***

 

Mit einer Tüte Marshmallows unterm Arm stehe ich vor ihrer Tür. Die alte Frau Piske lugt durch den Spion und kommt raus.
„Kindchen, Sie sind ja schwanger?! Wissen Sie überhaupt, was Sie sich da einjebrockt haben?!“ Frau Piske hat fünf Jungs alleine großgezogen.
Ich sehe sie traurig an. „Bei mir ist alles noch viel komplizierter.“
Frau Piske nickt. „War’s der verheiratete Klempner?“, will sie neugierig wissen und rückt ihre Perücke zurecht. Ich schüttle den Kopf.
„Ohne Mann, das ist wirklich ein Kreuz“, sagt sie und weiß, wovon sie spricht. „Mein Wilhelm ist mit einer russischen Opernsängerin abgezwitschert, nach Sibirien.“ Das erzählt sie jedem, der es nicht hören will und zwitschert danach immer ein Zwetschgenlikörchen.
„Mit zwei Männern ist es auch nicht viel einfacher“, antworte ich traurig, da öffnet mir Jacky die Tür. Frau Piske bleibt mit offenem Mund stehen und starrt mich an, als wäre ich eine Außerirdische, die gleich mit ihr Walzer tanzt.
„Hallo, Frau Piske“, grüßt Jacky, nimmt mir die Tüte Marshmallows ab und bietet ihr einen an. „Gut für die Libido.“ Jacky grinst. Frau Piske nimmt den Marshmallow, sieht ihn an und lächelt verzückt.

 

Jacky zieht mich amüsiert zu sich rein, schließt die Tür und wirft mir einen bitterbösen Blick zu.
„`tschuldigung, Jacky, aber da war plötzlich Daniel auf der Tanzfläche und er durfte mich doch nicht mit dem Bauch sehen. Ich hau nie wieder ab, versprochen, also zumindest nicht, wenn du so süß bist und mir gerade einen Cocktail holst!“
„Ja, ja. Also was ist jetzt, wieso bist du jetzt schon `ne Rabenmutter?“, will sie wissen, und wir lassen uns auf ihrem gemütlichen Sofa nieder und spießen jeder einen Marshmallow auf, um ihn über der Duftkerze, die nach Zimt riecht, zu braten.
Zimt! Dieser Duft erinnert mich sofort wieder an Daniel, aber ich reiße mich zusammen und erzähle ihr wirr von meiner Begegnung im Wald mit ihm und Tobias, von Magdas Kommentar, dass das Kind in meinem Bauch unter diesen Umständen jetzt schon leidet.
„Ach du Scheiße!“, ist Jackys Kommentar. „Der arme Tobias! Du bist nicht nur ne Rabenmutter, ne fiese Freundin, sondern in allererster Linie eine unmögliche Lebensabschnittspartnerin.“
Vielen Dank für das Gespräch.
„Ich bin eigentlich nicht hergekommen, um mich von dir beschimpfen zu lassen.“ Ich verbrenne mir die Zunge an diesem widerlich-süßen, heißen Ding. „Autsch! Was ist denn überhaupt der Stand mit deinem Werner?“, lenke ich ab.
Darauf hat Jacky offenbar gewartet, denn nun ist sie plötzlich wieder wie früher. „Stell dir vor, dieser feige Schuft hat sich bei mir nicht mehr gemeldet! Seit er mich an dem Abend, wo wir zu Clärchens Ballhaus wollten, versetzt hat. Ist das nicht der Oberhammer?!“
Ich höre das Piepsen meines Handys und ignoriere die eingegangene SMS.
„Seltsam. Eigentlich war der immer recht zuverlässig während der Bauphase.“ Ich wundere mich wirklich. Und Jacky tut mir sehr leid. Sie hat endlich mal was Vernünftiges verdient.
„Aber wegen des Babys musst du dir keine Sorgen machen“, sagt sie lächelnd. „Ich glaube, man kann den Job als Mama gar nicht hundertprozentig machen. Auch nicht die Übermamis, die meinen, dass sie perfekt sind. Man fühlt sich immer wie die letzte Nulpe. Und wenn man es selbst nicht so fühlt, dann gibt es genug Nachbarn, Großeltern, Eltern oder Freunde, die es einem schön aufs Butterbrot schmieren, was für eine Versagerin man ist.“
„Na wunderbar.“
„Und mitleiden wirst du ab jetzt immer mit deinem Wurm. Wenn er in der Kita gehänselt wird, weil er die falschen Turnschläppchen anhat, wenn ihn die Kitatante nicht mag, weil es kein ruhiges Mädchen ist, oder wenn er mal wieder nich zu irgendeinem Geburtstag eingeladen wird, weil er den Kindern immer eins mit der Schippe über die Rübe brät.“
Ich muss grinsen. „Woher weißt du denn, dass ich einen Jungen kriege?“
„Kriegst du einen?“, will Jacky aufgeregt wissen.
Ich schüttle den Kopf. „Keine Ahnung. Ich will’s nicht wissen. Mein Frauenarzt hat beim letzten Mal zwar ein rohrähnliches Teil in meinem Bauch gesehen - kann aber auch sein, dass das nur der grazile Arm eines entzückenden Mädchens war, das schon mal übt, sich in der Schule immer zu melden, hat er gesagt.“
Wir lächeln uns an und nehmen uns in den Arm. „Mensch, tut das gut“, schniefe ich in ihre Bluse. „Wieso ist es hier eigentlich so still, wo ist Greggy?“
„Bei Rent a Oma. Toll, oder?“
„Rent a Oma?“
„Naja, da meine Mutter keine Nerven für ihren Enkel hat … Die Oma heißt Erna und ist schwerhörig.“ Jacky grinst. „Sie hört also Greggys Gebrüll nicht.“
„Ah. Aber ist das nicht auch irgendwie… gefährlich? Ich meine, wenn er brüllt und irgendetwas hat und sie es nicht hört?“
„I wo. Sie sieht ja, dass er den Mund aufmacht. Und mir tun die zwei Stunden Ruhe soo gut. Ich habe gerade ein Problemzonen-Bad genommen, meine Fußnägel türkis lackiert und Yoga für definierte Oberarme gemacht. Sehen leider immer noch aus wie Winke-Winke-Arme. Ich weiß echt nicht wie die Klum das macht. Die ist mein Jahrgang!“
„Du machst das schon alles echt super, Jacky. Und die Heidi hat es ja offensichtlich auch nicht besser hingekriegt.“
„Stimmt, sonst wär das mit Seal ja nicht auseinander gegangen.“
„Aber bei dir bin ich mir sicher, dass sich dein Werner wieder meldet und eine echt gute Ausrede hat.“
„Genau. Dass er von einem Laster angefahren wurde und im Krankenhaus liegt und kein Akkuladegerät dabei hatte. Irgend so ein Quark. Aber über das Alter sind wir mit Ende 30 hinaus, dass wir so einen Schmu noch glauben.“ Jacky öffnet eine Cola Zero und nimmt einen großen Schluck. „Igitt, ist das ekelhaft. Jetzt guck schon auf dein Handy. Was hat Daniel geschrieben?“
Als hätten meine Hände nur darauf gewartet, ziehe ich mein Handy hervor und lese die SMS.
„Nora, es ist unser Kind, wir drei gehören zusammen, und falls du es noch nicht weißt: Ich gebe nie auf. Nie. In Sehnsucht, Daniel.“
„Oh mein Gott, diese jungen Männer heutzutage haben die Pilcher-Filme mit der Muttermilch eingesaugt.“ Jacky schmilzt mit mir dahin. „Ganz schön kitschig. Tobias ist aber eindeutig der bessere Typ!“ Sie hatte schon immer ein Faible für Tobias. Und ich auch.
Ich starre mein Handy an und mir wird eines klar. Daniel ist der Typ Mann, der nie aufgibt, und ich bin der Typ Frau, der nie standhaft sein kann. Zumindest habe ich es nie geschafft, eine Diät länger als einen halben Tag durchzuhalten. Zu verlockend riefen mich Mini-Dickmanns und Kinderschokobons zu sich. Und zu schnell war ich unterzuckert und miserabelster Laune.
Ich starre meinen Bauch an und kriege die totale Panik. „Meine Tage sind gezählt.“

