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Wenn Männer schlafen, schlafen sie. Mit offenem Mund, vibrierenden Nasenhaaren – und Tobias nackt. Wir hatten endlich mal wieder richtig guten Sex. Und das, obwohl wir schon seit sieben Jahren zusammen sind und Leidenschaft auf Knopfdruck mindestens so schwierig ist, wie auf ein Stück Himbeertarte mit Schlagsahne zu verzichten.
Mein Handy dudelt „The Look of Love“ von Nina Simone, während ich mein Becken routiniert nach oben drücke, um die Wahrscheinlichkeit einer Befruchtung zu erhöhen.
„Jacky, du störst“, wispere ich leise ins Fon. „Wir hatten gerade … du weißt schon.“
„Eisprung-Sex? Na wunderbar. So hast du dir deinen 39. früher bestimmt immer vorgestellt. Happy Birthday, Süße. Ich wollte einfach nur die Erste sein, als deine Nummer eins.“
„Danke. Es war richtig gut diesmal.“
„Ist er nicht gleich wieder eingeschlafen?“
„Doch. Das schon. Noch auf mir. Ich hab ihn gerade runtergerollt.“
Seit einem halben Jahr ungefähr schläft er danach sofort ein, und ich weiß nicht warum. Und das macht mich verrückt.
„Ich bin mir sicher, das ist nur ein typisch männliches Ego-Problem“, versucht sie mich aufzubauen. „Dein widerspenstiges Ei will sein königliches Sperma nicht, und das macht ihn fertig. Nein, Nora, du redest dir jetzt nicht wieder ein, dass du schuld bist. Es gibt tausend Gründe, warum man nicht schnell schwanger werden kann, von denen 956 nicht an der Frau liegen, okay?“
„Ja, ja. Aber… meinst du, unsere Beziehung hält das noch lange aus?“
Jacky atmet aus. „Ihr seid doch unser Traumpaar. Wenn ihr euch trennt, stürzen sich eine Million frustrierte Single-Frauen in die Spree.“ Jacky klingt jetzt wirklich ein bisschen verzweifelt. „Und ich als Alleinerziehende springe als Erste.“
„Ich fisch dich wieder raus.“
„Sehr witzig. Bleibt`s diese Woche bei unserem Mittwochslunch?“
„Klar.“
„Super, ich muss dir nämlich was erzählen.“
„Jetzt sag schon.“
„Nein, nein. Nur so viel: Nasigoreng.“ Sie lacht. „Mehr am Mittwoch.“ Ihre Stimme wird warm. „Kuschel dich jetzt lieber wieder an ihn. Vielleicht hat`s ja diesmal geklappt. Ganz sicher, Süße. Ein kleines, niedliches Geburtstagsgeschenkchen.“
Ich nicke lächelnd, wir verabschieden uns, und ich lege voller Hoffnung auf.
Tobias schläft unruhig, seine Nasenflügel vibrieren leicht.
Zack, schlenkert sein Arm im Schlaf herum und bleibt auf meiner nackten Brust liegen, die dadurch leider noch weiter zur Seite rutscht. Nichts bleibt wie es war.
Wir befinden uns mitten im Umzugschaos. Unsere 1,80-Matratze liegt auf dem Boden, ein großer, verschrammter Koffer daneben. Die Sonne kitzelt mich an der Stirn. Wir müssen dringend zu Ikea, Vorhänge kaufen.
Ich küsse ihn liebevoll wach.
„Hast du von mir oder unserem Bankkredit geträumt?“, ich sehe ihn forschend an. „Du hast so panisch gewirkt.“
Tobias lächelt, gibt mir einen Kuss und umarmt mich ganz fest, wir wälzen uns über die Matratze und verheddern uns lachend in unseren Decken.
„Von dir. Alles Liebe zum Geburtstag, Schnecki, hab ich das vorhin überhaupt schon gesagt? Mann, sind deine Füße wieder kalt!“
„Und ich hab schon befürchtet, sie werden mit 39 heiß“, seufze ich, „das mit der Hitzewallung kommt ganz viel später, oder?“
Er grinst.
Plötzlich ist Babygebrüll von der Straße zu hören. Tobias Miene wird blass, er richtet sich angespannt auf.
„Können Mütter ihre brüllenden Babys nicht irgendwo anders herumschieben, als direkt vor unserem Fenster?!“, regt er sich auf.
Wir sehen uns betreten an. Jacky hatte recht. Es geht nur um sein Sperma.
Tobias steht auf und sieht den bedrohlich schiefen Turm aus Umzugskisten vor uns an, als wäre er unser Leben.
„In welchem Karton sind frische Socken?“, will Tobias leise wissen.
„Ähm, ich habe ein ‚S` darauf geschrieben“, erläutere ich mein System, wohl wissend, dass „S“ auch Schuhe bedeuten kann und „S“ wie System nicht für mich steht. Eher „U“ wie unorganisiert.
Tobias sieht die Kartons an, schüttelt nur den Kopf.
„Auf jedem steht ein ‚S` - unter anderem“, er macht einen Karton auf und schaut fasziniert in die Kiste, „`S, C, B´ - Schuhe, Cremes, Bücher“, das schaffst nur du.“ Er lächelt.
Glück ist, wenn dich ein Mann trotz deiner Macken liebt.
„Dein Arzttermin!“, erinnere ich ihn schnell. „Ich hab doch heute Nachmittag einen Arzttermin für dich gemacht.“
„Ich bin nicht krank“, wundert er sich wirklich.
„Beim Urologen, Sperma testen, das hab ich dir vorgestern gemailt!“
„Was?! Wieso hast du es nicht auf Facebook gepostet oder getwittert?“, erwidert er genervt. „An deinem Geburtstag? Ich muss in die Kanzlei und du auf deine Baustelle … und wir müssen doch noch so viel für die Party vorbereiten!“
„Jacky macht einen Couscous-Salat, den Rucola-Mango-Chutney-Dings-Salat mache ich später fertig. Der Rest wird geliefert, wo ist das Problem?“
Ich sehe ihn müde an. „Seit wann liest du meine Mails nicht mehr?“
„Natürlich lese ich deine Mails noch“, Tobias nimmt mein Gesicht zwischen seine Hände und küsst meine Stirn.
In die Augen schauen kann er mir nicht. Oder bilde ich mir das nur ein? Er dreht sich um und zieht sich seine alten Socken an. Die Socken immer zuerst.
„Bei welchem Urologen?“, will er angespannt wissen.
„Dr. Schabe, dein anderer hatte so schnell keinen Termin, wieso?!“ frage ich, während ich meine etwas eng gewordenen Jeans malträtiere. Ich passe nicht mehr in Hüftjeans Größe 38. Punkt. Obwohl ich weder schwanger bin noch vier Kinder bekommen habe. Aber ich finde, mit 39 ist man über 38 einfach hinausgewachsen.
Tobias hält sein Hemd von gestern in der Hand und sieht es stoisch an.
„Ich habe noch einen Mandanten reingekriegt, das könnte länger dauern. Und jetzt, wo wir hier am Stadtrand wohnen, … bis ich mit der S-Bahn erstmal im Büro bin …“
„Ich hol dich mit dem Audi in Mitte ab“, stoppe ich seine fadenscheinigen Ausreden. „15 Uhr.“ Ich streife noch mein Ringel-T-Shirt über und muss mich beeilen. Mein Bauleiter wartet schon.

