
Bierbauch und Glatze.
„Niedlicher Hintern, und sogar was in
der Birne“, hat er nach unserer ersten Baubesprechung gesagt und
mich, eine Frau, eine ArchitektIN, sofort als Projektleiterin
akzeptiert. Und seitdem mag ich Manni. Ein Kompliment über meinen
Hintern hat Tobias noch nie über die Lippen gekriegt. Dabei sollte
das jeder Mann, der behauptet, eine Frau auch nur ansatzweise zu
verstehen.
Stolz wie eine Hacienda-Besitzerin
betrachte ich meine Himbeersiedlung. Eine heruntergekommene
Reihenhaussiedlung aus den 60ern, die nach meinen Plänen zu einer Kinder-Oase par excellence
mutieren soll. Bis jetzt sieht es eher aus wie auf einem
Schrottplatz. Überall stehen Baugeräte herum, die Häuser sind
eingerüstet, die Gärten noch ziemlich wild, aber herrlich
verwuchert. Und wenn ich meine Augen schließe, sehe ich unsere zwei
Kinder inmitten dieser Blütenpracht, die kreischend in ein gelbes
Planschbecken hopsen.
Ich halte mir die Ohren zu. Denn eine
Kreissäge durchschneidet das Lachen der Kinder, die auf dem
Bauschutt Spiderman spielen.
Ein junger Maurer, mit Dreitagebart
und Nasenring, pfeift mich aus meinem klebrigen
Tagtraumnetz.
„Die Trockenbauwand in Haus 10 kommt
mir irgendwie komisch vor.“
„Komisch? Ich wusste gar nicht, dass
Trockenbauwände witzig sein können“, kontere ich bemüht
schlagfertig, ahnend, dass sich da ein Fehler eingeschlichen haben
könnte.
Der nach frischem Schweiß und Döner
riechende, Anfang Zwanzigjährige, legt mir grinsend meinen Plan vor
und starrt mir in den Ausschnitt. Und tatsächlich.
„Äh … die stimmt natürlich nicht“,
versuche ich meine Stimme gelassen klingen zu lassen. Und zeichne
in die Wand noch eine Tür hinein.
„Wäre etwas umständlich, immer durchs
Küchenfenster klettern zu müssen“, lächle ich ihn an und bin froh,
heute ein etwas tieferes Dekolletee anzuhaben.
Er lächelt zurück, und wir sind uns
einig. Kein Wort zu niemandem. Manchmal ist es gut, dass Männer
Primaten sind.
„Danke“, rufe ich ihm noch
nach.
Bauarbeiter sind meine allerbesten
Freunde. Als Bauleiterin habe ich mich jahrelang mit polnischen
Anzüglichkeiten herumgeschlagen, bis ich gemerkt habe, dass es
Komplimente waren.
Nachdem ich mich unbemerkt in den
Baucontainer geschlichen habe, um diese Küchentür heimlich im Plan
des Bauleiters einzuzeichnen, ist es schon fast halb drei.
Mist.
Unser Arzttermin.