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Die Saure-Gurken-Zeit geht an mir leider nicht spurlos vorbei. Ich habe es geahnt, denn Fressattacken hatte ich schon seit meiner Kindheit. Meine Mutter musste alle Süßigkeiten immer in einem abschließbaren Schrank verstecken. Ansonsten hätten sie nicht lange überlebt.
Das bei einer Schwangerschaft auftretende Symptom der „rasanten Gewichtszunahme“ ist für eine Frau hochgradig schockierend. Wie um Himmels willen soll sich mein Bauch auf diese ballonartigen Ausmaße vergrößern, ohne wie eine Melone, die auf der Straße aufprallt, zu zerplatzen? Und wie bitte soll das Kind, wenn es nach neun Monaten so riesig ist wie ein kleines Kalb, jemals aus meiner zierlichen Scheide kommen? Der Gedanke versetzt mich in blanke Panik und ich beiße in eine Lauch-Quiche von Magda, um zu verdrängen. Aber es passiert genau das Gegenteil.
Die Quiche erinnert mich an mein Picknick mit Daniel am Wannsee. Ich habe mir eine neue Handy-Nummer zugelegt und ich fürchte, er hat es verstanden. Jedes Mal wenn es an der Tür klingelt, zucke ich zusammen und mein Herz rast. Aber es ist zum Glück nie Daniel, sondern nur der Postbote oder Magda. Meine neue, zweitbeste Freundin.
Mit Jacky ist leider immer noch der Wurm drin. Sie scheint persönlich beleidigt, dass ich mich von Daniel habe schwängern lassen und lässt sich diesen Irrsinn nicht ausreden.
„Hast du denn immer noch nicht kapiert, was es heißt, alleinerziehend zu sein?!“, sagte sie bei unserem letzten Mittwochslunch und winkte den dicken Aushilfskellner her. Jacky war lange Maskenbildnerin beim Fernsehen. Aber mit Kind ist dieser Job utopisch. Seitdem hält sie sich mit Verkaufsjobs in Boutiquen über Wasser.
„Hast du Werner doch nicht getroffen?“, fragte ich ahnungsvoll nach.
„Schön, dass dich das doch mal interessiert“, erwiderte sie schnippisch. „Wir reden ja nur noch über Daniel, deine Schwangerschaft und deine Baustelle.“
„Ich dachte, du willst das wissen, aber …“
„Natürlich, aber du könntest dich zur Abwechslung mal wieder für mich interessieren.“ Sie lächelte plötzlich. „Ich hab in Zukunft weniger Zeit. Werner hat wirklich Interesse an mir. Trotz Kind.“
„Was? Das sagst du mir jetzt erst?! Das ist doch toll. Oer gibt es einen Haken?“
„Bis jetzt noch nicht“, Jacky zahlte, lächelte den dicken Aushilfskellner an. „Aber du weißt ja, bei Männern gibt es immer einen Haken.“
Der Aushilfskellner, ein kleiner, feister Mann mit widerlich behaarter Brust, lächelte und schüttelte den Kopf.
„Bei mir gibt es keinen Haken!“
Wir sahen uns an und schafften es, erst auf der Straße loszuprusten.

 

