***

 

Am nächsten Morgen geht Jacky zum Glück an ihr Handy.
„Du bist wirklich die fieseste Freundin, die ich je hatte, und ich will dich nie nie wieder sehen, verstanden?!“, knallt sie mir entgegen und drückt mich einfach weg.
Puh. Ich schätze, dass ich sie mit diesem Detlef und seinem nervtötenden Kumpel alleingelassen habe, hat ihr den Rest gegeben. Das verzeiht sie mir nie. Denn Jacky kann sehr nachtragend sein. Sie weiß noch wie heute, dass ich vor zehn Jahren ungefragt genau den gleichen blau-rot-gepunkteten Badeanzug wie sie gekauft habe, weil ich den ihren so hübsch fand. Ich glaube, sie hat ihn nie wieder angezogen, weil ich ihrer Meinung nach die tausendfach bessere Figur darin habe, oder sagen wir besser: hatte.
Was eine Schwangerschaft aus einer Figur machen kann, muss ich Müttern nicht sagen. Zumindest Müttern, die nicht im achten Monat noch fröhlich joggend durch den Park gelaufen sind und es nur geschafft haben, sich zum Rückbildungskurs nach Pilates anzumelden, aber niemals, auch nur ein zweites Mal hinzugehen.

 

Ich hasse Joggen und stopfe gerade mein viertes Nutella-Croissant in mich hinein. Tobias kredenzt mir meinen zweiten Latte Macchiato entkoffeiniert. Wir frühstücken gemütlich wie jeden Samstag, nur werden die Berge, die ich vertilge, jede Woche voluminöser, leider überproportional zu meinem Bauch.
Tobias sieht mich mit diesem Blick an, der besagt: Oh mein Gott, sie wird doch eine dieser Frauen, die pro Kind zehn Kilo zulegen und es in ihrem ganzen Leben nie wieder verlieren!
Und ich werfe ihm einen Blick zu à la: Keine Sorge, Schatz, auch wenn ich so unsportlich wie eine Hängematte bin, ich habe nicht vor, den Rest meines Lebens als Molly herumzulaufen. Wir lächeln uns an.
„An was denkst du gerade?“ Ich kann es mir einfach nicht verkneifen.
„An das Schalke-Spiel heute Abend, und du?“
„Dass wir nicht genug Strampler haben. Die von deiner Mutter gehen gar nicht.“
„Und die Lilanen von deiner Mutter haben alle Blümchen drauf. Was, wenn es ein Junge wird, der nicht auf Hippie-Mode steht?“
Wir grinsen uns an.
„Du weißt, was das heißt?“ Ich trinke meinen letzten Schluck Latte und freue mich schon. „Wir haben wirklich noch nicht alles.“
„Oh nein.“
„Oh doch.“
„Ich muss ganz dringend noch mal in die Kanzlei.“
„Heute ist Samstag. Und wenn es schon sein muss, kannst du das danach. In der Friedrichstraße wimmelt es nur so vor Läden für Babyklamotten.“
„Ich habe da noch nie einen einzigen gesehen.“ Tobias wirkt ziemlich unbegeistert.
„Aber ich.“ Shoppen für mein Baby ist ab heute eine meiner größten Leidenschaften.
„Da gibt es doch nur Designerläden. Das können wir uns im Moment beim besten Willen nicht leisten, Nora. Denk an den Kredit.“
Ich sehe ihn an und werde langsam richtig sauer. „Denk an unser Kind. Soll es von Anfang an das modische Feingefühl einer Zwiebel bekommen?!“ Meine Stimme klingt jetzt irgendwie brüchig und Tränen steigen mir in die Augen. Ich denke an Daniel. Hätte er genauso stumpf reagiert?
„Oder freust du dich etwa gar nicht darauf? Auf unser Kind, meine ich?!“
Tobias zögert mit seiner Antwort, eine Sekunde zu lang. Dann nickt er schnell.
„Doch, doch, natürlich“, und er versucht es mit einem Scherz. „Aber abgesehen davon, Zwiebellook ist doch immer in, Schnecki.“
Ich schniefe meine Tränen zurück und lächle leicht verkrampft.

 

Tatsächlich ist die Hermès-Kinderkollektion, in die ich Tobias doch geschleppt habe, (nur, um mal zu schauen, was Madonnas Kinder so tragen) unfassbar teuer. Die gut gestylte, brünette Verkäuferin schenkt Tobias ihr umwerfendstes Lächeln. Für mich hat sie nur einen kühlen Blick, vom Scheitel bis zur Sohle, übrig. Und als sie meine Treter sieht, wendet sie sich sogar von mir ab. Seit mein Bauch die Ausmaße zweier Basketbälle angenommen hat, wie es Tobias so schön auszudrücken pflegt, schaffe ich es nicht mehr, mir alleine die Schuhe zu schnüren. Und die einzigen Schuhe, in die man nur hineinschlüpfen muss und die im Gegensatz zu Highheels auch noch bequem sind, sind nun mal meine „Treter“. Zugegeben, durch die Arbeit auf der Baustelle und den Betonstaub sind sie etwas patiniert.
Gut, dass es in der Friedrichstraße vor H&Ms nur so wimmelt; und gut, dass einer sogar eine Baby- und Kleinkindabteilung hat, wie ich von Jacky weiß. Von ihr habe ich noch vor unserem Streit jede Menge Babyklamotten bekommen. Gebrauchte Sachen sind eh am besten. Oft gewaschen und von daher kaum noch Chemie darin. Aber das eine oder andere fehlt eben noch für unser Mäuschen. Tobias hat gerade ein Mützchen in der Hand und endlich leuchten seine Augen.
„Gott, ist das winzig! Da passt ja grade mal ein Tennisball rein.“
Dass Männer immer nur in Bällen denken!
„Oder hier, das ist ja niedlich.“ Logisch, ist ja auch ein Fußball drauf.
Ich sehe ihn an und freue mich. Endlich werden wir eine richtige kleine Familie, so wie wir es uns das ganze letzte Jahr so sehnlich gewünscht haben.
Ich nehme Tobias’ Hand und drücke sie fest. Und ich würde sie am liebsten nie wieder loslassen.

