***

 

Der Abend wird ein Desaster. Der Schweinebraten war 20 Minuten zu kurz im Ofen. Da Stuart richtig Hunger hat, schneide ich den Braten auf und brutzele die Fleischscheiben in der Pfanne an. Die Pfanne vergesse ich auf dem Herd und die Scheiben verkohlen. Ich wende Trick 17 meines Vaters an: Was verkohlt ist, lässt sich wunderbar panieren. So sieht man nicht, was man da isst. Und Maggi sei Dank werden wenigstens die Klöße richtig lecker.
Ich flunkere ein wenig, „das ist ein Rezept meiner Mutter“.
„Mmhm, tatsächlich?“ Stuart scheint zufrieden.
Und eigentlich ist es auch nicht gelogen, denn die Klöße meiner Mutter wären aus dem Päckchen gewesen, wenn sie denn mal Klöße gemacht hätte.
Meine Mutter stammt aus der Päckchen- und Tütchen-Generation. Salatsauce Knorr Fix, Maggi Jägersauce, Fisch à la Bordelaise. Sie findet es unter ihrer Würde, sich an den Herd zu stellen.
Wie viele Geschmacksverstärker und Konservierungsstoffe ich intus habe, will ich gar nicht wissen. Erstaunlich, dass aus mir kein hyperaktives Neurodermitis-Kind wurde.
Leider habe ich so nie Kochen gelernt. Leider für Stuart. Er kaut auf dem zähen Bratenstück herum und ich beobachte ihn dabei panisch. Jetzt rutscht die Panade zur Seite! Doch nicht.
Tobias bringt unser Anliegen schnell und nüchtern auf den Punkt.
„Sag mal, du weißt ja, wir wünschen uns schon länger ein Kind – und in Noras Alter – du weißt schon, klappt das ja nicht mehr so leicht.“
Hätte ich nicht gerade das Weinglas am Mund, würde mir in dem Moment die Kinnlade nach unten fallen. Tut sie auch. Doch sie wird vom unteren Glasrand aufgefangen.
Sag jetzt nichts, Nora, er braucht das für sein Ego, sagt meine innere Stimme zu mir.
Stuart kaut, nickt und wirft mir einen bedauernden Blick zu. Tobias nimmt einen weiteren Schluck und kommt zur Sache. „Und wir dachten, … ich meine wir sind ja alle moderne, aufgeklärte Menschen … dass es vielleicht schneller geht, wenn Nora sich das Sperma mit einer … Spritze einführt. Dein Sperma.“
Stuart hustet lautstark los, verschluckt sich und wäre um ein Haar als Spender ausgefallen, da erstickt, weil er den verkohlten Bratenbissen in die Luftröhre bekommen hat.
Doch dank meiner handfesten Art hilft mein auf-den-Rücken-schlagen wunderbar. Als er sich wieder etwas gefangen hat, quietscht er wie ein Meerschweinchen, stößt dann hechelnd hervor. „Und wieso nicht dein Sperma, Alter?“
Tobias sieht mich todtraurig an. Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich zu outen.
„Naja, weißt du, … ich hatte Masern.“
Stuart versteht. Und ich auch.
Die Tatsache, dass er keine Kinder zeugen kann, hat Tobias` Selbstbewusstsein bis ins Mark erschüttert. Stuart ist blass wie das moderne Gemälde an der Wand.
„Und da habt ihr gedacht… Mann, ihr seid ja echt abgefahren. Ehrt mich total. Also echt. Ich hab ja wirklich tolle Gene …“
„Du kannst es dir ruhig noch mal in Ruhe überlegen,“ sage ich rasch.
„Da gibt es nichts zu überlegen.“ Stuart sieht uns fest an. Tobias nimmt glücklich meine Hand, wir strahlen uns an.
Doch das Strahlen erstirbt.
„Ich bin ja nicht verrückt“. Stuart schüttelt den Kopf. „Und da werdet ihr auch keinen halbwegs normalen Typen für finden. Die Nummer ist so was von Einlaufgefährdet. Da lebt dann so eine Göre von mir und ich hab ständig das Gefühl, mich kümmern zu müssen. Nee danke.“
„Musst du nicht.“ Ich versuche zu retten, was nicht zu retten ist. „Naja, ab und an mal Babysitten“, Tobias pfeift mich zurück.
„Nein, wirklich. Wenn er nicht will.“ Wir funkeln uns an. Schon gehen die ersten Meinungsverschiedenheiten los.
Stuart steht auf, legt das Besteck hin. „Ich lass euch dann mal allein. Bei euch ist ja eh schon länger der Wurm drin. Wär eh nicht so gut, wenn ihr ein Kind kriegt, solang ihr eure Probleme nicht gelöst habt.“
Das saß. Genau deshalb haben wir doch unsere Probleme, will ich ihm ins Gesicht schleudern, aber ich halte mich zurück. Was genau hat Tobias seinem Kumpel über uns erzählt?
Kein Kind, zumindest bei starkem Kinderwunsch – ist ein echtes Beziehungs-Killerkommando.

