***

 

Hilde steht schon wieder vor der Tür. „Kindchen, du siehst aber schlecht aus.“ Einer ihrer Lieblingssätze. Ich frage mich jedes Mal, wie man als Frau nur so unsensibel sein kann.
„Danke, du auch“, entfährt es mir deshalb, und ich sehe sie schockiert über mich selbst an. Aber zum Glück hat sie mir mal wieder gar nicht richtig zugehört. Sie rauscht herein und betrachtet das unaufgeräumte Wohnzimmer, als wäre es eine stinkende Müllkippe.
„Tut mir leid, Hilde, ich muss auf die Baustelle.“ Eigentlich hätte ich noch eine halbe Stunde Zeit, aber überhaupt keine Lust auf schwiegermütterlichen Smalltalk.
„Kindchen, in deinem Zustand solltest du jetzt wirklich kürzer treten.“
„In welchem Zustand?“
„Eine Schwangere auf einer Baustelle. Da kann doch so viel passieren.“
„Du meinst, ein Dachziegel könnte direkt auf meinen Bauch fallen?“
Sie sieht mich sauer an.
„Ich werde mit Tobias darüber reden. Er verdient doch genug.“
„Darum geht es doch nicht. Das ist mein Projekt. Ich bin Projektleiterin und will es bis zum Mutterschutz so weit wie möglich …“
„Bis zum Mutterschutz?!“, unterbricht sie mich in einer hysterischen Tonlage. „Du weißt schon, dass es dann ein hyperaktives Kind werden kann?“
Ich sehe sie an, und die Tränen steigen mir in die Augen. Das fängt ja gut an.
„Du hast doch auch gearbeitet, als du mit Tobias schwanger warst.“
„Sicher, aber du siehst ja, was dabei herausgekommen ist. Der Junge hat Hummeln im Hintern.“
„Stimmt. Aber das hat er von dir.“ Ich lächle nett und schiebe sie dezent mit mir zur Tür. Hilde sieht mich an, muss grinsen und gibt mir einen Knuff. „Du trägst das Herz auf der Zunge, Kindchen. Das mag ich an dir.“

 

Mit einer Schwiegermutter in spe gut klarzukommen, ist ungefähr so schwer, wie zweimal die Woche zum Sport zu gehen, danach nicht beim Bäcker einen Streuselkuchen zu kaufen, denn immerhin hat man ja 23 Kalorien verloren.
Bis jetzt war mein Verhältnis zu Hilde ziemlich sportlich. Doch wenn das Kleine erst mal da sein wird, fürchte ich, müssen wir einen neuen Oma-Fitnesstest bestehen.

 

Magda, bei der ich noch schnell einen Espresso trinke, bevor ich auf die Baubesprechung muss, grinst mich an.
„Dein Leben wird sich um 360 Grad ändern, Nora. Man kann es sich nicht vorstellen, wie krass das mit einem Kind ist, aber es ändert sich einfach - alles. Und da ist das Verhältnis zur Schwiegermutter noch der harmlosere Teil. Tausend Mal schlimmer ist die Schuhgröße! Denk an deinen Schuhschrank, kannste alle wegwerfen.“
Ich sehe sie blass an und vor meinem inneren Auge fliegen meine braunen Lieblings-Gabor-Stiefel, meine blauen Gucci-Pumps und alle anderen Schuhe einer nach dem anderen aus dem Fenster und landen auf einer sonnigen Wiese.
„Du bist verrückt, ich schmeiß doch meine Schuhe nicht weg!“ Ich glaube ihr kein Wort.
„Pro Kind eine Nummer größer, wenn ich’s dir sage.“
„Verdammt, ich hab doch jetzt schon 42!“ Ich sehe Magda erschüttert an und starre dann auf meine großen Füße. „Modelmaße“ hat meine Mutter immer gesagt. Um mich zu trösten, als mich die Nachbarsjungen wieder mit meinen Entenfüßen aufgezogen hatten. Aber in der Tat, die meisten Models haben 42!
Magda grinst. „42?! Oh, also, wenn du noch ein Baby kriegst, hast du dann leider 44 und beim Dritten, sorry, 45!“
„Sehr witzig. Ich werde ganz bestimmt nicht noch ein Kind kriegen. Von Tobias mangels Spermienqualität ja sowieso nicht und von Daniel … schon gleich dreimal nicht.“ Ich starre meinen Bauch an und ahne, dass sich mein Leben in Kürze in eine Naturkatastrophe verwandeln wird, die auf einer Richterskala einfach nicht mehr zu messen ist.
Es ist Zeit für die Baubesprechung mit Baltimore. Dabei habe ich immer noch keinen Künstler, der sich für unser schmales Budget erwärmen konnte. Ich hetze los.