 

Mit vollen Tüten und bester Laune kommen wir aus dem Laden heraus und schlendern im Sonnenschein die Friedrichstraße entlang.
„Oh Mann, habe ich einen Hunger auf Streuselkuchen! Ich könnte jetzt mindestens fünf Streuselkuchen auf einmal verdrücken.“ Ich lache, doch das Lachen bleibt mir im Halse stecken.
Vespa-Knattern ist zu hören, und schon hält Daniel auf seiner Vespa neben uns. Er ist mindestens genauso geschockt wie ich, starrt auf meinen gewaltigen Bauch, öffnet das Visier und sagt – einfach nichts.
Und ich sage auch ausnahmsweise mal nichts und gerade das ist für Tobias höchst verdächtig.
Daniel sieht mich an, als falle gerade eine Steinwand von seinem Herzen, und er lächelt und sein Blick ist voller Sehnsucht.
Und ich werde rot wie eine Himbeere, und ich höre Geigen im Himmel, doch die Musik wird schräg und kratzig, und als ich Tobias’ Hand auf meinem Arm spüre, weiß ich warum. Tobias hat verstanden, dass dieser Kerl der Vater seines Kindes sein muss! Alarmiert und wieder in der Wirklichkeit angelangt, hake ich mich bei Tobias unter und ziehe ihn, ohne auch nur einen einzigen Ton zu Daniel zu sagen, weg. Nur weg. Wir versinken im Strom der Fußgänger … und ich in mir vor Scham.
Eine Kindergarten-Gruppe versperrt uns den Weg. Rotznäsige Kinder, die uns frech auslachen. Zumindest kommt es mir so vor.
„Liebst du ihn?“, will Tobias aufgewühlt wissen und sieht mich verloren an.
„Dich lad ich nicht zum Geburtstag ein“, sagt ein kleiner Junge neben mir gerade und lispelt dabei leicht. Und er meint tatsächlich mich. „Ich bin schon halb fünf.“
Ich lächle ihn an. „Halb fünf? So groß?“
Und am liebsten würde ich mich noch eine Stunde mit ihm unterhalten, aber er geht weiter und streckt mir die Zunge raus.
Dann sehe ich Tobias in die Augen.
„Nein“, versuche ich meine Stimme stark klingen zu lassen. „Ich liebe dich, und ich will mit dir eine Familie, das weißt du ganz genau.“
„Ich weiß gar nichts mehr.“ Tobias klingt richtig verzweifelt.
„Kuckuck, Kuckuck, ruft’s aus dem Wald“, singen die Kinder unter Anleitung einer grau bezopften Kindergärtnerin und ich frage mich, was das Schicksal noch zu bieten hat.
Dass es viele Kuckuckskinder geben soll, habe ich noch nie geglaubt. Aber in diesem einen Moment kommt es mir nicht mehr ganz so unrealistisch vor.
Tobias ist anzusehen, dass ihn das Lied das Gleiche hat denken lassen und ich sehe seine kleine Zornesfalte auf der Stirn tiefer und tiefer werden. Vor die Sonne hat sich eine dunkle Wolke geschoben.
„Wie lange geht das schon?“, will er düster wissen, und ich ahne, dass ich mehr kaputt gemacht habe, als ich dachte.
„Da geht nichts, ich meine, es ist nichts, bitte glaub mir, du hast doch gesehen, dass er nichts davon wusste.“
Wir stehen jetzt mitten auf einer Verkehrsinsel, die Autos um uns herum hupen. Denn Tobias geht einfach weiter, ohne auf den Verkehr zu achten.
„Und wie bist du dann schwanger geworden?!“ Er klingt jetzt wirklich sauer. „Die Geschichte mit der Spritze kannst du deiner Großmutter erzählen!“
„Tobias, bitte, lass uns in Ruhe darüber reden.“
„Ich bin die Ruhe selbst“, schreit Tobias los, so laut wie ich ihn noch nie habe schreien hören. Und auch die Hupen scheinen lauter zu werden. Denn er geht einfach über die Straße und wird dabei fast von einem Münchner Cabriofahrer erwischt.
„Scheißberliner, `zifix!“, brüllt der Münchner. „Ihr glaubts wohl, nur weil die Mauer weg is, könnt ihr euch alles erlauben?! Ihr seid arm und total unsexy!“
Ich sehe ihn fassungslos an, die Tüten mit den Mützchen und Stramplern rutschen mir aus der schweißnassen Hand und ergießen sich auf die Friedrichstraße. Der Münchner gibt quietschend Gas und fährt mit seinen dreckigen Reifen über ein winziges T-Shirt, auf dem steht: Papa ist der Beste.

 

 

 

 

 

Himbeersommer
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