 

Tobias und ich meiden an den nächsten Tagen das Kinderzimmer.
Man sollte sich kein Haus kaufen, bevor die Kinder nicht geboren sind. Es ist ein schlechtes Omen, finde ich.
Und sicherlich auch Brad Pitt. Denn Brad und seine Jennifer hatten damals, als die Ehe noch gut war, „the room“. Ein bereits hübsch eingerichtetes, grün bemaltes Kinderzimmer. Aber kein Kind weit und breit. Irgendwann, als sie kein Grün mehr sehen konnten, haben sie sich getrennt. Es muss ein Albtraum gewesen sein.

 

Die nächsten Tage reden wir kaum. Tobias arbeitet bis Mitternacht und ich gehe shoppen - ohne Sinn und Verstand. Ein brauner Mohairpulli beruhigt, die beige Handtasche gibt Hoffnung und die blau-türkise Kette, tja, die verbindet. Mich und Tobias. Denn so eine hat er mir in unserem allerersten Urlaub, wir waren in Tunesien, geschenkt. Und die passende Handtasche dazu. Bis dato wusste er nicht, dass ich 35 Handtaschen im Schrank habe.
Und ich bleibe an jedem Schaufenster mit Kindersachen mindestens zehn Minuten stehen, bevor mir klar wird, dass ich nie einen Strampler für mein eigenes Baby kaufen darf.

 

Ich bin die gereifte Generation Bridget Jones. War vor Tobias verzweifelt auf der Suche nach dem Richtigen. Hatte meinen Rentiermann in ihm gefunden - und den gebe ich nicht mehr her. Weil wir uns so perfekt verstehen, weil ich ein echter Beziehungsmensch bin – und weil ich Respekt vor Tobias habe. Und Respekt vor einem Mann zu haben ist gar nicht so einfach. Frauen, die gerade ihren arbeitslos-frustrierten Hermann aufbauen, wissen, wovon ich spreche.
Ich habe Respekt vor Tobias, und das gelingt mir nicht bei vielen Männern. Tobias ist die perfekte Mischung zwischen Frauenversteher und Macho. Richard Gere kommt dem Ganzen recht nahe. Auch wenn ich Tobias` graue Schläfen betrachte. Ich liebe ihn und ich werde nicht zulassen, dass Richard, ich meine Tobias, und ich uns trennen.
Vermutlich ist es wirklich zu unangenehm, in unserem privaten Bekannten- und Freundeskreis nach einer Spermaprobe zu fragen.
„Haben Sie vielleicht ein Ei für mich“, kam mir bei meinen Nachbarn ja schon immer schwer über die Lippen, wenn ich spontan Pfannkuchen backen wollte.
„Was soll der denn denken?! Dass ich unfähig bin, ordentlich einzukaufen?“, habe ich Tobias gefragt.
Nein, es muss jemand sein, den keiner, den wir kennen, kennt, den wir aber kennen, sonst könnten wir ihn nicht fragen.
Und der aber trotzdem nett, zuverlässig, verantwortungsbewusst, hochintelligent und wunderschön ist. Nein. Er muss nur so verrückt sein, uns diesen „kleinen“ Gefallen zu tun.
Geld. Es geht alles mit Geld. Zum einen steckt unser Geld aber in den italienischen, blauen Fliesen, meinem extragroßen Einbau-Schuhschrank und diversen anderen Sonderwünschen, ohne die mir mein Leben nicht lebenswert vorkam.
Und zum anderen wären wir dann kurz vor der Samenbankvariante. Und die, da gebe ich Magda recht, nicht nur gruselig, sondern indiskutabel ist. Ein Vater meines Kindes, der es nur des Geldes wegen „gezeugt“ hat, geht gar nicht.
Das wäre ein Trauma für das Selbstbewusstsein meines Nachwuchses, und wie lebenseinengend ein mieses Selbstbewusstsein ist, sehe ich an mir.
Meine Mutter hat alles, also wirklich alles versucht, mich zu einem selbstbewussten, forschen Menschen zu erziehen. Sie hat mich mit einer Blume auf dem Kopf auf die Bühne geschubst, hat mich in den Gitarren-Unterricht geschleppt und mich Weihnachten vor versammelter Familie gezwungen, einen Song von Janis Joplin zu singen. Ich wirke zwar nach außen straight und tough, aber tief in mir drin sieht es aus wie in meinem Kleiderschrank. Sehr durcheinander.

 

Und von wem ich die Veranlagung dazu habe? Von meinem Vater. Einem etwas schusseligen Mann, der in seinem Leben eindeutig zu viel gekifft hat und von meiner Mutter überfordert war. Meiner extrovertierten Mutter mit ihrem „komm, Mädchen, das steht dir nicht, dafür hast du zu breite Hüften“. An solchen Tagen habe ich sogar den Schokoladenkuchen meiner Oma abgelehnt. In der Hoffnung, schmalere Hüften zu bekommen. Oma meinte immer, „ein gebärfreudiges Becken, das kannst du noch gebrauchen“. Und meine Oma war eine kluge Frau.
Es kann doch nicht so schwer sein, einen Samenspender zu finden?

 

 

Himbeersommer
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