 

Auch die auf meiner Baustelle. Denn der Mutterschutz fängt morgen an, wie mir Tobias beim Frühstück, während er innerlich die Faktenlage für sich weiter prüft, in undurchsichtigem Ton verkündet. Tatsächlich.
Also ich hätte ja nichts dagegen, noch ein bisschen länger zu arbeiten. Ich fühle mich inzwischen kugelrund wohl. Das saure Aufstoßen hat sich gelegt, an die Elefantenbeine habe ich mich gewöhnt und mir Stützstrümpfe verschreiben lassen. In denen fühle ich mich wie die alte Frau Piske beim Cancan-Tanz. Es gibt sie nämlich auch halterlos, in Schwarz mit Spitze. Was nicht darüber hinwegtäuscht, dass es Stützstrümpfe sind, die das Ausmaß der Krampfadern und Besenreißer mindern sollen! Schwanger sein hat einfach seine Reize.
Wir reden nicht viel beim Frühstück. Nur so was wie „Kannst du mir mal den Honig …“ oder „Noch einen Espresso?“.
Aber immerhin, wir reden. Mehr als die meisten Paare nach sieben Jahren. Und ich denke, an Daniel, an unser Baby, wie das werden soll, die Geburt, Blut …“ Ich rühre schnell in meinem Espresso und merke erst dann, dass die Tasse leer ist. Tobias sieht mich stirnrunzelnd an, faltet die Zeitung zusammen, steht auf, sagt „tschüss dann“ und geht.
Tschüss dann. Das hat er noch nie zu mir gesagt. Zum Glück habe ich keine Zeit mehr, den tieferen Sinn dieser zwei Worte zu analysieren. Die Baustelle ruft, ich muss heute an meine Schwangerschaftsvertretung, einen neuen Kollegen aus dem Büro, übergeben. Und mir ist irgendwie doch wieder schlecht.

 

Himbeersommer
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