Da mich die Schwangerschaftsübelkeit voll erwischt hat, und meine Beine bereits jetzt Wasser einlagern - so dass ich aussehe wie die alte Frau Piske ohne Perücke - bin ich froh, nur ein paar Häuser weiter rollen zu müssen, wenn ich eine gute Freundin brauche, um mich auszuheulen. Denn was Hormone aus einer taffen Frau Ende 30 machen können, steht in keinem dieser unzähligen weisen Schwangerschaftsratgeber beschrieben.
Magda hat immer ein Kleenex und einen guten Tipp parat. Sie erinnert sich zwar nur noch vage an die Babyzeit mit Ruby und Wanda – „Wahnsinn wie schnell man das alles vergisst“ –, aber so nach und nach fällt es ihr wieder ein.
„Ich habe mich morgens und abends mit Bio-Olivenöl eingeschmiert. Schenkel, Po, Bauch und nicht zu knapp. Das Ganze einmassieren und voilà, schau, ich habe keine Schwangerschaftsstreifen.“ Sie reißt ihr T-Shirt hoch und ich bewundere ihren Bauch, der so flach ist, wie es mein Bauch noch nie war. Auch nicht zu meiner Geburt.
Natürlich befolge ich ihren Rat und schmiere, was das Zeug hält. Seitdem ist der Absatz unseres kleinen Bio-Ladens, was Olivenöl betrifft, sprunghaft in die Höhe geschnellt.
Je größer mein Bauch wird, desto mehr öle ich. Ein toller Tipp von Magda, wenn man die Preise für Schwangerschaftsöl einmal aus der Nähe betrachtet. Ich hoffe es hilft – und auch, dass die Fettflecken auf meinen Kleidern und dem Bettlaken durch Waschen wieder herausgehen.
„Toll, dass du so schwaches Bindegewebe hast.“ Sie lacht entschuldigend auf. „Aber das ist jetzt wirklich ein Vorteil. Ich bin mir sicher, du kommst um diese fürchterlichen Risse herum.“
Risse. Na wunderbar. Wenigstens jetzt kann ich mich über mein schlaffes und dehnbares Gewebe endlich mal freuen. Da hat die Natur so richtig mitgedacht.

 

Tobias ist wirklich entzückend zu mir. Er bringt kleine Geschenke mit (was er seit ungefähr sieben Jahren nicht mehr getan hat), auch für das Kind, und es hilft nichts, ihn darauf aufmerksam zu machen, dass es ja noch gar nicht geboren ist.
Wir machen uns daran, die Einrichtung des Kinderzimmers zu planen, sind uns da aber nicht immer einig.
Die immer wiederkehrenden Gedanken an Daniel schiebe ich traurig beiseite. Ich habe das Gefühl, ich werde nie mehr hundertprozentig glücklich sein können und frage mich, was ich meinem Kind je über seinen Vater sagen soll.
Eine Wiege und andere Kindersachen haben wir schon, und der Rest kommt von Ikea. Andere Varianten werden schnell verworfen. Beim Thema Baby will einem die Industrie ja so richtig schön das Geld aus der Tasche ziehen.
„Hormongesteuerte Glucken scheinen dafür optimal bescheuert zu sein“, hat Jacky mal gesagt.
Aber nicht mit Tobias. Er überwacht unsere Finanzen wie ein Adler die fliehende Beute und setzt den Rotstift an.
Ich denke täglich an Daniel. Und fühle mich immer schäbiger, je mehr mein Bauch wächst. Denn es ist sein Kind, und ich komme mir vor, als habe ich es ihm geklaut. Dass das Unsinn ist, ist mir auch klar. Selbst schuld, wenn er mit einer biologischen Atombombe schläft, ohne sich selbst um die Verhütung zu kümmern.
Dass Männer in dem Punkt so naiv sind, wundert mich immer wieder. Es gibt zwei Sorten von Männern, was das anbelangt. Die einen rennen schreiend davon, wenn sie eine Frau über 30 kennenlernen, die anderen lassen sich erzählen, die Frau habe die Temperaturmethode im Griff - oder ein anderes schönes Märchen von stillenden Müttern: Während man stillt, kann man nicht schwanger werden.
Tobias` Mutter Hilde hat den contest „Wer wird worlds best Oma“ ausgerufen. Nur macht meine Mutter nicht mit. Meine Mutter schenkt mir ein sexy Schwangerschaftskleid und einen schwarzen Still-BH mit Spitze. „Kindchen, denk daran, das werden die schwierigsten Jahre in eurer Beziehung.“
Noch schwieriger, denke ich nur und werde unruhig.
Was, wenn mich Tobias doch noch sitzen lässt? Alleinerziehend in Berlin ist zwar nicht gerade der Seltenheitsfall, aber auch wirklich nicht erstrebenswert. Noch dazu mitten in der Schwangerschaft. Wem soll ich denn dann bei der Geburt die Hand zerquetschen?
Ich bin mir zwar sicher, dass sich Daniel meiner erbarmen würde, aber ich habe ja beschlossen, dass er nicht der ist, den ich will. Und ich habe mir das inzwischen so gut eingeredet, dass ich Daniel auch nicht als Notpapa missbrauchen würde.
„Wie ist eigentlich Sex in der Schwangerschaft“, will Ruby von mir wissen, als sie von Magda eine Tüte gebrauchter Strampler bringt.
„Also, um ehrlich zu sein … kocht mir gerade die Milch über. Sag deiner Mama ganz lieben Dank für die Strampler, tschühüss.“
Ich schließe die Tür. Nein, Tobias und ich hatten keinen Sex seit Daniel. Aber das muss ich Ruby ja nicht unbedingt auf die Nase binden.
Eine Umfrage bei meinen neuen Mütterfreundinnen hat sowieso Spannendes ergeben. Manche Männer stehen sehr auf ihre schwangeren, vollbusigen Frauen, andere kriegen die große Panik und verweigern sich im Bett.
„Mein Kind soll jetzt schon Bekanntschaft mit meinem Schwanz machen?!“, hat der Mann einer Schwangeren aus der Nachbarschaft gesagt und seine Frau Heidi in eine pränatale Depression getrieben.
„Ich bin hässlich, ich bin fett, ich bin unsexy, ein Nilpferd. Klar, dass er nicht mehr mit mir schlafen will“, meinte Heidi. Und weder Magda noch ich konnten sie beruhigen. Alle anderen Erklärungen prallen an hormonverdrehten Gedanken ab. Und mit jedem Gramm mehr auf der Waage wird die persönliche Krise schlimmer.
Tobias gehört genau zu letzter Fraktion. „Ich tu dem Baby doch weh, wenn ich in dich eindringe.“
Ich wusste, dass Männer gern an übersteigertem Selbstbewusstsein leiden, aber dass sie denken, ihr Schwanz wäre so lang wie ein Staubsaugerrohr und dass sie in Biologie offensichtlich nicht aufgepasst haben, macht mich fertig. In unserem Fall ist es mir allerdings recht.
Ich will noch nicht mit Tobias schlafen. Seit ich Daniel gespürt habe. Und ich bin sehr froh um Tobias` Fantasien und heize sie an.
In den Arbeitspausen, wenn ich mich nicht gerade mit Ingo Baltimore und der Suche nach einem Sponsor für mein Kunstprojekt herumschlagen muss, lasse ich mich auf überfüllte Kita-Wartelisten setzen.
Baltimore will jetzt gerichtlich gegen mich vorgehen. Eine Tatsache, die mich vor meiner Schwangerschaft an den Rand des Nervenzusammenbruchs gebracht hätte, bringt mich nun nicht extrem aus der Ruhe.
„Soll er doch“, habe ich zu Tobias gesagt. „Die anderen finden den größeren Spielplatz toll.“