 

„Darling, Sie sind wirklich an Lahmarschigkeit nicht zu überbieten“, empfängt er mich lächelnd. „Und da schwangere, arbeitende Frauen immer als gleichwertig behandelt werden wollen, ist der Fötus da drin auch keine Ausrede.“
„Werter Herr Baltimore“, versuche ich ruhig zu atmen wie ich es in meiner letzten Yoga-Stunde gelernt habe. „Ihre Dreistigkeit ist nicht zu überbieten, und ich möchte Sie hiermit bitten, sich von diesem Bauprojekt zurückzuziehen. Mit Ihnen möchte keiner in dieser Siedlung wohnen. Und ich betone keiner!“
Baltimore sieht mich verdutzt an, und zum ersten Mal fällt ihm kein dummer Spruch mehr ein. Ich lächle zuckersüß, raffe meine Unterlagen zusammen und gehe. Wenn ich eines gelernt habe durch meine Schwangerschaft, dann ist es das: nicht mit nervtötenden Leuten seine Zeit verschwenden. Denn das Baby im Bauch spürt schlechte Stimmung. Und selbst wenn man nicht schwanger ist: Es tut einem einfach nicht gut.

 

Gerade, als ich stolz über mich in unsere Küche komme, um mir einen Schwangerschaftstee von Kräuter Kühne aufzugießen, klingelt mein Handy.
„Werner hat mich versetzt, das Riesenarschloch“, donnert mir Jacky entgegen. Im Hintergrund höre ich wie immer quäkendes Babygeschrei, und ich muss gestehen, ich verstehe ihn ein wenig.
„Also irgendwie ist das ja schon komisch, dass Gregor so viel schreit“, versuche ich mich möglichst nicht auf dieses „Männer-sind-alle-Schweine“-Niveau herunter zu begeben (die einzige Ausnahme ist Baltimore), sondern die Ursache psychologisch zu durchleuchten.
„Was willst du denn damit sagen?!“, faucht Jacky mich an. „Dass es an mir liegt, dass Greggy ein nervtötender Schreihals ist?! Weil ja immer die Eltern an allem schuld sind und die alleinerziehenden Mütter sind ja sowieso die Totalversager?!“
„Äh, nein, das wollte ich nicht sagen. Aber jetzt mal ganz ehrlich. Irgendwie versteht man ja fast, dass das einem Mann, der nicht der Vater ist, manchmal einfach … zu viel ist. Egal wie toll die Frau auch sein mag.“
Pause, Pause, Pause am anderen Ende der Leitung.
Wie verprellt man seine beste Freundin in drei Sekunden?
„Aber Jacky, der kommt schon wieder“, füge ich schnell noch hinzu. „Ich hab das Leuchten in seinen Augen gesehen, wenn er bei dir ist.“
Jacky ist noch eine Sekunde still und kichert dann. „Also ich würde das Geplärre anders herum keine Milli-Sekunde mitmachen. Mist, jetzt hab ich einen unverschämt teuren Babysitter über diese Halsabschneider-Agentur gebucht. So kurzfristig absagen wäre fast gleich teuer. Kommst du mit, ich wollte mit Werner tanzen gehen, in Clärchens Ballhaus in Mitte. Bitte, bitte, Nora, so wie früher.“

 

Jacky und mich schweißt eine wilde Vergangenheit zusammen. Wir waren die heißblütigen Königinnen der Nacht. Lange vor Tobias. Damals waren wir fünf bis zehn Kilo leichter und sonnengebräunt vom Herumliegen und Cappuccino trinken im Monbijou-Park.
Tanzen? Warum nicht. Ich fühle mich zwar im Moment eher müde und runzlig wie Queen Mum herself, aber schwindlig ist mir ja eh schon, und dem Baby tut das Geschaukel sicher auch gut.

 

Himbeersommer
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