 

Der Bauleiter ist ein echter Kerl. Bierbauch und Glatze.
„Niedlicher Hintern, und sogar was in der Birne“, hat er nach unserer ersten Baubesprechung gesagt und mich, eine Frau, eine ArchitektIN, sofort als Projektleiterin akzeptiert. Und seitdem mag ich Manni. Ein Kompliment über meinen Hintern hat Tobias noch nie über die Lippen gekriegt. Dabei sollte das jeder Mann, der behauptet, eine Frau auch nur ansatzweise zu verstehen.
Stolz wie eine Hacienda-Besitzerin betrachte ich meine Himbeersiedlung. Eine heruntergekommene Reihenhaussiedlung aus den 60ern, die nach meinen Plänen zu einer Kinder-Oase par excellence mutieren soll. Bis jetzt sieht es eher aus wie auf einem Schrottplatz. Überall stehen Baugeräte herum, die Häuser sind eingerüstet, die Gärten noch ziemlich wild, aber herrlich verwuchert. Und wenn ich meine Augen schließe, sehe ich unsere zwei Kinder inmitten dieser Blütenpracht, die kreischend in ein gelbes Planschbecken hopsen.
Ich halte mir die Ohren zu. Denn eine Kreissäge durchschneidet das Lachen der Kinder, die auf dem Bauschutt Spiderman spielen.
Ein junger Maurer, mit Dreitagebart und Nasenring, pfeift mich aus meinem klebrigen Tagtraumnetz.
„Die Trockenbauwand in Haus 10 kommt mir irgendwie komisch vor.“
„Komisch? Ich wusste gar nicht, dass Trockenbauwände witzig sein können“, kontere ich bemüht schlagfertig, ahnend, dass sich da ein Fehler eingeschlichen haben könnte.
Der nach frischem Schweiß und Döner riechende, Anfang Zwanzigjährige, legt mir grinsend meinen Plan vor und starrt mir in den Ausschnitt. Und tatsächlich.
„Äh … die stimmt natürlich nicht“, versuche ich meine Stimme gelassen klingen zu lassen. Und zeichne in die Wand noch eine Tür hinein.
„Wäre etwas umständlich, immer durchs Küchenfenster klettern zu müssen“, lächle ich ihn an und bin froh, heute ein etwas tieferes Dekolletee anzuhaben.
Er lächelt zurück, und wir sind uns einig. Kein Wort zu niemandem. Manchmal ist es gut, dass Männer Primaten sind.
„Danke“, rufe ich ihm noch nach.
Bauarbeiter sind meine allerbesten Freunde. Als Bauleiterin habe ich mich jahrelang mit polnischen Anzüglichkeiten herumgeschlagen, bis ich gemerkt habe, dass es Komplimente waren.
Nachdem ich mich unbemerkt in den Baucontainer geschlichen habe, um diese Küchentür heimlich im Plan des Bauleiters einzuzeichnen, ist es schon fast halb drei. Mist.
Unser Arzttermin.

 

Himbeersommer
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