 

Plötzlich gibt es Wichtigeres in meinem Leben als den Job. Nämlich die Frage, mit welchem Tee stoppe ich mein saures Aufstoßen, oder wie ergattere ich einen der so begehrten Kita-Plätze.
Kita-Plätze gibt es in Berlin wie Sand am Meer. Aber Plätze in von Übermüttern empfohlenen Kitas sind rar gesät. Und in Gegenden wie der unseren, wo es vor Kindern und jungen Familien nur so wimmelt, sind sie gar heiß umkämpft. Magda rät mir, mich schon jetzt, in der Schwangerschaft, um einen Platz zu bemühen. Ich finde das wirklich absurd, mache aber, was sie sagt. Und stelle auch hier fest: Schwangersein ist eine Wissenschaft für sich.
Es ist wie ein Studium, sich in all die diffizilen, tückischen Themen einzuarbeiten. Jetzt begreife ich endlich, warum sich Mütter stundenlang über ihren Nachwuchs unterhalten können und müssen. Das, was jeden Single-Menschen zur Weißglut bringt, und wo sich jeder sicher ist, so werde und will ich nie sein, zu so einem Muttertier mutiert man, wenn sich da so ein kleiner Alien in einen reingeschlichen hat und man keine Ahnung hat, ob „Listeriose“ eine neue Zahnpasta-Marke ist.

 

Himbeersommer
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